Traumata und der 'Krieg der Erinnerung'

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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Tupsy71
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Beitrag Mi., 01.07.2015, 15:29

Mh, also mir geht es so, wie manchen hier. Ich habe mich an all die vielen Jahre Traumatas immer erinnert und nie vergessen, doch habe ich irgendwie funktioniert und sozusagen "normal" weiter gelebt. Nur massiven Selbsthass war und ist vorhanden und da sagte mir Thera, dass es von den Traumatas kommt. Ich hatte viele Jahre die Gefühle komplett abgespalten (deshalb auch normal funktioniert). Irgendwann wurde alles dann nicht mehr tragbar, doch ich weiß nciht was genau passiert ist, dass es nicht mehr tragbar war. Sache ist, dass die Gefühle zum Teil heute noch abgespalten sind, doch die Erinnerungen daran sind da. Ich hab vielleicht einzelne Teile der mb Zeit im Frühkindlichen Alter vergessen, aber auch da nicht alles.
Tupsy

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Inga
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Beitrag Do., 02.07.2015, 10:55

Mit Wiedererinnern kann ich nicht dienen, aber ich weiss, dass ich persönlich mich an manche Dinge, die mich emotional sehr aufgewühlt haben, nicht erinnern kann. Die Ereignisse wurden mir von Familienmitgliedern erzählt. Zum Teil war ich da maximal 4 Jahre alt, da fehlt die Erinnerung wohl wegen der bekannten frühkindlichen Amnesie.
Aber eine Sache (kein Trauma) gibt es, das war ich 12, das passierte an einem besonderen Tag, an den ich auch durchaus noch Erinnerungen habe und der bei Familienfesten o.ä. manchmal Thema wird. Dann erzählt mein Vater gern die Geschichte, wie da meine jüngere Schwester verlorengegangen ist und ich aus Angst, sie nie mehr wiederzusehen, völlig ausser mich geraten bin, sehr geweint habe und verzweifelt war (er findet das lustig). Ich habe keinen Zweifel, dass das passiert ist, erinnere mich aber überhaupt nicht daran.
Da ich eine komplexe PTBS habe erkläre ich persönlich mir das so, dass ich in früherem Alter (bei echten Traumata) gelernt habe, Überwältigendes aus der Erinnerung zu streichen. Dissoziationen in der Art, dass ich von (interessanten) Gesprächsinhalten nichts mehr weiss kenne ich bis vor kurzem von mir. Aber ein Wiedererinnern ist mir bis jetzt noch nicht passiert. Und zum Erzeugen von Pseudo-Erinnerungen neigt mein persönliches Hirn offenichtlich nicht, sonst hätte ich die ja inzwischen.

Inga

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Lotosritter
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Beitrag Mo., 06.07.2015, 13:51

Ich habe nie nicht gewusst, was ich erlebt und erinnert habe. Ich habe jedoch Erinnertes über lange Zeit verdrängt, also nur selten erinnert, und wenn waren dann die Erinnerungen emotionslose Fakten. Insofern das mit Verdrängen gemeint ist, habe ich über drei Jahrzehnte meinen multiplen Missbrauch durch die Eltern verdrängt.

Durch die sich vor etwa 5 Jahren herausbildende akute PTBS kam es, dass sich Erinnerungen und Emotionen wieder miteinander verschränkten. Das heißt, die bis dahin verdrängten oder nicht zugelassenen Gefühle zur erlittenen Gewalt und Deprivation wurden wieder erinnert.

Während der PTBS kam es in Form von Flashbacks auch zu Wiedererinnerungen von Ereignissen. Auch während der Therapie erinnerte ich Details, die mir bislang nicht präsent waren. Es waren aber von meiner Warte aus stets erhellte Erinnerungen und kein erinnern an nichts Erinnertes (Amnesie) oder aus der Erinnerung gelöschtes Verdrängtes, wie es manchmal geschildert wird.

Allerdings weiß ich nicht, was Du für Dich mit Deiner Umfrage bezwecken willst, denn die Situation ist bekannt. Es gibt eine Fraktion, die abgespaltene Amnesie behauptet, und die andere, die meint ein traumatisches Geschehen kann nicht vergessen werden. Zudem gibt es ausreichende Experimente, die induzierte Erinnerungen belegen. Die Auseinandersetzung über dieses Thema wird leider selten sachkundig und respektvoll geführt – schließlich sind die Standpunkte nicht konsensfähig -; so dass es schnell zu persönlichen Verletzungen kommt.
Ich bin hier, weil es letztlich kein Entkommen vor mir selbst gibt ...
Mein Blog: http://lotoskraft.wordpress.com

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Möbius
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Beitrag Mo., 20.07.2015, 20:47

Tja ... was soll man dazu sagen ? Ich habe den sexuellen Mißbrauch durch die leibliche Mutter nach 40 Jahren Verdrängung wiedererinnert - im Rahmen einer Selbstanalyse (mit ärztlicher Begleitung). Das Wiedererleben des Traumas fand seit dem März 2013 statt, seit Juni 2013 bin ich in einer fachspezifischen tiefenpsychologischen Therapie an der Uni-Klinik Leipzig. Dort glaubt man mir. Objektive Beweise im landläufigen Sinne gibt es nicht. Ausser der Täterin sind alle weiteren Personen, die damals in der einen oder anderen Weise (möglicherweise) involviert waren, verstorben: meine Großmutter väterlicherseits, mein Vater, der damalige Hausarzt und der Pfarrer der Kirchgemeinde - die Involviertheit von letzteren ist bislang nur eine Vermutung. Auch mein erster Psychotherapeut, bei dem ich 1988-91 wegen Depressionen in Therapie gewesen war, ist verstorben. Er hatte wohl eine "Verdachtsdiagnose". Aussagekräftige Unterlagen sind nirgendwo mehr vorhanden.

Das ist auch ein erhebliches Problem für mich selbst, da ich als Spätfolge eine ziemlich massive schizoide Störung mit sexueller Deviation sowie eine schwere psychosomatische Akne Inversa erlitten habe. Ich bin verarmt und erwerbsunfähig, und muß ja nun dafür sorgen, als Verbrechensopfer amtlich anerkannt zu werden, v.a. um die Krankenversorgung einschließlich der Psychotherapie zu sichern. Eine Begutachtung durch einen Psychiater hat gerade begonnen. Ich bin mal gespannt, ob der mir glaubt.

Aus der psychoanalytischen Literatur ist mir die falsche Mißbrauchsbehauptung als Ergebnis eines falsch verarbeiteten Ödipuskomplexes durchaus bekannt. Auch das "false memory"-Phänomen kenne ich - aus der kriminologischen Literatur (ich habe Jura studiert). Die wieder aufgetauchten Erinnerungen und das Hineinpassen des Mißbrauchs in die Biographie kann ich hier nicht "intersubjektivieren" - die Autobiographie, die ich für meinen Therapeuten geschrieben habe, umfasst 140 DinA4-Seiten und reicht nur bis zum 40. Lebensjahr. Mein Leben war nie langweilig. Die wichtigsten "Beweismittel" für mich sind die "sachverständigen Zeugnisse" meiner Hautärztin und meines aktuellen Therapeuten. Meine Hautärztin hatte die Selbstanalyse ärztlich begleitet, hat am Ende sogar eingegriffen und eine Art "Geburtshilfe" beim Wiederleben des Traumas geleistet. Diese "quasi-psychotherapeutische" Beziehung ist danach leider eskaliert, weil es eine Gegenübertragung meiner Hautärztin gab, die von ihr nicht kontrolliert werden konnte. Diese Geschichte ist für mich ein sehr starkes Indiz. Mein Therapeut ist Sexualwissenschaftler mit erheblicher Erfahrung in Mißbrauchsfällen, hat auch beträchtliche forensische Erfahrung als Gutachter in Sexualstrafprozessen. Sein Votum ist für mich natürlich von großer Bedeutung. Mir ist inzwischen auch bekannt, daß Therapeuten differenzialdiagnostisch gehalten sind, einer Mißbrauchsbehauptung des Patienten zunächst einmal Glauben zu schenken, da eine Verleugnung durch den Therapeuten im Falle der wahren Behauptung stark re-traumatisierend wirkt. Aber ich glaube nicht mehr, daß eine solche "differenzialdiagnostische Bestätigung" auch noch nach 2 Jahren aufrecht erhalten würde, wenn ihm inzwischen ernste Zweifel gekommen wären.

Trotz alledem habe ich selbst immer wieder Phasen, in denen ich "den ganzen Scheiss" von mir wegschieben will und "das einfach nicht glauben will": "das kann doch alles nicht wahr sein, das ist nur ein böser Alptraum" oder so.

Eine Tragik: meine Mutter - die Täterin - kann nicht mehr befragt werden. Sie ist 86 Jahre alt. Eine Konfrontation mit dieser ihrer Tat und ihren fürchterlichen Folgen (die sie nicht kennt), könnte mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich für sie sein: die Projektion, mit der sie unmittelbar nach der Tat die Schuld von sich auf mich, auf ihr Opfer geschoben hat, wie der klassische Vergewaltigungstäter, würde aufgehoben, ihre Schuld auf sie zurückfallen, und sie würde sich in Ansehung ihres Alters buchstäblich zu Tode schämen. Ich habe es durch einen einschlägig versierten Kollegen strafrechtlich prüfen lassen: ich würde mich wahrscheinlich sogar des Mordes schuldig machen, zumindest des Totschlags, wenn ich sie von mir aus mit ihrer Schuld konfrontieren würde. Sie selbst kann strafrechtlich eh nicht mehr belangt werden - 30-40 Jahre nach den wesentlichen Tathandlungen. Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren gegen sie alsbald wieder "wegen jedenfalls eingetretener Verjährung" ohne ihre Anhörung wieder eingestellt - richigerweise.

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Miami29
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Beitrag Fr., 07.08.2015, 21:09

Hallo,

Liegt zwar schon paar wochen zurück eire Diskusionen aber ich mag dennoch meinen Senf dazu geben.

Ich selbst hatte vor knapp 2 Monaten einen "Flashback" war und bin derzeit auch in Psychologischer behandlung.
Mein Flashback kam do plötzlich und mit genau dem Gefühl von damals und einer einzigen Situation im Kopf. (Mein Thema: Erinnerung an sexuelle Handlung meines Bruders)

Ich habe mich ca 15 jahre oder länge nicht daran erinnert und im nachhinein sag ich mir es hätte tausend situationen gegeben wo das hätte kommen müssen.
Ich war völlig überrascht das so lang nicht mal annäherungsweise im kopf gehabt zu haben.

Nach paar tagen telefonierte ich mit meiner besten Freundin wir kennen uns seit über 20 jahren. Ich hab es ihr erzählt und sie sagt das sie sich erinnert das ich das einmal in ihrer Gegenwart und einer anderen Freundin (welche uns von ihr und ihrem Bruder erzählte) erwähnt habe und dann nie wieder. Was der beweis ist das es stimmt.

Kurz noch zum zeitpunkt meines Flashbacks. Es passierte beim unkraut zupfen... ist mir heut noch ein rätzel.

Lg

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Möbius
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Beitrag Fr., 07.08.2015, 22:57

Wenn der Pickel noch nicht reif ist, kannst Du dran rum drücken, so viel Du willst: er geht nicht auf, wird höchstens noch schlimmer. Wenn er aber reif ist, dann brauchst Du ihn nur mal anzugucken, und der Eiter hüpft Dir ins Gesicht !

Bei mir war es so gewesen, daß meine erste postpubertäre Freundin - sie war 15 Jahre älter als ich - eine Inzestbeziehung mit ihrem gerade volljährig gewordenen Sohn unterhalten hatte. Das war im engeren Freundeskreis ein offenes Geheimnis gewesen. Die zwei haben sogar mal ein ziemlich "heißes" necking vor meinen Augen veranstaltet, und mir ein "Petzauge" gemacht danach. Und trotzdem habe ich nichts, aber auch garnichts gemerkt, kein "flashback", kein ungutes Gefühl, nur so eine leichte "Genierlichkeit", weil Inzest ja immerhin etwas peinlich ist, nicht wahr ? Aber wenn da einer aus dem Freundeskreis kam, habe ich mich voll vor die beiden gestellt gehabt.

"Man kann sich das kaum vorstellen !" Aber es ist so: Die Verdrängung kann enorm gründlich sein. Selbst als sich dann bei meiner Psychoanalyse die Indizien häuften, ich bewußt darüber nachdachte, ob es einen Inzest mit meiner Mutter gegeben haben könnte, konnte ich nur den Kopf schütteln: "Das ist unmöglich ! Ausgeschlossen !" - Bis dann aus einem eher zufälligen Anlass die Erinnerung auftauchte: beim Anblick einer leeren Rotweinflasche mit einem violetten Herz darauf. Dieser Rotwein, ein billiger, aber als solcher sehr guter Landwein aus dem Langedoc gibt es heute noch bei "netto" für 2,99 die Flasche zu kaufen !

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Hexe2
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Beiträge: 69

Beitrag Mo., 01.02.2016, 19:52

Ich möchte gerne einen Link einstellen, den ich gefunden habe und laut meinem Therapeuten soweit wissenschaftlich bewiesen, stimmt. Ich hoffe, das dies okay ist. Darin heißt es, dass Verdrängen erlernbar ist.
http://sciencev1.orf.at/science/news/8303

Ich habe solche Erinnerungen, die total verdrängt waren, aber immer mehr Beweise ans Licht kommen, dass sie leider stimmen. Auch wenn ich es immer noch nicht wahrhaben will.

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Rosa Wolke
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weiblich/female, 26
Beiträge: 30

Beitrag Di., 09.02.2016, 21:14

Ich habe die Antworten hier nicht komplett gelesen, aber möchte gerne meine Erfahrung teilen.
Ich wurde im Alter von 12-14 Jahren sexuell missbraucht und mir war das tatsächlich eine Zeit danach nicht bewusst, obwohl es mir auch in dieser Zeit nicht gut ging, aber ich hatte halt keine Ahnung warum. Erst mit ca. 18 oder 19 Jahren machte es langsam irgendwie klick.
Ich sah erst einen Bericht im Fernsehn, der sich irgendwie komisch anfühlte und mich schon an diese Zeit denken ließ. Kurze Zeit später war ich auf einer Party und ziemlich betrunken, da kam dann alles wieder hoch.
Heute würde ich sagen, dass ich erst mit 18 oder 19 Jahren überhaupt verstanden habe, dass es Missbrauch war. Ich wusste vorher, dass diese "Beziehung" anders war, als es sich gehört, aber mir war nicht klar, dass ich total manipuliert und unter Druck gesetzt wurde. Das geschah alles sehr subtil.
Ja also habe ich an diese Zeit irgendwie zwischen 15 und 18 keine Gedanken gehabt. Ich würde das jetzt nicht als Verdrängt bezeichnen, aber es war trotzdem nicht so da wie jetzt.
Ich hoffe ich habe das einigermaßen verständlich erläutert. Die Frage, die hier gestellt wird, interessiert und beschäftigt mich auch schon länger, weil hin und wieder bei mir der Verdacht aufkam in der früheren Kindheit schonmal missbraucht worden zu sein. Aber ich versuche mich in der Regel damit abzufinden das wohl nie wirklich sicher erfahren werde.

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