Heuldrang

Nicht jedem fällt es leicht, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, "einfach" mal jemanden kennenzulernen oder sich in Gruppen selbstsicher zu verhalten. Hier können Sie Erfahrungen dazu (sowie auch allgemein zum Thema "Selbstsicherheit") austauschen.
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kissfromarose
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Heuldrang

Beitrag Fr., 22.07.2016, 18:06

Liebes Forum,


ich habe folgendes Problem, und zwar gibt es immer wieder Situationen in meinem Leben, in denen ich mir einfach nur wünsche, dass ich meinen Tränen freien Lauf lassen kann. Also ich bin mit bestimmten Menschen zusammen und plötzlich spüre ich diesen Drang, der alles andere in den Schatten stellt. Das Problem ist, dass ich ihm selten nachgebe, obgleich ich ziemlich sicher bin, dass er mich befreien würde. Es gab Situationen, da habe ich nachgegeben, aber ich hatte das Gefühl, dass ich immer noch einen Rest zurückgehalten habe – aus Rücksichtsnahme vor meinem Gegenüber. Dass ich dem Drang jedoch gar nicht erst nachgebe, kommt wie gesagt öfters vor und das weil ich mich einfach nicht sicher und wohl fühle. Ein Ort, an dem mir das seit Monaten fast jedes Mal so geht, ist beim Gesangsunterricht. Wir fangen die Stunde meist so an, dass sie mich fragt, wie es mir so geht und wie es mir ergangen ist in der vergangenen Woche. Ich bin jetzt zwei einhalb Jahre bei ihr und ich vertraue ihr. Fast zumindest. Das heißt, ich bin schon zwei Mal in Tränen bei ihr ausgebrochen, danach habe ich mich aber nicht besser gefühlt. Jetzt ist es halt so, dass ich meine Heuldrang komplett wegdrücke. Das Schlimme daran ist nur, dass es sich wie „Selbstvergewaltigung“ anfühlt, es nicht zu tun und einfach die Übungen weiter durchzuhalten. Danach will ich meistens immer noch heulen, wenn ich aus dem Haus gehe. Doch da sind überall Menschen und ich packe es einfach nicht, mich auf einen Kantstein zu setzten und einfach laut loszuheulen. Die Scham ist zu groß. Es ist auch so, dass ich einfach nicht das Gefühl habe, dass es dahin (in den Unterricht) gehört und dass andere Menschen sich durchaus wünschen, dass derjenige, der heult, bitte einfach schnell wieder aufhören möge. Aber genau das ist der Punkt: Ich weiß nicht, wann ich wieder aufhören würde, wie laut ich werde usw. Wenn ich dann wieder Zuhause bin, ist meist mein Mitbewohner in seinem Zimmer und ich belasse es meistens bei einem stummen Tränenfluss bzw. der Drang ist gar nicht mehr so da. Interessant ist auch immer, wie schlecht ich mich danach fühle, ich beobachte regelrecht, wie ich von Minute zu Minute depressiver werde und die Gewissheit, dass es für mich keine „Befreiung“ gibt, fühlt sich bestätigt an. Ja und irgendwann ist der Drang natürlich ganz versiegt, aber ohne die reinigende Wirkung und meistens spüre ich eh ein leichtes Gedrücktsein den ganzen Tag über. Ich will jetzt nicht zu viel hier schreiben, aber ich kenne das auch noch aus anderen Situationen mit anderen Menschen. Nun ja, kennt einer von euch sowas auch? Ist die einzige Lösung einfach loszuheulen? Aber wenn ich mich so „unsafe“ fühle...?!

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Miss_Understood
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Beitrag Fr., 22.07.2016, 18:21

liebe kissfromarose,

dass beim Gesangsunterricht durch die tiefgreifenden Resonanzen im ganzen Körper desöfteren an Blockaden gerührt wird, ist jedem Gesangslehrer bekannt. Bestimmt auch deiner Lehrerin. Und wenn ihr euch gut versteht - rede mit ihr mal drüber. Ich kenne sogar zwei, die genau damit arbeiten. Die sind allerdings zusätzlich (Musik)/therapeutisch ausgebildet. Oder hast du schon mal mit deiner Lehrerin drüber gesprochen? Vielleicht lässt sie dich einfach mal weinen? Und du kannst spüren, dass das okay ist.

Dass du Teile zurückhältst im Gesangsunterricht ist verständlich, es ist ja in der Tat keine Therapie und auch in der Öffentlichkeit laustark loszuheulen wäre in der Tat für eine Erwachsene schon etwas merkwürdig. ABER - wenn es denn mal passieren würde, ich wette, es ist weniger schlimm als du denkst. Vielleicht lässt du es das nächste Mal einfach mal zu? WAS genau lässt dich 'unsafe' fühlen? Was die anderen denken könnten? DASS sie es bemerken? Dass sie es gar NICHT bemerken? Etwas ganz anderes?
ch-ch-ch-chaaaaaaange

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kissfromarose
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Beitrag Sa., 23.07.2016, 20:23

Hallo liebe Miss_Understood,

einen großen Dank an deine Antwort! Ich habe mich das nicht getraut mit ihr darüber zu sprechen, denn der Gedanke ist mir auch schon in den Sinn gekommen. Ich hatte nicht den Mut dazu, obwohl wir uns gut verstehen. Deswegen habe ich glaube ich auch in das Forum gepostet, um es vllt. noch mal von jemand anderem zu hören. Vielleicht schreibe ich es ihr auch, falls ich das nächste Mal nicht zum Unterricht komme.

Ich wünsche mir manchmal sogar, einfach auch vor fremden Menschen losweinen zu können. Mich lässt "unsafe" fühlen, dass mir dir Tränen kommen, ich aber keinen Grund erkenne (oder einen vermeintlich belanglosen) und ein "Zensor" in mir dann keine Erlaubnis erteilt. Ein weiterer Grund, der auf meine Gesangslehrerin zutrifft, ist, dass ich irgendwo mal ein Signal so interpretiert habe, dass sie keine Lust darauf hat und ich eine Heidenangst davor habe, dass sie mir sowas sagt wie: Das hat ja keinen Sinn mit dem Singen. Obwohl ich mir sicher bin, dass das bloßer Spuk meines Gehirns ist.
Angst habe ich auch vor dem Kontrollverlust und plötzlich wieder wie ein kleines Kind zu sein, vor dem Auffallen, vor der Aufmerksamkeit, die ich dann von anderen bekäme - welcher Art auch immer. Wie ich das so schreibe, wird mir irgendwie gerade bewusst, dass ich vielleicht eine Pause vom Singen einlegen sollte und ihr meinen Zustand und die Situation beschreibe...

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Miss_Understood
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Beitrag Sa., 23.07.2016, 21:58

Liebe kissfromarose -

mir kommt gerade eine Frage - fehlt dir - Trost?
(Was dein ich vordergründig nicht zugeben würde, zunächst vielleicht ... allerdings hier so anonym - vielleicht?)
ch-ch-ch-chaaaaaaange

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kissfromarose
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Beitrag So., 24.07.2016, 21:20

Ja. Ja, ich denke sehr. Danke Miss_understood. Mir kommen sowieso oft die Tränen, auch wenn ich alleine bin.

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Miss_Understood
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Beitrag So., 24.07.2016, 21:38

Wie ist der denn so, der Trost, der dir fehlt? Also, groß, klein, weich, rund, glitzernd, eckig, laut, leise, bunt, einfarbig ... ? Süß, frisch, blumig ... ? Kommt er zu dir, lullt er dich ein, musst du hüpfen und ihn fangen? Umarmen? ist es ein Kleidungsstück....? Beschreib dir den mal - so für dich ...

und dann, also, ich versuchs mal, dir so ein bischen davon durch die Luft zu schicken, hm?
ch-ch-ch-chaaaaaaange

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kissfromarose
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Beitrag Di., 26.07.2016, 17:34

Danke Miss_Understood für deine Worte und deinen verschickten Trost . Ich denke, ich habe ein ziemlich klares Bild von dem Kummer, der sich nur durch Trost auflösen wird. Ich muss jetzt nur noch herausfinden, was er mir sagen will...

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DreamCat
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Beitrag Sa., 30.07.2016, 07:57

Hallo kissfromarose,

ich kenne das Gefühl, ständig heulen zu müssen, sehr gut. Ich habe mich irgendwann in Therapie begeben, weil ich nicht mehr weiter wusste. In der Therapie habe ich anfangs immer geheult, gegen Ende wurde es weniger.
Vor einer Gruppe fällt es mir nach wie vor sehr schwer zu heulen. Aber, wenn nur zwei Leute um mich rum sind, mit denen ich mich gut verstehe, ist es ok zu heulen. Bei mir ist es so, dass ich Angst habe, meine Schwäche zu zeigen oder die anderen in eine Situation zu bringen, mit der sie nicht umgehen könnten.

Ich fänd es schade, wenn du das Singen aufgrund deiner Angst zu heulen aufgeben würdest.Vielleicht hilft es dir, wenn sie dich während des Unterrichts nicht fragen würde, wie es dir geht. Das beseitigt das Problem zwar nicht, aber vielleicht kannst du damit erstmal etwas Ruhe finden und den Gesangsunterricht zu genießen. Ich kann dir nur empfehlen, herauszufinden, was dahinter steckt und daran arbeiten.

Alles Gute
DreamCat

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kissfromarose
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Beitrag So., 31.07.2016, 10:58

Hi DreamCat,

vielen Dank für deine Antwort! Das ist bei mir auch der Fall:
DreamCat hat geschrieben:Bei mir ist es so, dass ich Angst habe, meine Schwäche zu zeigen oder die anderen in eine Situation zu bringen, mit der sie nicht umgehen könnten.
DreamCat
Ich war jetzt vor ein Paar Tagen bei meiner Gesangslehrerin und habe meinen Monatsvertrag gekündigt... Ich habe mit ihr darüber gesprochen, auch etwas geweint. Sie hat mich umarmt, ich hatte Probleme, das alles anzunehmen. Sie meinte, es wäre gut, das ich überhaupt in Kontakt mit dieser Verzweiflung und dem Leid käme. Sie hat gesagt, dass ich auch Einzelstunden bei ihr nehmen kann - da ich auch Zuhause seit Wochen nicht mehr singe, komme ich nicht mehr hinterher. Singen hat mir an sich auch immer geholfen, um der Depression zu strotzen. Meinem Herzen passt es auch überhaupt nicht, das Singen ganz sein zu lassen. Leider ist meine Therapie im Moment nur im 3 Wochen-Abschnitten. Ich schauen mal, wie sich das alle entwickelt in der nächsten Zeit.

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Miss_Understood
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Beitrag So., 31.07.2016, 12:02

ach so - der Gesangsunterricht fand in einer Gruppe statt? DANN kann ich es noch mehr verstehen, nicht dem Drang zu weinen nachzugeben. Vielleicht wären da ja wirklich ein paar Einzelstunden gut? Wieso hast du denn nun gekündigt?
ch-ch-ch-chaaaaaaange

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kissfromarose
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Beitrag Mo., 01.08.2016, 08:59

Hi Miss_understood,

nein, der Unterricht hat nur zwischen mir und meiner Lehrerin stattgefunden. Ich habe mit ihr darüber gesprochen und ich habe die Tränen aus jenem Grund zurückgehalten wie es DreamCat beschrieben hat. Mit Einzelstunden meint sie "außervertraglich" also so, dass ich nicht gebunden bin, insofern, dass ich einmal die Woche hin muss. Sondern selber bestimmen kann, wann ich eine Stunde nehme oder nicht. Ih weiß noch nicht wie es weitergeht. Ich denke ich werde relativ schnell feststellen, ob mir das Singen fehlt oder nicht.

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