Wie definiert sich ein Trauma?

Hier können Sie Fragen zu Begriffen, Diagnosen und sonstigen Fachworten stellen, die einem gelegentlich im Zusammenhang mit Psychologie und Psychotherapie begegnen oder die Bedeutung von Begriffen diskutieren.
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stern
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Beitrag Fr., 31.01.2014, 21:47

Ulrich hat geschrieben:Ein Trauma ist eine belastende Erinnerung, ein belastendes Erlebnis. Aber ganz so einfach ist es nicht. Manchmal kann ein Erlebnis, das zunächst als angenehm oder neutral in Erinnerung war durch nachfolgende Erfahrungen in seiner Bedeutung modifiziert werden und so zu einem Trauma werden.
Es umfasst schon etwas mehr als eine Belastung (zumindest in der Medizin), z.B. im folgenden ein mögliche Sichtweise zur Begriffsklärung:
Umgangssprachlich wird der Begriff Trauma häufig in Bezug auf verschiedendste als leidvoll erlebte Vorkommnisse verwendet, um zu kennzeichnen, dass es sich dabei um eine besondere Belastung für den Betroffenen gehandelt hat. In den medizinischen Klassifikationssystemen (ICD-10 und DSM-IV), (...) ist der Begriff jedoch wesentlich enger definiert und schließt allein Ereignisse mit ein, die

objektiv "mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß" (ICD-10) einhergehen oder "die tatsächlichen oder drohenden Tod, tatsächliche oder drohende ernsthafte Körperverletzung oder eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit von einem selbst oder Anderen" (DSM-IV) einschließt, sowie
subjektiv "bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“ (ICD-10) beziehungsweise mit "starker Angst, Hilflosigkeit oder Grauen" erlebt wurde.
http://www.degpt.de/informationen/fuer- ... umafolgen/
@ Jane: Ich würde es von einem Behandler (Arzt/PT) abklären lassen. Oder hast du das bereits veranlasst?
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(V)
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Beitrag Sa., 01.02.2014, 00:49

Nach dem Zitat von Stern, ... nun ja, so sehe ich das auch, aber damit bin ich bisher bei KEINEM Therapeuten durchgekommen.

"... eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit durch einen selbst..." , das bedeutet in meinen Worten widergegeben: wenn ein Ereignis eine heftige suizidale Krise auslöst. Unter anderen, wenn man die psychische Kontrolle über sich und das eigene Leben verliert, und sich selbst zu einer Gefahr wird.

Aber wie gesagt, mit DER Argumentation bin ich bisher bei noch keinem Therapeuten durchgekommen. Schließlich war ja meine Scheidung, meine daraus resultierender lebensbedrohlicher (suizidaler) Zusammenbruch und die Nötigung zu Entscheidungen, die man bei klaren Verstand niemals nie nicht getroffen hätten und Zwangsumzug ins Elternhaus... (wobei ich psychisch und geistig nun mal völlig weggetreten = wehrlos war)... Methoden wir emotionale Erpressung, Nötigung, Drohungen, Entmündigungen in so einem Zustand...

... nein, nein, nein, zählt alles nichts. Wenn es nichts mit Sex oder körperlicher Gewalt zu tun hat, sei es auch kein Trauma. *grrrmpf*... Aber passt schon, ich kann ja auch noch weitere 5 bis 10 Jahre auf die richtige Diagnose warten. (*kotz*)

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candle.
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Beitrag Sa., 01.02.2014, 01:19

Hallo!

Ich würde mal unter den verlinkten Seiten vom DEGPT schauen. Da gibt es auch ein Filmchen zu Traumafolgestörungen. Darunter könnte sich Jane7 vielleicht auch wiederfinden.

Mir wurde das auch erst klar nachdem ich die Diagnose hatte zu meinen Symptomatiken, ansonsten fände ich schwierig das selber zu beurteilen.

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stern
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Beitrag Sa., 01.02.2014, 01:25

(V) hat geschrieben:"... eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit durch einen selbst..." , das bedeutet in meinen Worten widergegeben: wenn ein Ereignis eine heftige suizidale Krise auslöst. Unter anderen, wenn man die psychische Kontrolle über sich und das eigene Leben verliert, und sich selbst zu einer Gefahr wird.
puuuuhuhu, ich bin kein Diagnostiker. Und unter dem Vorbehalt bitte ich folgende Aussagen zu verstehe (also Möglichkeit des Irrtums inbegriffen... dazu müsste man wohl ICD/DSM-Kommentare zur Konkretisierung bedienen).

Und das Merkmal "Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit von einem selbst oder Anderen" ist das des DSM-IV (ob sich beim DSM-V etwas änderte, müsste man auch nachsehen). In D kommt wohl eher der ICD zum Zuge.

Man könnte es (beurteilt nach Menschenverstand) wohl so verstehen wie du. Aber ich ich kann mir nicht vorstellen, dass "offiziell" suizidale Handlungen/Krisen darunter zu subsumieren sind. Sondern eher dass die eigene körperliche Unversehrtheit [durch Fremdeinwirkung] bedroht war oder man derartige Bedrohungen sozusagen als Zeuge miterlebte.

Aber zur Diagnostik gehört eher mehr... also das muss letztlich ein Fachmann beurteilen.
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(V)
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Beitrag Sa., 01.02.2014, 10:44

Also, ich finde, wenn man sich ... ausgelöst durch interne oder externe Faktoren, whatever... selbst einen Suizidversuch zumutet, unkontrolliert aus dem Affekt, ich finde das durchaus: traumatisch. So oder so, man verliert die Kontrolle auf eine lebensbedrohliche Art und Weise über Leib und Leben.

Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass es sich um das SUBJEKTIV erlebte Gefühl der Ohnmacht handele, egal ob das die Umstände OBJEKTIV auch so hergeben. Sprich: mit klaren Verstand hätte man vielleicht doch noch eine Lösung sehen können, aber da dies in umwälzenden Krisen nun mal nicht immer gegeben ist, beißt sich die Katze da mMn in den Schwanz. Wenn man dann hinterher zu hören bekommt, man sei ja selbst dran schuld, man hätte ja theoretisch dies und jenes tun können...was aber praktisch wegen des Geisteszustanden in solchen Momenten nun mal nicht möglich war. Das ist ungefähr so sinnig, wie zu einem Missbrauchsopfer zu sagen: "Hey, du warst doch schon 12, du hättest doch selbst zum Jugendamt gehen können, bist also selbst dran schuld, nee, das ist kein Trauma, dein Leben war ja nicht bedroht."


mio
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Beitrag Di., 30.06.2015, 21:38

Hallo zusammen,

ich würde gerne diesen Thread hier wieder hervorholen, da ich das Gefühl habe, dass dieser Begriff oft etwas "schwammig" verwendet ist und verwendet wird, was gerne zu Missverständnissen - sowohl in Bezug auf die eigene Geschichte, als auch in Bezug auf die Geschichte andere führt. So zumindest mein Eindruck.

Ich fange mal an:

Wie verstehe ich "Trauma"? Was würde ich als bei mir selbst als traumtisierende Erfahrungen/Erlebnisse bezeichnen?

Ja, wie verstehe ich den "Traumabegriff"? Auf der Seite meiner Thera steht sinngemäss in etwa sowas wie, dass eine Trauma die schwerwiegende Verletzung der Seele ist, die die eigenen - wohl gesunden - Bewältiungsstrategien überfordert hat. Das ist für mich die "allgemeinste" Definition. Mit dieser kann ich allerdings nur "bedingt" respektive nicht "konkret" etwas anfangen.

Ich verstehe "Trauma" als etwas, was mich so sehr in ein Gefühl der Todesangst katapultiert hat, dass ich auf Teufel komm raus davon innerpsychisch irgendwie weg musste bzw. das "Trauma" musste weg. Also als extremen Übergriff/extreme Bedrohung von "außen" auf mein Leben und mein "Sein". Eigentlich sehe ich ein Trauma bzw. eine posttraumatische Reaktion als innerpsychische "Flucht vor der Todesangst".

In Bezug auf Erfahrungen/Erlebnisse so gibt es bei mir diverse - meist nicht typisch "klassische" - Situationen, die ich als absolut traumarisierend erkenne, mittlerweile. Allen gemein ist das Gefühl der "Vernichtung"/"Todesangst". Weshalb ich denke, dass sich die Frage in Bezug auf: Was traumarisiert und warum bzw. wie (mit welchen Folgen) nur unter Berücksichtigung der eigenen "Bewältigungsstrategien" sehen lässt und diese können je nach Alter und Umfeld sehr unterschiedlich sein.

Ein Kind hat nicht die gleichen Bewältigungsstrategien, die ein Erwachsener hat. Ein kleines Kind (Baby) hat andere Bewältigungsstrategien, als ein größeres Kind. Das Umfeld gehört hierbei für mich auch zu den Bewältigungsstrategien.

Ich kann/konnte mich zB. an eine Situation im sehr frühen Kindesalter (ca. 1-1,5 Jahre alt) sozusagen "körperlich erinnern"
die ich aus meiner "Erwachsenenperspektive" heraus zB. niemals als traumatisierend betrachtet hätte. Für mich war das immer eher eine lustige Erzählung und ich dachte mir immer: Hey, Du hattest halt schon sehr früh Deinen eigenen Kopf und Willen. Ich "kenne" diese Geschichte aus Erzählungen seit Jahren/so lange ich mich erinnern kann, war nie ein Problem für mich. Aber es gab Symptome. Und die gab es im Grunde schon recht früh in meinem Leben, nur dass ich sie damals als "rein organisches" Problem interpretiert habe. Gingen dann auch wieder weg, nachdem die "Erinnerungszeit/die triggernde Situation" sozusagen vorbeiwar. Das Symptom war damals das Gefühl, dass meine Beine gleich unter mir "wegsacken", ich "zusammenbreche" und nicht mehr "aufstehen" kann. Und ich hatte irre Angst, dass mir dann keiner aufhilft.

(Ich muss leider splitten - kürzen bekomme ich gerade nicht hin.)


mio
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Beitrag Di., 30.06.2015, 21:40

Als das Symptom sozusagen "wiederkam" interpretierte ich es erneut falsch, wieder rein organisch, aber ich versuchte erst gar nicht mehr es "abklären" zu lassen (wie in jungen Jahren, ohne Erfolg) bzw. irgendwie "entzogen" sich mir diese Erfahrungen/Erlebnisse immer wieder. Im Grunde dachte ich einfach immer, wenn es auftauche/ich es wahrnehmen konnte, dass ich unter Umständen sowas wie MS haben könnte, da es sich so äußerte, dass ich das Gefühl hatte, nicht gehen zu können, mich nicht auf meine Beine verlassen zu können. Da es aber sowohl aus meinem Alltag, als auch aus meinen Gedanken immer wieder verschwand, tat ich da nichts. Als dann alles über mir sozusagen "zusammenbrach" nahm ich dieses Symptom zum ersten Mal wirklich deutlich und klar war und begann es zu beobachten. Einen Rückschluss zu dem Erlebnis als Kind zog ich jedoch nicht. Ich wunderte mich nur. In dem Moment, wo mir klar wurde, dass dieses Symptom höchstwahrscheinlich eine Folge dieses an sich "harmlosen" Erlebnissen ist, fing ich an da ran zu gehen. Sprach in der Therapie darüber. Und ich fing an, in diesen Situationen sozusagen ganz bewusst mit mir "gehen" zu üben. Also so ein innerliches an die Hand nehmen, jenes Teils der damals ganz allein wohin gehen "musste" um sich wieder in "gefühlte" Sicherheit zu bringen. Nach ca. 2-3 Wochen "üben" war das Symptom weg. Und das ist es bis heute.

Ich habe ab und an noch das Gefühl, unsicher auf den Beinen zu sein - also so typisch allgemeine Angstsymtomatik - aber ich hatte danach nie wieder dieses Gefühl der "Unmöglichkeit" gehen zu können.

Das ist jetzt nur ein Beispiel, und ich denke es ist gerade auch etwas wirr geschrieben, da ich mich etwas wirr fühle beim schreiben, aber vielleicht verdeutlicht es dennoch ein wenig, worauf ich wohl irgendwie hinauswill?

Ich würde mich auf alle Fälle auf andere Meinungen und Erlebnisse zum Thema "Trauma" und wie es gesehen wurde bzw. erlebt wurde, bzw. zu den individuellen Folgen freuen, vielleicht hilft das ja, diesen ja doch recht komplexen Begriff insgesamt begreifbarer zu machen.

Lieben Gruss,

mio

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candle.
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Beitrag Di., 30.06.2015, 23:01

Hallo mio!

Ich denke, ich weiß schon was du meinst!
mio hat geschrieben:
Was traumarisiert und warum bzw. wie (mit welchen Folgen) nur unter Berücksichtigung der eigenen "Bewältigungsstrategien" sehen lässt und diese können je nach Alter und Umfeld sehr unterschiedlich sein.
Ja, ich denke, dass das Umfeld- gemeint sind wohl in erster Linie die Eltern- damit umgehen. Wie war es denn bei dir?

Wobei ich sagen muß: Was bei mir hochkam, hat mir schon als Kind Angst gemacht. Also dass ich etwas als normal betrachtet habe und dann später über Klarheit die Angst kam oder klar wurde kann ich so nicht bestätigen, wenn das so in deinem Beitrag gemeint ist.

Lieben Gruß!
candle
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mio
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Beitrag Di., 30.06.2015, 23:34

Hallo Candle,

nein, die Angst kam nicht über die Klarheit bei mir, eher umgekehrt. Ohne die Angst wäre ich wohl nie zur "Klarheit" (im reflexiven Sinne) gekommen, das wäre mir wohl gar nicht möglich gewesen, weil die - bis dahin ja völlig unbewusste Angst, respektive das, was zu ihrer "Bewältigung" ehemals innerpsychisch herangezogen wurde - das wahrscheinlich so gut wie möglich blockierte. Macht ja auch Sinn, so rein "überlebenstechnisch".

In Bezug auf mein Umfeld ist es so, dass das an sich jetzt nicht so "krass" schädigend war, aber eben schon "schädigend" genug. Bei mir geht es um den plötzlichen Verlust des einen Elternteils mit dem der andere Elternteil für mich ziemlich übel umgangen ist bzw. meine eigene "Beteiligung" in dem Ganzen. Ab da gab es für mich erst einmal gefühlt "kein sicheres Umfeld" mehr für mich als Kind. Alles was an "Trauma" vorher war und stattgefunden hat hätte ich ohne dieses weitere "Trauma" wohl völlig "normal" irgendwie verarbeitet bzw. vielleicht auch einfach verdrängt. Das meine ich persönlich mit altersgemässen Bewältigungsstrategien. Dadurch dass das aber zu so einer Art "sensiblem Zeitpunkt" passierte, hat sich das anders gestaltet.

Wie ist das bei Dir, wenn Du sagst, dass es Dir schon als Kind Angst gemacht hat? Meinst Du damit, dass Du das immer klar auf dem Schirm hattest? Also dass diese Angst sich sozusagen durch Dein Leben durchgezogen hat und immer spürbar - wenn auch vielleicht nicht erklärbar - war? Also sozusagen das "Symptom" konstant da war?

Lieben Gruss und danke für Deine Antwort,

mio

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candle.
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Beitrag Di., 30.06.2015, 23:46

Hallo mio!
mio hat geschrieben: Bei mir geht es um den plötzlichen Verlust des einen Elternteils
Das finde ich schon sehr schlimm!

Du meinst, was vorher war, wäre unter anderen Umständen nicht traumatisch gewesen?
Das meine ich persönlich mit altersgemässen Bewältigungsstrategien.
Ich finde diese Aussage schwierig, weil ich denke, dass man unbedingt liebende Hilfe braucht als Kind- egal welchen Alters. Das ist für mich die Strategie. Wie soll denn ein Kind Strategien entwickeln, wenn nicht so, außer du meinst jetzt die "negativen" Strategien wie Abspaltung.
Wie ist das bei Dir, wenn Du sagst, dass es Dir schon als Kind Angst gemacht hat? Meinst Du damit, dass Du das immer klar auf dem Schirm hattest?
Manche Sachen hatte ich immer auf dem Schirm, manche waren auch einfach "weg"- also es gab schon Bilder, aber mit denen konnte ich nichts anfangen.
Also dass diese Angst sich sozusagen durch Dein Leben durchgezogen hat und immer spürbar - wenn auch vielleicht nicht erklärbar - war? Also sozusagen das "Symptom" konstant da war?
Ja, die Panikattacken hatte ich schon ganz klar als Kind.

candle
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mio
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Beitrag Mi., 01.07.2015, 00:41

Hallo Candle,
candle. hat geschrieben: Das finde ich schon sehr schlimm!

Du meinst, was vorher war, wäre unter anderen Umständen nicht traumatisch gewesen?
es war auch schlimm für mich, wie ich mittlerweile "wieder" weiss, nur dass das halt lange sozusagen "emotional" und "erinnerungstechnisch" nicht so recht "da" war, für mich bzw. nur als autobiografische "Info" sozusagen.
Ich meine auch nicht, dass das unter anderen Umständen nicht auch irgendwie "traumatisierend" für mich gewesen wäre, sonder eher, dass es sich dann anders ausgewirkt hätte auf mich bzw. ich es unter Umständen anders verarbeiten hätte können.
Ich finde diese Aussage schwierig, weil ich denke, dass man unbedingt liebende Hilfe braucht als Kind- egal welchen Alters. Das ist für mich die Strategie. Wie soll denn ein Kind Strategien entwickeln, wenn nicht so, außer du meinst jetzt die "negativen" Strategien wie Abspaltung.
Ich meine eben jene Strategien wie Spaltung oder auch Dissoziation. Und die sind wohl, so ich das richtig verstehe abhängig vom jeweiligen Alter bzw. der jeweiligen "Reifephase" in der man sich innerlich sozusagen "befindet".
Manche Sachen hatte ich immer auf dem Schirm, manche waren auch einfach "weg"- also es gab schon Bilder, aber mit denen konnte ich nichts anfangen.


Das geht mir ähnlich. Wobei es bei dem, was sozusagen "präsenter" war/ist wohl auch um weniger "belastendes" ging, bei mir.
Ja, die Panikattacken hatte ich schon ganz klar als Kind.
Das hatte ich - zumindest soweit ich mich "erinnere" als Kind nicht. Es gibt ein paar Fragmente, über die ich sozusagen "erkennen" kann (bzw, wohl besser: schon immer erkannte), dass das wohl schon irgendwie "existent" "da" war in mir, aber es
hatte keine wirkliche "Präsenz" für mich und beeinflusst mich wohl auch nicht (wobei ich das wohl nicht "wirklich" sagen kann).

Lieben Gruss,

mio

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candle.
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Beitrag Mi., 01.07.2015, 13:38

Hallo mio!
mio hat geschrieben: Ich meine eben jene Strategien wie Spaltung oder auch Dissoziation. Und die sind wohl, so ich das richtig verstehe abhängig vom jeweiligen Alter bzw. der jeweiligen "Reifephase" in der man sich innerlich sozusagen "befindet".
Ich weiß das nicht. Aber es scheint ja so zu sein, dass es bei schweren Traumata altersunabhängig ist. Erwachsene können ja durchaus auch so reagieren.

LG candle
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mio
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Beitrag Mi., 01.07.2015, 14:54

Hallo Candle,

ja, auch Erwachsene können traumarisiert werden, aber der "Auslöser" muss stärker sein, so wie ich das verstehe.

Einen Erwachsenen wird es demnach zB. nicht traumatisieren, mal für ein paar Stunden völlig allein irgendwo zu sein, da er das nicht als bedrohlich betrachten wird (so er entsprechend unvorbelastet ist und da nix angetriggert wird, aber selbst dann traumarisiert es ihn nicht erneut, sondern es macht ihm einfach nur Angst oder fühlt sich ungut für ihn an oder aber er dissoziiert in dem Sinne, dass er in einen Kind-State zurückfällt, weil das Trauma getriggert wird - er bedient sich dann in der Regel des als Kind angewandten/gelernten Abwehrmechanismuses denke ich).

Ein Kind in einem sehr frühen Alter kann sowas hingegen traumatisieren, da ganz kleine Kinder "Alleinsein" mit "Todesangst" gleichsetzen. Das ist ein angeborener und im Prinzip auch nützlicher Schutz, da in Urzeiten das Kind ohne seine schützende "Gruppe" ja tatsächlich schnell lebensbedrohlichen Gefahren (wilden Tieren zB.) ausgesetzt gewesen wäre. Das ist der Grund warum kleine Kinder anfangen zu weinen oder zu schreien oder nach ihrer Mutter zu suchen (so sie es schon können), sobald ihnen auffällt: Huch! Ich bin ja ganz allein.

Auf diesem Prinzip basiert das Kinder leichter zu traumatisieren sind, da sie noch "abhängig/er" sind von anderen Menschen/ihrer gewohnten Peargroup und ihnen dies auch instinktiv klar ist.

Welcher "Abwehrmechanismus" verwandt wird, hat, soweit ich weiss, damit zu tun, was dem Kind überhaupt schon zur Verfügung steht. Ein Baby kann zB. noch nicht dissoziieren im Sinne von "das passiert einem anderen Kind", da es noch gar keine Vorstellung von sich selbst hat, dass kann nur seine Gefühle komplett abspalten. Außerdem ist bekannt, dass die Dissoziationsfähigkeit bei Kinder am ausgeprägtesten ist und mit zunehmendem Alter abnimmt. Dh. man kann zwar noch dissoziieren, wird dies aber nicht mehr so "schnell" tun, normalerweise.

Auch wird man als Erwachsener wohl keine "dissoziative Persönlichkeitsstruktur" oder "Persönlichkeitsstörung" mehr entwickeln, so die Person "normal" integriert ist. Die für Erwachsene typische Traumafolge ist dann eine (einfache, im Gegensatz zur komplexen) PTBS so ich das richtig verstehe.

Das ist es ja gerade, was das Thema so unglaublich komplex macht und oft zu einer Begriffsunklarheit führt wie ich finde.


Liebe Grüße,

mio

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Möbius
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Beitrag Mi., 29.07.2015, 19:13

Ein Trauma ist nach Freud ein Ereignis, daß den "Reizschutz" überwindet, der das Innere der Psyche vor Reizen von aussen schützt, die es nicht "integrieren" kann.

Freuds Schüler C.G. Jung hat ein Strukturmodell der Psyche entworfen, nach dem über dem Unbewußten die "persona" wie eine Maske liege. Die "persona" ist in etwa das, was wir im allgemeinen mit Persönlichkeit oder Charakter bezeichnen. Dieses Bild habe ich für mich selbst weiter so entwickelt:

Man kann sich diese persona auch vorstellen wie eine Ritterrüstung, wie sie auf Burgen, Schlössern und in Museen ausgestellt ist. Ihre Einzelteile werden von elastischen Gummibändern zusammengehalten. Sie sind ein Schutzpanzer gegenüber der Aussenwelt. Schläge - Trauma heißt auf griechisch: "Schlag" - von aussen werden aufgefangen und abgewehrt. Der Panzer reagiert elastisch, gibt nach. Es kommt zu einer Beeinträchtigung des Bereiches dahinter, die jedoch nicht von Dauer ist. Der Panzer kehrt in seine ursprüngliche Lage zurück, im Inneren rückt auch alles wieder an die alte Stelle, der Schlag, die Krise ist überwunden.

Das "Trauma" jedoch ist ein Schlag, der diesen Panzer durchbricht, bis ins Innere vordringt, und das Innere nachhaltig in Unordnung bringt.

Wie ein Geschoß durchbricht es einzelne Panzerplatten, oder zwängt sich zwischen diesen hindurch. Die Verbindungen zwischen den Panzerplatten werden zerrissen, überdehnt. Manchmal jedoch überstehen sie das Eindringen des Geschosses, die Panzerplatten kehren an ihre ursprünglichen Stellen wieder zurück, und von aussen gesehen hat sich an der "persona" nichts verändert. Alles ist wie zuvor.

Doch im Inneren ist dieses Geschoß angekomen, und hat die Ordnung dort nachhaltig gestört. Es hat sich zwischen die Elemente des Inneren gedrängt, ihre Harmonie in Unordnung gebracht. Allerlei Kräfte und Strömungen werden aus ihren Bahnen und Kanälen gedrängt. Es kommt zu Überflutungen, andere Kanäle fallen trocken. Die Kräfte drängen nun nach aussen, in Richtung des wiederhergestellten Panzers der "persona", und auch von aussen erkennt man nun, daß sich etwas verändert hat. Auch von aussen ist die Harmonie gestört, die "persona" wird eckig, kantig, vermag nicht mehr so geschmeidig wie früher am Verkehr mit der Aussenwelt teilzunehmen. Es kommt zu Konflikten - zuerst mit den Menschen, die am nächsten stehen: Beziehungspartnern, Angehörigen, Famile, Freunde. Irgendwann sind es alle, die sich betroffen fühlen.

Freilich, das martialische an diesem Bild gefällt mir nicht 100%ig. Die "persona" ist kein Panzer. Sie ist nicht nur ein passiver Schutz, sondern ein aktives Medium der Kommunikation. Sie empfängt nicht nur Schläge, sondern auch Zärtlichkeit - und gibt auch beides nach aussen. Der Vergleich mit dem Panzer hinkt also, wie jeder Vergleich.

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Mia Wallace
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weiblich/female, 41
Beiträge: 1288

Beitrag So., 09.08.2015, 17:55

Off-topic
@ Mio,
ist hoffentlich nur halb off Topic, wollte Dir nur Deine Frage aus dem anderen Thread beantworten:

Das, was Du beschreibst, also ein durch eine Situation im Hier und Jetzt an sehr schlimme Erfahrungen von früher erinnert zu werden, das sich-Überlagern der Sitationen, ein sich dabei betäubt und unwirklich Fühlen und daran, von den dazu gehörenden Emotionen bis hin zum -gefühlt- Kontrollverlust völlig überrollt werden,
und ein emotional nicht mehr zwischen früher und heute unterscheiden können kenne ich selbst gut und habe das selbst erlebt. Vor allem in Beziehungskonstallationen.
Das sind aber keine Intrusionen (also Flashbacks etc)


Echte Intrusionen habe ich gottseidank nie erleben müssen.


In die Begrifflichkeiten der echten Traumafolgestöungen (der Begriff Trauma wird ja inflationär benutzt) habe ich mich nur sehr genau eingelesen (und ich denke auch eingefühlt), da meine beste und engste Freundin eine komplexe Traumafolgestörung hat und ich sie viele Jahre lang nach besten Kräften durch alle Höhen und Tiefen begleitet habe.

Ein weiterer Zugang zu dem Thema Traumafolgestörungen ist, dass andere enge Freundin von mir Psychotherapeutin ist und schwerpunktmäßig mit traumatisierten Patienten arbeitet. Sie hat mir im Laufe der Jahre viele meiner (aus der Freundschaft mit der traumatisierten Freundin entstehenden) 10000000 Fragen geduldig und kompetent beantwortet und mir darüber hinaus viele Dinge, ihre spannende Arbeit betreffen, erklärt.

(Vieles von dem, was sie erklärt, klingt 1:1 wie die Dinge, die Ziegenkind -als Traumapatientin mit gelungener Traumatherapie- aus tiefer eigener Erfahrung zu dem Thema zu sagen hat, was für mich die Kompetenz meiner Freundin noch mal auf ganz besondere Weise unterstreicht)

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