Aufdringliche Besserwisser und Distanzlose

Nicht jedem fällt es leicht, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, "einfach" mal jemanden kennenzulernen oder sich in Gruppen selbstsicher zu verhalten. Hier können Sie Erfahrungen dazu (sowie auch allgemein zum Thema "Selbstsicherheit") austauschen.

ziegenkind
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Beitrag Fr., 25.09.2020, 10:57

Vivy, wirklich interessiert an einem Austausch zu Deinem Beispiel mit der Person, die beleidigt ist, wenn Du Dich wegsetzt:

Warum kann diese Person vor dem Hintergrund Ihrer Geschichte nicht einfach beleidigt sein und Du darfst genau so einfach weggehen?

Warum muss die beleidigte Person, die vielleicht üble Erfahrungen mit ausgegrenzt werden hat, die du nicht kennst oder grad einfach einen blöden Tag hat, als die Böse, Übergriffige da stehen? In dem Fall kannst Du doch deren Beleidigt-Sein genauso wenig stehen lassen, wie die Person Dein Dich Wegsetzen stehen lassen kann, oder?

Und natürlich kann man das machen, die Sau raus lassen und sich über das Beleidigt-Sein aufregen, aber eben in dem Bewusstsein darum, dass man damit genau dasselbe macht, wie das, worüber man sich aufregt, und eben für 5 Minuten mal nicht Meisterin im Feinfühlig-, Sensibel- und Rücksichtsvoll-Sein ist.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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stern
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Beitrag Fr., 25.09.2020, 11:49

Ich möchte nicht "Aufdrängen" sagen... aber ich glaube gerade psychische Störungen können dafür prädestinieren, andere zu veranlassen, die "Störungsperspektive" einzunehmen... bis dahin, jemanden zu veranlassen, danach zu handeln. Meine ich natürlich abwertend, wenn ich von Störungsperspektive spreche. Ich meine etwas in die Richtung: Ein Zwängler, der dem Umfeld deutlichen machen muss, wie kontamiert dies und jenes ist, was ergo regelmäßig zu desinfizieren ist. Kann man für jede Störung fortsetzen, betrifft manche mehr, manche wenige und alle in unterschiedlicher Art und Weise.

Hier würde ich (praktisch) auch Therapien und RL/ Forum unterscheiden. Was in der der Therapie angedacht ist, funktioniert im RL oder einem Forum vllt. weniger gut (bzw. wäre vllt. auch nicht sinnvoll). Sondern der Ehemann erwidert vllt. mit Fug und Recht "bei dir piept's wohl", wenn ihm eine Liste mit Reinigungsritualen überreicht wird mit Erklärungen, warum das unbedingt so sein müsse... der Ehemann möge das doch bitte aus dieser Perspektive heraus nachvollziehen und verstehen. Sonst verkrafte das die Ehefrau nicht. Wie viel (Spiel)Raum wäre dabei dem Ehemann zustehen? Bzw. gibt es hier überhaupt einen Maßstab. Oder hat der auch Grenzen (die er mit "bei dir piept's wohl" andeutete), für die er sorgen "darf". Wenn ja: Welche sind berechtigter, wenn es nun Streit darüber gibt? Wer überschreitet wessen Grenzen bzw. ist distanzlos? Die Frau die Grenze des Mannes (den die vielen Putzrituale mittlerweile massiv nerven und das er seine Frau dafür entbehren muss, etc). Oder der Mann die Grenzen der Frau, die ansonsten dekompensiert, wenn er sich nicht den Schemata der Frau anpasst?
Just saying... nichts weiter...
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ziegenkind
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Beitrag Fr., 25.09.2020, 12:57

Stern,

was Du das sagst, gehört zu den letzten und gleichzeitig schwersten Erkenntnissen aus meiner Therapie.

In den Anfangs- und Mittelphasen hat meine Therapeutin viel Rücksicht auf meine Störungen genommen. Und dann irgendwann nicht mehr. Das tat sehr weh und ich habe darüber fürchterlich gewütet, bis sie irgendwann mal mit Tränen in den Augen gesagt hat, es wär für sie viel einfacher mit dem Rücksicht-Nehmen weiter zu machen, aber sie sei es mir schuldig, dies nicht zu tun.

Danach wurde es leichter.
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Anna-Luisa
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Beitrag Fr., 25.09.2020, 14:27

Ich habe wohl ein anderes Verständnis von Übergriffigkeit. Z.B. empfinde ich es als übergriffig, wenn jemand meint mir vorgeben zu können, was ich (nicht) schreiben soll - und gleichzeitig sogar glaubt mir sagen zu können, wie ich schreiben soll (empathisch, Triggerndes meiden).

Und mir bei Nichteinhaltung der Vorgaben androht meine Beiträge zu melden - um dann wiederum mitzuteilen, dass die Meldung erfolgt sei. Keine Ahnung, warum ich darüber informiert werde.

Ob Hintergrund dieser Aktion sein soll, dass ich mich so ausdrücke (und nur das schreibe) dass ich die Grenzen des Meldungserstatters nicht übertrete?
Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von den anderen. So wird dir Ärger erspart bleiben.
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Kaonashi
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Beitrag Fr., 25.09.2020, 16:00

Anna-Luisa hat geschrieben: Fr., 25.09.2020, 14:27riffigkeit. Z.B. empfinde ich es als übergriffig, wenn jemand meint mir vorgeben zu können, was ich (nicht) schreiben soll - und gleichzeitig sogar glaubt mir sagen zu können, wie ich schreiben soll
Wenn du Kritik an deinen Beiträgen bekommst, dann ist das vielleicht weniger ein Vorschreiben, sondern ein Hinweis. Wenn man solche Hinweise häufiger bekommt, könnte es sein, dass was dran ist.
Grundsätzlich zwingt dich ja keiner, danach zu handeln, außer die Moderatoren ggf.

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Anna-Luisa
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Beitrag Fr., 25.09.2020, 16:55

Kaonashi hat geschrieben: Fr., 25.09.2020, 16:00 Wenn du Kritik an deinen Beiträgen bekommst, dann ist das vielleicht weniger ein Vorschreiben, sondern ein Hinweis. Wenn man solche Hinweise häufiger bekommt, könnte es sein, dass was dran ist.
Wenn mir jemand schreibt, ich solle keine Paragraphen zitieren und empathischer schreiben, dann liest sich das eher wie eine Vorschrift als ein Hinweis. Solche "Hinweise" waren bezüglich meiner Beiträge rar gesät. Dass viele meine Beiträge grottenschlecht, gedankenlos oder wasauchimmer finden, finde ich okay. Diese Form der "Hinweise" nicht.

Wobei es mich am meisten erstaunt, wenn jemand glaubt, mir einen anderen Stil aufdrängen zu können. Da ist definitiv meine Grenze.
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stern
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Beitrag Fr., 25.09.2020, 17:08

Im Forum (um das es nach W. auch geht) halte ich es für ungleich leichter als im RL die als "aufdringlichen Besserwisser, Distanzlosen, Unempathischen, Metaebenenschreiber, Kognitiven, Gefühlsdusseligen, Besserwisser, Paragraphenreiter, Rücksichtslossn, Und-alles-was-sonst-noch-stört-Schreiber" Identifizierten und Kategorisierten aus dem eigenen Raum auszuschließen, indem man in einem geschützen Raum schreibt.

Wenn man (netiquettewidrige) Übergriffkeit "diagnostiziert" hat, kööönnte man auch direkt melden. Aber wir gesagt: Man kööönnte auch gleich einen anderen Bereich wählen und die Grenzen vorher passgenau abstecken. Oder ganz anderes.. Also praktisch gesehen.

In einem Themen-Thread laufend mitzuteilen, in welche Schubladen jemand einsortiert wurde, empfinde ich (auch) als störend. So wurde mir mal eine Weile in regelmäßigen Abständen mitgeteilt, ich bzw. meine Beiträge seien zu kopflastig verfasst (als ein Beispiel, nicht PN). Kann ich sogar nachvollziehen, auch wenn ich draußen eher anderes hörte. ICH brauchte diese Rückmeldung aber nicht, zumal sich an einen User dann noch ein paar (wenn auch wenige) weitere anhängten. Und na ja, muss man sich nicht geben, wenn mein Stil jemandem nicht passt. Aber ich sehe es auch so, dass jeder seinen eigenen Stil hat (natürlich kann das nicht jedem passen) oder inhaltlich anderes bedeutsam findet, wie und wozu genau er sich äußert.

Was bliebe als Raum noch über, wenn man jeden User fragen würde, was "verboten" werden soll?

Wenn man das öffentlich macht und/oder (Steigerung) vielleicht gar noch glauben würde, Diagnosen (wie: du rücksichtsloser Narzisst, du!) anhängen zu können, hätte das nach meinem Empfinden nochmals eine andere Dynamik als eine z.B. wohlgesonnene Kritik (z.B. via PN). Halt auch je nach "Rückmeldung".
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leonidensucher
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Beitrag Mi., 30.09.2020, 17:46

Corona bringt eh das Innerste der Menschen an den Tag und das ist - erstaunlich genug- meist eine solide Mischung aus Egozentrik, Egoismus und Egomanie, gepaart mit Unverschämtheit.

Ich bin sehr groß, folglich reicht es bei mir, wenn ich mich zu voller Größe aufschraube, innerlich in den "noch ein Schritt weiter und es knallt" Modus gehe. Bei besonders ignoranten Hasen (gerne zu beobachten ab Freitag mittag im Dallmayr, unterwöchig sind die Leute rücksichtsvoll, da vermutlich Stammkunden versus Touris) ziehe ich eine Augenbraue hoch, wenn das nichts bringt, sage ich " junge Frau / junger Mann, Abstand halten!". Bis dato hat noch keiner diskutiert, aber sollte jemand damit anfangen, ist mein Standardspruch immer schon gewesen " Sehe ich auch nur ansatzweise so aus, als würde mich das interessieren?". Schneidende Stimme, hochgezogende Augenbraue, mentale "ich lass es gerne eskalieren" Haltung reicht. Bin ich unsicher oder auf Frieden aus, geht das erfahrungsgemäß nach hinten los, das interpretieren die entsprechenden Nasen als Schwäche und Einladung.

Edit: ich glaube ich habe bereits hinlänglich bewiesen, dass ich auch im Forum zügig eskaliere. Bis jetzt war es die richtige Entscheidung. Ich hab meine Ruhe und Menschen, die mir bereits initial so auf die Füße treten, dass ich Ärger spüre, sind ohnehin nicht mein Ding, also warum etwas beschwichtigen, was ohnehin nicht interessant ist, da ... usw.
Wenn Du Dir die Königin des Grenzen ziehen anschaust, Angela Merkel, finde ich, sieht man auch, dass sie NULL Kompromissbereitschaft signalisiert. Es prallt halt an ihr ab, vermutlich hat sie das Gemüt dafür. Aber Friede des Friedens willen konnte ich bei ihr jetzt nicht beobachten.
Du kannst Dir auch den Glöööööckler (wie auch immer man den schreibt) anschauen bei "Krause kommt" (oder so ähnlich) auf youtube. Ein Paradebeispielt für zackiges Grenzen ziehen, zeigen und darauf bestehen. Meine Wetter: dem rückt man nur einmal auf die Pelle und man sieht gut, wie er als Motto hat:
Nicht so viel an die anderen denken, die denken ja auch nicht an dich ;)
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Anna-Luisa
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Beitrag Do., 01.10.2020, 06:10

Mir rücken die Leute in der Öffentlichkeit auch nicht zu nahe. Eisblick reicht. Einmal war es nötig, jemanden eine Ohrfeige zu verpassen - wegen Grabscherei.

Aber das mir jemand missionierend hinterhergelaufen ist damit ich seine Meinung teile, ist mir noch nicht passiert. Wer sollte das auch tun?

In Internetforen fällt mir auf, dass manche die sich durch andere User angegriffen fühlen (so sehe ich es) sich selber als besonders nett ansehen. Anders könnte ich mir Einleitungen, die folgendermaßen beginnen, nicht erklären:

"Warum fällt es dir so schwer, ......"
"Liebe XY......"
"Xy profitiert nicht davon, wenn du...."

Die erste Aussage beinhaltet, dass der Kritiker glaubt, dass dem Schreibenden etwas schwerfiele. Warum eigentlich? Weil er nicht so schreibt, wie der dies Kritisierende es gern hören würde?
Jemanden mit "Liebe" anzureden, wenn man ihn bzw. seinen Beitrag offenbar kein bisschen "lieb" findet, finde ICH reichlich heuchlerisch.
Ich finde, ein jeder könnte Xy selbst überlassen, wovon er profitiert- oder auch nicht. Aber es gibt ja keine Verpflichtung dazu, Beiträge möglichst profitabel zu schreiben.

User, die ich so störend finde, dass ich nichts mit ihnen zu tun haben möchte, habe ich auf Ignore gesetzt.
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Jenny Doe
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Beitrag Do., 01.10.2020, 07:38

Ich gehöre zu den Immungeschwächten Menschen, die sich nicht mit Corona infizieren sollten. Ich bin mir aber auch der Tatsache bewusst, dass wir Corona nie wieder loskriegen und lernen müssen damit zu leben.

Obwohl ich selbst ein Risikopatient bin, verspüre ich diese Coronaangst nicht. Vielleicht, weil der Auslöser für meine Autoimmunerkrankungen stinknormale Viren waren. Auch „normale“ Viren, wie Influenza Viren, für die es keinen Lockdown und auch keine Hygienemaßnahmen gibt, können Menschen das Leben kosten. Sterben können Menschen an jedem Virus.
Es gehört zum Leben dazu, dass Menschen geboren werden und sterben. Auch durch Viren sterben. Das gilt nicht nur für „die anderen“, sondern auch für mich. Auch ich muss mit der Gefahr leben, an einem Virus sterben zu können.
Trotzdem lebe ich nicht in einer Coronaangst.

Vielleicht ist es meine Angstfreiheit, die es mir ermöglicht nicht nur mich selbst und mein geschwächtes Immunsystem zu sehen, sondern auch „die anderen“. Ich kann es nicht nur verstehen, ich finde es sogar gesund, wenn Menschen es schaffen sich von ihrer anfänglichen Coronaangst, die der Lockdown ausgelöst hat, wieder zu befreien. Ich finde es gesund wenn Menschen versuchen zu einem normalen Alltag zurückzufinden und Gefahren auszublenden. Wenn man täglich mit einer Gefahrenangst leben müsste, dann dürfte keiner mehr das Haus verlassen. Denn Gefahren lauern überall. Der eine stirbt an Corona, der andere wird vom Auto überfahren. Der dritte stirbt an einem stink normalen Influenza Virus. Um in dieser „gefährlichen“ Welt klarzukommen kommt man nicht umhin, Gefahren auszublenden und zu akzeptieren, dass sie da sind.

Wenn ich darauf beharren würde, dass andere bitte auf mich, die Immungeschwächte, Rücksicht nehmen sollen, mit dem Argument, „ich möchte gesehen werden“, dann würde ich umgekehrt „die anderen“ nicht sehen. Ich würde nur von anderen erwarten, mich und mein Leid zu sehen, würde umgekehrt aber das Leid des anderen ignorieren. Auch „die anderen“ wollen gesehen werden. Wenn ich nur darauf beharren würde, dass andere meine Perspektive sehen sollen, dann würde ich selber umgekehrt die Perspektive des anderen nicht sehen wollen. Wenn ich auf meiner Meinung und Einstellung beharren würde, dann würde ich dem anderen das Recht auf eine eigene Meinung und Einstellung nehmen. Ich kann dem anderen nicht „Besserwisser“ vorwerfen, wenn ich selber anderen meine Meinung aufdrängen würde und darauf beharren würde, dass ich Recht habe. Ich kann nicht hingeghen und dem anderen meine Meinung aufdrängen und ihm dann vorwerfen, er würde mir Kraft rauben.

„Sehen“ funktioniert für mich nur in beide Richtungen. Ich kann nicht erwarten, dass man nur mich sieht, während ich mich gleichzeitig weigere den anderen zu sehen. So wie ich gesehen werden möchte, so möchte auch der andere gesehen werden. Ich würde mir mehr Rücksicht wünschen, der andere jedoch wünscht sich ein normales Coronaangstfreies Leben.
Beides finde ich absolut verständlich. Der gesunde Mensch möchte ein angstfreies Leben leben und noch etwas erleben, bevor er stirbt. Der Risikopatient hingegen wünscht sich besonders geschützt zu sein.

Beides verständliche Bedürfnisse, die jedoch aufeinanderprallen können. Und dennoch hat der, der angstfrei leben will, genauso das Recht darauf in seinem Bedürfnis gesehen zu werden, wie der immungeschwächte Risikopatient.
Ich kann nicht hingehen und sagen „Ich möchte, das Du mich siehst“, während ich mich gleichzeitig weigere den anderen zu sehen.

Ich sehe mich da sehr wohl in der Eigenverantwortung. Wenn andere Menschen ein normales Leben zu leben wünschen, ich jedoch „besonderen Schutz“ bedarf, dann liegt an mir dafür zu sorgen, dass ich geschützt bin.
Ich kenne das Problem, dass ich von anderen nicht erwarten kann, dass sie nur mich sehen. Ich habe mir deshalb schon öfters Gedanken gemacht, wie ich das Problem lösen kann. So löse ich z.B. das Problem in an der Supermarktkasse so, dass ich Abstand zu der Person vor mir halte und meinen Einkaufswagen hinter mich stelle. So kann mir keiner zu nahe kommen. Bei überfüllten Bussen verfahre ich so, dass ich entweder auf den nächsten Bus warte oder den leereren Bus nehme, der kaum benutzt wird, von mir aber verlangt fünf Minuten länger zu laufen. Das ist okay für mich. So lasse ich den anderen ihres und nehme mir meines.
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).

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stern
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Beitrag Sa., 03.10.2020, 04:09

Anna-Luisa hat geschrieben: Do., 01.10.2020, 06:10
Ich finde, ein jeder könnte Xy selbst überlassen, wovon er profitiert- oder auch nicht. Aber es gibt ja keine Verpflichtung dazu, Beiträge möglichst profitabel zu schreiben.
Sehe ich auch so, dass es kaum möglich ist, für Dritte zu spreche. Es ist idR gewünscht, dass ein Therapeut möglichst individuell behandelt und keinesfalls nach Schema F. Aber jeder soll von genau dem gleichen profitieren? Nööö, sehe und erlebe ich entschieden anders. Selbst bei (vermeintlich?) ähnlichen Erfahrungen bzw. Hintergründen (die gleichen hat eh niemand). Oder ich merke mittlerweile immer mal wieder: Xy habe ich mal so und so gesehen (erlebt), mittlerweile anders. Oder es besteht doch die Möglichkeit (vermeintlich im Namen eines Dritten) von sich auf andere zu schließen.
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stern
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Beitrag Sa., 03.10.2020, 05:25

Zu Corona-Zeiten finde ich es (für meinen Teil) eher leichter als vorher, Mindestabstände zu wahren und notfalls einzufordern. Denn es ist ja ohnehin so angedacht (bis offiziell geregelt worden). Ergo hält sich ein guter Teil eh "automatisch" daran (die meisten). Und manche "muss" man notfalls daran erinnern. Wo (mir) vor ein paar Monaten noch ein Blick reichte, nachdem ich mich kurz umdrehte, "muss" ich es mittlerweile häufiger auch verbalisieren oder mit einer Geste signalisieren (z.B. Arrm ausstrecken und Stopp anzeigen). Ich habe sogar schon überlegt, dass ich das vllt. beibehalte, wenn div. Corona-Maßnahmen wieder abgeschafft sind (denn ich mochte es noch nie, wenn jemand "unnötigerweise" nah auf die Pelle rückt). Dann nicht unbedingt mind. 1,50 m, aber das, was Biologen (und Psychologen?) als Individualdistanz bezeichnen bzw. meine individuellen Grenzen wahrt. Kann nicht jeder, aber man kann das in oder außerhalb einer PT auch lernen. Und hier gibt es Übungen, die verlangen von Teilnehmern teils noch ganz andere Dinge ab. Auch vor dem Gesichtspunkt sehe ich das manchmal.

Ich sehe Parallelen zum Autofahren: Dass mein Auto Airbags und andere sicherheitsrelevante Features eingebaut hat und mich anschnalle, etc. bedeutet keinesfalls, dass ich Angst vor einem Unfall habe. Sondern es sind Vorkehrungen für bekannte Risiken. Anders als Angst (die beliebig alle Dimensionen auf einer Skala von 0-10 einnehmen kann), sind Risiken berechenbarer. Als die Gurtpflicht eingeführt wurde, es btw. auch nicht jeder amused, vgl. z.B.: :lol: Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Maßnahmen sind nicht rein zufällig, sondern beabsichtigt.
Selten reagierten die Westdeutschen so hysterisch wie bei der Einführung der Gurtpflicht. 1975 verweigerten sich Millionen Menschen dem Lebensretter Sicherheitsgurt. Männer fürchteten um ihre Freiheit, Frauen um ihren Busen - am Ende spaltete der bizarre Glaubenskrieg die ganze Republik.
https://www.spiegel.de/geschichte/einfu ... 46925.html

Auch im Auto sind btw. Sichheitsabstände einzuhalten. Wer andere nötigt und einer Gefahr aussetzt, hat in dem Fall höchstens Glück, wenn nicht kontrolliert wird. Erst kürzlich bin ich wieder knapp einem Unfall entgangen, weil ein Auswärtiger mehr als rikant überholte. Ich erwarte hier schlicht möglichst Einhaltung der StVO - und nicht, gesehen zu werden (im psychologischen Sinn)... und sehe auch keine Notwendigkeit, das Bedürfnis nach Rücksichtslosigkeit (z.B. Bedrängen im Straßenverkehr, Raser) zu verstehen. Gerne dürfte es auch allgemeine Tempolimits auf Autobahnen und mehr Kontrollen geben. Abstand und Nichtabstand verträgt sich nicht gleichzeitig zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Wenn jrmand unkooperativ ist, muss ich eben (wie beim Corona-Thema) schauen, wie ich Risken für mich minimiere... und in dem Sinne ist es mindestens nicht immer klug, z.B. eine Vorfahrt zu nutzen, selbst wenn ich sie habe.
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montagne
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Beitrag So., 04.10.2020, 00:40

Jeder darf sein und eigene Bedürfnisse realisieren im (Rahmen der Gesetzgebung). So einfach, so schwierig.

Das Bedürfnis nach Sicherheit und Abstand steht neben dem Bedürfnis nach Kontakt und Normalität. Manchmal muss ich mich selbst dran erinnern, dass ich mein Bedürfnis artikulieren, einfordern und umsetzten kann. (Mit dürfen hat es für mich nichts zu tun, denn ich brauche von niemandem eine Erlaubnis dazu. Niemand kann sie mir geben, außer ich selbst. ) Der andere muss aber nicht nach meinem Bedürfnis reagieren, der kann widersprechen. Der andere hat ja auch seine guten Gründe für sein So-sein. So wie ich ja auch nicht dem Bedürfnis des anderen nachkommen muss, weil ich auch meine guten Gründe für mein So-sein in dem Moment habe.
amor fati


Thread-EröffnerIn
Waldschratin
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Beitrag So., 11.10.2020, 09:49

Ich hab jetzt nur die letzte Seite quergelesen, deshalb knüpf ich jetzt nicht an, sondern "erlaube" mir, einfach weiterzuführen, was mir im Kopf rumgeht.

Meine Gewohnheit ist, dass ich viel zu sehr und v.a. zuerst auf das eingehe (und dafür zu "sorgen" versuche), was mein Gegenüber grade haben will.
Umso wichtiger ist es für mich, mehr Selbstverständlichkeit einzufordern (Ja, das ganz ganz pöhse Wort :-> ), dass eben auch Meins gesehen wird und adäquat drauf reagiert.

Das heißt nicht, wie das wohl viele hier zu verstehen meinen, dass sich alles um mich zu drehen habe und die Leute mir von den Augen ablesen sollen, wie sie mir "zu Diensten" sein sollen.

Mir "reicht" es, einfach wahrgenommen und ernstgenommen zu werden.
Und DANN kann man gegenseitig seine Kompromisse finden.

Mehr will ich gar nicht.

Dieses selbstverständliche Einfordern, dafür such ich derzeit gängige, lebbare Wege.

Leon, das mit "großmachen" und "rüberwachsen lassen können", dass mit mir nicht gut Kirschen essen ist momentan, das kann ich. Wirklich gut, das erschreckt mich selber manchmal.

Oder auch diese "Eiseskälte", die du beschreibst, Anna-Luisa, auch die kann ich gut.

Und ja, das funktioniert sehr gut, fast immer.

Ich such aber was, das mir mehr entspricht.
Das meinem Wesen mehr entspricht.
Das ich "selbstverständlicher" ausstrahlen kann, ohne erst was "tun", was "fabrizieren" zu müssen.

Mir ist ja auch klar, dass die Angst momentan allgegenwärtig ist unter den Menschen um mich rum. Und die Wenigsten sie reflektieren, sondern halt unbewusst "irgendwie" kompensieren.

Aber grade dieses ewige Verständnishaben für alle(s) und jeden aktiviert ja bei mir die alten Muster : "Zuerst alle anderen und ich zu unwichtig, ich ertrags ja auch" etc.

Ich hab ja derzeit wieder viel Gelegenheit zum Üben : Muss zu vielen Terminen, allesamt mit Bus und Bahn, momentan ja ausschließlich mit dem Rollator.

Im Moment experimentier ich mit Verschmitztheit.
Letzthin im Bus, Streikfahrplan, der Bus gestopft voll, klar.
Nix mit Abstand, viele panikgebeutelt, mühsam unterdrückt.

Ich kann ja derzeit nur in der Nische mitten im Bus mit meinem Gefährt mich niederlassen. Mir gegenüber ein Rollifahrer, damit war die Nische fast voll.
Jetzt kommen natürlich mehr und mehr Leute in den Bus und müssen sich irgendwo dazwischenquetschen.

Ein Mann, ungefähr mein Alter, stellt sich also zwischen den Rollifahrer und mich, den Rücken mir zugekehrt.
Soweit so gut, für mich ist das ok.

Nur, der Burschi "tanzt", tänzelt dauernd hin und her, ich hab seine Angst richtig gespürt, der wollte "wegwegweg" etc.

Was war die logische Folge: Seine Füße trampelten dauernd auf den meinigen rum, ich hatte seinen Hintern mehrmals im Gesicht, trotzdem ich schon meine Unterarme schützend "aufgestellt" hatte, damit er gewisse Grenzen nicht überschreitet.
Mehrmalige "Korrektur" seiner Überschreitungen hat er aber offenbar nicht mitgekriegt, er tänzelte weiter rum.

Ich hab ein riesen Verständnis für seine Lage.
Nutzt mir aber nix.
Ich bin halt auch noch da und brauch nen gewissen Mindest-Raum.

Irgendwann hab ich ihn angesprochen: Wollen Sie sich auf meinen Schoß setzen?
Ich nehm Sie gerne auf dem Rollator ne Weile mit. :->

Huch, war er natürlich peinlich berührt!
Die um uns rum hatten ihren Spaß, das hat denen wiederum ein bissl "Panikabfuhr" gebracht.

Und den Mann so weit aus seiner Abgetauchtheit gebracht, dass ers ab da tatsächlich geschafft hat, wenigstens die Füße still gehalten zu bekommen und auf seinem Fleck stehen zu bleiben.

Ich hatte seinen Hintern ab da aus meinem Gesicht und seine Füße nicht mehr auf meinen rumstehen.

Nur, mir gelingt diese Verschmitztheit nicht immer.
Ich neige da eher zu nem bitterbösen Sarkasmus im Unterton, und das entspannt dann die Lage nicht unbedingt.

Nach wie vor bin ich aber der Meinung : Es reicht nicht, wenn nur eine Seite dauernd-überall-ständig "Verständnis" haben sollmuss.
Wenn das nicht wenigstens überwiegend gegenseitig ein sich Mühe geben miteinander wird, dann darf ich mich nicht nur aufregen und wehren, dann ist das mehr meine Pflicht, für mich einzustehen und dem Gegenüber die Grenzen nicht nur aufzuzeigen, sondern auch für deren Einhaltung zu sorgen.

Dass das auf "Wechselwirkung" beruht ist klar.
Was ich mitbringe, löst im Gegenüber was aus.
Umgekehrt aber genauso.

Ich tu, was ich kann.
Und ich bin, was ich bin.

Kommt klar damit. :->

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Anna-Luisa
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Beitrag So., 11.10.2020, 10:48

Waldschratin hat geschrieben: So., 11.10.2020, 09:49 Meine Gewohnheit ist, dass ich viel zu sehr und v.a. zuerst auf das eingehe (und dafür zu "sorgen" versuche), was mein Gegenüber grade haben will.
Umso wichtiger ist es für mich, mehr Selbstverständlichkeit einzufordern (Ja, das ganz ganz pöhse Wort :-> ), dass eben auch Meins gesehen wird und adäquat drauf reagiert.
Davon bemerke ich im Forum eher nichts. Da habe ich eher den Eindruck, dass du nicht nur für dein Gegenüber oft zu sprechen glauben kannst, sondern sogar für weitere Personen die sich an einem Thread beteiligen. Da filterst du m.E. oft, welche Meinungen für dich vertretbar sind. Das geht so weit, dass du sogar anderen sagst, WAS sie (nicht) schreiben sollen - und sogar WIE sie schreiben sollen.

Was du über Abstände im Bus schreibst kann ich hingegen gut nachvollziehen. Ich fahre morgens oft mit einem Bus, der fast leer ist. Da finde ich es schon unverständlich, wenn sich jemand auf den Platz hinter oder vor mir setzt. Ich wechsele ihn kommentarlos.
Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von den anderen. So wird dir Ärger erspart bleiben.
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