Essstörungen Behandlung Therapie

Psychogene Essstörungen

Eine Übersicht.

Menschen, die an psychogenen Essstörungen leiden, zeigen Störungen der Nahrungsaufnahme (Dysorexie), -Verarbeitung und häufig auch des Körpergewichts (Dysponderosis) ohne erkennbare organische Ursachen. Die unterschiedlichen Manifestationen der Essstörungen können dabei durchaus auch ineinander übergehen ("Dysorexie-Dysponderosis-Kontinuum").

Essstörungen gehören zu den psychischen Störungsbildern mit der stärksten Zunahme der letzten Jahrzehnte. Acht Prozent aller erwachsenen Frauen und vier Prozent aller über 18-jährigen Männer in Österreich gelten als untergewichtig. Und fast die Hälfte aller männlichen und rund ein Drittel aller weiblichen Österreicher galten im Jahr 2003 als übergewichtig, 12% aller Männer und 17% aller Frauen sind von Adipositas ("Fettsucht") betroffen (siehe Grafik unten). In den USA gelten bereits - wohlgemerkt trotz eines Überangebots an Diät-Strategien - rund ein Drittel aller Erwachsenen als fettsüchtig. Gesundheitsexperten vermuten, dass diese Tendenz noch weiter zunehmen wird und aus diesem Grund mit Essstörungen verbundene Krankheiten wie Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenschäden und Schäden des Verdauungstraktes zukünftig zu den wesentlichsten Gesundheitsrisiken werden. So stellen sich schwierige "Herausforderungen" für unsere westliche Überflussgesellschaft mit ihrer Nahrungsmittelindustrie.

Inhalt:

Anorexia nervosa.

Extreme Magerkeit durch Fasten. Die betroffenen Menschen haben starke Furcht vor Gewichtszunahme, das Fasten kann im Extremfall lebensgefährliche Ausmaße annehmen: eine im Juli 2000 fertiggestellte Langzeituntersuchung der Universitätsklinik Heidelberg etwa ergab, dass jede zehnte Frau mit Magersucht noch Jahrzehnte später am Vollbild der Erkrankung leidet, über 15% der Erkrankten sterben an direkten Folgen.
"Betroffen" von Anorexia nervosa sind hauptsächlich junge Frauen (ca. 0,5-1%) zwischen ca. 12 und 25 Jahren - und zwar immer mehr von ihnen.
Als Teilursachen werden in vielen Forschungsarbeiten Zusammenhänge mit der geschlechtlichen Rollenidentität und/oder familiäre Dynamiken angenommen, neuere Forschungen (siehe auch Abschnitt "Essstörungen bei Männern") legen jedoch nahe, dass auch weitere Faktoren wie z.B. Körperbildstörungen mitverantwortlich sein dürften.
Therapeutisch haben sich vor allem systemische (familientherapeutische), hypnotherapeutische, verhaltenstherapeutische und psychoanalytische Verfahren bewährt, und zwar in Form von Gruppen- oder Einzeltherapien.

Magersucht mit Laxantien- und Diuretika-Abusus.

Bulimische Magersucht, eine Mischform von Bulimia nervosa und Anorexia nervosa, bei der meist mit medikamentöser Unterstützung abgeführt wird.

Bulimia nervosa.

Essstörungen Bulimie Psychotherapie WienDie betroffenen Frauen und (seltener) Männer (ca. 4-6% der weiblichen Bevölkerung zwischen 15 und 35 Jahren, Tendenz steigend, besonders im Jugendalter) haben meist Normalgewicht (-> keine Auffälligkeit beim BMI-Test), allerdings haben sie mehr oder weniger oft regelrechte "Ess-Anfälle" (->Binge eating), bei denen exzessiv (schnell und große Mengen) meist hochkalorischer Nahrungsmittel gegessen und danach Kompensationsmaßnahmen ergriffen werden, um das Körpergewicht zu halten (z.B. selbst herbeigeführtes Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln oder anderen Medikamenten, Fasten oder exzessive Ausübung von Sport). Das extreme Ess-Verhalten wird gut verborgen - es gibt Betroffene, die vor ihren Partnern jahrelang verheimlichen, dass sie sich teils mehrmals pro Woche übergeben.

Das angepeilte Körpergewicht kann bei der Bulimie durchaus auch untergewichtig sein.
Die Prävalenz wird auf etwa 2% aller Frauen ab der Spätpubertät bis ca. dem 35. Lebensjahr geschätzt, wobei extremes Übergewicht oder auch eine Anorexia nervosa sehr häufig einer Bulimie vorausgehen.
Therapeutisch haben sich vor allem systemische (familientherapeutische), verhaltenstherapeutische und psychoanalytische Verfahren bewährt, und zwar in Form von Gruppen- oder Einzeltherapien.

Latente Adipositas.

Essstörungen Bulimie Psychotherapie WienLatent ess-"süchtige" Menschen versuchen, ihren Körper völlig unter Kontrolle zu halten, indem sie einen Wechsel zwischen Total-Diäten und zuviel-Essen betreiben. Ihr Körpergewicht beschäftigt sie ständig - und sie haben das Gefühl, einem dauernden Kampf gegen dieses "Auf und Ab" ausgeliefert zu sein.

Die latente Adipositas kann der Einstieg zu Bulimie oder Anorexie sein.

Diagnostisch ist sie im Schema ICD-10 (International Classification of Diseases) erfaßt, jedoch nicht im DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) und auch nicht im 2014 erschienenen DSM-5, da es die betreffende Arbeitsgruppe nicht als erwiesen ansah, dass hierfür stets psychologische (Mit-)Ursachen vorliegen. Allerdings besteht heute kein Zweifel mehr darüber, dass psychologische Faktoren in der Entstehungsgeschichte (Ätiologie) und/oder dem Verlauf der Adipositas zumindest eine Rolle spielen, was mit speziellen Tests nachgewiesen werden kann.Folglich stellt psychotherapeutische Unterstützung eine wesentliche Begleitmaßnahme in der Therapie dieser Essstörung dar. Als Methoden haben sich die gleichen wie bei der Bulimie bewährt.

Adipositas mit vermehrter Nahrungsaufnahme.

Im Volksmund oft "Ess-Sucht" oder "Fress-Sucht" genannt. Die betroffenen Menschen haben die Kontrolle über ihr Ess-Verhalten verloren und sind durch die sie überkommenden Ess-Anfälle sowie den Jojo-Effekt von Schnell-Diäten meist leicht bis stark übergewichtig - ein Zustand, unter dem sie stark leiden.
Therapeutisch haben sich vor allem systemische (familientherapeutische), verhaltenstherapeutische, gestalttherapeutische und psychoanalytische Verfahren bewährt, und zwar in Form von Gruppen- oder Einzeltherapien.

Gesundheitsrisiken für Adipositas-Kranke

Adipositas ("Fettsucht", "Dickleibigkeit") ist ein Krankheitsbild, zu dem die Forschung derzeit fast im Monatsrhythmus neue Krankheitsrisiken feststellt. Jedes im Vergleich zum Normalgewicht bestehende zusätzliche Zentimeter Bauchumfang wirkt nach aktuellen Erkenntnissen lebensverkürzend, erhöht drastisch das Risiko für Diabetes (ihrerseits ein Krankheitsbild, das mit einer massiven Einschränkung von Lebensqualität verbunden ist), und fettleibige Menschen mit einem BMI von über 30 verfügen über ein doppelt so hohes Risiko an der am stärksten verbreiteten Form der so genannten trockenen AMD (die zu Blindheit führt), sowie an Grauem Star zu erkranken.

Laut Adipositasbericht 06 stieg die Prävalenz in Österreich in nur acht Jahren von 8,5 Prozent auf 9,1 Prozent, zwischen 23% und 24% der ÖsterreicherInnen sind übergewichtig.
"Adipositas verursacht in Österreich direkte Kosten für Krankenhausaufenthalte, Ambulanzen, Medikamente und indirekte Kosten für Ressourcenverlust und Produktivitätsausfälle infolge von Krankheit und Arbeitsunfähigkeit sowie intangible Kosten aufgrund von Schmerzen und verminderter Lebensqualität. Bei einer Umrechnung internationaler Kostenschätzungen auf Österreich ergeben sich Gesundheitskosten für das Jahr 2004 von 227,7 Millionen bis 1,1 Milliarden Euro.
Rund 59,6 Millionen Euro wären auf Bluthochdruck, 46,2 Millionen auf Osteoarthritis, 44,2 Millionen auf koronare Herzerkrankungen bei unter 65-Jährigen und 38,0 Millionen auf Diabetes mellitus als Folgeerkrankungen der Adipositas zurückzuführen. Wenn sich die Prävalenz in Österreich um nur ein Prozent verringern würde, so könnten direkte Gesundheitskosten in der Höhe von 751,4 Millionen Euro eingespart werden", kommentiert Anita Rieder vom Institut für Sozialmedizin die Daten aus dem ersten österreichischen Adipositasbericht 2006.

Adipositas, durch eine übermäßige Ansammlung an Fettgewebe im Körper erkennbar, wird als chronische Gesundheitsstörung verstanden. Für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, Diabetes sowie zahlreiche andere Krankheiten stellen Übergewicht und Adipositas einen hohen Risikofaktor dar. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verwendet eine internationale Klassifikation für Übergewicht und Adipositas. Geschlechtsunabhängig gilt für Übergewicht ein Body Mass Index (BMI) von 25,0 Kilogramm pro Quadratmeter, für Adipositas 30,0 Kilogramm pro Quadratmeter. Der Bauchumfang bei abdomineller Adipositas ist bei Männern 102 Zentimeter und bei Frauen 88 Zentimeter.

Häufigkeit von Adipositas nach Krankenhausstatistik: knapp 6.000 Fälle wurden mit der Hauptentlassungsdiagnose "Adipositas" oder "Lokalisierte Adipositas" dokumentiert, die Aufenthaltsdauer lag bei durchschnittlich 12,6 Tagen pro Fall. 64 Prozent, also fast zwei Drittel davon, betrifft Frauen. In den Altersgruppen der 45- bis 60-Jährigen und der 30- bis 44-Jährigen wurde die höchste Zahl mit Diagnose Adipositas erfasst. In den bevölkerungsreichen Bundesländern Wien, Nieder- und Oberösterreich war die absolute Zahl der Krankenhausentlassungen mit der Hauptdiagnose Adipositas am höchsten.

Begleit- und Folgeerkrankungen: Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge liegt der Anteil der Fettsucht allein an der Krebsentstehung hierzulande bei 3,7 Prozent bei Männern bzw. 6,0 Prozent bei Frauen. Bei österreichischen Männern werden 10,5 Prozent aller Dickdarm-, 4,2 Prozent aller Prostata-, 23,9 Prozent aller Nieren- und 2,6 Prozent aller Gallenblasenkrebsfälle auf bestehendes Übergewicht zurückgeführt. Bei den Frauen verursachte Übergewicht bei 7,4 Prozent die Entstehung von Brustkrebs, bei 9,5 Prozent Darmkrebs und 35,1 Prozent Nierenkrebs.

Adipositas bei Schwangeren: bereits mehr als 30 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter sind übergewichtig. In der Geburtshilfe gilt dies als einer der wichtigsten Risikofaktoren. Übergewichtige Frauen haben häufiger Schwangerschaftskomplikationen und operative Entbindungen als normalgewichtige. Mütterliches Übergewicht kann zu Missbildungen des Fötus oder Früh- und Totgeburten führen.
"Die Prävalenz zu makrosomen (an überproportionalem Wachstum leidenden) Kindern ist bei adipösen Frauen dreimal so hoch. Adipositas ist sehr häufig mit Infertilität assoziiert. Es bestehen für die Kinder adipöser Mütter erhöhte peri- und postpartale Risiken und Anpassungsstörungen, eine erhöhte Neigung zur Entwicklung von Übergewicht im späteren Leben und Stoffwechselstörungen. Etwa jede zehnte Schwangere entwickelt Schwangerschaftsdiabetes", folgert Alexandra Kautzky-Willer, Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel an der Universitätsklinik für Innere Medizin, Wien.

Unter den österreichischen Kindern und Jugendlichen sind zehn bis 29 Prozent der Burschen und sechs bis 42 Prozent der Mädchen übergewichtig; fünf bis elf Prozent der Burschen und drei bis vier Prozent der Mädchen gelten als adipös. Basierend auf Schätzungen können in Wien 19,2 Prozent der Kinder zwischen 0,5 und zehn Jahren und 24,9 Prozent der zehn- bis 17-Jährigen als übergewichtig bezeichnet werden. Fünf Prozent der unter Zehnjährigen und 6,1 Prozent der über Zehnjährigen sind adipös. Bei Familien mit geringem sozioökonomischem Status tritt Adipositas gehäuft auf. Gerade Kinder und Jugendliche leiden beispielsweise aufgrund des sozialen Ausschlusses, der verbalen und psychischen Attacken usw. sehr unter ihrem Übergewicht.

Die Prävalenz der Adipositas nach Bundesländern betrachtet, lässt ein deutliches Ost-West-Gefälle feststellen. Das Burgenland verzeichnet mit 13,1 Prozent die höchste Adipositasprävalenz, in Salzburg ist mit 6,2 Prozent die niedrigste Prävalenz festzustellen. Über dem österreichischen Adipositasdurchschnitt von 9,1 Prozent liegen das Burgenland (13,1 Prozent), Nieder- (10,4 Prozent) und Oberösterreich (9,7 Prozent) sowie die Steiermark (10,2 Prozent). Adipöse Frauen sind in den westlichen Bundesländern häufiger, wogegen in den östlichen Bundesländern ein höherer Anteil an adipösen Männern besteht.

(Quelle: 1.Österr.Adipositas-Bericht, MedAustria)

Sonderformen von Essstörungen

"EDNOS"

EDNOS ist eine Abkürzung für "Eating Disorder Not Otherwise Specified". Unter diesem Krankheitsbild (spezifiziert unter dem Diagnoseschlüssel 307.50 des DSM IV und dem Schlüssel F50.9 des ICD-10) werden jene Essstörungen zusammengefasst, die entweder eine Mischform aus Anorexie, Bulimie und Adipositas darstellen oder nicht eindeutig einer dieser Störungen zuzuordnen sind. Dazu gehören beispielsweise:
  • Frauen, die die Kriterien von Anorexie erfüllen, aber noch regelmäßige Menstruationsblutungen haben
  • wenn alle Kriterien der Anorexie erfüllt sind, aber trotz deutlichem Gewichtsverlust immer noch Normalgewicht vorliegt (->BodyMassIndex)
  • wenn eigentlich die Kriterien für Bulimie erfüllt sind, aber "Binge Eating"-Anfälle oder inadäquates Verhalten nach dem Essen seltener als 2x/Woche oder die Dauer von 3 Monaten auftreten
  • bei normalem Körpergewicht inadäquates Verhalten nach der Aufnahme normaler Nahrungsmengen (zB. selbstinduziertes Erbrechen nach dem Essen von 2 Keksen)
  • große Mengen von Nahrung werden gekaut und danach ausgespuckt, aber nicht geschluckt
  • Binge-eating disorder (siehe Hinweise weiter unten im Text)

Binge Eating

Auch dies ist ein relativ neuer Begriff in der Reihe der Essstörungen, der aus den USA kommt. "Binge" heißt übersetzt "Gelage" und wird in den USA üblicherweise im Zusammenhang mit Alkohol-Missbrauch verwendet. Die damit angedeutete Nähe zu Suchterkrankungen drückt sich in der Verwendung des Begriffes für eine bestimmte Form der Essstörung aus, nämlich "Eßattacken". Von "Binge Eating" wird dann gesprochen, wenn mindestens 6 Monate hindurch an zumindest 2 Tagen pro Woche eine Anfall von Heißhunger auftritt, bei dem in kürzester Zeit ungewöhnlich große Mengen an Nahrungsmitteln aufgenommen werden. Eine Kontrolle über die gegessene Menge gibt es nicht. Außerdem müssen mindestens 3 der folgenden 6 Kriterien zutreffen:
  • essen, ohne hungrig zu sein
  • besonders schnelles Essen
  • essen, bis ein unangenehmes Gefühl einsetzt
  • es wird allein gegessen, um Gefühle von Schuld und Scham zu vermeiden
  • die Ess-Anfälle werden als belastend empfunden
  • nach dem Ess-Anfall treten Gefühle von Ekel, Scham oder Depressionen auf

Die auf recht kurze Zeitspannen beschränkten Essattacken unterscheiden BED (Binge Eating Disorder) von Adipositas, und die ausbleibenden Maßnahmen, eine Gewichtszunahme durch Erbrechen, Intensivsport oder Fasten zu verhindern von der Bulimie.
Hinweis: im 2014 erschienenen Diagnose-Manual DSM-5 fällt die Binge-Eating Disorder nicht mehr in die Gruppe der EDNOS-Störungen, sondern stellt ein eigenes Störungsbild dar.

Anorexia athletica

Hierbei handelt es sich aus therapeutischer Sicht um einen diagnostisch nicht relevanten Medien- bzw. Modebegriff, der eine Kombination von zwanghafter Diäternährung und übermäßigen Sport ("Sport-Sucht") beschreibt. Aus fachlicher Sicht wäre sie je nach Symptomatik im Bereich Bulimie oder EDNOS einzuordnen.

Pica-Syndrom

Das Pica-Syndrom (auch: Picazismus) wurde erst vor wenigen Jahren erstmals in der Fachliteratur erwähnt. Es bezeichnet ein Krankheitsbild, bei dem Menschen ungewöhnliche und ausgefallene Dinge essen, wie zum Beispiel Erde, Papierschnipsel, Kreide, Ton oder kleine Plastikspäne, mitunter auch Dinge, die bei anderen Menschen Ekel hervorrufen können wie Exkremente (Koprophagie).
Bei kleinen Kindern ist hierbei zunächst einmal von einem bloßen Ausprobier- und Entdeckungsverhalten auszugehen, bei dem buchstäblich alles in den Mund genommen wird. Erst, wenn es häufig und offenbar absichtsvoll gewollt zu unterschiedslosem Aufess-Verhalten kommt, besteht möglicherweise Anlass, ein Pica-Syndrom anzunehmen.
Vom medizinischen Standpunkt her ist zu erwähnen, dass Betroffene sich einem grossen Risiko von Vergiftungen und Infektionen aussetzen, häufig unterschätzt wird das Risiko einer einseitigen Ernährung oder gar Unterernährung oder ärztlich zu behandelnden Verstopfungen.

Orthorexia nervosa

Orthorexia nervosa bedeutet krankhaftes "Gesund"-essen, und ist diagnostisch in einem Grenzbereich zu Zwangsstörungen anzusiedeln. Betroffene verbringen mehrere Stunden täglich damit, Vitamingehalte und Nährwerte zu berechnen, sowie spezifische Lebensmittel für ihre Ernährung auszuwählen, wobei sich die Auswahl der "erlaubten" Lebensmittel tendenziell immer mehr verringert. Die Folgen dieses Störungsbildes sind längerfristig Unter- und Mangelernährung sowie soziale Isolation. Die Betroffenen zeigen oft Angst vor als ungesund geglaubten Lebensmitteln - Ängste, die manchmal auch wahnhafte Formen annehmen können.

Vermeidende / Restriktive Essstörung ("ARFID")

Bei der vermeidenden/restriktiven Essstörung (auch: Selektive Essstörung; engl.: Avoidant Restrictive Food Intake Disorder bzw. ARFID) wird nur sehr wenig gegessen und/oder bestimmte Nahrungsmittel werden vermieden, wodurch es zu Mangelerscheinungen kommen kann. Sie tritt vor allem bei Kindern und Jugendlichen auf, und es besteht kein verzerrtes Körperbild wie bei Anorexie und nur in Ausnahmefällen um eine Fixierung auf Schlankheit wie bei der Bulimie. Es wird Appetitlosigkeit und mangelndes Interesse am Essen oder an Lebensmitteln berichtet, mitunter werden Beschaffenheit, Aussehen, Farbe oder Geruch von Essen als unangenehm empfunden, oder es besteht Angst oder Besorgnis über die Folgen des Essens, z.B. Angst vor dem Verschlucken, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, einer allergischen Reaktion usw.

Ruminationsstörung

Bei dieser Essstörung wird Essen wiederholt aufgestoßen und dann entweder ausgespuckt, neuerlich gekaut und/oder wieder geschluckt werden. Die Symptomatik ist nicht durch medizinische Probleme bedingt, kann aber begleitet von Mundgeruch, Übelkeit, Magenschmerzen, Blähungen, trockener Mund oder Lippen sein.

Diabulimie

Diabulimie bezeichnet das Verhalten von DiabetikerInnen mit Essstörungen, sich selbst bewusst niedrig dosierte Insulingaben zu verabreichen, um das Gewicht besser halten zu können. Ausgangspunkt für dieses Verhalten ist i.d.R. eine bereits bestehende Bulimie.
Insulin ist im Körper dafür zuständig, Glukose vom Blut in die Zellen zu transportieren. Ohne Insulin "verhungern" die Zellen, während der Organismus vom hohen Glukosegehalt des Blutes belastet wird. Die körperlichen Folgen von Diabulimie sind deshalb äußerst bedrohlich, wie neue amerikanische Studien zeigen: sehr häufig treten schwere und irreversible Folgeschäden an Augen, Nieren oder anderen Organen auf.
Jede dritte weibliche Diabetikerin unter 30 Jahren kann lt. Studie als Diabulimikerin bezeichnet werden. Warnzeichen für Diabulimie sind Gewichtsabnahme trotz normaler oder zunehmender Ernährung bei Energiemangel, hoher Blutzuckerspiegel und/oder häufiger Drang zu urinieren (bei hohem Blutzuckerspiegel müssen die Nieren auf Hochtouren arbeiten, um die überschüssige Glukose aus dem Blut zu filtern).
Diabulimie ist eine der für den Körper gefährlichsten Essstörungen.

Häufig unterschätzt: Essstörungen bei Männern..

Zunehmend wird auch Männern, die unter Essstörungen leiden, medizinische und therapeutische Aufmerksamkeit zuteil. Der Anteil der Männer an den magersüchtigen Patienten ist mit zwei Prozent seit Jahren etwa gleich bleibend, der Anteil der Männer an den Bulimie-Patienten hingegen wurde früher auf weniger als 5 Prozent geschätzt, während er nach neueren Studien heute im Bereich von bis zu 25 Prozent vermutet wird.

Vielfältig sind besonders die vorgebrachten "sachlichen Begründungen" für das überschlanke, "drahtige" Aussehen - und angesichts der heutigen Aussehens- und Sportlichkeitsideale oftmals weit weniger auffällig als bei Mädchen/Frauen: etwa Ausreden, wegen sportlicher Wettkämpfe bestimmte Speisen nicht zu essen, vorgeschobener Zeitstress, Terminzwänge, das Ablehnen des Kantinenessens, die Notwendigkeit, mittags durchzuarbeiten, Schüler "vergessen" während der Pausen, die Jause zu essen,.. - das asketische Ideal "je weniger Körper, desto besser" bestimmt das Ess-Verhalten. Die Erforschung dieser Zusammenhänge zeigt auch, dass die bisher fast ausschließlich auf Frauen bezogenen gender-spezifischen Erklärungsmodelle unzureichend sind. Vielmehr sind bei Menschen, die an Essstörungen leiden, häufig auch Körperbildstörungen (auch: Körperdysmorphe Störung bzw. Dysmorphophobie, ICD-10: F22.8, F45.2) diagnostizierbar, der Stoffwechsel ist durch kalorienreiches Fast-Food, kalorienarme (aber mit Ersatzsüßstoffen angereicherte) Nahrung und/oder die Einnahme von Abführmitteln (Laxantienabusus) geschwächt und in einem Ernährungs-Teufelskreis gefangen.

Junge Männer, die bei Körpergrößen von über 1,80m weniger als 60kg wiegen, empfinden dies vor allem bei bereits eingestellten Körperbildstörungen als "absolut normal" und fatalerweise finden auch Bekannte und Verwandte oftmals nichts Besonderes daran oder loben das auffällig dünne Aussehen sogar. Dafür, dass die betreffenden Personen - besonders wenn die Wachstumsphase noch nicht abgeschlossen ist - jedoch häufig einen starken Vitamin- und Calciummangel aufweisen und dann häufig unter Problemen mit Gelenken und Knochen zu leiden haben, wird immer noch selten eine Essstörung als mögliche Ursache mitbedacht.

Adipositas tritt - je nach Lebensalter - bei Frauen "nur" etwa doppelt so häufig auf wie bei Männern, wobei die Häufigkeit mit steigendem Lebensalter deutlich zunimmt, wie die untenstehende Grafik zeigt. Durchschnittlich sind ca. 45% der Männer übergewichtig, ein Drittel dieser Männer ist im Sinne einer Adipositas als krankhaft fettleibig einzustufen. Bei Frauen beträgt der Anteil der Übergewichtigen ca. 65%, von denen etwa die Hälfte mit Adipositas diagnostiziert werden.

Anteil der Menschen mit einem Body-Mass-Index über 25 in Deutschland:

BMI Verteilung nach Geschlecht und Lebensalter (Deutschland)
(Quelle: Statistisches Bundesamt BRD, Stand 2002)

..und Essstörungen bei Erwachsenen.

Essstörungen, speziell Anorexie und Bulimie, werden allzu häufig ausschließlich mit Jugendlichen assoziiert - dieser Eindruck ist jedoch falsch. Statistiken zeigen etwa, dass nahezu 30% der Menschen mit Essstörungen volljährig sind. Die entsprechenden Leidensgeschichten begannen - zunächst meist unerkannt - fast immer bereits in der Jugend, und stellten fortan nicht nur für etwaige Partnerschaften, sondern vor allem auch für das eigene Leben, eine permanente Belastung dar. Dennoch nehmen die meisten Betroffenen Therapie erst dann in Anspruch, wenn die Probleme akut werden (etwa aufgrund gesundheitlicher Beschwerden, von Beziehungskrisen oder Problemen am Arbeitsplatz.

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Massnahmen

Haben Eltern bei ihren Kindern einen Verdacht auf eine vorliegende Essstörung, sollten sie erst gar nicht versuchen, dies innerhalb der Familie zu lösen - meist wird das Problem dadurch noch weiter verschärft. Üben Sie aus diesem Grund auch keinen Druck auf das Kind aus, sondern suchen Sie möglichst rasch professionelle Unterstützung.

Sind Sie selbst betroffen, spüren Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst, wann der richtige Punkt gekommen ist, sich Unterstützung zu holen. Anhand des BMI-Tests, den ich auf meiner Website anbiete, lassen sich problematische Abweichungen vom Normalgewicht verlässlich und auf einfache Weise feststellen - handelt es sich nicht um Über- oder Untergewicht, sondern eine Eß-Regulierungsstörung, können Sie anhand der zahlreichen Beiträge im Unterforum "Essstörungen" auf meiner Website besser abschätzen, ob Sie an einer leiden. Auch die Beschreibungen krankheitstypischer Verhaltensweisen auf dieser Seite ermöglichen Rückschlüsse darüber, ob in Ihrem Fall eine Essstörung vorliegen könnte. Obwohl meine jahrelange Erfahrung im Bereich der Essstörungen zeigt, dass sich viele Betroffene leider immer noch erst zu einem sehr späten Zeitpunkt, nach jahrelangem Leiden und Kampf, therapeutische Unterstützung holen, kann nur angeraten werden, nicht erst abzuwarten, bis unveränderliche körperliche Schäden vorliegen. Der Kampf gegen eine Essstörung ist nicht einfach, aber er kann gelingen - insbesondere, wenn er möglichst frühzeitig begonnen wird.

Kinder mit Übergewicht / EssstörungenVon der rein medizinischen Seite her ist anzumerken, dass speziell die Adipositas einen Risikofaktor für eine Reihe von Erkrankungen wie Hypertonie (Bluthochdruck), Krebs, Typ II Diabetes (Diabetes mellitus), Hyperlipidämie (erhöhter Cholesterinspiegel), Gicht und die damit verbundenen Gefäßerkrankungen, mit Folgerisiken wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, darstellt. Besonders langjährig an Bulimie leidende Menschen können verstärkt auch Schädigungen der Zahnsubstanz und/oder des Verdauungsapparates erleiden.

Kürzlich abgeschlossene Langzeituntersuchungen an US-Bürgern zeigten, dass stark übergewichtige Personen im Alter von ca. 40 Jahren im Gegensatz zu einem Schlanken im Durchschnitt mit einer um drei Jahre verkürzten Lebenserwartung rechnen müssen. Starkes Übergewicht im Alter zwischen 35 und 45 Jahren sei ebenso schädlich wie Rauchen. Ein düsteres Bild zeichnet sich aber speziell für fettsüchtige Raucher und Raucherinnen ab: Sie sterben der Untersuchung zufolge in etwa um 13,3 bis 13,7 Jahre eher als normalgewichtige Nichtraucher.

Zwei Erlebensberichte.

Ich möchte nun Sabine W. *) zu Wort kommen lassen, die seit Jahren an Latenter Adipositas leidet und ihre Empfindungen, aber auch ihre Gedanken über den mitunter eigenartigen Umgang vieler Menschen in unserer Gesellschaft mit dem Thema "Schlankheit" und "Essen" so beschreibt:

"..Ich habe eine Essstörung, und zwar "Latente Ess-Sucht" - eine Störung, die nicht einfach zu definieren ist, denn das Verhalten bei "Latenter Ess-Sucht" wird von den meisten Leuten (vor allem Frauen) als normal eingestuft. Jemand, der ständig von Diäten redet und sich zu dick findet, paßt durchaus in diese Welt. Der Rest wird einfach nicht zur Sprache gebracht..." (weiterlesen..)

Maria (27) *), eine frühere Klientin von mir, litt seit 4 Jahren an Essstörungen, zunächst Binge Eating, das sich dann zu einer Bulimie entwickelte:

"Essen war in meiner Kindheit kein Thema. Ich habe einfach gegessen wie jeder andere Mensch auch. Mama hat gekocht und wir haben gegessen. Mehr war da nicht. Ich war dünn und konnte essen was ich wollte ohne zuzunehmen - bis ich " (weiterlesen..)

*) Namen geändert.

(Werbeeinschaltung)

Richard L. Fellner, MSc., 1010 Wien

Richard L. Fellner, MSc., DSP

R.L.Fellner ist Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut und Paartherapeut in Wien.

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