‘Black Swan’ – die Integration des abgespaltenen Selbst

Das letzte filmische Werk des kontroversiellen Regisseurs Darren Aronofsky ließ wohl viele Zuseher sprachlos und aufgewühlt zurück – nun, wie so manche seiner Filme wie etwa auch ‘Pi‘…

In Black Swan lernen wir zunächst ein fragiles Doppelgespann kennen: Nina ist Ballett-Tänzerin, und lebt überfürsorglich kontrolliert und von der Außenwelt weitgehend geschützt mit ihrer Mutter in New York. Ihr Zimmer wirkt wie ein Kinderzimmer, und sie selbst wie ein Teenager im Körper einer jungen Frau. Ihre Mutter ist selbst Ex-Ballerina, und versucht ihre Tochter “mit Zuckerbrot und Peitsche” bei ihrer Karriere im New York City Ballet zu unterstützen. Emotionen bleiben dabei weitgehend unterdrückt und werden der Leistung und harten Arbeit untergeordnet sowie der Angst der Mutter, ihre Tochter könnte unter dem Druck der bevorstehenden Herausforderung – der Hauptrolle in einer Neuinszenierung von “Schwanensee” – in frühere selbstdestruktive Verhaltensmuster (Selbstverletzung) zurückfallen. Die destruktive Beziehung zwischen beiden wird besonders in einer Szene illustriert, in der Nina’s Mutter zur Feier eine kitschige Torte vorbereitet. Als Nina erklärt, keinen Appetit darauf zu haben, droht die Mutter in vorwurfsvollem Ton, die Torte wegzuwerfen. Nina lenkt ein – und muß daraufhin ein Stück der Glasur vom ausgestreckten Zeigefinger ihrer Mutter lecken. Die Botschaft: die Mutter hat immer recht, und Nina hat sich gefügig so zu verhalten, wie “man” (ihre Mutter) das von ihr erwartet.

Nina war offenbar schon vom frühesten Kindheitsalter an gezwungen, sich an den Erwartungen ihrer Mutter zu orientieren, die identische Berufswahl und die Ausrichtung ihres Alltags am Gelingen der Ballett-Karriere verstärken diesen Eindruck. Im Zuge der Arbeit am Stück “Schwanensee” wird der Zuseher nun Augenzeuge einer zunehmenden Auflösung der Grenze zwischen dem, was in der kleinen Welt daheim vorzeigbar und “akzeptabel” ist, und den dünkleren Seiten nicht nur der Welt draußen, sondern auch Ninas. Der Choreograph des Stücks beschleunigt diese Entwicklung durch seine Bemerkung, dass Nina zwar bestens für die Rolle des “weißen Schwans” geeignet, aber nicht leidenschaftlich genug sei, den “schwarzen Schwan” glaubwürdig darzustellen. Vermutlich gefördert durch die Angst, die Hauptrolle zu verlieren, brechen sukzessive die “dunklen”, bisher von Nina in keiner Weise zugelassenen und ungelebten Seiten durch: sie zeigt Aggression, beginnt, ihren Körper zu erforschen (sie beendet dies schockiert, als sie ihre Mutter im Raum erblickt) und sich in einzelnen Bereichen von ihrer Mutter abzugrenzen. Eine Kollegin verführt sie zu einer rauschenden, ja tranceähnlichen Nacht, von der Nina nach dem Erwachen nicht mehr sicher sagen kann, ob sie dabei tatsächlich auch erste sexuelle Erfahrungen machte oder nicht. Immer öfter bricht ab diesem Zeitpunkt die “andere” Seite durch: zunächst flackernd und sekundenlangen Dissoziationen ähnelnd, dann immer häufiger und länger, wobei Nina zunehmend den Überblick darüber verliert, was noch Phantasie, Wunschdenken und Einbildung, und was Realität ist.

Das Thema der Spaltung und Dualität zieht sich durch den gesamten Film und beklemmenderweise kann schliesslich nicht einmal mehr der Zuseher mit Sicherheit sagen, was denn nun tatsächlich geschah und ob einige der verdrängten Phantasien Nina’s tatsächlich durchbrachen – oder es bei diesen blieb. An diesen Stellen läßt sich ansatzweise der beängstigende Zustand einsetzender psychotischer Schübe und Dissoziationen erfühlen.

Zunehmend zeigt sich jedoch, dass Nina durch die Integration der “anderen”, abgespaltenen Seite (in der Analytischen Psychologie C.G. Jung‘s: des “Schattens” bzw. des “Schatten-Selbst”)  insgesamt lebendiger und stärker wird. Nach der Integration der Gefühlsaspekte des “schwarzen Schwans”: Eifersucht, Neid, Hass, Leidenschaft, Erotik und Sexualität u.dgl., wird Nina “komplett”. Ohne das Ende des Films vorwegzunehmen zeigt sich aber auch, dass das brutale Hineingetrieben-werden in eine solche Erfahrung für die Betreffenden mitunter nur schwer verkraftbar ist, da die psychischen Strukturen um die damit verbundenen inneren Konflikte verarbeiten zu können, nur langsam wachsen – was Zeit (und häufig auch Psychotherapie) erfordert. Im Film ist jedoch meinem Eindruck nach der Weg das Ziel – die Darstellung eines persönlichen Entwicklungsweges, des in-Erscheinung-Tretens abgespaltener Persönlichkeitsanteile und Triebe, und schließlich die für uns alle herausfordernde adäquate Integration dieser Teile in den Alltag.

Insgesamt ein packender und aufwühlender Film, den sich insbesondere Psychologie-Interessierte nicht entgehen lassen sollten!

Links zu den erwähnten Filmen:

Richard L. Fellner, DSP, MSc.

Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut, Paartherapeut



2 Antworten

justus Reply

Eine schöne und sehr interessant zu lesende Rezension – danke!

HansPeter223 Reply

wenn es nur so einfach wie im Film wäre, denn bei manchen erfordert die Integration “der dunklen Seite” manchmal einen Weltkrieg …. auch wenn es nur ein virtueller Weltkrieg ist… arme ENTJ’s …

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11.11.22