Über traumatische Erfahrungen in der Therapie erzählen

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Chakotay
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Beitrag Di., 25.10.2016, 21:01

Ich möchte diesen 3,5 Jahre alten Thread nochmal hochholen.

Nach 5 Jahren Traumatherapie habe ich nun den Punkt erreicht, an dem ich mein striktes - vom Täter auferlegtes - Schweigegebot unbedingt im beschützenden Rahmen der Therapie brechen möchte. Mehrere "Vorarbeiten" sind mir gelungen, z. B. Symbolisierung der Geschehnisse anhand von animierten Strichzeichnungen, das vorsichtige Abklären, ob ich mich zumuten darf, ob mein Thera das aushält und aushalten möchte u.v.m.

Nochmal: Ich WILL unbedingt darüber sprechen! Aber, wie schon Sausewind schrieb: mir bleiben die Worte buchstäblich im Hals stecken. Auch aufschreiben geht nicht...
Mein Thera wird mich sicherlich fragen, was mir helfen könnte, aber ich habe überhaupt keine Idee. Vielleicht mag jemand von euch, gerne aus eigener Erfahrung, berichten, was weitergeholfen hat oder u. U. weiterhelfen würde, um Geschehnisse in Worte zu fassen?
Wir arbeiten in der Therapie sehr kreativ, Musik, Gestalten, Poesie, Symbolisierungen... fast alles ist möglich. Vielleicht hat jemand eine Idee, ob ich irgendetwas davon als Zwischenschritt zum Wort nehmen könnte?

Mir ist bewusst, dass die Menschen sehr unterschiedlich sind und dass das, was für einen hilfreich war, nicht unbedingt für jemand anderen eine Hilfe ist. Aber vielleicht kriege ich aus euren Tipps/Beschreibungen Anregungen für mich persönlich... Ich würde mich freuen...

Viele Grüße in die Runde,
Chakotay
Wenn ich mich niederwerfen würde,weinen u.erzählen,was wüßtest Du v. mir mehr als v. der Hölle,wenn jmd erzählt,sie ist fürchterlich.Darum sollten wir voreinander so ehrfürchtig,nachdenklich,liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle.(Kafka,gekürzt)

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Landkärtchen
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Beitrag Di., 25.10.2016, 21:58

Hallo Chakotay,

als Kind hörte ich sehr gerne das Oratorium "Israel in Ägypten" von G.F. Händel. In diesem Werk kommt ein Chorstück vor, was genau das ausdrückte wie es mir als traumatisiertes Kind in der Familie ging. Sehr geholfen hat mir dieses Stück zusammen mit der Therapeutin in einer Therapiestunde zu hören. Die Wucht und meine innere Verzweiflung wurde deutlich und es gelang mir erste Worte für das zu finden was geschah und was ich fühlte. Ich blickte in erschreckte aber verstehende Augen der Therapeutin.
Als Kind verstand ich den englischen Text nicht. Er war mir egal. Ich hörte nur die Musik die meine Empfindungen widerspiegelte. Mit der Therapeutin sah ich mir dann etwas später den Text an. Er passte so gut zu dem was ich erlebte (das erstgeborene Kind einer Familie sollte getötet werden).

LG - Landkärtchen
Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren?

Vincent van Gogh

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lisbeth
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Beitrag Di., 25.10.2016, 22:45

Liebe Chakotay,

mir hilft oft Malen/Gestalten. Versuchen, dass was in mir vorgeht irgendwie auszudrücken. Nicht so sehr was passiert ist sondern den Gefühlszustand, den es in mir auslöst/ausgelöst hat. Und über diese Brücke gelingt es mir dann meistens auch, Worte dafür zu finden. Ich mache das oft auch alleine zuhause und nehme das Ergebnis dann in die Stunde mit.

Was mir auch hilft: Imaginationen. Und zwar in dem Sinne, dass du in einer angeleiteten Imagination dir genau das vorstellst, was dir schwerfällt oder was nicht gelingen will. Und da es in der Fantasie ist, sind dir auch keine Grenzen gesetzt. Du kannst dir Helfer suchen, Stellvertreter, Hilfsgeräte ausdenken, je konkreter umso besser. Vielleicht kannst du dir ja auch einen "Fürsprecher" entstehen lassen, der erstmal das Reden für den Teil von dir übernimmt, der nicht reden durfte - bis der irgendwann soweit ist.
Auch die Umgebung ist für mich dabei wichtig, und auch die möglichst konkret vorstellen, bis zum Wind in den Bäumen oder das Prasseln des Feuers... Mir geht es oft so, dass nach einer solchen Imagination es dann auch mit dem besser klappt, was mir vorher schwer gefallen ist.

LG Lisbeth
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott

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Rosa Wolke
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Beitrag Mi., 26.10.2016, 12:46

Hallo Chakotay,
ich konnte lange nicht den Namen des Täters sagen, es ging einfach nicht. Ich war wie gelähmt. Auch in der Therapie ging es nicht. Ich wollte es aber unbedingt, es sollte aus meinen Gedanken. Das hat mich so geärgert, dass ich etwas ständig denken, aber nie sagen kann.

Ich habe mich dann alleine an einen Ort begeben, wo ich mich sehr sicher fühle und habe erstmal versucht es einfach für mich laut auszusprechen. Das ging auch nicht leicht, aber es klappte. Um dem ganzen die Macht zu nehmen, sagte ich den Namen immer und immer wieder, bis es leichter wurde. Vielleicht ist eine Möglichkeit, also erstmal alleine für sich ein Wort oder sogar Satz laut auszusprechen. Dafür muss man aber glaub ich auch schon recht stabil sein, deshalb ist das nur eine vorsichtige Idee. Ich war danach ein paar Tage heiser..., aber ich konnte ihn dann auch in Gegenwart meiner Therapeutin sagen.

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Chakotay
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Beiträge: 243

Beitrag Mi., 26.10.2016, 15:52

Danke fürs Teilen eurer Erinnerungen, Ideen und Ängste!!

Hallo Landkärtchen,

ja, Musik ist auch für mich eine mächtige Ausdrucksform und oft auch Waffe gegen meine "inneren Dämonen". Ich habe mal nach dem Stück "He smote all the firstborn" von Händels Egypt gesucht und kann mich nach dem Hören gut in deine Empfindung von Wucht und innerer Verzweiflung hineinfühlen, obwohl Emotionen, die bei dem Einzelnen durch Musik hervorgerufen werden, ja höchst subjektiv sind.
Ich hadere u.a. derzeit mit dem Umstand, dass immer wiederkehrende Handlungen, die regelrecht ritualisiert wurden, von mir als normal angesehen wurden und dass sie in mir Automatismen ("ich muss das jetzt machen, weil das immer so gemacht wird") hervorriefen, die keinen Widerstand zuließen. Diese Empfindung wird für mich gut durch die Stilrichtung "Minimal Music" der 1960er Jahre ausgedrückt: Gleichförmigkeit, nur kleinste Veränderungen finden statt ohne das große Ganze großartig zu beeinflussen...
Mein Traumatherapeut ist u.a. auch ausgebildeter Musiktherapeut und wir arbeiten oft mit diesem Medium - aktiv und passiv. Ich danke dir für die Anregung, ein passenden Musikstück mit in die Therastunde zu nehmen und sich vielleicht damit Hilfe zum Artikulieren zu holen.
Komisch, dass ich nicht selbst darauf gekommen bin - wie gesagt, Musik ist quasi unser "Stamm-Medium"... Danke!

Hallo Lisbeth,

du sprichst einen weiteren Aspekt an, der mich sehr beschäftigt, nämlich die menschliche Tatsache, dass zu Geschehnissen außer Ausdruck auch noch Emotionen gehören.
Das habe ich in der letzten Therapiestunde angesprochen - denn ich fühle rein gar nichts dabei. Ich weiß, dass das im Zuge einer kPTBS ziemlich normal, da Schutzfaktor, ist. Und ich weiß, dass ich dazu neige zu dissoziieren, sobald der Anflug von Gefühlen zu einer Erinnerung dazu kommt. Und das macht mir in der Tat Angst - ein Mensch ohne Emotionen hat einen wesentlichen Aspekt der Menschlichkeit verloren.
Mein Thera meinte dazu, dass es gut ist, wenn nicht alles auf einmal kommt: Erinnerung, Ausdruck, Emotionen. Dies wäre für mich seiner Meinung nach eine deutliche Überforderung, die ich mit Instabilität und Dissoziationen und den damit zusammenhängenden Begleiterscheinungen bezahlen würde. Tja. Ich verlasse mich da mal auf seine Einschätzung und suche nun erst einmal einen Weg des Ausdrucks.
Malen/Gestalten hilft mir auch sehr oft. Die Erinnerungen, um die es aktuell geht, habe ich in der Tat auch schon als "Zeichen-Geschichte" (wie ein Comic) gestaltet und das war sehr, sehr hilfreich als ersten Schritt. Nun soll es jedoch darüber hinaus gehen, indem ich "erwachsen" artikulieren möchte.
Mit Imaginationen tue ich mich insofern schwer, da ich bei jeder positiven, stützenden Imagination ganz unwillkürlich ein "Haar in der Suppe" dazu erfinde. Beispiel: ich schwimme alleine mitten im Ozean. Positive Vorstellung: ein großer Baustamm kommt angeschwommen, an dem ich mich festhalten kann. Toll eigentlich, aaaber in meiner Fantasie geht es weiter: ich verhake mich in den Ästen den Baumstamms und bringe ihn aus dem schwimmenden Gleichgewicht dergestalt, dass ich festgeklemmt zwischen den Ästen unter Wasser bin (quasi "umgefallen")... usw. usf.
Vielen Dank für deinen Beitrag, es ist für mich immer tröstend zu hören, dass auch andere Menschen kreative Gestaltung als hilfreich empfinden!

Hallo Rosa Wolke,

ja, auch ich werde wütend (leider auf mich selbst), wenn ich nicht in der Lage bin, Dinge auszusprechen, die ich aber im Kopf habe. Da ich oft kopfbetont bin, denke ich in solchen Situationen, dass ich nun zu einem stammelnden Etwas degeneriere und dass es mir doch nun wirklich möglich sein MUSS, ein paar simple Worte zu einem Satz aneinanderzureihen... Da die Dinge im Kopfkino ablaufen, fühlt es sich an, als ob sie in einem Gefängnis eingeschlossen wären - ja, als wäre ICH durch Sprach- und Handlungsunfähigkeit in einem Gefängnis eingesperrt.
Früher hat mein Thera auch versucht, ob es mir hilft, wenn ich bspw. einen kurzen Satz ausspreche, wiederhole, in verschiedenen Lautstärken ausspreche. Ich kann so etwas aber nicht gut, ich glaube, meine Scham ist zu groß. Alleine mag ich so etwas aber schon mal gar nicht machen, da in mir dann das Gefühl entsteht, jemand/etwas/Geister zu rufen, die ich nicht haben will. Ich meine das im übertragenen Sinne, so nach dem Motto "das Unheil herbeirufen" - ich bin nicht abergläubig! Bei meinem Thera fühle ich mich (mittlerweile) weitgehend sicher, aber da steht wohl die Scham im Wege oder was es auch immer sein mag...
Aber, angeregt durch deinen Beitrag, werde ich vielleicht das nochmal versuchen und mit meinem Thera darüber sprechen. Danke!

Viele Grüße an alle,
Chakotay
Wenn ich mich niederwerfen würde,weinen u.erzählen,was wüßtest Du v. mir mehr als v. der Hölle,wenn jmd erzählt,sie ist fürchterlich.Darum sollten wir voreinander so ehrfürchtig,nachdenklich,liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle.(Kafka,gekürzt)


Landkärtchen
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Beitrag Mi., 26.10.2016, 16:47

Oh Chakotay, jetzt bin ich ganz berührt darüber, dass du dir das Stück von Händel angehört hast. Du quasi jetzt eine "Mithörerin" bist . Ich hatte damals die Vorstellung, dass es wenigstens eine Person mal auf Erden gab, der etwas ähnliches widerfahren ist.
Das gemeinsame Hören dieses Stückes in der Therapiestunde hat mir auch dabei geholfen mit der Therapeutin in Kontakt zu kommen. Etwas gemeinsames "erlebt" zu haben.

Es freut mich, dass dein Therapeut so offen und in der Lage ist so vielfältig Methoden dir anzubieten.

LG - Landkärtchen
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Vincent van Gogh

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Chakotay
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Beitrag Mi., 26.10.2016, 20:28

@ Landkärtchen:
... ich hoffe, ich bin dir damit nicht zu nahe getreten... Da du das Stück öffentlich gepostet hast, dachte ich mir nichts dabei, es im Netz zu suchen und anzuhören. Ich habe auch so ein paar Musikstücke, die für mich bedeuten, einen Schatz zu besitzen, den ich hüten und manchmal auch verstecken muss. Nochmals danke für deine Offenheit!

-------

Gibt es jemanden unter euch, der Erfahrung damit hat, wie der/die Thera mit Fragen geholfen hat?
Und wie findet man einen Anfang? (Die Idee mit dem Musikstück ist vielleicht eine Möglichkeit. Die "Bildergeschichte" habe ich schon gezeigt.)
Helfen u. U. Ja-/Nein-Fragen?

Sorry, wenn ich dumme Fragen stelle, aber mein Drang, endlich zu erzählen ist so groß .... und ich habe Angst, dann doch wieder zu verstummen...

Chakotay
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Landkärtchen
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Beitrag Mi., 26.10.2016, 20:45

Chakotay, es ist alles in Ordnung. Du bist mir nicht zu nahe getreten.

Bei deiner anderen Frage habe ich keine Erfahrung. Meine Therapeuten waren oft schweigende und mir fällt es nicht so schwer zu reden (über die traumatischen Erlebnisse - bei anderen Themen fällt es mir auch sehr schwer Worte zu finden und diese auszusprechen).

Wünsche dir alles Gute in deiner weiteren Therapie.

LG - Landkärtchen
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Vincent van Gogh

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Fundevogel
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Beitrag Mi., 26.10.2016, 21:28

Liebe Chakotay,

ich war vor kurzem in einer ähnlichen Situation und wollte endlich darüber reden. Ich dachte, ich müßte nur wirklich wollen und dann würde es schon gehen, war zu meiner Überraschung aber nicht so. Ich habe ein paar Stunden / Wochen innerlich sehr mit mir gerungen und am schlimmsten war, dass ich es mir nichtmal vorstellen konnte. Vielleicht ähnlich wie du die Szene mit dem Baumstamm beschrieben hast, in dessen Zweigen du dich verhedderst. Ich bin immer aus dem Therapieraum gelaufen und habe im Treppenhaus geheult.

Ich glaube, was letztlich geholfen hat, dass ich alles sagen konnte, war zweierlei:

Das innerliche Ringen war glaube ich wichtig, weil neben all dem Willen und Wissen, dass es gut ist zu reden, doch auch immer andere Gefühle gibt. Angst, Scham, Unsicherheit. Und Zweifel. Vielleicht ist es ja doch besser zu schweigen. Durch all das bin ich durchgegangen und im Nachhinein glaube ich, es war dafür gut, dass ich dann zum richtigen Zeitpunkt auf die richtige Art und Weise reden konnte. Ohne mir innerlich Gewalt anzutun, indem ich zu früh redete oder falsch redete. Erst die Sprache finden dafür und das Gefühl für die Sprache. Ich habe falsch begonnen zu reden und das hat mir sehr weh getan. Falsch heißt zu früh und ich habe mich selbst nicht ernst genug genommen und nicht genug geachtet. Dachte, je weniger ich fühle, umso besser. Aber es ist genau andersrum.

Und was auch dann letztlich den Ausschlag gegeben hat, war das alles zu sagen. Die Angst, die Scham, die Angst, wie mein Therapeut reagieren könnte, die Angst, zu versagen nicht reden zu können, die Angst er verachtet mich insgeheim, die Angst unsere Beziehung zu zerstören. Erst als all das, was außer dem unbedingten Willen zu reden an Emotionen noch da war, gefühlt und gesagt war, konnte ich reden. Er hat mir nicht mit konkreten Fragen geholfen, aber mit der Aufforderung zu erzählen.

Das Reden selbst war dann nach einer letzten Überwindung einfacher als befürchtet und klar.
Fundevogel


Waldschratin
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Beitrag Mo., 31.10.2016, 10:57

Hallo Chakotey,

für mich wars damals erstmal wichtig verstehen zu können, dass diese "Wortlosigkeit" zu nem überwältigenden, traumatisierenden Erlebnis dazugehört, denn da gehts ja v.a. um Panik und Lebensbedrohung.
Und da schaltet das Gehirn das "Aktive" ja aus und geht auf "Automatik" und nutzt dazu alle Kapazität, die verfügbar ist.Und die "höheren" Funktionen werden dann erstmal lahmgelegt.
Als ich das verstanden hatte, konnte ich schon mal einiges gnädiger mit mir selber umgehen.
Und dann lag für mich der erste Schritt zum Reden recht nah : in Bewegung gehen.Nicht "wie angewurzelt" sitzen zu bleiben und wie`s Karnickel der Schlange gebannt ins Äuglein zu blicken und in der altvertrauten Panik zu versinken, Wiedererleben hin oder her.
Ich bin hin- und hergegangen im Zimmer und das hat tatsächlich geholfen, die ersten Worte zu lösen.

Als es dann um die scham- und angstbesetzten Erlebnisse ging, hab ich mir erstmal damit geholfen, die Erlebnisse in "Geschichten" zu packen. Das hatte mein Thera vorher schon mit mir geübt als Distanzierungsmöglichkeit bei Wiedererleben und Flashbacks, um da aus der Ohnmacht und Passivität, dem "Erleiden", selbstständig wieder rauszufinden.
Ich hab das also komische Zwerge und Trolle etc. erleben lassen, was mir als Kind passiert ist.Und hab darüber dann nach und nach hingefunden zu meinem eigenen Erleben von damals.

Wenn ich ins Stocken geraten bin, hat mein Thera ziemlich schnell mit Fragen weitergeholfen, damit ich gar nicht erst in den Gefühlen versinken konnte.Das waren oft recht "harmlose" und nebensächliche Fragen, manchmal aber auch "mitten rein" ins Geschehene, je nach seiner Intuition.Und wir hatten ein paar Fragen zusammengestellt, die mir im Fall der Disso wieder raushelfen würden.So z.B. irgendwas aus meinem Beruf.Oder auch, dass er mich dann mit meinem Vornamen anspricht und nicht mit dem Nachnamen, den ja auch meine Eltern haben.
Ja/Nein-Fragen haben mir nicht sonderlich geholfen, sondern bei mir eher die Dissos gefördert.
Aber vielleicht helfen sie dir ja, also am besten einfach mal ausprobieren.

Ich kann gut verstehen, dass du`s mal aussprechen willst.Ich hab da auch lange überlegt, warum mir da so danach ist, obwohl es ja auch nicht wirklich "helfen" kann, dachte ich damals.Geholfen hat es trotzdem. Einfach nicht mehr alleine damit zu sein und die Erfahrung, danach weder abgelehnt zu werden, noch "verbessert" oder dass mir nicht geglaubt wurde etc.
Ich drück dir die Daumen, dass du nen guten Weg findest für dich!


ziegenkind
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Beitrag Mo., 31.10.2016, 11:05

mir ist beim lesen eingefallen, was mir geholfen hat.

vorweg: meine angst war immer, wenn ein anderer sich nicht vorstellen kann, was einer, was mir passiert ist, dann ist es entweder nicht geschehen oder es konnte nur mir passieren, weil ich so falsch war. für mich war es wichtig, das zu kapieren, also das, was mich unendlich gehemmt hat.

und dann konnten wir eine strategie zur abhilfe entwickeln.

ganz oft hat meine therapeutin mir an stellen, an denen ich nicht weiter sprechen konnte, mehrere versionen angeboten. ich musste dann nur (wie beim bingo ...) die zahl sagen. dann war es endlich im raum. wichtig war das für mich, weil sie mit ihrem geschichtenangebot schon signalisiert hat, das gibt es, so etwas passiert, auch anderen menschen, sonst gäbe es ja noch keine geschichten dafür.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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Chakotay
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Beitrag Mo., 31.10.2016, 20:38

Zunächst einmal ein herzliches Dankeschön an euch alle, dass ihr euch die Mühe gemacht habt, eure Erfahrungen für mich nachvollziehbar zu teilen!


Liebe Fundevogel,

oh ja, dieses innerliche Ringen, von dem du schreibst, ist etwas, dass ich etwas schärfer als "Schlacht" bezeichne... Mein eingepflanztes Schweigegebot ist so mächtig, dass ich immer wieder damit gefesselt und handlungsunfähig gemacht werde. Mittlerweile merke ich es fast immer - manchmal auch, BEVOR es seine ganze Macht entfalten kann, manchmal erst, während sich die Ketten bereits um mich legen. Aber immerhin.
Angst und Scham sind selbstverständlich auch da, aber da bin ich zuversichtlich, dass es mir gelingen wird, durch diese Gefühle mit Begleitung meines Therapeuten durchzugehen und sie - wenn nicht hinter mir zu lassen - sie zumindest so ertragen zu können, dass ich meinem Wunsch nach Verbalisieren folgen kann.
Zweifel. Oh ja. Ich zweifele an meinen Erinnerungen, da ich genau weiß, wie beeinflussbar Erinnerungen sind. Jede Erfahrung des Menschen "verformt" seine Erinnerungen. Vielleicht habe ich das Ganze auch falsch interpretiert? Vielleicht war es gar nicht "so schlimm"? Ich weiß. Standards. Aber meine Tendenz, die Schuld meist bei mir zu suchen, gießt da noch Öl ins Feuer. Aber auch das ist ein Punkt, den ich sicherlich mit Hilfe meines Therapeuten überwinden kann.
Das Gefühl, nach dem Aussprechen zu den "Unberührbaren" zu zählen und den schleimigen Schmutz, der in meiner Vorstellung an mir klebt, sichtbar zu machen, dadurch die Verachtung und den Ekel meines Therapeuten zu bemerken - ja, das muss ich in der Tat noch in der Sitzung verhandeln. Auch wenn das bei mir große Schamgefühle hervorruft. Danke für diesen Gedankenansatz und es tat mir gut zu lesen, dass meine Schwierigkeiten nicht einzigartig sind.
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Liebe Waldschratin,

für mich ist der kognitive Wissenshintergrund auch sehr wichtig. Das "gnädig-mit-mir-Umgehen" muss ich noch reichlich üben, aber auch da habe ich schon Fortschritte gemacht. Das Distanzieren durch kreatives Gestalten (Bilder, Musik, Gestalten, Basteln, Gedichte, Texte, animierte Geschichten etc.) ist für mich DAS Hilfmittel schlechthin. Oft ist es mir peinlich, wenn ich wieder mal in meiner Fantasie versinke - ich habe mich sehr gefreut zu lesen, dass auch du so etwas machst und vor allem: dazu stehst! Das war eine wichtige Anregung für mich. Mein Therapeut ermutigt mich auch immer, kreative Tätigkeiten einzusetzen. Das sollte ich auch für das Aussprechen der Erlebnisse noch mehr nutzen. Bislang habe ich ein animiertes Trickfilmchen dazu erstellt und dachte, jetzt muss im Anschluss das Verbalisieren erfolgen. Aber vielleicht sollte ich noch ein paar "kreative" Zwischenschritte einbauen...
Mein wichtigster Motor ist in der Tat auch: Nicht mehr damit alleine zu sein und auch in gewisser Weise einen "Zeugen" zu haben.
P.S. Gehen hilft mir im Übrigen auch immer!
Danke für deinen Post.
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Liebes Ziegenkind,

jaaaaa - ich bin falsch. Das ist vertraut! Dieses Gefühl geht Hand in Hand mit den Zweifeln, die ich oben bereits beschrieben habe. Und die Idee mit dem Antwort-Bingo kann ich mir gerade auch sehr gut als ersten Schritt bzw. Zwischenschritt vorstellen - das werde ich mal mit meinem Therapeuten besprechen.
Vielen Dank!
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Grüße in die Forenrunde von

Chakotay
Wenn ich mich niederwerfen würde,weinen u.erzählen,was wüßtest Du v. mir mehr als v. der Hölle,wenn jmd erzählt,sie ist fürchterlich.Darum sollten wir voreinander so ehrfürchtig,nachdenklich,liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle.(Kafka,gekürzt)

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Chakotay
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Beitrag Mo., 31.10.2016, 20:43

Ich möchte noch etwas nachtragen:

Heute habe ich in der Therastunde mal wieder unendlich viel Zeit damit verplempert "Anlauf zu nehmen"... Als die Zeit zu 3/4 um war, war ich endlich an dem Punkt angelangt, wo ich wieder UNBEDINGT ERZÄHLEN wollte. Ich ärgere mich sehr, dass ich so oft eine geraume Zeit benötige, um zum "Kern" zu kommen. Die Zeit, die dann noch bleibt, reicht nicht, um zu erzählen und dann wieder so stabil die Praxis zu verlassen, dass ich noch die Stunde Autofahrt nach Hause unfallfrei hinkriege...
Wenn ich mich niederwerfen würde,weinen u.erzählen,was wüßtest Du v. mir mehr als v. der Hölle,wenn jmd erzählt,sie ist fürchterlich.Darum sollten wir voreinander so ehrfürchtig,nachdenklich,liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle.(Kafka,gekürzt)

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Pantoffeltierchen
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Beitrag Di., 08.11.2016, 17:03

Denkst du es würde dir helfen, wenn ihr euch einmal eine Doppelstunde ausmacht? Mein Exthera hat mir das damals vorgeschlagen, als ich immer so lange gebraucht habe, um mich öffnen zu können...
Wer einen Fehler findet, darf ihn behalten.

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Chakotay
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Beiträge: 243

Beitrag Mi., 09.11.2016, 08:01

Hallo Pantoffeltierchen,
schön von dir zu lesen!

Da ich zu den "Ich-regele-immer-alles-alleine-in-Autonomie"-Meschen gehöre, und die Annahme von Hilfe ein Dauerbrenner in der Therapie ist, habe ich schon seit langem "Eineinhalb"-Sitzungen. Normalerweise sind es 60 min und ich habe immer 90.

Beim letzten Mal schob sich etwas Aktuelles brennend vor, sodass ich immer noch keinen Schritt weitergekommen bin.
Wenn ich mich niederwerfen würde,weinen u.erzählen,was wüßtest Du v. mir mehr als v. der Hölle,wenn jmd erzählt,sie ist fürchterlich.Darum sollten wir voreinander so ehrfürchtig,nachdenklich,liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle.(Kafka,gekürzt)

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