'Offizielle' und tatsächliche Diagnosen

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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sandrin
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Beitrag Mi., 18.10.2017, 18:40

Das Dilemma ist mir schon klar. Wichtig fände ich es aber, dass dem Patienten offen zu kommunizieren.
Aber ist sicher eine nicht leichte Angelegenheit. Irgendwie tue ich mich mit alldem schwer, war immer so, wird wohl immer so bleiben. Ist wohl nicht wirklich was Passendes für mich. Da kann man nichts machen, ist aber auch nicht weiter schlimm.
Ich sehe das auch so, dass man die Gewissheit, das Verständnis und den Weg in sich selber finden muss und kann.

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montagne
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Beitrag Mi., 18.10.2017, 18:41

Doch ich will wissen, was ich wirklich habe. Die Antwort glaube ich aber nicht in der Diagnose oder einer sonstigen Einschätzung meiner oder einer Therapeuztin zu finden. Die Antwort finde ich in Puzzleteilen, je besser ich mich und meine Vergangenheit und mein jetziges Leben verstehen lerne. Ich finde sie auch, indem ich mich da draußen ausprobiere.

Ich glaube nicht an die eine Wahrheit und so gibt es für mich auch nicht die eine Diagnose. Ich habe meine Wahrheit. Meine Therapeutin hat ihre Wahrheit über mich. Wenn ich sie fragen würde, welche Diagnose sie mir gibt, wäre es nicht die Frage danach, was ich wirklich habe, sondern was sie über mich denkt.

Und das teilt sie mir häppchenweise ja auch so mit und ich lese es zwischen den Zeilen.
Ja eines Tages werde ich sie fragen, aber ich vermeide diese Frage noch...

Es kommt ja auch hinzu, dass sich Diagnosen mit der Zeit verändern. Bei mir gehe ich zumindest stark davon aus.
amor fati


isabe
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Beitrag Mi., 18.10.2017, 18:43

Bei mir war es so, dass im Streit gesagt wurde, ich sei Borderliner, und wenn wir uns wieder vertragen haben, hat er geleugnet, das gesagt zu haben oder überhaupt zu denken. Das ist sicher die Extremform, bedeutet aber wohl auch: Das, was der Th. denkt, ist für ihn selbst auch nicht immer sicher.

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sandrin
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Beitrag Mi., 18.10.2017, 18:47

Stimmt, den Fall gibt es auch, dass man mit Diagnosen "droht" oder sie als Bestrafung benutzt.

Zur Einschätzung der Schwere einer Depression können auch standardisierte Tests helfen. Da braucht man tatsächlich keinen Therapeuten dazu.

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montagne
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Beitrag Mi., 18.10.2017, 18:49

Na ja oder er denkt weiterhin, der Patient ist dies und das, hat dann aber nicht das Rückgrad, dazu zu stehen.....
Bzw. zu diesem Anteil zu stehen, der nicht grad feine Sachen über den Klienten denkt. Und DAS ist sicher ein Spagat, ganz da zu sein und dennoch selektiv.
amor fati


mio
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Beitrag Mi., 18.10.2017, 18:49

sandrin hat geschrieben: Mi., 18.10.2017, 17:47 Und ich befürchte, das wäre nicht möglich, wenn ich es einmal ausspreche (also nicht von meiner Seite, sondern von der Seite der Therapeutin).
Ja, nur ob diese Befürchtung eintritt das weisst Du erst, wenn Du es angesprochen hast. Vielleicht kommt ja auch eine klare Antwort ohne Gegenfrage?

Und wenn Du Dich der Gegenfrage nicht stellen möchtest, dann kannst Du ja auch einfach entgegnen, dass das keine Antwort auf Deine Frage ist und Du einfach nur wissen möchtest, ob die gestellte Diagnose wirklich so gesehen wird oder ob diese aus taktischen Gründen gestellt wurde und dass sie Dir diese Frage bitte beantworten soll und dass ihr Euch danach dann immer noch über ihre Frage unterhalten könnt, wenn ihr das so ein großes Bedürfnis ist.

Ob das für Dich selbst hilfreich ist weiss ich allerdings nicht, aber Du könntest den Spieß so umzudrehen versuchen. Du musst ja nicht antworten, wenn Du nicht möchtest. Nur sie muss es eben auch nicht... Allerdings nimmst Du ihr wenn Du ihr nicht antwortest auch ein Stück weit die Chance Dich kennenlernen und zu verstehen und damit Dir die Chance auf Hilfe. Sie fragt das ja nicht um "ihre persönlicher Neugier zu befriedigen" sondern um Dich besser verstehen zu können.


montagne
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Beitrag Mi., 18.10.2017, 18:52

@sandrin:
Ich meine das eher so, nicht nur, dass meine Wahrheit eh immer ein Stück weit eine andere sein wird, als die meiner Therapeutin oder von sonst wem.
Auch in einer Diagnose nach ICD oder ICF, whatever finde ich keine vollständige und zufriedenstellende Antwort danach, was mit mir los ist oder einfach eine Beruhigung des riesigen Fragezeichens in mir.

Und ich habe den Eindruck, dass da bei dir auch so ein fragezeichen ist, eine Leerstelle, ein nicht wissen.... und man will es wegmachen, aber das wird mit keiner Diagnose gehen... glaube ich.... sondern damit sich kennen zu lernen. Sich auf sich selbst einlassen.
amor fati


isabe
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Beitrag Mi., 18.10.2017, 19:06

Kernberg sagt ja, dass ein Therapeut seinen Patienten lieben UND hassen können muss. Aber das dann zu lesen oder zu hören, TUT weh. Weil man "so was" normalerweise nicht denkt, sagt oder fühlt.


isabe
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Beitrag Mi., 18.10.2017, 19:11

...und auch der Patient verhält sich ja idealerweise in der Therapie viel offener als normalerweise, sodass etwas entsteht, was gleichermaßen fremd ("so soll ich sein?") wie intim ("niemand sieht mich so wie er") ist.

Stellt der Th. dann bei sich entsprechende Gefühle fest, muss er auch einen Umgang damit finden, das zu Papier oder zum Supervisor zu bringen (oder es zu lassen...).

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sandrin
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Beitrag Mi., 18.10.2017, 20:16

montagne hat geschrieben: Mi., 18.10.2017, 18:52 Und ich habe den Eindruck, dass da bei dir auch so ein fragezeichen ist, eine Leerstelle, ein nicht wissen.... und man will es wegmachen, aber das wird mit keiner Diagnose gehen... glaube ich.... sondern damit sich kennen zu lernen. Sich auf sich selbst einlassen.
Ich finde das sehr gut auf den Punkt gebracht. Die Lösung ist in einem selber. Und das ist doch irgendwie beruhigend.


Widow
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Beitrag Mi., 18.10.2017, 22:31

montagne hat geschrieben:
dürften diejenigen, die da sind, kaum das Bedürfnis verspüren, sich durch gefakte Diagnosen ein Patientengut zu erschaffen ...
Stimmt zwar, jedoch gibt es überall im psychosozialen und therapeutischen Bereich aus fachlicher Sicht zu wenig Ressourcen, um dem Patienten zu helfen.
Genau auf das, was ich in Deinen Worten unterstrichen habe, wollte ich auch hinaus - und genau das macht für mich auch den Unterschied zwischen Körpermedizinern und Psychotherapeuten aus:

Die einen, die Diagnosen "verschlimmern", erhalten dadurch schlicht mehr Geld ins eigene Portemonnaie (der Patient merkt den Unterschied zwischen 'realer' und 'verschlimmerter' Diagnose bestenfalls nicht, schlimmstenfalls bekommt er "Behandlungen", die ihn schädigen - Stichwort "orthopädische OPs").
Die anderen (die ohnehin ihre Patienten haben, weil es viel zu wenig ambulante Psychotherapeuten gibt) bekommen persönlich nichts, aber durch eine "verschlimmerte" Diagnose vielleicht für den Patienten mehr Stunden.


Und nochmal zur "Diagnose" an sich:
Ich halte sämtliche "Diagnosen", die körpermedizinischen und die psychotherapeutischen, für reine Konstrukte, eine Art "hypothetische Arbeitsbasis", die sich nicht nur ständig ändert, sondern die auch ganz häufig falsch ist.

Bei meinem Mann wurden ein halbes Jahr vor seinem Tod im Aszites (Bauchwasser), der sich gebildet hatte- für alle übrigens völlig überraschend (und durch den vorangegangenen Darmkrebs war mein Mann engmaschig unter Kontrolle) -, dort also wurden Krebszellen gefunden, nicht jedoch im ebenfalls untersuchten Peritoneum (dem Bauchfell) - trotzdem verpassten ihm die Körpermediziner dann die (tödliche) Diagnose "Peritonealkarzinose" (also einen Krebsbefall des Bauchfells)

Und auch andersrum haben wir's erlebt, nämlich vor dem Krebs und dann erneut bei der Diagnostizierung:
Bei einer Kontrollkoloskopie wg. des Morbus Crohn entdeckte der Gastroenterologe eine "polypöse Struktur", war sehr besorgt und entnahm dort etwa 12-15 Proben. Die Pathologen haben in den Proben nichts entdeckt. Offensichtlich also hat der Gastroenterologe daneben gepickt (das passiert bei Krebsbiopsien häufig), denn: Ein Jahr später war genau an der Stelle der "polypösen Struktur" ein sechs Zentimeter großer Tumor der aggressivsten Art.
Den wiederum hat der neuerlich (diesmal wg. lokalen Bauchschmerzen) koloskopierende Gastroenterologe für eine durch den Morbus Crohn bedingte, also völlig ungefährliche Verengung gehalten. Und erst die Pathologen (auch das gleich Labor wie ein Jahr zuvor) teilten mit: Krebs der übelsten Sorte ...

Wie gesagt: Sicherheit gibt's noch nicht einmal im körpermedizinischen Bereich.
- Wenn ich mir dann noch sowas wie die "Psyche" vorstelle, die weder einen konkreten Ort im Leib noch ein konkretes Material hat, aus dem sie bestünde ...

Grüße in die Runde
Widow

PS: Ich kenne jetzt meine Diagnosen. Denn für den Neuantrag müssen sie auf der Überweisung wg. des Konsiliarberichts und im Therapievertrag stehen (was es beides damals bei der ersten Therapie noch nicht gab).
Sie sagen alles und nichts. Sie sagen Krankheitsbegriffe, doch ohne jede Spezifizierung ("kombinierte und andere" - und nein, damit auch keine 'kombinierte PTBS'; "nicht näher bezeichnet"); freilich sind sie mit "G" als "gesichert" markiert.
- Ich halte eine solche Diagnose-Stellung für ein äußerst probates Verfahren, wenn es um komplexere Phänomene geht ... (zumal das ausschließt, nach "Leitlinien" bzw. "Therapie-Manual" behandeln zu müssen und behandelt zu werden)

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sandrin
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Beitrag Do., 19.10.2017, 06:32

Sicherheit gibt es nie, keine Frage. Es geht in meiner Frage aber darum, inwiefern das oft BEWUSST geschieht, die Diagnose zu verschlimmern, weil es strategisch angezeigt ist.

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alatan
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Beitrag Do., 19.10.2017, 07:53

Eine Strategie ist ein planerisches Vorgehen und somit immer bewusst.


Alyssa
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Beitrag Do., 19.10.2017, 10:02

sandrin hat geschrieben: Do., 19.10.2017, 06:32inwiefern das oft BEWUSST geschieht, die Diagnose zu verschlimmern, weil es strategisch angezeigt ist.
Immer? Schlimmere Diagnose soll doch was bringen...mehr Leistung durch KK, längere Therapie, stationäre Therapie etc. usw.
Wer stellt bitte unbewusst und ohne geplante Absichten verschlimmerte Diagnosen aus?
Du schreibst ja selber von "strategisch".
Strategie ist nix anderes, als einen vorab bewusst und absichtlich erstellten Plan in die Tat umsetzen.
Du hast dir deine Frage im Prinzip selber beantwortet.

Vielleicht solltest du mal dein zwanghaftes Kreisen um Diagnosestellung und bewusste Verschlimmerung der Diagnose sowie dein Misstrauen gegen Therapeuten und Ärzten in deiner Therapie bearbeiten.

Der Thread hat jedenfalls Hamsterrad-Potential.

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sandrin
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Beitrag Do., 19.10.2017, 11:01

Und wolltest du dich nicht raushalten?

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