Depressiv, sehr viel Verlust

Hier können Sie sich über Belastungen durch eigene oder fremde schwere Erkrankungen, aber auch den Umgang mit Tod und Trauer austauschen.
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Kelpie75
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Depressiv, sehr viel Verlust

Beitrag Di., 18.07.2017, 05:54

Mein Vater starb im Januar nach einer langen Prostatakrebserkrankung mit besonders schlimmem Verlauf.

Ich habe meine Mutter täglich in der Pflege/Sterbebegleitung unterstützt, so gut ich es neben dem Beruf vermochte. Mein Bruder hat sich stark distanziert.

Das Sterben im Hospiz hat mich entsetzt. (Privates Pflegeheim und etliche öffentliche Einrichtungen.) Der Zeitpunkt des natürlichen Todes ist wiederholt medizinisch hinaus gezögert worden, bis der Patient ein unkenntliches, gelähmtes, von Kopf bis Fuß von Pilzen befallenes Wrack war. Was ich dann in der Leichenkammer ansehen musste (leider habe ich auf diesbezügliche Empfehlungen gehört), war nur mehr ein 40prozentiger Rest meines Vaters. Im Falle einer entsprechenden Diagnose werde ich mir rechtzeitig einen Ausweg suchen, der nichts mit Hospizen zu tun hat.

Ich bin nicht gläubig, hätte aber gern mit jemandem über die Sterblichkeit gesprochen. Eine katholische Schwester flatterte in sehr unpassender Weise ums Sterbebett und verlor Bettelzettel wie eine Fichte zu Silvester ihre Nadeln. Trauercafes finden nur dann statt, wenn ich in Arbeit ersticke - außerhalb der Ferien. Das Internet und diverse Ratgeber haben bewirkt, dass ich eine Existenz nach dem Tod nicht mhr für wahrscheinlich halte. Trotzdem kann ich nicht aufhören, den Verstorbenen zu "suchen".

Leider hat mein Vater den Grundbesitz nicht in Ordnung hinterlassen, ich muss sein geliebtes Mietshaus verkaufen. Ich verliere dadurch auch meinen Wohnort. Die Familie ist völlig zerbrochen. Mutter und Bruder distanzieren sich, Kontaktabbruch der restlichen Familie.

Ich habe gerade Sommerpause (Lehrerin) und leide unter dem Gefühl, nun zwei Hunde als einzige enge Angehörige zu habn. Meine Freunde versuchen mich zu unterstützen, aber trotzdem muss ich den ganzen Wirbel allein tragen. Ich bin müde und depressiv. Ich fühle mich ALT. (Bin 41.) Im Winter hat mir mein Arzt Sertralin verschrieben, damit ich trotz schwerem Asthma dieser Belastung standhalte.

Vielleicht sollte ich wieder damit anfangen, aber Tabletten sind ja auch keine Lösung. Ich weiß nicht, wie ich aus dem Tief finden kann. Jedes Gespräch mit Notar, Hausverwaltung, Immobiliengutachter etc. reißt mich in ein tiefes Loch und ich muss das aber erledigen.

Danke fürs Durchlesen und eventuelle Ratschläge.

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Hiob
[nicht mehr wegzudenken]
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Beiträge: 2286

Beitrag Fr., 21.07.2017, 11:52

Ich würde die unvermeidbaren Dinge mit dem Mietshaus noch erledigen und danach einfach Ruhe suchen. Ohne die Ruhe wirken alle religiösen, philosophischen oder spirituellen Themen nur wie ein Trostpreis. Alle Leute reden dann nur auf dein rastlos herumirrendes Gehirn ein und ein so gehetztes Gehirn kann aus meiner Sicht kaum eine richtige Verbindung zu diesen Themen aufbauen. Man kann über Spiritualität oder das was dem Leben Freude und Wert gibt, nicht nur trocken nachdenken, sondern muss es erleben, ausprobieren. Das Gehirn sitzt in seinem Wasserglas, verschränkt die Arme, kuckt brummig und sagt "hat sowieso alles keinen Sinn." Aber es irrt, weil es seine ganze Umwelt nur durch den Körper, Muskeln, Wahrnehmungsorgane usw. erlebt. Es erlebt die Welt nur durch Mittler. Wird diese Wahrnehmung auch noch überlastet oder dauerhaft von kraftraubenden negativen Erlebnissen geplagt, arbeitet das ganze System nurnoch auf Notprogramm und die Lebensfreude verliert sich. Das Gehirn versucht die fehlende Lebensfreude durch irgendeinen Sinn zu ersetzen...aber so schlecht gelaunt wird das nichts. Die schönste Blume kann soeinen überlasteten Brummelkopf nicht erreichen.

Ich würde immer nur ein Teilproblem auf einmal lösen. Nicht alles gleichzeitig bearbeiten. Alle Briefe, die du bekommst, zügig erledigen und schnell wieder weg schicken, zur nächsten Station...den Ball immer gleich weiter geben an die anderen (Gutachter, Gericht, Behörden...). In der jetzigen Lage kannst du nicht mehr von dem Anspruch ausgehen, dass du alles 100% richtig machst, lieber mal schnell weg damit. Wenn Mutter und Bruder dir jetzt nicht helfen, brauchen sie später auch nicht an deinen jetzigen Entscheidungen herumnörgeln. Jeden Tag eine Auszeit suchen...auch wenn dafür eigentlich keine Zeit wäre. Die Sterbebegleitung kostet die letzten Kraftreserven, diese müssen erstmal wieder aufgefüllt werden, die ständige Getriebenheit, das rasselnde und immer wieder über die gleichen Dinge gleich nachdenkende Gehirn muss erstmal zur Ruhe kommen. Irgendwann verselbständigte sich das...und man wird zu einer Art Automat...dieser Prozes kann nicht mit einer Tasse Tee und einer warmen Decke in 2 Tagen zurückgeschaltet werden. Es braucht Zeit, dass der Körper wieder regeneriert. Vorher würde ich mich noch nicht damit quälen, endlich zu wissen wie es weiter geht oder zwanghaft neue Leute kennenlernen, das macht extra noch Druck. Vorerst musst du noch keine neuen Heldentaten planen, vielleicht reicht auch eine Wohnung die nicht perfekt ist, aber Hauptsache du hast dort eine Art Ruhepol in Aussicht.

So würde ich es machen. Und wenn jemand auf dich warten muss, weil du es eben noch nicht geschafft hast, dann muss er warten.

Ob es ein Leben nach dem Tod gibt, das würde ich mal nicht endgültig entscheiden, wenn ich grad 2 Telefone in der Hand hab und 3 Briefe gleichzeitig tippe, der Wasserhahn tropft, der Hund auf den Teppich gemacht hat und der Putz von der Decke fällt. Damit kannst du dich doch später beschäftigen, ohne irgendeine Absicht, ohne dass dabei etwa herauskommen muss. Wenn wir wirklich nur den kurzen Zeitabschnitt hier haben, dann wäre es für mich zumindest unwahrscheinlich, dass er dazu da wäre, mich hier zu schinden und zu quälen und es allen recht zu machen...sondern dann wäre das mein Gestaltungsraum, meine Möglichkeit zum Erleben und Entdecken...in der wirklich alles, was da ist, dazu da ist, es auszuprobieren, zu nutzen, zu genießen oder damit etwas neues zu schaffen... und dann wäre das Leben ganz sicher keine Besserungsanstalt mit Arbeitsgelegenheit...

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mondlicht
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Beiträge: 657

Beitrag Fr., 21.07.2017, 23:33

Hallo Kelpie,

das ist ja eine irrsinnige Belastung. Dass Du unter diesen Bedingungen überhaupt noch so gut funktionierst (arbeitest, Geschäfte tätigst ...) ist bemerkenswert. Ich kann mit Hiobs Gedanken sehr viel anfangen und auch nicht besser ausdrücken, was mir dazu durch den Kopf geht.

Wenn Dir das Sertralin helfen kann, würde ich es auf jeden Fall jetzt nehmen - oder eventuell ein andere Antidepressivum. Tabletten können in Extremsituationen sehr wohl zur Lösung mancher Probleme beitragen. Zum Beispiel Schlaf fördern und Ruhezeiten ermöglichen.
Kelpie75 hat geschrieben: Di., 18.07.2017, 05:54 Ich weiß nicht, wie ich aus dem Tief finden kann.
Vielleicht geht es jetzt darum, das Tief zunächst anzunehmen und kennenzulernen in allen Facetten. Den "Kampf gegen" dieses Tief, also gegen Deine Erschöpfung, Trauer, Enttäuschung etc., wirst Du sowieso verlieren. Hilfreich kann in meinen Augen nur sein, Dir Zeit zu nehmen für Dich.

Ich habe vor einigen Jahren in einer Trauer eine Psychologin aufgesucht, die auf Trauer/ Sterben / Abschied spezialisiert ist. Wenn ein Trauercafe zeitlich nicht machbar ist, wäre das vielleicht eine Alternative.

Und last but not least: Du hast zwei Hunde, die laden Dich vielleicht immer wieder ein, im Augenblick zu sein. Ich würde mit ihnen möglichst viel in den Wald gehen, falls das möglich ist.

Viel Kraft und lieben Gruß!


Widow
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Beitrag Sa., 22.07.2017, 00:31

Hallo, Kelpie,

was fehlt Dir persönlich von Deinem Vater?
Davon habe ich nichts gelesen.

Und vielleicht fehlt da ja auch gar nichts oder nicht viel. Das wäre dann (aus meiner Sicht) gut.

Bürokratiestress im Zusammenhang mit einem Todesfall ist ätzend. Aber nichts Persönliches.

Du hast geschrieben,
dass Du Deine Mutter während des Sterbeprozesses Deines Vaters unterstützt hast; dass Dein Bruder sich distanziert hat; dass Dein Vater an seinem Lebensende ein von Pilzen befallenes Wrack war und Ihr Lebenden dagegen im Hospitz nichts tun konntet, dass Dir nun der religiöse Glaube an ein Leben nach dem Tod genommen worden ist, und dass Dein Vater seine Besitztümer nicht ordnungsgemäß hinterlassen hat.
All das ist vergleichsweise normal bei einem Todesfall.*

Was fehlt Dir persönlich von Deinem Vater?

Einen freundlichen Gruß von
Widow

*PS: (Mein Vater starb, da war ich knapp 33; mein Mann starb, da war ich knapp 43.)

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Kaonashi
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Beitrag Sa., 22.07.2017, 14:12

Kelpie75 hat geschrieben: Di., 18.07.2017, 05:54 Im Falle einer entsprechenden Diagnose werde ich mir rechtzeitig einen Ausweg suchen, der nichts mit Hospizen zu tun hat.
Ich auch. Das halte ich für sinnvoll. Dignitas und Co. werden mein Ausweg sein, falls bis dahin die Sterbehilfe in Dtl. weiterhin nicht legal sein sollte.

****

Vielleicht war es für dich schlimmer, ihn so lange leiden zu sehen, als dass er jetzt tot ist. Er war ja wahrscheinlich schon alt. Wäre er schnell und schmerzlos gestorben, wäre das zwar auch ein Schock gewesen, aber wahrscheinlich lange nicht so schlimm wie dieses lange Siechtum.

Folglich hat vermutlich deine Leidenszeit schon lange vor dem Tod begonnen. Als er noch lebte, musstest du durchhalten, aber jetzt ist er tot, der "Sinn" für deine Anstrengungen ist entfallen. Dass man dann psychisch sozusagen kollabiert, ist verständlich. Jetzt brauchst du Zeit, um alles zu verarbeiten. Aber dann geht es auch irgendwann wieder leichter.

Ich denke, in unserer Welt, wo der Tod eher ein Tabuthema ist, ist einem nicht so präsent, dass Sterben unter Umständen etwas sehr Schmerzhaftes, Elendes und Würdeloses sein kann. Dass Menschen dabei allmählich ihre Persönlichkeit verlieren und einem Prozess unterworfen sind, auf den sie selber keinen Einfluss mehr haben. Dass auch viele alte Menschen am Ende schlicht verhungern und dadurch verfallen. Da tut dann schon allein der Anblick weh. Sterben ist nicht immer so, wie man es sich vorstellt, dass man friedlich die Augen schließt, im Einklang mit der Welt. Als Angehöriger kann es daher eine schwierige Erfahrung sein, so ein Sterben mitzuerleben, weil man mit so etwas nicht rechnet und es dann sehr wehtut.

Aber letztendlich gehört auch das zum Leben dazu. Du kannst nichts dafür, bisher läuft das eben so ab. In der Zukunft wird es mehr Fälle mit Patientenverfügungen geben und auch mehr Leute, die sich das selbst ersparen und rechtzeitig vorsorgen. Das ist auch eine Form von Übernahme von Verantwortung für sich selbst, dass man sich überlegt, wie man es selber haben will und nicht abwartet und hofft, dass man gnädig im Schlaf stirbt. (Wer das Siechtum in Kauf nehmen will, kann das machen, aber bitte bewusst und nicht nur, weil das Thema Sterben immer verdrängt wurde oder man sich Denkverbote auferlegt hat.)
Sorry für den Exkurs im letzten Absatz, das mag etwas unpassend wirken. Aber ich vermute, es sind ja schon die Gedanken, die dich jetzt auch bewegen.

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