May 23

Bei Kindern und Jugendlichen bewähren sich psychotherapeutische Präventionsprogramme definitiv – die einjährige Studie „Saving and Empowering Young Lives in Europe (SEYLE): Gesundheitsförderung durch Prävention von riskanten und selbstschädigenden Verhaltensweisen“, die in Deutschland an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Heidelberg durchgeführt wurde, zeigt vielversprechende Ergebnisse und wies eine Reduktion psychischer Probleme bei den teilnehmenden Schülern sowie einen deutlichen Rückgang von depressiven Symptomen, selbstschädigenden Verhaltensweisen und Selbstmordgedanken insbesondere bei Mädchen nach.

Ziel der Studie war es, die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen zu überprüfen und effiziente Programme langfristig an bundesweit allen Schulen zu etablieren. Sie lief unter der Federführung des Karolinska-Instituts in Stockholm gleichzeitig in neun anderen EU-Staaten sowie Israel.

„Es gibt ein hohes Maß an gefährdeten Jugendlichen, doch viele von ihnen kommen nicht bei den Therapeuten an”, erklärt Studienleiter R. Brunner. „Bei psychischen Problemen gibt es eine immer noch ausgeprägte Stigmatisierung.” Viele Jugendliche haben Angst, von ihren Mitschülern ausgelacht zu werden. „Wir waren im Vorfeld mehrfach in den Klassen, um Aufklärung zu betreiben”, sagt Studienkoordinator M. Kaess, „etwa darüber, dass die vertrauliche Kommunikation mit den Schülern und ihre Anonymität gewährleistet sind.” Rund 70 Prozent entschlossen sich daraufhin zur Teilnahme.

Über 1.400 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 16 Jahren waren an der Studie beteiligt. Sie kamen von 26 Gymnasien, Real- Hauptschulen des Rhein-Neckar-Kreises und Heidelberg. Zunächst beantworteten die Acht- und Neuntklässler bei der Eingangsuntersuchung im Januar 2010 einen Fragebogen, der unter anderem die Themenbereiche Suizidgefährdung, Selbstverletzung, Angst, Depression, Delinquenz, gestörtes Essverhalten, exzessiver Medienkonsum, Schulschwänzen und Mobbing abhandelte. Je eines von vier Präventionsprogrammen wurde den Schulen per Zufall zugeteilt. Beim sogenannten Professional Screening erhielten über 60 Prozent der Schüler aufgrund ihrer Antworten eine Einladung zu einem Interview. Bei 30 Prozent derer, die zum Termin erschienen waren, stellten die Psychiater einen Behandlungsbedarf fest.

In einem der anderen drei Präventionsprogramme nahmen etwa 100 Lehrer an einem Training teil, dass sie in die Lage versetzte, betroffene Jugendliche zu erkennen und mit ihnen umzugehen („Gatekeeper-Training”). 450 Schüler wurden im Rahmen von fünf Unterrichtsstunden über riskante und selbstschädigende Verhaltensweisen sowie den Umgang damit aufgeklärt („Awareness Training”). An anderen Schulen wurden den Klassenräumen Informationsplakate aufgehängt und den Jugendlichen Visitenkarten mit den Kontaktinformationen der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie ausgehändigt („Minimal Intervention”).

Bei etwa 25 Prozent der Schüler sank die Suizidgefährdung im Laufe der Folgeuntersuchungen. Besonders bei den Mädchen verringerten sich die psychischen Probleme. „Eine genaue Analyse der unterschiedlichen Gruppen und Wirkfaktoren steht noch aus”, betont Brunner. „Diese ersten Ergebnisse stellen ausschließlich Tendenzen bezogen auf die Heidelberger Gesamtstichprobe dar. Es fehlen allerdings noch genaue Analysen im Vergleich mit anderen EU-Staaten, die sicher noch weitere Erkenntnisse bringen werden.”

(Quelle: http://www.seyle.eu , Der Standard v 20.01.2011; Photo:Matthias Cremer)

Nov 28

Wer während der letzten Wochen die diversen Pressemeldungen verfolgte, konnte ein bemerkenswertes Bild über unseren gesellschaftlichen Zugang zu den “Umtrieben” heutiger Kinder und Jugendlicher bekommen: da wurde von einem oberösterreichischen Schuldirektor den SchülerInnen etwa das öffentliche Küssen untersagt (nach vehementen öffentlichen Protesten ist das Verbot mittlerweile wieder aufgehoben), angeblich werden Jugendliche immer dümmer (Computer und Fernsehen seien schuld), wir erinnern uns an die Debatte um bauchfreie T-Shirts vor 2 Jahren, seit vielen Jahren deuten einschlägige Studien in England aber vor allem auch auf steigende Angst der Öffentlichkeit vor Kindern und Jugendlichen hin: mehr Respekt wird da gefordert, und die Kategorie des “antisozialen Verhaltens” wurde geschaffen, um Jugendliche entsprechend mit ASBO’s (Anti-Social Behavior Orders) und einschlägigen Medikamenten zu disziplinieren. Mittlerweile bilden sich bereits Gruppierungen, die gegen diesen Trend zu mobilisieren versuchen, denn Überwachen und Strafen lösen – wie auch in anderen Lebensbereichen – die zugrundeliegenden Probleme nicht.

Alarmierend ist die Verständnislosigkeit und Kälte, mit der der jungen Generation (wie man so schön sagt: unseren [hoffentlich!] “Pensionszahlern von morgen”) begegnet wird. Politik wird in erster Linie für die Erwachsenen und Pensionisten gemacht, an der Jugend besteht kaum ein anderes Interesse, als dass diese zu “funktionieren”, sich in das gesellschaftliche Gefüge einzuordnen habe. Das Bestehende wird verwaltet, Zukunftsdenken oder gar Visionen sind eher die Ausnahme als die Regel. Da ist es dann kein Wunder, wenn Klassengrößen trotz steigender sozialer Probleme und zunehmendem Integrationsbedarf immer größer werden und Lehrer immer mehr Erziehungsaufgaben zu übernehmen haben, gleichzeitig aber ihre Fortbildungsbudgets, sowie jene für Beratungsstellen und Psychotherapie schon seit Jahrzehnten ausgedünnt werden. Auch Eltern schaffen kaum den Spagat, ihre Karriereziele mit den Bedürfnissen ihrer Kinder nach Zuwendung zu vereinbaren.

Wie das Schicksal so spielt: während ich diese Zeilen schrieb, wurde eine Pressemitteilung der österr. Bildungsministerin Claudia Schmied veröffentlicht: nach einem heute stattgefundenen “Bildungs-Gipfel”, an dem 600 Experten von Schulaufsicht und Schulpartnern bis zu Polizei, Schulpsychologen und NGO’s teilnahmen, soll ein Fünf-Punkte-Programm für das Thema Gewalt an Schulen sensibilisieren und diese zu verhindern helfen. “Die Lehrer können soziale Probleme nicht alleine lösen”, so die Bildungsministerin.
Wichtigstes Ergebnis des Gipfels: im kommenden Jahr soll es um 20 Prozent mehr Schulpsychologen an Österreichs Schulen geben (derzeit kommen z.T. auf 5-10 Schulen 1 SchulpsychologIn, und das Engagement externer BeraterInnen wie im Projekt “SchulePlus” des Wiener GRG3 oder von “Schule mit Biss” bleibt fast ausschließlich Elternvereinen und engagierten Direktionen vorbehalten), und es wird einschlägige Schwerpunkte in der LehrerInnenausbildung geben. Gewalttätige Schüler, sogenannte ‘Bullies’ verursachen langfristig hohe Kosten für den Staat: addiert man Maßnahmen wie Pflege, Heimbetreuung, Gerichtsverfahren und Strafvollzug, kostet ein Bully den Staat über eine Million Euro. Die Lösung laut dem Psychologen Friedrich Lösel: “Kinder aus Risikofamilien sollten von der Geburt an betreut werden.”

Scheint, als wäre Österreich doch “anders” und als gäbe es begründete Hoffnung, dass das Steuer gerade noch herumgerissen werden kann. Sofern die Maßnahmen tatsächlich im Parlament bewilligt und dann auch konsequent umgesetzt werden jedenfalls.

01.09.19