Aufstellung / Familienaufstellung

Systemaufstellungen • Systemische Strukturaufstellungen

Beziehungsstrukturen intuitiv verstehen

Aufstellen - was ist das?

Das "Aufstellen" von Systemen - ob Familien, Organisationen, Teams oder auch inneren Anteilen - zählt heute zu den bewährtesten und modernsten Methoden, um Dynamiken, Stärken und Schwachpunkte in derartigen Strukturen aufzudecken - und Lösungen zu finden, hat jedoch in der Systemischen Psychotherapie bereits lange Tradition - ihre Wurzeln im Psychodrama, der Gestalttherapie und der Familienskulpturarbeit von Virginia Satir. In der systemischen Aufstellungsarbeit wird im Gegensatz zu Skulpturarbeit und Psychodrama allerdings nicht die dynamisch/spielerische Komponente betont, sondern die Parameter Ort, Entfernung und Haltung.
Die ursprüngliche Idee bestand darin, mit den Familien direkt zu arbeiten, in der therapeutischen Praxis wurde aber die Erfahrung gemacht, dass man nicht mit den Mitgliedern eines Systems persönlich arbeiten musste, um relevante Informationen über ein System zu erlangen, sondern dass diese auch durch nahezu beliebige Stellvertreter ersetzt werden konnten.
Der aus historischen Gründen eingebürgerte und immer noch häufig verwendete Begriff Familienaufstellung bzw. Familienstellen ist heute jedoch ein wenig irreführend und eingrenzend - denn die Methode erlaubt es, auch viele andere soziale Strukturen wie etwa Paarbeziehungen, Arbeitsteams, ja ganze Organisationen, aber auch innerpsychische Strukturen, Problemfelder etc. "aufzustellen" - heute sind insgesamt über 80 Formen systemischer Strukturaufstellungen dokumentiert und publiziert. Diese Aufstellungsarten sind durch eine gemeinsame Grammatik und Methodik verbunden, welche durch die in der Systemischen Therapie gebräuchlichen Überbegriffen Systemaufstellungen und Strukturaufstellungen zusammengefasst werden.

In solchen Systemaufstellungen können wirkungsvoll merkbare oder nur latent wahrnehmbare Konflikte "greifbarer werden", komplexe Beziehungsnetze und -verstrickungen besser wahrgenommen, und anstehende Entscheidungen (z.B. in Bezug auf aktuelle Beziehungen, die Herkunftsfamilie oder eine Organisation) erleichtert werden.Das "Aufstellen" eines Systems nämlich zeigt die Dynamik, die in ihm wirkt. Unbewusst Wahrgenommenes über Beziehungszusammenhänge, das "innere Bild" über diese, wird ausdrückbar und darstellbar, sodass es der "objektiven" Wahrheit zumindest sehr nahe kommt. Oftmals ist es geradezu verblüffend, wie nahe die herausgearbeiteten strukturellen Konstellationen bei Aufstellungen der realen Situation kommen.

Die Methode (klassisch)

Setting

Familienaufstellungen bzw. Systemaufstellungen werden meist in Form von mehrtägigen Seminaren oder als laufende Selbsterfahrungsgruppe (bei der jede Sitzung dann einige Stunden dauert) veranstaltet - zum einen, um einer größeren Anzahl von Gruppenteilnehmern die Möglichkeit zu geben, ihr eigenes System aufzustellen, zum anderen, um auch genügend Zeit für eine eingehende Nachbearbeitung des Erlebten und Gehörten zur Verfügung zu haben. Als optimale Gruppengröße haben sich 10-20 TeilnehmerInnen bewährt.

Der "Aufsteller"

Bild: AufstellungenDer "Aufsteller" wählt Seminarteilnehmer aus, die Standorte und "Position" der für das gewählte Thema oder die gewählte Frage relevanten Schlüsselpersonen einnehmen. Ein Teilnehmer also stellt z.B. den Vater dar, ein anderer einen Bruder, eine Teilnehmerin die Mutter. Auch sich selbst stellt der Aufsteller in die so entstehende Anordnung von Personen. Schließlich beschreibt der jeweilige Stellvertreter, wie er sich fühlt: beklemmt, akzeptiert, angenommen oder abgelehnt. Die anderen bringen dann ebenfalls ihre momentan wahrgenommenen Gefühle ein, die in der Realität ja nur äußerst selten (wenn überhaupt) artikuliert werden. Der Klient aber, um den es ja eigentlich geht, sitzt als Zuschauer wie in einer Theateraufführung und erfährt all dies aus der Nähe, doch auch in der Distanz der Verfremdung - moderiert durch den Psychotherapeuten.

Die Gruppe

Allen TeilnehmerInnen - auch jenen, die nicht aktiv aufstellen, sondern nur zusehen oder als Repräsentanten in einem aufgestellten Familien- oder Organisationssystem mitwirken - wird durch das Miterleben und Hineingestellt-Werden in fremde Systeme ein Erfahrungs- und Erkenntnisprozess ermöglicht, bei dem sich neue Perspektiven bezüglich der eigenen Situation ergeben können. Insofern ist es durchaus von Vorteil, wenn Partner, Familienmitglieder oder Kollegen ebenfalls bei der Aufstellung anwesend sind (wenn auch nicht aktiv teilnehmend).

Was "wirkt"

Auf diese Weise, in dieser "Laborsituation", ist es erheblich leichter, Konflikte und deren Auswirkungen an sich, aber auch anderen Personen im "System" zu erkennen. Anschließend helfen alle Darsteller mit, Lösungen zu entwickeln, damit der Klient ein neues Verhältnis zu seinen Bezugspersonen aufbauen kann. Mitunter werden dabei ungewöhnlich treffsichere Ratschläge und Gedanken eingebracht, da in der Aufstellung nicht nur intuitiv erfasst werden kann, worum es geht, sondern auch abstrakte Probleme gewissermaßen "materialisiert" werden, seh- und fassbar. Durch Umstellen der Beteiligten, durch die Hereinnahme ausgeschlossener und durch die Würdigung nichtgeachteter oder übergangener Personen oder Kräfte kann eine neue Ordnung geschaffen und so Lösung möglich werden. Unbewusst Übernommenes wird deutlich und es gelingt leichter, einen adäquaten Platz im System einzunehmen. Wurden alte, festgefahrene und blockierende Muster erst einmal erkannt, gelingt es wesentlich leichter, sie später auflösen zu können - eine Chance zum Neuanfang entsteht.

Professionell durchgeführte und moderierte Systemaufstellungen sind also kein "Hokuspokus", sondern Biografie-Arbeit vor der Folie transparent gewordener Strukturen. Ziel ist unter anderem, die zwischenmenschliche Ordnung (der Beziehungsstrukturen und Kommunikationsmuster) wiederherzustellen. Getrenntes soll zusammengeführt werden, aber auch jeder Mensch einen Platz erhalten - eine Aufgabe im Beruf oder eine befriedigende Position im Privatleben. So kann sich Zufriedenheit einstellen.

Anwendungsbereiche

Systemaufstellungen können hilfreich sein für Menschen:

  • in problematischen Paarbeziehungen
  • die sich eine Beziehung wünschen
  • die sich aus familiären Verstrickungen lösen möchten
  • die vor großen Entscheidungen stehen
  • die innere oder auch äußere Konflikte bewältigen wollen

Kontexte, in denen Aufstellungen helfen können, Lösungen zu finden:

  • bei Konflikten und Schicksalsschlägen in Partnerschaft und Familie
  • wenn Eltern, die sich trennen, den richtigen Platz für ihre Kinder finden möchten
  • wenn Menschen sich immer wieder als Außenseiter erfahren
  • wenn Menschen es sich nicht erlauben "können", glücklich und erfolgreich zu sein
  • wenn geschichtliche Ereignisse die Familie belastet haben
  • bei Mobbing, häufiger Krankheit oder Motivationsverlust der Mitarbeiter
  • wenn störende Wechselbeziehungen oder Geschehnisse innerhalb eines Teams aufzuarbeiten sind
  • vor oder nach strukturellen Veränderungen innerhalb einer Firma

Bild: AufstellungenIm Unternehmenskontext können Aufstellungen den Teilnehmern dabei helfen, die Wirkungen und Implikationen ihrer Position innerhalb einer Unternehmensstruktur und im unmittelbaren Arbeitsumfeld zu erspüren. Die gerade in Unternehmen hochkomplexen sozialen Netze mit unterschiedlichen hierarchischen Ebenen, mitunter unklar definierten Aufgaben, wechselnden Teams, Problemen rund um mehr oder weniger transparente Einfluss(Macht-) und Karrierepläne von Einzelnen oder 'Seilschaften' machen Systemaufstellungen im Organisationsbereich zu einer häufig sehr hilfreichen Methode.

Kontraindikationen für Systemaufstellungen

Es mag für den einen oder anderen Leser dieses Theorie-Artikels schwer vorstellbar sein - aber Systemaufstellungen können mitunter sehr tief berühren, zum Teil lange verborgene Konflikte oder Geheimnisse ans Tageslicht kommen lassen, aufwühlen, ja verstören. Insofern wird von der Teilnahme an Aufstellungsgruppen oder -Seminaren in folgenden Fällen abgeraten:

  • Sie leiden (oder litten bis vor kurzem) an einer Psychose
  • Sie waren während der letzten 5 Jahre ein- oder mehrmals an einer psychiatrischen Klinik
  • Sie leiden an Depressionen (unipolare depressive Episode, rezidivierende depressive Störung oder aber auch bipolare Störung) und befinden sich gerade in einer akuten Phase
  • Sie hatten in letzter Zeit verstärkt Suizidgedanken
  • Wenn Sie selbst aufzustellen möchten, aber nach dem Seminar keine Freunde/Kollegen/Therapeut/.. verfübar wären, denen Sie vertrauen

Die verantwortungsvolle Durchführung von Systemaufstellungen erfordert nicht nur Erfahrung und Feingefühl, sondern auch Wissen und fundierte Ausbildung rund um innerpsychische Zusammenhänge und Gruppendynamik. In Ihrem eigenen Interesse sollten Sie aus der Fülle heute verfügbarer Angebote an "Aufstellungen" nur solche wählen, in denen der Anbieter über eine psychotherapeutische Qualifikation, idealerweise über eine systemische Psychotherapieausbildung verfügt. Strukturaufstellungen gehören zum methodischen Basis-Rüstzeug von Systemischen Psychotherapeuten, insofern können Sie bei diesen von der Einhaltung qualitativer Mindeststandards ausgehen.

Was ist für mich als TeilnehmerIn zu beachten?

Vor dem Workshop

Im folgenden finden Sie einige Fragen oder Gedanken, die Ihnen helfen können, sich optimal auf ein Aufstellungsseminar a) in Bezug auf Ihre Herkunftsfamilie* und b) in Bezug auf Ihre aktuelle Familie** vorzubereiten, sofern Sie Ihr eigenes "System aufstellen" möchten. Es mag sich als hilfreich erweisen, wenn Sie einzelne Punkte in Form einer Notiz zum Seminar mitbringen.

  • was passierte in den Leben der Familienmitglieder (oder den letzten Generationen), das traumatisch oder unüblich war, oder das Familienschicksal (oder jenes einzelner Familienmitglieder) entscheidend beeinflusste?
  • starb jemand während der Geburt?
  • gab es durch die Geburt eines Kindes verursachte Leiden oder Behinderung (bei Mutter und/oder Kind)
  • gab es lebensbedrohliche Situation im Verlauf der Geburt?
  • gab es Abtreibungen? Fehlschwangerschaften? Totgeburten?***
  • gab es 'verheimlichte' Kinder? Kinder aus einer Außenbeziehung bzw. Affäre?
  • wurde ein Kind verlassen oder zur Adoption freigegeben? Gab es eine längere Abwesenheit der Mutter in jungen Jahren (z.B. durch einen Spitalsaufenthalt)?
  • hatten Familienmitglieder auch andere Verlobte? LiebhaberInnen bzw. Aussenbeziehungen?****
  • gab es traumatische oder lebensbedrohliche Ereignisse, Unfälle, schwere Krankheiten, geistige oder körperliche Behinderungen?
  • Suizide oder Suizidversuche?
  • gab es psychische Erkrankungen?
  • kamen schwere kriminelle Handlungen vor wie z.B. Mord? Gefängnisaufenthalte? Kriegsverbrechen?*****
  • war jemand Opfer oder bedroht von Terror, Verfolgung oder Genozid?
  • wurde jemand lange Zeit vermisst oder verschwand?
  • versah jemand Kriegsdienst oder starb im Krieg?
  • trat jemand ins Kloster oder eine Sekte ein?
  • erlebte jemand aufgrund von Vorurteilen Rufmord, Verleumdung, Verstoßung, Entehrung, wurde jemand aus dem Familienverband verstoßen? (Beispiele: Homosexualität, Behinderung, Sucht, Kriminalität, Verwahrlosung,..)
  • wurde oder fühlte sich jemand übervorteilt oder um sein/ihr Recht betrogen? (z.B. in Bezug auf Besitz, Erbschaften od.dgl.)?
  • wanderte jemand aus?
  • fand jemand keine(n) Partner(in), wurde jemand deshalb herabgesetzt?
  • gab es jemand, der mit herrschenden Tabus brach oder als 'über alle Stränge schlagend' bezeichnet wurde?

*: zur Herkunftsfamilie gehören Ihre Geschwister, Ihre Eltern und deren Geschwister (Ihre Onkel und Tanten) und die Großeltern. Passierten in dieser Generation dramatische Ereignisse, dann kann es auch sinnvoll sein, Informationen über Ihre Urgroßeltern einzuholen (z.B. in Bezug auf Tod während der Geburt, früher Tod, Trennung,..)
**: zur Gegenwartsfamilie gehört Ihr(e) Partner(in), Ihre Kinder (gemeinsame mit Ihrem Partner, aber auch Kinder aus früheren Beziehungen). Bei Schwierigkeiten mit Kindern oder Ex-Partnern würden letztere ebenso hinzugehören.
***: Hinweis: Abgetriebene Kinder und in manchen Fällen auch Fehlschwangerschaften beeinflussen die Beziehung der Eltern stark und können auch Auswirkungen auf die anderen Kinder haben. Als "Kind" sollten Sie aber aus Respekt vor dem Privatbereich Ihrer Eltern vor einem Familienaufstellungs-Seminar nicht nach derartigem fragen. Totgeburten jedoch werden familiendynamisch als Geschwister betrachtet und Kinder sollten davon erfahren.
****: Hinweis: Kinder sollten ihre Eltern nur nach 'formellen' früheren Beziehungen (also Verlobten oder Ehepartnern) fragen, andere Beziehungen sind als zu deren persönlichem Privatbereich gehörend zu betrachten. Über Kinder, die aus früheren Beziehungen entstammen, wären Informationen aber wichtig - diese haben als Halbgeschwister Relevanz in der persönlichen Familienstruktur.
*****: Kinder sollten nicht nach Kriegsverbrechen fragen, sie können aber Bestandteil der ohnedies bereits bekannten Familiengeschichte sein.

Nach der Systemaufstellung

Nach einer Aufstellung - ob Sie aktiv als Aufstellende(r) oder Aufgestellte(r) dabei mitwirkten oder nur zusahen - werden Sie neue Erkenntnisse über familiäre oder betriebliche Zusammenhänge gewonnen haben und verschiedene Bilder werden Sie noch einige Zeit lang begleiten, manche davon vielleicht sogar unvergesslich bleiben. Dies kann sich erleichternd, aber auch belastend anfühlen - wie Ihre Psyche langfristig damit umgeht, was sie daraus macht, wird sich in der nächsten Zeit zeigen.

"Gedanken sind schnell. Die Seele bewegt sich langsam." (H.Stark)

Wenn Sie das Gefühl haben, von der Fülle der Eindrücke überfordert zu sein, das Gefühl, auf Ihnen laste nun Druck oder eine Menge von Emotionen wie z.B. grosse Traurigkeit oder auch Angst, dann treffen Sie sich mit Freunden, denen Sie vertrauen, oder besprechen Sie Ihre Eindrücke im Zuge einer Psychotherapie-Stunde. Es ist wichtig, dass die neuen Bilder den richtigen Platz in Ihrer Psyche finden, sie sollten zu keiner Belastung werden.
Was in Aufstellungen häufig unmittelbar spürbar wird ist, wie wir auf einer tieferen Ebene mit unseren Familienmitgliedern und den Menschen, die uns umgeben und umgaben, verbunden sind. Wir können mit einem Male besser deren eigene Befindlichkeiten, deren eigene historische Bürden und 'Schicksalsfäden' spüren. Und so manches, was vorher als Last und "monolithischer Block" auf unseren Schultern empfunden wurde, zeigt sich plötzlich in seiner gewachsenen, geschichtlichen Bedeutung, wodurch sich häufig neue Lösungsperspektiven abzeichnen. Dennoch: auch diese benötigen Zeit. Es ist wichtig, sich nun nicht überfordern zu wollen. Nehmen Sie sich die Zeit, die Fülle der Gedanken und Eindrücke erst mal "setzen" zu lassen, bevor sie - typisch europäisch zupackend - beginnen, zu tun, "umzusetzen". Mitunter sind Jahre, ja Jahrzehnte nötig, um die Ausrichtung tief verwurzelter Bäume zu verändern, analog kann auch noch so angestrengtes Grübeln, Nachdenken unser persönliches Wachstum nur sehr begrenzt beschleunigen. Vertrauen Sie darauf, dass Ihre Psyche sich die Zeit nimmt, die sie benötigt - und vermutlich auch jenen Weg zur Lösung einschlägt, der für Sie am besten passt. Was eventuell am Seminar gesagt und ausgesprochen wurde, das sind erfahrungsgemäß meist nur einige von mehreren Lösungsmöglichkeiten: die meisten werden erst danach, im "wirklichen Leben" entwickelt.

Risiken der Aufstellungsarbeit

In diesem Artikel sollen auch typische Fallstricke und Risiken von Systemaufstellungen nicht unerwähnt bleiben - bei allem Potential, das sie andererseits als therapeutische oder Coaching-Methode haben.

Ein Fehler, der häufig von Aufstellungs-Anbietern gemacht wird, ist, die räumliche Komponente zu stark in den Vordergrund zu stellen. Folglich geht es in den sich daraus ergebenden Analysen und "Erkenntnissen" sehr häufig um Kategorisierungen wie Hierarchien, Nähe und Distanz. Die vorgeschlagene "Lösung" besteht dann folglich häufig ausschließlich in einer Schaffung von vordergründiger Harmonie auf dieser Ebene: die Hierarchie soll akzeptiert oder die richtige Distanz zum Problemfeld gefunden werden. Dies mag zunächst entlasten, kann aber häufig nicht dauerhaft emotional befriedigen.

Den Therapeuten kommt bei der Aufstellungsarbeit enorme Verantwortung zu - nicht nur in Bezug auf die einzelnen TeilnehmerInnen (deren individuelle psychische Belastbarkeit sie mitunter nicht ausreichend einschätzen können, weil vor der Aufstellungsarbeit keinerlei persönlicher Kontakt bestand, siehe Abschnitt "Trittbrettfahrer"), sondern auch in Bezug auf die sich abzeichnenden Lösungsmöglichkeiten einer Aufstellung. Es ist bekannt, dass insbesondere schlecht oder gar nicht psychotherapeutisch ausgebildete Anbieter häufig der narzisstischen Versuchung erliegen, bestimmte Lösungsszenarien aus einer mächtigen, "wissenden" Position heraus zu forcieren und mehr oder weniger explizit zu suggerieren: "Endlich verstehst du, warum du leidest!" oder "Wenn du es nur akzeptierst, wirst du endlich Heilung, Gesundheit und Glück erlangen!".

Derartige "Heilungsformeln" mögen sich im Moment gut anfühlen, fügen sie sich doch in unser auch durch die Medien genährtes Bedürfnis nach einfachen "Instant-Lösungen", und entlasten subjektiv durch die "wissende Verschreibung des Psycho-Gurus". Die Gruppenatmosphäre in derart begleiteten Gruppen tut ihr Übriges, um regelrechte hypnotische Trancezustände zu induzieren, innerhalb derer Erklärungen angenommen werden, die außerhalb eines solchen Seminars bei den betreffenden Personen zumindest eine Portion Skepsis auslösen würden. Gerade im Bereich der heute so trendigen Systemaufstellungen zeigt sich jedoch, dass auch im psychischen Bereich Wunderheilungen im allgemeinen nicht passieren. Offenbar ist zur dauerhaften Heilung doch tiefergehende Arbeit an den innerseelischen (Ver)Störungen zu leisten, wobei im Gegensatz zu den stereotypen Vereinfachungen, die manche "FamilienaufstellerInnen"anbieten, bemerkenswerterweise gerade die heute so gern kritisierte Psychoanalyse erinnert und demonstriert, wie mit Bedürfnissen von Menschen umgegangen werden kann, ohne zu einer Identifikation mit ihnen zu verführen oder für narzisstische oder materielle Interessen instrumentalisiert und ausgenützt zu werden. Insofern sollten während Seminaren aufkommende "Erlösungsphantasien" oder "wundersame Auflösungen" eher skeptisch machen. Die dadurch ausgelösten Gefühle allerdings sind ernst zu nehmen und es ist wichtig, diese im eigentlichen therapeutischen Prozeß anzusprechen und mit ihnen zu arbeiten.

Trittbrettfahrer

Bert HellingerAuf dem "Therapiemarkt" nutzen Trittbrettfahrer den Aufstellungs-Boom aus, welche weder über eine fundierte therapeutische Ausbildung noch die nötige Erfahrung verfügen, Aufstellungsarbeit auf qualifizierte und vor allem auch langfristig positiv wirkende Weise auszuüben. Insbesondere sind hier die tausenden Anbieter des so genannten "Familienstellen nach Bert Hellinger" zu nennen. Mitunter wird von diesen die Lösung erheblicher persönlicher oder struktureller Probleme schon nach dem Studium von ein paar "Hellinger-Büchern" oder dem Besuch eines Wochenend-Seminars (mit Urkunden-Verleihung als Höhepunkt) angeboten - was jedoch schweren Schaden bei jenen Menschen anrichten kann, die unter solchen Voraussetzungen letztlich nur "Seelen-Striptease" betreiben. Insbesondere im beruflichen Kontext bedarf es großer Erfahrung auf Seiten der Therapeuten/Coaches/Berater, damit die absolvierten Systemaufstellungen nicht etwa neue Konflikte induzieren, indem alte in der Aufstellung instrumentalisiert oder neuinszeniert werden.

Am Rande der "Zukunftskonferenz" der Systemischen Gesellschaft in Potsdam entstand die im folgenden aufgeführte "Potsdamer Erklärung", der ich mich vollinhaltlich anschließe und die ich an dieser Stelle zur Kenntnis bringen möchte.

Potsdamer Erklärung zur systemischen Aufstellungsarbeit

"Die Arbeit mit szenischen Darstellungen und Aufstellungen hat in der Familientherapie und der systemischen Therapie eine lange Tradition. Sie wurzelt u.a. in therapeutischen Techniken, wie sie in der Familienskulpturarbeit oder im Psychodrama entwickelt wurden. In der von Bert Hellinger praktizierten Form ist sie breiteren Kreisen als jemals zuvor bekannt geworden. Bedauerlicherweise hat sich Hellinger dabei immer mehr von der originär systemischen Arbeit entfernt. Sein Verdienst bleibt es, dazu beigetragen zu haben, die Aufstellungsarbeit zu verdichten. Vor allem was die mögliche Auflösung von Verstrickungsdynamiken anbetrifft, hat er neue und innovative Vorgehensweisen entwickelt. Wir sehen allerdings den Punkt gekommen, an dem nicht nur wesentliche Teile der Praxis von Bert Hellinger - und vieler seiner Anhänger - , sondern auch viele seiner Aussagen und Vorgehensweisen explizit als unvereinbar mit grundlegenden Prämissen systemischer Therapie anzusehen sind, etwa

  • die Vernachlässigung von Auftragsklärung und Anliegenorientierung
  • die Verwendung mystifizierender und selbstimmunisierender Beschreibungen ("etwas Größeres", "in den Dienst genommen" u.ä.)
  • die Nutzung uneingeschränkt generalisierter Formulierungen und dogmatischer Deutungen ("immer, wenn", "schlimme Wirkung", "mit dem Tode bestraft", "der einzige Weg", "das Recht verwirkt" u.ä.).
  • der Einsatz potentiell demütigender Interventionen und Unterwerfungsrituale
  • die angeblich zwingende Verknüpfung der Interventionen mit bestimmten Formen des Menschen- und Weltbildes (etwa in Bezug auf Genderfragen, Elternschaft, Binationalität u.a.)
  • die Vorstellung, über eine Wahrheit verfügen zu können, an der eine Person mehr teilhaftig ist als eine andere. Dies führt zu der Verwendung verabsolutierender Beschreibungsformen und impliziert, dass keine partnerschaftliche Kooperationsbeziehung angestrebt wird.
Im Gegensatz dazu beziehen wir uns auf viele Beispiele und Ausdifferenzierungen von Aufstellungsarbeit, die im Rahmen eines systemisch-konstruktivistischen Therapieverständnisses und vor dem Hintergrund einer tragfähigen und verantwortlichen therapeutischen Beziehung durchgeführt wird. Wir verstehen diese als konstruktive Versuche, dieses bereits bewährte therapeutische Werkzeug weiter zu entwickeln und auch, es zunehmend mehr wissenschaftlicher Überprüfung zu unterziehen. Insofern wehren wir uns auch gegen undifferenzierte Kritik an dieser Form von Praxis. Aufstellungsarbeit "jenseits von Hellinger" sollte sich als therapeutisches Instrument weiterentwickeln, doch die enge Verbindung mit seinem Namen ist heute nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Im Juli 2004"

Hinweis: das Österr. Bundesministerium für Gesundheit und Familie hat eine Informationsbroschüre zur sog. "Aufstellungsarbeit" mit Hinweisen für KlientInnen auf der Grundlage eines Gutachtens des Psychotherapiebeirates vom 14. Juni 2005 aufgelegt. Diese ist hier als PDF-Download verfügbar:
Aufstellungsarbeit (PDF, 150 KB - Stand 04/2020)

 

Skulpturen und andere verwandte Formen

Exemplarisch für die Vielfalt an möglichen Einsatzbereichen und Nutzen von "Aufstellungen" im weitesten Sinne möchte ich hier einige Sonderformen erwähnen, die sich in speziellen Problemstellungen oder Settings bewähren und insbesondere in der Systemischen Therapie häufig zum Einsatz kommen.

Familienbrett

FamilienbrettSpeziell in der systemischen Einzeltherapie ist es naturgemäß nicht möglich, eine klassische Familienaufstellung (in der ausgewählte Seminarteilnehmer die Schlüsselpersonen des betreffenden Systems darstellen), durchzuführen.
Als Ersatz für die "Live"-Aufstellung bewährt sich dann das so genannte Familienbrett. Statt mit den Gruppenteilnehmern in einem Seminar wird auf diesem quadratischen Holzbrett das Familiensystem mit einfachen Bausteinen so aufgestellt, dass darin alle relevanten Personen berücksichtigt sind. Wie auf einer Bühne können nun die aufgestellten Personen in ihrer Beziehung zueinander, in ihren Positionen und etwaigen Subsystemen beobachtet und analysiert werden.

FamilienbrettDas Familienbrett bewährt sich auch insofern, als es unkompliziert und jederzeit einsetzbar ist, mitunter zeigt sich auf ihm schon nach kurzer Zeit die Dynamik innerhalb eines Systems, was in großen Aufstellungsgruppen (aufgrund der Vielzahl von zu artikulierenden Eindrücken und Wahrnehmungen) mitunter schwieriger zu erreichen ist. Aufgrund dessen ist es ein praktisches und gerne eingesetztes Medium in der Systemischen Einzeltherapie und im Systemischen Coaching - eine Einzelstunde reicht zum Einsatz meist völlig aus.
Eine spezielle Form des Familienbretts ist jene mit Püppchen - diese sollen insbesondere Kindern und Jugendlichen helfen, sich die einzelnen Familienmitglieder besser vorstellen und damit ihre Gedanken besser artikulieren (aber auch ggf. nur verbildlichen) zu können.

Skulpturen bzw. Skulpturaufstellungen

Systemische SkulpturSkulpturen bzw. Skulpturaufstellungen sind eine Möglichkeit der Darstellung von komplexeren Beziehungs- oder Problemzusammenhängen, insbesondere wenn dabei Faktoren eine Rolle spielen, die nicht Personen zuzuordnen sind - also z.B. Krankheiten, Traumata oder psychische Anteile. Mit einer Skulptur ist es also über das herkömmliche Platzieren von Personen hinaus auch möglich, etwa "dem Krebs" oder "meiner Angst" einen Platz zu geben (->Externalisierung).

Auch unsere psychische Struktur selbst ist damit darstellbar, unsere inneren Bilder, unser Leben.
Diese Technik verlangt von Klienten die Fähigkeit, abstrakte Darstellungen intuitiv zu verstehen und zu interpretieren, und wird deshalb meist nur im Verlauf von bereits länger dauernden Therapien eingesetzt, wobei akute Krisen oder psychotische Phasen kontraindikativ sind.

Aufstellungen als Entscheidungshilfe in Einzelcoaching und Einzeltherapie

TetralemmaMehrere Aufstellungsformen eignen sich zur Bearbeitung und Veranschaulichung von Entscheidungs-Dilemmas, insbesondere verweise ich hier aber auf die von Varga von Kibed1 entwickelte Tetralemma-Aufstellung, welche sich insbesondere in der Einzeltherapie bei Entscheidungs- und allgemein in Coaching-Prozessen bewährt hat.
Ihre Grundlage bildet die indische Argumentationsform des Tetralemmas, welche bei Gericht verwendet wurde, um eine Klärung zwischen den Positionen des Klägers und des Angeklagten zu erreichen. Neben den Möglichkeiten, dass einer von beiden recht hat, wurde auch jene in Betracht gezogen, dass entweder beide oder keiner von beiden recht hat. Diese Argumentationsstruktur wurde von Nagarjuna, einem buddhistischen Gelehrten, noch um eine fünfte Position erweitert, welche in der buddhistischen Logik als vierfache Verneinung bezeichnet wird (in der Tetralemmaaufstellung ist dies das Element "Nicht-Position").

In der Aufstellung werden also folgende Positionen besetzt: "das Eine", "das Andere", "keines von beiden", "beides" und für die fünfte Position die sogenannte "Nicht-Position". Zusätzlich gibt es noch die Position des Klienten, die "Focus" genannt wird. Über das bewusste Arbeiten an den genannten Positionen werden meist neue Aspekte der jeweiligen Möglichkeiten spürbar, neue Lösungsmodelle und -ideen können entwickelt werden.

Empfohlene Literatur über Systemaufstellungen, Familienaufstellungen und Organisationsaufstellungen

Weiterführende Links

  • Systemische Strukturaufstellungen die Weiterentwicklung der klassischen Aufstellungsarbeit durch Varga v.Kibed und Insa Sparrer
  • Einteilung und Übersicht über Systemische Strukturaufstellungsformen
  • Die Stellung Systemischer Strukturaufstellung zu vergleichbaren Verfahren
  • Tetralemma Logical structures in Buddhism (engl.)
  • Tetralemma - some logic. eine bemerkenswerte Seite, die sich der Logik des Tetralemma auf mathematische Weise nähert.
  • Clanning kritischer Bericht einer Sekteninfo-Website über die Familienaufstellungen, wie Hellinger sie durchführt
  • Stellungnahme zur Aufstellungsarbeit Hellingers der Systemischen Gesellschaft (BRD) [08/2002]
  • Das leere Selbst Über Hellinger und seine Anhänger
  • Fühl' den Führer!
  • Psychotechnische Schulen kritische Analyse der Methoden Hellinger's, NLP etc.
  • Offener Brief von Arist von Schlippe an Bert Hellinger
  • Aufstellungsarbeit revisited - nach Hellinger?
  • Unterschiede von Systemischen Strukturaufstellungen zu Hellinger's Familien/Organisationsaufstellungen Hinweis: in den hier verlinkten, zur Differenzierung der klassisch systemischen und insbesondere der von v.Kibed weiterentwickelten Systemischen Strukturaufstellungen (SySt) einerseits und Hellinger's Arbeitsweise andererseits sehr hilfreichen und tiefgehenden Artikel, treffen die Autoren teils Unterscheidungen zwischen Begriffen, die sehr wohl auch in der Systemischen Familientherapie zur Anwendung kommen (z.B. "Familienaufstellungen" - im Unterschied zu Hellinger's "Familienstellen", "Organisationsaufstellungen"). Ich kann mich diesen Unterscheidungen nicht vollinhaltlich anschließen und verwehre mich darüber hinaus der Vereinnahmung von Fachbegriffen durch Hellinger & Co., weshalb ich im obenstehenden Artikel bewusst auch jene Begriffe im Kontext der Systemischen Psychotherapie verwendete. Im Sinne einer klaren Unterscheidungsmöglichkeit zwischen den systemischen Ansätzen und Hellinger's Methoden erscheint mir (auch um zukünftigen Annektierungen von systemischen Fachbegriffen vorzugreifen) eine von Wortetiketten unabhängige Differenzierung sinnvoll und pragmatisch. Eine Differenzierung also, die Unterscheidungen vor allem anhand eines professionell-therapeutischen Ausbildungshintergrundes der jeweiligen "Aufsteller" vornimmt. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass Hellinger selbst über keine (von der öffentlichen Hand) anerkannten psychotherapeutischen Qualifikationen verfügt.
Richard L. Fellner, MSc., 1010 Wien

Richard L. Fellner, MSc., DSP

R.L.Fellner ist Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut und Paartherapeut in Wien.

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