Sexuelle Neigung und Traumaerfahrungen

Fragen und Erfahrungsaustausch über sexuelle Problembereiche wie Sexualstörungen, rund um gleichgeschlechtliche Sexualität und sexuelle Identität, den Umgang mit sexuellen Neigungen wie Fetischismus, S/M usw. - ausser Aufklärungs-Fragen.

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Silent*
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Sexuelle Neigung und Traumaerfahrungen

Beitrag Do., 28.07.2016, 11:56

Hallo.

Das Thema öffentlich, ist peinlich
Aber es in der Therapie anzusprechen, da würd ich mich wohl vor Scham auflösen.

In meiner Kindheit und Jugend gab es jahrelange Missbrauchssituationen. Früheste Erinnerungen mit Penetration beginnen mit ca 3-4 Jahren?

In der späten Jugend schämte ich mich vor allem was mit Sexualität zu tun hat. Nichtmal mit Worten konnte ich umgehen. Total verklemmt, von außen betrachtet.

Seit ca 1 Jahr wird es extremer, aber in die andere Richtung. Richtung BDSM.
Stecke total im Zwiespalt. Einerseits die Erfahrungen im Nacken. Es kamen anfangs heftige Flashbacks.
Versuche Genitalverkehr und diese anderen Praktiken zu vermeiden.
Andererseits treibt es mich immer wieder dazu. Ungewollt, wie gesteuert. Mit teilweisem Kontrollverlust (disso). In der Situation trotzdem "freudig" wahrgenommen

Weiß nicht, ob das noch normal ist.
Oder ob ich eher schauen muss, es zu unterlassen?
Ansprechen in Therapie sinnvoller?
Oder bei Traumatisierten normal?

Bin verwirrt.
Tut mir leid, wenn es irgendwie nicht her passt.
Achso, falls es relevant ist. Habe eine komplexe PTBS und ne dissotiative Störung (DDNOS)

Mfg, Silent

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Siren
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Beitrag Do., 28.07.2016, 15:39

*Räusper*
Ja, öffentlich ist auch für mich neu.

Ich kenne das, was Du beschreibst, auch sehr gut. Auch das "freudige" Erleben währenddessen. Ich habe meinen Mut zusammengenommen und es in der Therapie angesprochen. Wir konnten in meinem Fall herausarbeiten, dass es Selbstbestrafung war. Infolgedessen haben wir intensiv an der Schuldfrage (verstehen und annehmen, dass ich damals nicht Schuld hatte; weder durch Taten, noch durch meine Persönlichkeit) gearbeitet. Und auch, wenn dieser Weg noch nicht zu Ende ist, haben sich meine Neigungen zu schmerzhaften oder demütigenden Praktiken dabei von selbst wieder gegeben.

Das wäre also eine von vielen denkbaren Erklärungen. Mein Rat wäre wirklich: Sprich es in der Therapie an. Dort bist Du ja nicht, um einen guten Eindruck zu hinterlassen, sondern um Dir helfen zu lassen.

Ich wünsche Dir viel Glück und Erfolg auf Deinem Weg.
Ich wäre gerne nett.

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Donkey_Shot
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Beitrag Do., 28.07.2016, 22:14

Hallo,

ich denke auch, Du solltest das in der Therapie ansprechen. Peinlich muss Dir das nicht sein - vielmehr ist es gut, wenn Du dich traust, dich wirklich mit Dir und dem geschehenen auseinanderzusetzen. Unter Umständen ist das sogar sehr wichtig und gut, sich dabei professionell unterstützen zu lassen.

In eigenem Interesse (sexuelle Vergangenheit meiner Partnerin) würde es mich interessieren, ob sich das ganze bei Dir allein in einer Vorliebe für BDSM / einer submissiven Haltung beim Sex niederschlägt oder auch eventuell in einem generellen "gefallen wollen" gegenüber Männern.

LG, Donkey_Shot

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Mamamaus
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Beitrag So., 04.09.2016, 15:19

Ich habe es auch angesprochen und für mich einiges erarbeiten können. Habe auch kompl. PTBS. Seither komme ich mit meiner Sexualität recht gut klar bzw. in da recht im Reinen mit mir selbst.

LG

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Skorpi83
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Beitrag Mi., 07.09.2016, 16:13

Ich habe auch radikale sexuelle Vorlieben. Weil es mir schwer fiel, dies anzusprechen, habe ich es innerhalb der Therapie in meinen Hefter geschrieben. Aber ich denke, dass ich es bei Gelegenheit direkt ansprechen werde. Darf ich einmal vorsichtig fragen, was Penetration ist? Ich habe dieses Wort noch nie gehört.

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Mamamaus
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Beitrag Fr., 09.09.2016, 16:32

Skorpi83, ansprechen lohnt sich auch wenn es schwer ist. Bei meiner ersten Thera bin ich damit auch auf die Nase gefallen aber mit meiner jetzigen die explizit Traumatherapeutin ist hat es super geklappt. Ich bin da auch sehr gehemmt aber sie hat mir immer geholfen wenn ich etwas nicht aussprechen konnte Worte dafür zu finden. Im Allgemeinen hat sie mir ein Bild vermittelt wie Sexualität bei traumatisierten Menschen aussehen kann. Da gibt es ein sehr breites Spektrum. Von totaler Abwehr was mit allem sexuellen zu tun hat oder eben das krasse Gegenteil. Zwanghafte Sexualität, Fantasien von Vergewaltigung und Unterwerfung, BDSM und so weiter. Sie meinte alles sei nicht schlimm so lange es keinem anderen Menschen schadet. Also Fantasien haben nicht unbedingt mit dem Ausleben der Dinge zu tun. Vieles aus der Kindheit prägt einen leider und man braucht sich nicht dafür zu schämen. Also ich erlaube mir bei der SB diese Fantasien zu leben ohne Hemmungen und Scham. Auch mein sehr stark ausgeprägter Drang nach Sexualität und SB gehört nun mal zu mir.

Wenn der Therapeut ein Guter ist dann wird auch das ansprechen von so heiklen dingen klappen. Sie fragt mich heut oft wie es mit dem Sex in der Ehe aussieht und wenn ich sage mal wieder Monate nix und dann nur ne schnelle Nummer meint sie nur immer "befriedigen sie sich wenigstens ab und zu selbst?" wenn ich dann ja sage meint sie immer sehr gut das brauchen sie für ihrer allgemeine Ausgeglichenheit. Ich grinse dann nur etwas verlegen. Ich fühle mich bei meiner Thera aufgehoben.

LG

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Amoenus
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Beitrag Mo., 12.09.2016, 07:58

Hey Silent, hast Du die vorherigen Antworten gelesen?
Ich kenne eine Person, wo es extremer mit der Scharm nicht sein konnte, zumal noch eine extreme religiöse Gehirnwäsche und eine nicht geringe Libido der Person sich im Weg standen.
Ich finde es ganz schwierig an dieser Stelle eine Empfehlung zu geben, weil die Fantasien eben oft in Extreme gehen können, die es (wie von anderen Usern bereits geschrieben) darauf abzielen dich zu erniedrigen oder (wie ich es bei eben kurz geschilderten Person erlebt habe) zu zerstören.
BDSM kann eine bereichernde sexuelle Komponente sein und es ist für viele sogar bestimmt weit mehr, aber für sie und mich lief es dann durch meine Bestimmung darauf hinaus, dass ich den offensichtlich krankhaften Teil daran nicht bestätige.
Das führte zu einigen Problemen, da einstudierte Strategien plötzlich nicht mehr funktionieren, aber es entwickelte sich dadurch etwas Neues.
Momente der Zärtlichkeit, wo Sexualität als eine Ausdrucksform von Liebe, Wertschätzung und Leidenschaft möglich ist, mit extrem viel Vertrauen und der Möglichkeit in der Situation wirklich da zu sein (emotional/mit offenen Augen)
Und auf der anderen Seite eher Lust und Leidenschaft in Form von BDSM und Rollenspielen.

Für diese 2. Form sei generell wichtig:
Der Sub gibt die Grenzen vor, nicht der Dom!!!
Innerhalb dieser wird die Verantwortung abgegeben, nicht generell!

Und da in meinem Fall all das etwas schwieriger gelagert ist; wir tasten uns an die eigenen Grenzen und nicht jener durch religiöse Gehirnwäsche eingeimpften.

Dafür ist extrem viel Vertrauen wichtig und auch Empathie.
So eine Hoffnung in einem ONS zu finden halte ich für ausgeschlossen, in einer normalen Beziehung sehr sehr selten...
Ich denke eine Therapeutin oder ein Therapeut sind da sehr wichtig als Begleitperson!
Meine Partnerin hatte sogar ewig eine Jugend-Therapeutin, weil sie beziehungsmäßig/emotional überhaupt keine Reife entwickeln konnte, weil der Kopf wirklich alles sabotiert hatte.
Und für eine Beziehung;
Wenn dein Partner kein Arsch ist, dann sollte er sich selber auch (ambulant) absichern;
Es kann immer wieder zu Re-Traumatisierungen kommen, die der Partner dann abbekommt (und sich dann womöglich die Schuld dafür gibt)
Auch sehe ich eine sehr große Gefahr darin, wenn Du an jemand gerätst, der es gezielt zur Aufgabe macht Dir helfen zu wollen, bzw. Dich zu verändern.
Nicht einmal weil die Ansätze der Person falsch sind, aber viel zu oft übersehen die Menschen, dass so etwas SEHR viel Zeit braucht und einige Tendenzen immer eine Rolle spielen werden.
Beispiel: Der Typ meint es zwar im Ursprung gut, hat aber selbst kein Selbstwertgefühl und erhofft sich selbst als (wieder) wertvoll erachten zu können, indem er seine Partnerin rettet.
Das wird spätestens dann schwierig, wenn es (die "Erfolge") dann nicht "schnell genug" passieren... Er ist dann wütend auf sich, weil er sich als gescheitert sieht ("Versager") und wird womöglich die "Schuld" abladen, weil er es ja gut meinte... -.-
Wir vergessen gerne, dass Menschen zu Beginn einer Beziehung oft viel mehr Tatendrang und (Opfer-)Bereitschaft an den Tag legen als später, wenn die rosarote Brille verschwindet.
Ist für beide eine sehr unschöne Situation.

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Krang2
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Beitrag Mo., 19.09.2016, 21:24

@silent,
mit deinen Erfahrungen, Problemen und sexuellen Vorlieben finde ich die Frage wichtiger, ob du dich ausreichend von (sexuellen) Wünschen anderer in dieser "Szene" abgrenzen kannst und von anderen nicht sexuell ausgenutzt wirst oder das umkehrst und anderen antust. Das wäre doch beschämender als sich für eine Vergangenheit zu schämen, die du dir nicht aussuchen konntest.

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elfe_na
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Beitrag Di., 18.10.2016, 14:22

Das Thema interessiert mich auch sehr. Mir geht es genauso :(


montagne
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Beitrag Di., 18.10.2016, 14:45

Hi Silent,
es ist, würde ich sagen, eine Frage der Perspektive, man kann es so oder so beantworten, ob es nun normal ist oder nicht. ich wüsste nicht, welche Antwort richtiger sein sollte.

Wichtiger finde ich, wie Krang, den Aspekt des Schutzes. Kannst du dich ausreichend schützen? Was machen solche Praktiken außerhalb der Situation mit dir? Was machen sie mir dir als ganzer Person, wie wirken sie auf Intrusionen und andere Symptome?

Ich meine, das der Körper sexuelle Lust empfinden kann selbst dann, wenn man dies in der Situation ablehnt (warum auch immer) ist ja so. Lust ist etwas schönes ja. Aber ich finde sie alleine ist keine ausreichende Orientierung bei der Frage ob einem eine sexuelle Erfahrung gut tut oder nicht.
amor fati


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Silent*
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Beitrag Do., 20.10.2016, 22:49

Hallo an alle.

Vielen Dank für eure Antworten.
Ich habe alles gelesen und mir durch den Kopf gehen lassen und möchte zusammenfassend antworten.

Zur Frage Penetration ... es ist das Eindringen von z.B. männlichem Glied in das weibliche Geschlecht.

Ich befinde mich seit sehr langer Zeit schon in einer festen Beziehung und ihn als einzigsten Partner. Ich bin die Sorte Mensch, die nur sehr schwer vertrauen fassen kann, selbst wenn es nur um Normales gehen würde.
Mit meiner Therapeutin habe ich bislang darüber immer noch nicht sprechen können.
Es ist komisch es zu erklären, ich habe mittlerweile das Gefühl, das es eine Art "sich selbst missbrauchen" ist. Denn auch wenn ein gewisses Lustempfinden währenddessen vorhanden scheint, umso mieser geht es einen hinterher.
Situationen aus den Flashbacks, welche erlebt wurden, werden immer wieder provoziert.
Kann es nicht so ganz nachvollziehen, scheint aber nicht ganz so selten zu sein.
Leider spielt auch Demütigung eine Rolle, indem "ich" mich dem aussetze und es sich so anfühlt, als würde ich meinen Mann für diese Dinge ausnutzen. Er genießt gewisse Dinge auch, was gut ist. Dennoch kennt er nicht die Dinge, die in meinem Kopf sind.

Werde in der nächsten Sitzung bei meiner Therapeutin versuchen, es endlich einmal zu thematisieren.
Vielen Dank euch noch einmal.

LG, Silent

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Candykills
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Beitrag Fr., 21.10.2016, 17:59

Also bei mir ist es so, dass ich alles, was mit Sexualität zu tun hat, abwehre. Ich weiß aber, dass ich einen Anteil habe, der teilweise - wie du schreibst silent* - in der BDSM Szene unterwegs ist und teilweise das, was in den Flashbacks passiert, wiederholt. Ich denke beides ist nicht so selten als Variante des Umgangs mit dem Missbrauch.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)


Geenie
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Beitrag Do., 27.10.2016, 12:18

liebe silent,

Ich wünsche dir, dass du "ES" bei deiner Therapeutin thematisieren kannst. Sich erinnern und darüber sprechen, ist ein guter Anfang der Bewältigung. Bei solch schweren Traumata ist es hoch sinnvoll therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Ich habe ebenfalls ein solches Muster und bin gerade dabei es zu beenden.
Die erotische Liebe wird hier mit Schmerz und Demütigung verwechselt und zwar nicht von deinem vorderen Bewusstsein sondern von deiner Libido und mit dieser ist schwer zu kommunizieren das es sich ja um die Triebe handelt. Diese Triebe sind durch Missbrauch und Vergewaltigung irregeleitet.
Du bist gefangen in einem scheinbar endlosen Wiederholungskreislauf aus Schuld und Schmerz.
Die Wiederholung der Zwangshandlungen, um einen früheren Zustand wiederherzustellen erfolgen, so lange bis man bereit ist seinen Anteilen ins überschattete Gesicht zu sehen.
Bestätigung kann man vor der Lösung dieses Kreislaufes oft nur von “Tätern“ bekommen. Ich kenne mittlerweile kranke Männer, die sich ausschließlich Missbrauchsopfer suchen und Frauen, die sich gefühlskalte, sadistisch veranlagte Männer suchen. Umgekehrt gibt es das übrigens auch.
Lösung: Der Betroffene beginnt mit seinem Unbewussten in Kontakt zu treten und sich und seine Handlungen zu verstehen. Dann folgt der hilfreiche Prozess von Therapie = Erinnern – Beweinen – Bewüten – Begreifen und Beenden.
...dazu ist viel Geduld notwendig
alles Liebe

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Möbius
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Beitrag So., 27.11.2016, 15:01

Ich bin ein mißbrauchtes Kind - Täterin war die Mutter gewesen, der ich auch nach Aufdeckung des kindesmißbräuchlichen Inzests (ich war 5-7 Jahre alt gewesen) durch den Vater ausgeliefert geblieben bin, so daß der sexuellen Gewalt jahrelange nicht-sexuelle Gewalt nachfolgen konnte. Und ich bin ein überzeugter Anhänger der klassischen Psychoanalyse nach Freud. Die Psychoanalyse, welche die Erinnerung an die Tat nach 40 Jahren wieder zu Bewußtsein gebracht hatte, habe ich im wesentlichen als Selbstanalyse eben mit den Texten der Freuds durchgeführt. Dieses Ergebnis ist inzwischen von einem hochqualifizierten Fachmann bestätigt.
Und ich bin ein "glücklicher Perverser" - meine "Leitperversion", nach der ich mich definiere, ist die des autoerotischen Exhibitionismus, den ich im Rahmen promiskuitiver Bisexualität recht intensiv auslebe. Diese Perversion bereitet mir bis heute ein beziehungsunabhängiges, reichhaltiges und beglückendes Sexualleben, erleichtert mir die Akquise von Sexkontakten ungemein, hat mir u.a. auch die Selbstanalyse beträchtlich erleichtert und ist heute sogar unter dem Einfluß meiner sexualwissenschaftlich fundierten Psychotherapie zu einem machtvollen therapeutischen Instrument geworden - ich konnte mich bereits zweimal aus akuten Psychosen sexualtherapeutisch selbst wieder befreien. Eine "normale Sexualität" möchte ich heute deswegen garnicht mehr haben, ist kein erstrebenswertes Ziel mehr für mich.
Vor diesem Hintergrund das Folgende:
Kindesmißbrauch führt wohl sehr häufig zur Entwicklung von Sexualitäten, die von der soziokulturellen Norm mitunter erheblich abweichen. Ich meine, man kann drei Arten von Einflußnahmen auf die Sexualität des Opfers voneinander unterscheiden.
Zunächst ist der schon erwähnte Wiederholungszwang zu nennen: der Traumatisierte neigt unter diesem Einfluß dazu, ein unverarbeitetes, verdrängtes (oder dissoziiertes) Trauma zu re-inszenieren, "zu wiederholen", um die unterbliebene Verarbbeitung nachzuholen. Dies geschieht unbewußt, nicht selten auch auf sublimierten Ebenen, in "affektiver Neufärbung" (Anna Freud). Auch kann das ursprüngliche Trauma durch anderweitige Abwehrmechanismen so verändert werden, daß es nur sehr schwer psychoanalytisch wieder "herauszupräparieren" ist. Die übelsten Fälle dieses Wiederholungszwanges beim Kindesmißbrauch dürften die auch aus den Vergewaltigungsfällen bekannten Re-Vicitimisierungen sein: das Opfer wird zum "Serien-Opfer", sucht immer wieder Kontakt zu Menschen oder Situationen, die zu erneuter sexueller Gewalt gegen das Opfer führen, wird immer wieder re-traumatisiert und seelisch allmählich zermürbt. Bei mir hat sich das auf der sublimierten Ebene wirtschaftlicher Tätigkeit abgespielt: ich war, obschon als Wirtschaftsanwalt doch mit allen Wassern gewaschen, ein hilfloses Opfer jedweden Betruges, wenn es um mein eigenes Vermögen bin. Deswegen lebe ich heute in "bitterer Armut".

(Fortsetzung folgt)

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Möbius
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Beitrag So., 27.11.2016, 15:03

Noch weitergehender ist der Einfluß, den ein Introjekt des Täters ausüben kann: das Gewaltopfer identifiziert sich mit dem Aggressor, um eine als existenziell empfundene Beziehung zum Täter aufrecht erhalten zu können. Die "Introjektionslage" ist insbesondere diejenige, in welchem das Opfer dem Täter langfristig ausgeliefert bleibt wie Entführungsopfer, aber eben auch Opfer von Inzestttätern, wie ich selbst.
In sexueller Hinsicht introjiziert sich das Opfer möglicherweise den "Sexualcharakter" des Täters, so wie er ihn erlebt hat - und das war bei mir der Exhibitionismus meiner Mutter, die mir als Kind unbedingt ihr vor Erregung weit geöffnetes Genital "unter die Nase reiben" mußte.
Obschon das Introjekt ein sehr tiefgreifender Eingriff in die psychische Integrität darstellt, kann man paradoxerweise mitunter damit verhältnismässig gut leben. Ich bin selbst mit meiner perversen Sexualität ja sehr glücklich, habe mit dem sexuellen Introjekt meiner Täterin Frieden geschlossen. Und nach den Mitteilungen Freuds bin ich nicht der einzige, sondern es gibt Millionen solcher Opfer, die mit ihrem Introjekt sehr gut auskommen: nämlich die Homosexuellen. Echte, exklusive Homosexualität ist nach Freud die Folge einer "kurzen, aber intensiven sexuellen Beziehung des Kindes zu einem Erwachsenen, regelmässig zum gegengeschlechtlichen Elter" (u.a. in den "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie" dargelegt). Diese Aussagen werden v.a. von berufshomosexueller Seite vehement bestritten: da, wie ja politisch beschlossen wurde, Homosexualität ja als eine natürliche Sexualität zu gelten habe, darf sie natürlich keine kriminelle Verursachung haben. Diese krimminelle Ätiologie der Homosexualität an sich hat aber - auch das betont Freud entschieden, keinen Einfluß auf die Psyche im übrigen - Homosexuelle sind in aller Regel psychisch unauffällig, litten und leiden vor allem unter dem gesellschaftlichen Umgang mit ihrer Sexualität. Dieses Leid indessen ist wenigstens in unserem Kulturkreis gottlob im stetigen Rückgang begriffen.
Eine dritte Weise der Beeinflußung der Sexualentwicklung kann man vielleicht darin sehen, daß eben die Entwicklung einer der soziokulturellen Norm entsprechenden Sexualität verhindert wird, und die Elemente der infantilen Sexualität - Freud nennt sie "Partialtriebe" - die noch nicht in einer Gesamtsexualität zusammengefasst sind, eben nicht unter dem Primat der genitalen Sexualität - des Coitus - zusammengefasst werden, sondern eine eigene, "perverse" oder "deviate" Organisation entwickeln, die wohl häufig lange unter einer äusserlichen Sozialanpassung verborgen bleibt bis sie irgendwann ihr "coming-out" erlebt. Aber auch mit einer heute noch (?) als "pervers" oder "deviat" bewerteten Sexualität kann man verhältnismässig gut leben, ohne psychisch weiter beeinträchtigt zu sein. Die Probleme rühren, ähnlich wie bei der Homosexualität, weniger aus der Perversion selbst her, als von der "sekundären Ebene": dem eigenen Umgang mit seiner Sexualität und der gesellschaftlichen Reaktion darauf. Indessen besteht hier m.E. ein beträchtliches emanzipatorisches Defizit - die Homosexualität ist die einzige der klassischen Perversionen, die der allgemeingesellschaftlichen Sanktionierung bisher entrinnen konnte. Der Gegenwind für alle anderen Perversen ist jedoch nach wie vor beträchtlich.
Ganz übel wird es allerdings dann, wenn sich auf einem dieser Arten (oder deren Kombination) ein Sexualcharakter entwickelt, der disfunktional ist, eine Sexualität nach Befriedigung dringt, deren Ziel es ist, sich selbst oder andere schwer zu schädigen, sich selbst oder anderen sexuelle Gewalt anzutun: Vergewaltigung, Mißbrauch, Verstümmelung, Ermordung, Kannibalismus usw. Diese Fälle sind jedoch meiner Erfahrung nach, obschon spektakulär, gottlob nur eine relativ kleine Minderheit. Die überwiegende Mehrheit der Perversen ist durchaus "sozialverträglich".

(Fortsetzung folgt)

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