Vincent hat geschrieben:
Dass ich mich zu lange mit mir selbst bzw. meiner Stimme zurückgehalten habe, lag, wie ich es einschätze, weniger an mangelndem Selbstwert, als vielmehr an einem Vermeidungsverhalten, das eher einem nihilistischen Weltbild erwuchs. Wenn alles sinnlos ist, dann ist es im Grunde auch die eigene Meinung. Warum sie dann - sofern vorhanden - überhaupt zum Besten geben?!
Ja, genau das kenn ich. Sozusagen ist einfach alles "viel Lärm um Nichts". Genauso wie der Gedanke, dass wenn die Leute aufhören würden sich selbst so ernst zu nehmen und bei jeder Gelegenheit gleich "angrührt" zu sein, wie wir so schön sagen, wäre auch vieles leichter. Irgendwann hab ich eben begonnen mich stets hinten anzustellen (Im Gegensatz zu dir, hab ich extreme Probleme mit meinem Selbstwertgefühl.), und musste auch einsehen, dass fast alle meiner Beziehung nur deshalb funktionierten. Ging so weit, dass ich nach 3 Nervenzusammenbrüchen endgültig arbeitsunfähig geworden bin und nun seit einem Jahr mit schweren Depressionen daheim und in Behandlung bin.
Deswegen betrachte ich diese Aggressionen immer mit gemischten Gefühlen. Hätte ich diese zu mindest teilweise ausgelebt, hätt ich es nie so weit kommen lassen, dass ich momentan komplett hinüber bin. Gut, über verschüttete Milch zu klagen hilft nicht. Sollte nur endlich lernen keine Milch mehr zu verschütten.. Ist nur verdammt schwer, dass ganze "gesund" zu verarbeiten. Wenn ich mir denke, dass ich wieder an solche Vorgesetzte wie in den letzten zwei Firmen gerate, gibts nur zwei Möglichkeiten. Entweder mit mir endets, oder "es kriegt mal einer das, was er verdient hat".
Bin mir eben oft nicht sicher, ob ich nur deswegen mein Leben "in Freiheit" (ironisches Wort heutzutage) verbringe, weil ich die Aggressionen und die Wut gegen mich selbst gerichtet und in Depressionen umgeformt habe. Bin nie gewalttätig geworden oder habe andere sonst wie absichtlich verletzt. Selbst in der Schulzeit als ich gemobbt und verprügelt wurde hab ich mich nie wirklich gewehrt. Lief auch jahrelang herum und hab immer gesagt, "Ja, na is eh wurscht. Mit mir kann mans ja machen, ich nehm mich nicht so wichtig."
Und wenn es denn mal soweit war, dass mir die Hutschnur gerissen ist, und ich mich gewehrt habe und auf den Tisch geknallt habe was Sache ist: Nichts. Gar nichts. Ich war weg, der Rest lief wie eh und je. Und DAS ist das richtig frustrierende, was einem richtig den Verstand raubt und in Verzweiflung stürzt. Wenn man für die richtige Sache eintritt, endlich mal was sagt, was jeder so unter der Hand rummeckert und anders haben will und jeder einzelne einem Recht gibt, man aufsteht, sich an vorderste Front stellt, und auf einmal ist keiner mehr da. Alle weg. Jeder einzelne der vorher noch wie ein allerwelts Politiker lamentiert hat, weg wie die Kakerlaken wenns Licht angeht. Und da kriegt man einfach eine Mordswut auf diese Welt. Weils menschlich ist. Weils allgegenwertig ist. Weil genau das der Grund ist, warum alles so den Bach runter geht, wie es eben passiert. Alle meckern, aber wenns darum geht was zu tun, haben wir auf einmal eine riesen Panik um den Arbeitsplatz oder ums Schnitzel und ums Bier, dass wir lieber jeden Dreck fressen, als uns zu wehren.
hope_81 hat geschrieben:
Es ist sehr menschlich, wie ich finde. Unser "Denkapparat" ist halt lösungsorientiert und wenn ihm keine gescheite mehr einfällt, dann endet dies entweder mit Suizidgedanken, oder eben mit Mordgedanken. Völlig normal und natürlich. So lange ein jeder sich davon zu distanzieren weiß, ist es kein Problem.
Das kann ich auch insofern nachvollziehen, bzw unterstreichen, da sich Aggression mMn. aus einer Ohnmacht heraus entwickelt, wie der Hund der in die Ecke gedrängt wird und dann zubeißt. Wenn man schon verschiedene Wege probiert hat (je nach dem wieviele man "kennt"), und man kann aus einer Situation noch immer nicht aus, schlägt es in Gewalt um. (Bei mir warens dann meistens Phasen voller Selbsthass, in denen ich dann kaum mehr was gegessen habe, oder mir die Fäuste an einem Boxsack blutig geschlagen habe, oder Dinge zerstört habe die mir gehörten.) Insofern hatte ich immer Glück, dass ich rechtzeitig "flüchten" konnte, bevor jemand Außenstehender zu Schaden gekommen wäre.