Halt finden

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Sarana
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Halt finden

Beitrag So., 24.07.2016, 23:27

Gerne würd ich meine Frage gut formulieren und vor allem mich gut sortiert haben, wissen, was genau ich brauche, was ich will, dergleichen... Träumen geht halt noch. In diesem Sinne hoffe ich wenigstens das Wichtigste jetzt aufschreiben zu können.

Wie der Titel schon sagt geht es um Halt. Sicherheit, Geborgenheit, irgendwo irgendetwas haben was bleibt, egal, wie sehr ich mich auflöse. (Anmerkung: Schon hier steigt Panik hoch. Für die, die es nicht wissen, ich habe eine Art psychogene Krampfanfälle, die ich nur sehr ungern "Anfälle" nenne, da sie sehr, sehr unterschiedlich ausfallen können. Ich werde den Gedanken nicht los, dass sie verkappte Flashbacks sein könnten... Von Zittern über Verkrallen in mir oder Gegenständen bis zu stummem Schreien aus vollem Halse ist vieles dabei. Passiert ab nem gewissen Paniklevel und kündigt sich gerne an, zusammen mit anderen Gefühlen und Empfindungen... Das alles steigt also hoch.)

Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren, aber ich hab diesen Thread schon zu lange aufgeschoben.

Die Thread-Idee kam nach der letzten Therapiestunde, denn es ging unter anderem um Halt und Sicherheit, die ich dort auch nach anderthalb Jahren nicht finde.

Wie ich schon schrieb und so mancher hier aus meinen Blogs weiß habe ich oft schlimme Zustände verschiedenster Art. Aktuell kann ich nicht studieren (schon der 2. Anlauf der nicht klappt), bin weit von einem "Tagesablauf" entfernt und bin sogar schon so weit, dass ich Termine wie z.B. Physiotherapie nicht einhalten kann, weil ich in der Nacht wach bleibe (aus Angst vor Albträumen zum Beispiel, oder mir unbekannten Gründen) und nicht rechtzeitig aufwache. Essen, Trinken, Hygiene, leidet alles massiv, funktioniert einfach kaum oder auch mal nicht. Ich bin völlig am A.rsch und versuche, die Zeit bis ich Anfang August zum zweiten Mal stationäre Therapie machen kann zu überstehen.

Mir fehlt Halt.
Wie findet ihr den? An die, die Halt bei ihrem Therapeuten finden: Wie kommt das zustande? Was genau führt dazu, dass ihr euch dort sicher fühlt? Was ist der Therapeut für euch? Seid ihr abhängig? Außerhalb der Therapie: Was kann ich tun, wenn ich verschwimme? In inneren Schreien und Angst Angst Angst versinke, ich nicht mehr richtig denken kann, nicht mehr weiß, wo und was und wie und ob ich bin? Wenn wenig reicht um das und mehr hochsteigen zu lassen? Wo und wie kann ich etwas zum Festhalten finden?

Am liebsten möchte ich Erfahrungsberichte, so detailliert wie ihr bereit seid zu schreiben. Aber auch allgemeine Tipps... Hab zwar davon schon so einiges gehört, aber wer weiß was von euch kommt.
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sine.nomine
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Beitrag Mo., 25.07.2016, 00:58

Hallo Sarana,

ich schätze, dir ist jeder Beitrag zu diesem schwierigen Thema willkommen. Halt bieten mir manchmal soziale Kontakte oder auch mein Glaube, wie du weißt. Ich merke aber, dass mich langes vorm PC sitzen oder Fernsehen in, sagen wir "chaotische" Zustände bringen kann, so ähnlich wie ich es deinem Text entnehme(natürlich nicht so intensiv). Wobei ich gewisse Zustände bzw Krankheitssymptome an mir "toleriere", mich meistens nicht mehr drüber ärgere und mich eher damit abfinde, und wenn sich nichts verbessern lässt, mich "treiben lasse", würde ich sagen. Doch was du beschreibst, dürfte wohl schlimmer sein, keine Frage.
Das Forum hier kann mir als im realen Leben eigentlich kontaktscheuen Menschen auch eine Art von Halt bieten, zumindest an gewissen Tagen, weil ich auf die PT warten muss und sonst niemanden zum Austausch habe. Vielleicht schreibe ich deshalb soviele Beiträge. Da ich nicht weiß, was du davon hältst, versuche ich mich hier kurz zu halten. Es werden sicher bessere Beiträge folgen.

Lg


isabe
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Beitrag Mo., 25.07.2016, 07:32

Ich denke bzw. fürchte, das muss jeder für sich selbst herausfinden, denn in dem Moment, in dem dir eine Person sagt: "Mir gibt es Halt, wenn...", sagt er dir etwas über sich ganz persönlich - und er ist nicht du. Das für mich Erschreckende in Momenten, in denen ich mich aufzulösen drohe, ist ja gerade, dass das Gefühl "ich bin ich" verlorengegangen ist.

Allgemein gibt mir die Vorstellung von Bäumen halt: Erstens kann man sich dabei sehr viel vorstellen, vom kräftigen Stamm bis zum kleinsten Blatt; es raschelt, es wächst und lebt, und auch dort, wo etwas verlorengeht, lebt der Baum weiter. Er bleibt stehen im Sturm, im Sommer und im Winter, und er bietet Schutz vor Regen; man kann an ihm herumklettern und sich in seiner Nähe verstecken; sogar Häuser kann man in ihm bauen.

In Therapien dürfte das sehr unterschiedlich gehandhabt werden, und auch da fürchte ich, dass man das nicht übertragen kann, von wegen: "Wenn Lisa von ihrem Therapeuten die Hand gereicht bekommt, will ich das auch" - weil erstens Lisas Therapeut nicht dein Therapeut ist und weil zweitens du nicht Lisa bist. Für manche Menschen ist es langfristig hilfreicher, wenn der Therapeut scheinbar nichts tut und signalisiert, dass man diesen Zustand ertragen kann, ohne ihn mit Taschentüchern und Aktionismus wegmachen zu wollen. Andere würden ein scheinbares Nichtstun gar nicht aushalten und vollkommen entgleisen.

Entsprechend kann das Gefühl von Sicherheit auf verschiedene Weisen entstehen; einige Menschen brauchen mehr physische und verbale Präsenz; andere können mit dem Symbolischen einer Therapie sehr viel anfangen, sodass sie sich auch dann sicher fühlen, wenn der Therapeut im Urlaub ist. Das hängt mit u.a. mit der Mentalisierungsfähigkeit zusammen.

Wo du selbst stehst und über welche Ressourcen du verfügst, weiß natürlich hier niemand genau. Selbst die Krämpfe sind kein Indiz, denn es gibt Menschen, die sich "unauffällig" verhalten und die innerlich trotzdem relativ "zerstört" sind. Und es gibt Menschen, bei denen man auf den ersten Blick denken würde: "Was für ein Horror!" - wenn man dann aber diesen Menschen genauer anschaut, entdeckt man u.U. auch ziemlich viel, worauf man aufbauen kann.


ziegenkind
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Beitrag Mo., 25.07.2016, 08:58

sarana, Halt finden war auch für mich ein großes Thema. hat lange gedauert. auch in der Therapie.

Ein erster, wichtiger Schritt war für mich, das Bedürfnis auszusprechen. Aussprechen, das sonst immer ganz schwer war, war in diesem Fall noch nicht wirklich annehmen und aushalten, dass ich Hilfe von einer anderen brauche, um mich zu ertragen.

Das führt zum zweiten Schritt. Annehmen und mir selber die guten biographischen Gründe vor Augen halten, die es dafür gibt, dass ich diese Panik spürte, dass ich diese Anfälle von Selbsthass hatte, in denen ich mich selber als unendlich stinkend wahrnahm. (das klingt alles so banal und tausendmal gehört. Bei mir war es wirklich so. Gleichzeitig hat es Monate gedauert, bis ich dazu kam, mich in meinen Zuständen wirklich anzunehmen. Ich hatte erst nach 1 1/2 Jahren Therapie einen richtigen schlimmen Zusammenbruch. Vier Monate lang bin ich drei Mal die Woche in die Therapie gegangen und habe von meiner Angst gesprochen, habe zunächst versucht, immer präziser die körperlichen Symptome zu schildern. Irgendwann habe ich registriert, dass nur dieses einen Unterschied macht: dass da jemand zuverlässig da ist, der mitfühlend ist, aber vom Sturm meiner Panik nicht mitgerissen wird. Ich habe mir dafür innerliche Bilder gemacht, von meiner Therapeutin, die mich im Schneesturm in den Bergen hält. In diesen Monaten, in denen ich oft verzweifelt war, weil sich nichts zu bewegen schien, entstand, glaube ich, meine Beziehung zu meiner Therapeutin)

Und diese Beziehung machte den dritten Schritt erst möglich. Immer wieder mit einer interessierten Haltung zur Selbstbefragung ansetzen: was passiert da gerade mit mir? Was hat es ausgelöst? Was wäre, wenn ich einfach damit aufhörte.? In dieser Phase hat meine Therapeutin mir erklärt, dass ich oft die Dinge auf die Spitze treiben, weil ich so schlecht um Hilfe bitten kann. Ich lasse es mir schlecht gehen, damit nicht ich die Worte sprechen muss, sondern jeder sieht, ich kann nicht mehr, ich brauche Hilfe.

Ich weiß nicht, ob Dir das helfen könnte. Wichtig könnte vielleicht für Dich sein, dass das alles sehr lange gedauert hat, bei mir insgesamt 7 Jahre. Richtig los ging es erst nach 1 1/2 bis 2 Jahren, in denen ich immer noch damit beschäftigt war, mich zu verstecken. Um damit aufzuhören brauchte es den Zusammenbruch. Und danach brauchte ich noch einmal 5 Jahre, um mit dem neuen Bild von mir leben zu können und Strategien im Umgang mit meiner Panik zu entwickeln. All die Zeit hat sich aber gelohnt. Jetzt ist es fast vorbei. Ganz, ganz manchmal kommt ein kleiner Anflug, aber dann weiß ich, was zu tun ist.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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Sarana
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Beitrag Mo., 25.07.2016, 13:08

Danke für eure Beiträge, jeder hat auf seine Weise geholfen.

sine.nomine:
Vorab: Ich bin sehr positiv davon überrascht, wie angenehm sich unser Kontakt gestaltet, hätte ich nach unserer Diskussion im Sterbehilfe-Thread nicht erwartet.

Du hast ganz recht, ich freue mich über jeden Beitrag, denn ich bin schon seit einiger Zeit so weit, nicht mehr wirklich reflektieren zu können. Je mehr hier also geschrieben wird, desto mehr Halt können auch meine Gedanken finden.

Dass langes Sitzen vor dem PC mir nicht unbedingt gut tut, wusste ich schon, aber eine direkte Verbindung zwischen solchen Zuständen und der PC-Zeit zog ich noch nicht... In dem Sinne ist sie ja auch nicht vorhanden, aber ich nehme es als weiteren Anreiz, mehr zu tun. Meistens geht nicht wirklich was, trotzdem.



Verflucht, mehr krieg ich jetzt nicht hin. Noch mal danke für eure Gedanken. Ich hoffe auf weitere Beiträge.
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mio
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Beitrag Mo., 25.07.2016, 13:37

Hallo Sarana,

vorab: Ich glaube ich kenne diese Zustände die Du beschreibst auch und ich sehe es auch als so eine Art Flashback bzw. "Körpererinnerungen". Ich habe mir das immer so erklärt, dass mein Körper versucht etwas zu tun, was ehemals nicht möglich war oder aber ehemals so war, wie so eine Art gespeichertes aber nicht vollständig zu Ende gelebtes Körperverhalten, also Angst, die "körperlich" einfror und deshalb konnte sich das nicht "auflösen".

In Bezug auf das Zittern hat mir meine Thera mal beigepflichtet, da weiss man das wohl. Aber ich habe auch dieses "stumme" Schreien erlebt (äußert sich bei mir so, dass ich "stumm" und "krampfartig" den Mund "aufreise", aber eben nicht "willentlich" sonder wie von selbst) und alles mögliche andere. Mir hat es geholfen meinen Körper so oft es eben ging einfach "machen" zu lassen in der Hoffnung, dass es sich dann irgendwann "zu Ende bringen" wird und möglichst liebevoll damit umzugehen. Mittlerweile sind diese Zustände deutlich weniger und seltener geworden.

Was das Thema Halt angeht, so hat mir unterschiedlichstes geholfen. Es gab Phasen da half nur "Hautkontakt" - also zB. heiss baden, Sauna, Eincremen, Wärmesalbe etc. - im Grunde alles, was mich meine (Haut/Körper)Grenzen bewusster fühlen lies. Das geht denke ich in Richtung Skills, die kennst Du sicher, aber vielleicht hilft es als "Gedankenansatz". Je mehr ich das Gefühl hatte mich aufzulösen, desto hilfreicher war es, ganz bewusst zu fühlen wo "ich" (mein Körper) anfange und aufhöre.

Ansonsten hat es mir manchmal geholfen raus zu gehen, zu sehen, dass es etwas "außerhalb" gibt. Phasenweise konnte ich das nur spätabends/nachts, wenn die Straßen leer waren, weil zu viele "Menschen" zu viel gewesen wären und wohl auch die Helligkeit zu viel gewesen wäre. Wie das gewirkt hat kann ich nur schwer beschreiben, aber es war so eine Art (trotziges) "ich habe einen Platz/Raum" in dieser Welt den ich einnehmen kann und darf und werde.

In Bezug auf die Thera hilft mir wohl vor allem die Tatsache, dass "all das" dadurch einen Raum bekommt in dem es sein darf. Dass ich weiss: Dort kann ich es hintragen und sie wird versuchen mir zu helfen damit umzugehen. In ganz schlimmen Phasen hilft es mir auch, dass ich weiss, dass sie da ist. Ich sie also jederzeit kontaktieren kann, wenn ich Hilfe brauche, weil ich denke, dass ich das alleine nicht aushalten kann.

"Halt" bedeutet ja auch: Da "hält" mich was "zusammen", so, wie einen eine Umarmung "zusammenhält" wenn man heftig und verzweifelt weint. Und dieses "da hält mich was zusammen" macht dann wohl ein "aushalten" (es bis zu Ende "durchfühlen") können leichter. Für mich haben diese Gefühle bisweilen den Charakter einer inneren Explosion die meinen Körper zu sprengen droht, nun ist es zwar logisch klar, dass der Körper nicht gesprengt werden kann, aber ich denke dass das eben auch irgendwie "fühlbar" gemacht werden muss, weil der reine "Verstand" da nicht immer ausreicht.

Ich wünsche Dir dass Du die Zeit bis zur Klinik gut "aushalten" kannst und etwas für Dich findest, was Dir dabei hilft.

Lieben Gruss,

mio

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Tristezza
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Beiträge: 2252

Beitrag Mo., 25.07.2016, 14:13

Halt gibt mir
- ein strukturiertes Leben
- ganz wichtig dabei: meine Arbeit, aber auch Freizeitaktivitäten, bei denen ich (mehr oder weniger) regelmäßig an einem bestimmten Ort bin (wie Fitness-Studio, Schwimmbad, VHS)
- Kontakt zu Menschen, die ich z.B. im Rahmen meiner Arbeit und dieser Aktivitäten treffe

Halt in der Therapie gibt mir
- die (normalerweise ...) Regelmäßigkeit der Termine
- dass dort immer Raum für das ist, was mich gerade sehr beschäftigt, besonders meine Gefühle
- die Empathie, aber auch Ruhe, Stärke und Ausgeglichenheit meiner Therapeutin
- dass wir häufig übers Halten und Gehaltenwerden sprechen
- dass daraus hervorgeht, dass sie mir Halt geben will

Außerdem geben mir Medikamente Halt, weil sie meine Stimmung stabilisieren.

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Fundevogel
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Beiträge: 1294

Beitrag Mo., 25.07.2016, 20:39

Liebe Sarana,

Halt finden war und ist auch bei mir zentrales Thema.

Was mir in der Therapie Halt gibt:
- Der Rahmen. Ich bin eine glühende Verfechterin des therapeutischen Rahmens, die regelmäßigen Termine, die stattfinden, komme was wolle. Auch die Dauer der Stunden einzuhalten und wenn ich das nicht schaffe, hinzuschauen was los ist. Beziehung braucht Zeit und Schutz. Ich glaube, je stärker der Rahmen hält, umso weniger muss man sich um diese Basics kümmern, umso sicherer kann die Seele in der steten Wiederholung in die Tiefe gehen, weil alles in diesem Rahmen hält und nicht in unklaren Strukturen zerfließt.
-Die durchgehende Beziehungserfahrung. Der Therapeut hat alles ausgehalten. Hat sich weder von meiner Wut zerstören, noch von meiner Angst in den Abgrund mitreißen lassen. An letzterem zweifle ich bis heute. Mit ziegenkind möchte ich sagen, bei mir kam der Zusammenbruch vier Jahre nach Therapiebeginn. Auch das musste die therapeutische Beziehung aushalten. Ein halbes Jahr später habe ich die Frequenz von einer auf zwei Stunden pro Woche erhöht - bis dato. Insgesamt dauert meine Therapie bereits neun Jahre.
- Dass in der Therapie ein Ort ist, wo alles von mir sein darf. Auch das, was mich erschreckt, mir Angst macht, peinlich ist und ich nicht haben will - all diese Symptome zum Beispiel, die auch erst in der Therapie aufgetreten sind.
-Die Erfahrung, dass nur durch das Reden über all die Dinge, die ich nicht haben will, mehr innere Sicherheit entsteht. (Und ich glaube, das ist, weil ich nicht mehr so viel Kraft brauche, den Deckel drauf zu halten.)
- Das sichere Wissen, dass alles was im Laufe der Therapie aufgetaucht ist, aus mir alleine kam (und mir nicht etwa durch den Therapeuten eingeredet oder herbeigeredet wurde, ich bin sicher, dass da nichts induziert wurde). Das allein und nur das ist der sichere Boden, auf dem ich gehen kann.

Was mir in den "Auflösungs-Situationen / akute Symptomsituationen" Halt gibt:
- Meine Symptome waren Panikattacken, Flashbacks, Wahrnehmungsstörungen bis hin zu Halluzinationen (zB die Welt kippt gerade oder hinter mir bricht die Welt ab und ich sehe in den Abgrund), Zittern von leichtem Zittern bis Ganzkörperzittern, Sensibilitätsstörungen, manchmal Sehstörungen, Geh- und Stehschwierigkeiten (weiche, lahme Füße), Essen und Trinken in sozialen Situationen u.a.m.
- Wenn ich alleine war, war es auch mal gut, in Ruhe bis zu einem gewissen Grad dem nachzugeben, zB zittern. Ich erinnere auch positiv, mal weinen und schreien und verzweifelt sein bis zum tiefsten Grund und zu erfahren, was dann passiert. In die Angst reingehen und die Verzweiflung und das Gefühl zu zerbrechen. Ich bin da durch und nicht zerbrochen und das gibt ein Stück weit auch Sicherheit.
- Unter Menschen - je nachdem: Atmen (vor allem ausatmen, wenn schon Arme und Beine taub werden), aus der Situation rausgehen, hinsetzen, trinken, sich helfen lassen (dann ist einem halt grade schlecht, was eh stimmt), sich auf anderes konzentrieren so lange das noch geht
- generell, um die Symptome zu lindern: Immer (!) alles (!) in die Therapie bringen, Streß reduzieren (regelmässig schlafen, zumindest ruhen wenn Schlaf problematisch ist, regelmässig essen und trinken, Streß im Alltagsleben reduzieren), lernen was kann ich mir zumuten im Sinne verhaltenstherapeutischer Konfrontation und was ist zu viel und ich scheitere

Was mir generell im Leben Halt gibt:
- mein Ehemann, generell Beziehungen, Familie und Freunde in der richtigen Dosierung, zu viel des Guten ist auch zu viel, Halt gibt hier vor allem, dass ich mich mit ihnen beschäftige und nicht mit mir selbst
- Arbeit, auch da ist für mich Maß und Struktur wichtig; zu viel Arbeit und Flucht aus den Therapiethemen hat bei mir zu Burnout geführt
- Spiritualität/Religion: ich glaube an Gott und lebe meinen Glauben auch (Gottesdienstbesuch, Beten)
- Freizeitinteressen und Weiterbildung: Studieren, Kurse besuchen, Lesen, Malen, Musizieren, Kultur, Sport (ausbaufähig bzw. war Sport für manche Körpersymptome kontraproduktiv, eher nur wenig Anstrengendes)

Das Thema ist recht umfangreich und teilweise mußte ich beim Schreiben jetzt schon sehr schlucken, rückblickend war das alles eigentlich schon recht heftig. Aber die gute Nachricht ist, ich bin da großteils raus - und du kannst da auch rauskommen. Wenn du einiges konkreter wissen möchtest, bitte um Info, kann gerne Details nachreichen.

Last not least möchte ich gerne ein zentrales Therapieziel teilen:
Inneren Halt durch das Zulassen von Wahrnehmung finden.

Dazu gehört unter anderem die o.a. Liste an Symptomen mit den dazugehörenden und teilweise abgespaltenen Gefühlen (vor allem natürlich Angst) auszuhalten.
Ich glaube, das ist - für mich - tatsächlich der einzige Weg hin zu mehr Halt und Selbst-Sicherheit.
Fundevogel


sine.nomine
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Beitrag Mo., 25.07.2016, 23:44

Hallo Sarana,

es freut mich, dass du den Kontakt als angenehm empfindest(man weiß ja nie wie man bei anderen ankommt).
Ich habe das mit dem Fernsehen/PC-Sitzen deshalb erwähnt, da ich sonntags meistens von Mittag bis am Abend fast nur vorm Fernseher liege und ich danach immer merke, wie meine Wahrnehmung und das Körpergefühl deutlich weniger sind als sonst. Diese Zeit sollte mir zur Erholung dienen, doch ich finde mich später in einer Art von orientierungslosem Zustand wieder. Denn ständig muss ich u.a. auf Zwangsgedanken achten, Geräusche aus der Umgebung irritieren mich und so komme ich nie ganz zur Ruhe.
Ich fühle in letzter Zeit auch eine gewisse Leere, das geht glaub ich schon 2-3 Wochen so. Aber ich denke mir, nach der Ebbe kommt ja auch immer die Flut(oder so ähnlich), diese Leere wird nicht ewig weiterbestehen.

Das mit den sozialen Kontakten muss man bei mir relativ sehen, eigentlich habe ich die Schizoide Störung und Sozialphobie, aber ein paar nahestehende Verwandte, gelegentlich auch Bekannte(das Wort Freunde verwende ich nicht gerne) suche ich dann doch irgendwann von Zeit zu Zeit auf.
Das bringt manchmal viel, ein anderes Mal kann es sein, dass ich denke, jetzt brauche ich 2-3 Wochen Ruhe, weil mir dann diese Treffen psychisch zu anstrengend sind.

Fundevogel's Beitrag finde ich gut und hilfreich das Thema betreffend. Der Gedanke scheint mir vernünftig, gleichzeitig psychologische und spirituelle(katholische) Seelsorge in Anspruch zu nehmen, weil beides eine Seele auf unterschiedliche Weise berühren kann. Mehr kann man dann wirklich nicht tun, wenn man diese beiden Wege versucht zu gehen(wenn es möglich ist).
Ich sah mich selbst jahrelang nicht in der Lage, wieder in die Kirche zu gehen, ganz zu schweigen davon, eine PT in Erwägung zu ziehen(zu der Zeit hatte ich Panikattacken). Mir wurde irgendwann das Beten eine große Hilfe. Als ich ein Gebet begann, war es manchmal so, als wäre ein Schalter umgelegt und die Atmung beruhigte sich, Symptome verschwanden teilweise und ich war im Frieden. Was momentan leider nicht mehr so der Fall ist. Und seitdem ich wieder den kath. Glauben praktiziere, habe ich Dinge gelernt, die ich früher gar nicht beachtet habe. Das lässt mich die Welt anders sehen und ich verstehe manches besser als früher. Ich finde auch alles andere das Fundevogel erwähnte, für das Thema wertvoll und nachvollziehbar.
Das mit der Regelmäßigkeit z.bsp finde ich ebenfalls wichtig, auch wenn ich selbst von fixen Schlaf- und Aufstehzeiten abgekommen bin, wobei ich dem heißen Wetter dabei die Schuld gebe.

Ich hoffe, der Beitrag kommt nicht als zu glaubenslastig rüber.

Lg

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