ADHS-Medikamente von zweifelhafter Wirkung

Woran es sicherlich keinen Mangel gibt, sind Erfolgsberichte etwa über die positive Wirkung von ADHS-Medikamenten, zahlreiche einschlägige Artikel in der Fach- und etwas zeitversetzt dann in der Regel auch in der Laien-Presse. Häufig gehen im Zuge des Informationstransports bis zum Endkonsumenten auch die letzten Reste von Wissenschaftlichkeit verloren und weichen einem “Informationscharakter”: etwa wenn das Verhältnis von Erfolgs- und Mißerfolgs-Raten gar nicht mehr Erwähnung findet, sondern generalisierend von “mit Erfolg angewendet” oder “Erfolg in der Behandlung von ADHS mit Medikament XY” gesprochen wird. Wie in anderen Blog-Artikeln angeführt, investiert die Pharmaindustrie darüber hinaus deutlich höhere Anteile ihrer Einnahmen in das Marketing ihrer Produkte als in die Forschung, wobei allerdings nur der geringste Teil des Marketings aus expliziter Werbung besteht – viel häufiger werden themenorientierte Kongresse mitfinanziert (indirekte Werbung), Studien in Auftrag gegeben (bei denen dann zumeist die Wirksamkeit der eigenen Produkte bestätigt wird) oder andere vertriebsrelevante Kanäle gesponsert.

ADHD Kid (Image © 123rf.com)

Ein symptomatisches Beispiel für den sich durch diese Effekte schleichend verändernden Zugang der Bevölkerung zur Anwendung von Medikamenten ist der Bereich des Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitäts-Syndroms (ADHS). Es muss sich dabei entweder um eine regelrechte Epidemie oder um eine Modediagnose handeln, denn bereits 7% aller Kinder (!) werden heute in den USA wegen ADHS behandelt. Warum jedoch dieses Störungsbild so häufig aufzutreten scheint, und wie dieser enorme Anstieg an Diagnosen tatsächlich zu erklären ist, wird wenig gefragt und ist bis heute in keine Weise geklärt. Bemerkenswert ist insbesondere auch der “shift” von ganzheitlichen Behandlungsmodellen zu rein physiologischen. So bestand noch vor wenigen Jahren ein weitgehender Konsens darüber, dass die Verhaltensstörungen der betroffenen Kinder und Jugendlichen aus verhaltensorientierter Psychotherapie (in die auch die Eltern einzubinden sind) bestehen, und nur in schweren Fällen Medikamente (damals vorrangig das bekannte Ritalin) verschrieben werden sollten. Heute dagegen scheint weitgehende Einigkeit darüber zu bestehen, dass eine simple Verabreichung der entsprechenden Medikamente die empfehlenswerte Art der Behandlung darstellt – jene Variante also, die für die Pharmakonzerne zweifelsfrei die vorteilhafteste, und für Eltern und Lehrer die bequemste Herangehensweise darstellt. Es existiert nun einmal keine Lobby für die kritische Reflexion jahrelanger Medikation von Minderjährigen mit Psychopharmaka.

Die Publikation kritisch-reflektiver Studien wie die eben von Psychiatern des Johns Hopkins Children’s Center geleitete aktuell größte Langzeitstudie zum Thema, welche im Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry veröffentlicht wurde, sind daher die Ausnahme. In ihr wurden 207 klinisch mit ADHS diagnostizierte Vorschulkinder (75 Prozent davon Jungen) untersucht. Weitere Testungen der Kinder erfolgten 3 Monate später, bevor die Kinder an andere Ärzte überwiesen und teils mit Medikamenten wie etwa Methylphenidat behandelt wurden. Nach 3, 4 und 6 Jahren wurden die Kinder erneut von Ärzten auf die ADHS-Symptome untersucht. Eltern und Lehrer beurteilten zusätzlich die Schwere der Kernsymptome Konzentrationsstörungen, Hyperaktivität und Impulsivität. Analysiert wurden die Veränderungen der Symptome über die Zeit und die Diagnose.

Die Ergebnisse sind zumindest für die Pharmakonzerne, aber auch für die Eltern und die behandelnden Ärzte, welche sich von einer medikamentösen Therapie ja Besserung oder Heilung erwarten, ernüchternd. Zwar ging bei einigen Kindern die Intensität der ADHS-Symptome zurück, bei der Mehrheit der Kinder bewirkten die Medikamente jedoch nichts, das ADHS blieb in diesem Sinne chronisch. Möglicherweise auch deshalb, da die jeweiligen Eltern und Ärzte sich ausschließlich auf die Wirkung der Medikamente verließen, dieser Aspekt wurde in der Studie jedoch nicht untersucht. Fest steht jedoch, dass 89% der an der Studie dauerhaft teilnehmenden Kinder auch nach 6 Jahren noch schwere ADHS-Symptome zeigten.

Bemerkenswerterweise war es praktisch egal, ob sie, wie zwei Drittel der Kinder, Medikamente erhielten oder diese abgesetzt wurden – daraus ließen sich keine Vorhersagen über die Stärke der Symptome ableiten. 62 der Kinder, die mit Anti-ADHS-Medikamenten behandelt wurden, zeigten weiter signifikante Konzentrationsstörungen, bei den Kindern ohne Medikamente waren es mit 58 Prozent kaum weniger. Dass Pharmakonzerne keinerlei Interesse daran haben, kritische Studien wie diese zu finanzieren, liegt auf der Hand.

Interessantes wird dagegen entdeckt, wenn doch einmal neutrale Untersuchungen nichtmedikamentöser Behandlungsansätze stattfinden und finanziert werden. Einer aktuellen Metastudie (auf der Basis von 54 Studien mit fast 3.000 Patienten) der europäischen ADHS-Leitliniengruppe zufolge, welche im American Journal of Psychiatry erschien, ist – eine korrekte ADHS-Diagnose einmal vorausgesetzt – der Griff zum Medikament nicht unbedingt notwendig. Hier wurden in Doppelblindstudien vor allem einer Ernährungsumstellung positive Wirkungen auf die Hauptsymptome Impulsivität, schlechte Aufmerksamkeit und motorische Unruhe bescheinigt.

Wirksam erwies sich vor allem die Vermeidung künstlicher Lebensmittelfarben und noch stärker die Vermeidung von Lebensmitteln, gegen welche die Patienten eine Unverträglichkeit besitzen. Daraus könne man nicht notwendig ableiten, dass andere Therapieansätze keine Besserung erzielen. Es gebe allerdings aufgrund von Finanzierungsproblemen zu wenige valide Studien, weswegen die Datenlage ungenügend sei, sagt Prof. Dr. M. Holtmann von der LWL-Universitätsklinik der RUB in Hamm, Mitautor der Studie.

(Quellen: The Preschool Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Treatment Study (PATS) 6-Year Follow-Up in: Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry Vol 52, Issue 3, p264-278.e2, March 2013; Nonpharmacological Interventions for ADHD: Systematic Review and Meta-Analyses of Randomized Controlled Trials of Dietary and Psychological Treatments in: American Journal of Psychiatry 2013;170:275-289. 10.1176/appi.ajp.2012.12070991; Telepolis [1, 2])

Richard L. Fellner, DSP, MSc.

Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut, Paartherapeut



2 Antworten

P. Reitz Reply

Interessanter Artikel zum Thema:

http://www.dradiowissen.de/adhs-die-erfundene-krankheit.35.de.html?dram:article_id=15924

Grüße!

p. reitz

(Hinweis rlf: Vollname aus Anonymisierungsgründen abgekürzt, siehe Benutzungshinweise)

admin Reply

Interessantes Statement von Dr. Gerald Hüther: “ADHS ist keine Störung” https://www.youtube.com/watch?v=A6vtFS_CwkA

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11.11.22