Probleme meines Partners stressen mich mehr als ihn

Die Psyche spielt eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung des körpereigenen Abwehrsystems: immer mehr Krankheiten werden heute als 'psychosomatisch' und damit ggf. psychotherapeutisch relevant betrachtet.
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Ylva
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Probleme meines Partners stressen mich mehr als ihn

Beitrag Di., 07.12.2021, 14:36

Hallo,

ich möchte fragen, ob diese Problemstellung bei jemandem bekannt ist, vielleicht auch, ob dieses Problem einen bestimmten Namen hat.

Ich habe einen Partner, den ich sehr liebe, seit vielen Jahren, aber mein Problem ist, dass, wenn ihm etwas Unangenehmes droht oder passiert, ich schlaflos liege, Herzschmerzen habe oder starke Bauchschmerzen und etwas wie ein extrem drängendes Gefühl, dass ich ihn "retten" muss (was ich natürlich nicht kann, denn diese Sachen sind dann zB ein Arzttermin mit ungewissem Ausgang (es war damals zum Glück etwas Gutartiges), ein verlorener Geldbeutel, Frust bei Freundschaft, ein kaputtes Fahrrad oder solche Dinge).

Ich weiß, dass es aus meiner Kindheit kommt, denn da hatte ich dieses Verhalten schon mit meiner Mutter. Ich wollte immer, dass ihr keinesfalls etwas Unangenehmes zustößt, und sei es noch so banal. Ich erinnere mich zB gut daran, dass sie ein Foto machen wollte und dann sagte: Och nein. Jetzt hab ich mein Blitzgerät vergessen!
Das tat mir so weh, dass ich am liebsten hätte heulen wollen und es heute noch weiß - dieses Beispiel nur, um die Unverhältnismäßigkeit meiner inneren Reaktionen zu zeigen.

Diese überschießenden "Es tut mir so Leid, könnte ich es doch aus der Welt schaffen, es darf einfach nicht so sein!" in Bezug auf eine geliebte Person, und die teils hefigen körperlichen Reaktionen darauf, habe ich immer für mich behalten.

Allerdings nervt es mich inzwischen, es stresst sehr und mich nervt auch, dass ich mein wichtigstes Gegenüber anscheinend immer innerlich in ein "armes Hascherl" verwandele, dem nichts Schlechtes passieren darf und das man retten muss. :roll:
Es wird ihnen nicht gerecht und ich hab ständig diese grässlichen Gefühle.

Hat jemand eine Idee, was das ist und was ich tun könnte?

Liebe Grüße, Ylva

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Pianolullaby
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Beitrag Di., 07.12.2021, 20:45

Helfersyndrom?
Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum

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wind of change
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Beitrag Di., 07.12.2021, 21:05

Dass du diesen "Beschützerinstinkt" deiner Mutter gegenüber hattest, könnte daran liegen, dass du Angst hattest sie zu verlieren* wenn ihr irgendwas passiert und damit letztlich auch selber was zu verlieren (nicht mehr "versorgt" zu sein, womit ich jetzt vor allem seelisch meine, dass deine kindlichen Bedürfnisse, ja kindliche Abhängigkeit, zu kurz kommen, du selbst letztlich zu kurz kommst und damit dein seelisches überleben nicht mehr gesichert war (um es mal ganz krass auszudrücken)). Wahrscheinlich hat sich das irgendwie ins Erwachsenenleben "übertragen", liest sich jedenfalls so, und dein Partner ist ja auch eine wichtige Bezugsperson für dich.

* vielleicht ist ja auch mal was vorgefallen, wo deine Mutter wirklich "in Gefahr" war und deine Angst rührt letztlich daher
Gehe so weit, wie du sehen kannst. Wenn du dort ankommst, wirst du sehen, wie es weitergeht.
(Autor unbekannt)
Wege entstehen, indem man sie geht. (Franz Kafka)
Glaub nicht alles was du denkst (Heinz Erhardt (?))


Waldschratin
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Beitrag Mi., 08.12.2021, 06:19

Hallo Ylva!
(Schöner Nick! Erinnert mich an Wickie :-D und die Bedeutung des Namens an sich find ich auch interessant : Wölfin. :flower:)

Woher das kommt, dass du so intensiv empfindest, kann dir natürlich so einfach niemand beantworten.
Das kann aus zig ganz unterschiedlichen Richtungen kommen : Konditioniert in der Kindheit, aber vielleicht "bist" du auch einfach so und das kommt v.a. in Bezug auf Herzensmenschen so richtig raus.
Das kann sogar an irgendwelchen körperlichen Stoffen liegen, die zu viel/zu wenig da sind oder sich gegenseitig in die Quere kommen.

Was sagt denn dein Partner dazu, dass du grade ihm gegenüber so reagierst?
Denn auch wenn du das für dich behältst bisher, mitbekommen tut das jemand, der einem so nah ist, halt doch.
Und da fänd ich interessant, wie der Partner das wahrnimmt und drauf reagiert.

Was du tun kannst :
Naja, erstmal dich jemandem anvertrauen, deinem Arzt z.B.
Dir einen Coach oder Therapeuten suchen und mal beleuchten, was da evtl. Auslöser sind etc.

Vordergründig finde ich aber, du solltest mal offen mit deinem Partner drüber reden.
Denn, wie gesagt, mitbekommen hat der bestimmt schon was. Und dann so unausgesprochen umeinander rumeiern, "dem Anderen zuliebe", ist meist der beste Boden für "Unkraut" in der Beziehung.

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Ylva
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Beitrag So., 12.12.2021, 15:33

Hallo ihr drei und danke schon mal für die Antworten!

Pianolullaby, ich habe nach dem Helfersyndrom gesucht und die Definition trifft bei mir nicht zu. Ich helfe ja nicht mal (es sei denn, ich werde konkret gebeten), kann zT auch gar nicht helfen und will auch keine Anerkennung und zwinge deswegen jemandem Hilfe auf. Da finde ich mich nirgendwo wieder.

wind of change
Ich bin nicht sicher. Den Ansatz habe ich auch überdacht, und da fiel mir etwas ein, was eher neu war. Ich habe einen Stiefvater, den ich aber nur pro Forma so nenne. Er kam erst in die Familie, als ich schon Ende 20 war. Er ist sehr lieb, aber ich sehe in ihm keinen Vater o.ä.
Ihm habe ich dieses Jahr etwas erzählt, was mir als Kind passiert ist. Er war immens betroffen und machte ein unglaublich trauriges, betroffenes, unglückliches Gesicht und starrte einige Minuten so vor sich hin.
Ich bekam innerlich sofort extremes Mitleid und dachte: "Ich werde ihm nie, nie wieder so etwas erzählen. Er darf nie, die wieder so traurig schauen müssen. Lieber behalte ich alles für mich."

Ich glaube, so wäre ich als Kind auch zu einem Vater gewesen, es fühlt sich absolut "eins mit mir" an, ich meine, ich war mit diesem Gefühl und denken in dem Moment total identifiziert, sehr bekannt fühlte sich das an.

Es ist irgendwie weniger "beschützen, weil ich die Eltern brauche", als merkwürdigerweise ein Gefühl, dass ich eher glaube, Schmerz aushalten zu können als die Eltern.

Meiner Mutter ist mal etwas passiert, eine Gewalttat nachts in der Stadt, und als sie mir das erzählte (ich war schon Teenagerin), war mein erster Gedanke: "Warum musste ihrem geliebten Körper Gewalt angetan werden? Das darf nicht sein! Lieber wäre ich es gewesen!"

Irgendwas stimmt da mit meinen Gefühlen nicht.

Waldschratin, ja, den Namen habe ich von Wickie. ^^" Allerdings kenne ich nur die alte Zeichentrickserie von früher.

Also, mit meinem Partner spreche ich auf jeden Fall darüber. Ich sage Dinge wie: "Das tut mir schrecklich leid, dass du..." oder "Es tut mir mit weh, wenn dir x passiert ist..." oder "Das belastet mich im Moment auch, dass dir das passiert ist".
Was ich ihm nicht sage, ist das Ausmaß. Dass ich nachts da liege und mir übel ist oder ich Herzdruck bekomme oder ähnliches, also, dieses Überschießende, das behalte ich für mich, weil ich nicht möchte, dass er sonst denkt: Ich kann ihr gar nichts mehr sagen, sonst reagiert sie körperlich wieder so massiv.

Mein Herz habe ich schon checken lassen, das ist gesund. Und Therapie.. ach, ich hab soo viele Baustellen und mehrere Therapien hinter mir. Im Moment habe ich nicht die Energie dafür, wieder jemanden zu suchen, und ich hatte trotzdem (vor 2-3 Monaten, wegen Depression) noch mal einige Therapeutinnen angerufen, die alle nicht mal mehr auf die Warteliste setzen ließen. So habe ich zurzeit eben das übliche Antidepressivum.

Ich dachte einfach, vielleicht finde ich jemanden, der das kennt. LG :lupe:


Waldschratin
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Beitrag So., 12.12.2021, 16:42

Liebe Ylva,
hast du denn schon mal in deinen bisherigen Therapien auch darüber mit geredet oder gearbeitet?
Kannst dich vielleicht an irgendwas Erklärendes oder Hilfreiches aus dieser Zeit erinnern?

Es liest sich ja für mich so, als ob du die "Komplettfürsorge" für diesen Menschen dann auf dich selber übernimmst. Könnte ich mir z.B. mit Angst vor Kontrollverlust erklären.
Ich erlebs grade selber, dass ich der Not naher Familienangehöriger nicht abhelfen kann, nicht trösten, nicht unterstützen, rein gar nichts tun oder sein kann, was auch nur ein klein wenig erleichternd sein könnte. Und das macht mich so hilflos, ich steh ohnmächtig daneben und wenn ich eins hasse, dann Ohnmacht erleben zu müssen...

Indem du dann so eine Not komplett zu der deinen machst, könnte es dich vor diesem Ausgeliefertsein schützen.

Sind jetzt nur meine spontanen Gedanken dazu.
Könnte aber das Überschießende ein bissl erklären, dass dich dann gar so mitnimmt.

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Ylva
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Beitrag So., 12.12.2021, 16:58

Liebe Waldschratin,
irgendwie klingt was in mir, wenn ich deine Antwort lese. Dem muss ich mal genauer nachgehen, nur schnell einen Dank erst mal! Ylva

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münchnerkindl
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Beitrag So., 12.12.2021, 18:46

Ylva hat geschrieben: So., 12.12.2021, 15:33 Ihm habe ich dieses Jahr etwas erzählt, was mir als Kind passiert ist. Er war immens betroffen und machte ein unglaublich trauriges, betroffenes, unglückliches Gesicht und starrte einige Minuten so vor sich hin.
Ich bekam innerlich sofort extremes Mitleid und dachte: "Ich werde ihm nie, nie wieder so etwas erzählen. Er darf nie, die wieder so traurig schauen müssen. Lieber behalte ich alles für mich."

Ich glaube, so wäre ich als Kind auch zu einem Vater gewesen, es fühlt sich absolut "eins mit mir" an, ich meine, ich war mit diesem Gefühl und denken in dem Moment total identifiziert, sehr bekannt fühlte sich das an.

Es ist irgendwie weniger "beschützen, weil ich die Eltern brauche", als merkwürdigerweise ein Gefühl, dass ich eher glaube, Schmerz aushalten zu können als die Eltern.

Meiner Mutter ist mal etwas passiert, eine Gewalttat nachts in der Stadt, und als sie mir das erzählte (ich war schon Teenagerin), war mein erster Gedanke: "Warum musste ihrem geliebten Körper Gewalt angetan werden? Das darf nicht sein! Lieber wäre ich es gewesen!"

Irgendwas stimmt da mit meinen Gefühlen nicht.


Das hat ja auch a bisserl eine übergriffige Qualität. Du entscheidest, was andere erwachsene Menschen fühlen dürfen und was nicht, was sie angeblich "aushalten können" und was nicht. Da geht es nicht so sehr um die andere Person so wie sie ist sondern was DU meinst, fühlst. Das ist also kein echt altruistischer Wunsch dass die andere Person nicht leiden soll.

Ist das eigentlich der einzige Bereich wo du so eine Entgrenzung gegenüber anderen Menschen erlebst und kontrollieren willst was die andere Person tut, erlebt oder fühlt?

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lisbeth
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Beitrag Mo., 13.12.2021, 07:45

Ich kenne das als eine Art übersteigertes Verantwortungsgefühl, dass ich mich für alles und jeden zuständig fühle, auch wenn ich es gar nicht bin. Bei mir ist es definitiv aus der Familiendynamik heraus entstanden: Frühe Parentifizierung (als älteste Tochter) und dazu Eltern, die ihre Rolle nicht wirklich ausgefüllt haben. So dass bei mir als Kind das Gefühl entstand, ich müsste die Dinge selbst in die Hand nehmen und auf sie mit "aufpassen".
Da steckt auch eine gehörige Portion kindliches Allmachtsgefühl mit drin. Und ich glaube auch das ist eine Strategie, um mit der Überforderung umzugehen. Und als Kind war ich meistens auch irgendwie "stolz" darauf, das war meine Leistung, ich war wichtig... Sozusagen eine Strategie, um mir meine "Daseinsberechtigung" zu verdienen.

Die Gefühle, die da bei dir überschießen und die psychosomatischen Reaktionen? Das könnten Kompensationsmechanismen sein. Oder auch einfach ein Zeichen, dass bei euch in der Familie keine wirkliche innere Abgrenzung möglich war, dh dass du es nie lernen konntest.

Wenn du daran was ändern willst, dann würde ich mir dafür nochmal therapeutische Begleitung suchen an deiner Stelle. Das ist nicht nur ein "Kopf-Problem" - (und du reagierst ja auch körperlich). Als ich anfing, an diesem Muster etwas zu verändern, wurden die ganzen Ängste nochmal ganz anders greifbar und suchten sich neue Kanäle. Und unter der Angst lag ganz viel Wut... Da kann es schon hilfreich sein, mit diesem Gefühlsknoten nicht alleine da zu stehen.

Alles Gute für dich!

PS - Die Baustellen sind meist keine isolierten Einheiten, oder einsame Inseln. Ich glaube schon, die Depressionen könnten sehr wohl auch damit zusammenhängen. Denn du überforderst dich ja mit dieser Erwartung an dich selbst, dass du den anderen "retten" müsstest und "scheiterst" da ja auch dran...
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Ylva
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Beitrag Mo., 13.12.2021, 09:05

Münchnerkindl
nein, ich bin eher das Gegenteil von übergriffig. Zumindest ist mir das oft im Leben rückgemeldet worden, dass man mich sozusagen kaum merkt.
Allerdings muss ich gestehen, dass ich es mir fast wünsche, dass es stimmt, was du schreibst. Dass es übergriffig wäre oder ist, von mir, weil das schlicht heißen würde, dass es nur wünschenswert ist, wenn ich es lasse/ n kann.

lisbeth,
was meinst du mit Allmachtsgefühl? Ich hab eher ein Ohnmachtsgefühl. Alles, was ich machen kann, ist, wenigstens "schlimme eigene Sachen" nicht erzählen. Alles Andere, was der Mutter zB zugestoßen ist, da konnte oder kann ich ja gar nichts ändern, nur wünschen, dass ihr es nicht passiert wäre.
Aber mit der Erwartung, dass ich irgendwas tun müsste, um [upps, jetzt wollte ich gerade schreiben, nicht Last zu sein]

witzig. Das kam quasi von selber. Und fühlt sich total richtig an. "Ich bin so eine Last, dass ich zumindest was tun müsste, um sonstig das Leben derer zu erleichtern, die sich mit mir rumschlagen müssen."
Das passt extrem zu früher. Jetzt ist mir gerade kotzübel. Aber cool, wie das manchmal so "hoch kommt", wie aus Versehen.

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lisbeth
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Beitrag Mo., 13.12.2021, 09:20

Ylva hat geschrieben: Mo., 13.12.2021, 09:05 lisbeth,
was meinst du mit Allmachtsgefühl? Ich hab eher ein Ohnmachtsgefühl. Alles, was ich machen kann, ist, wenigstens "schlimme eigene Sachen" nicht erzählen. Alles Andere, was der Mutter zB zugestoßen ist, da konnte oder kann ich ja gar nichts ändern, nur wünschen, dass ihr es nicht passiert wäre.
Aber mit der Erwartung, dass ich irgendwas tun müsste, um [upps, jetzt wollte ich gerade schreiben, nicht Last zu sein]
Das Allmachtsgefühl ist die andere Seite vom Ohnmachtsgefühl. Du als Erwachsene heute weißt im Kopf, dass du auf die Situation keinen Einfluss hast.
Ein Kind weiß das so (noch) nicht. Und es ist sozusagen eine Art kindlicher 'Größenwahn' dass ein Kind sich einredet, die Eltern vor etwas beschützen zu müssen. Kinder greifen oft zu dieser Strategie, gerade damit sie die eigene Ohnmacht und Ausweglosigkeit der Situation nicht spüren müssen.
Und auch, um sich vor der eigenen Wut zu schützen. Denn wenn man die Wut auf diejenigen spürt von denen man als Kind abhängig ist, dann ist das gefährlich, weil man als Kind noch nicht auf seinen eigenen Beinen steht.... Und ja, auch Kompensation für Minderwertigkeitsgefühle: keine Last sein dürfen, wichtig und unentbehrlich sein wollen, es gibt manchmal sogar Anerkennung dafür...
Ylva hat geschrieben: Mo., 13.12.2021, 09:05 nein, ich bin eher das Gegenteil von übergriffig. Zumindest ist mir das oft im Leben rückgemeldet worden, dass man mich sozusagen kaum merkt
Das ist emotional übergriffig, was du da machst. Auch wenn du mit niemandem drüber redest. Das ist an der Stelle egal. Du erhebst dich innerlich über den anderen. Meinst zu wissen was für ihn gut ist und was nicht. Meinst zu wissen was er aushalten kann und was nicht...
Es sind DEINE Ängste, der andere hat vermutlich gar kein Problem. Oder jedenfalls kein so großes wie du es machst.

Nochmal: such dir dafür Unterstützung. Das lässt sich nicht auf dem Reißbrett auflösen und solche Themen gehen (nach meiner Erfahrung) echt ans Eingemachte.
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Ylva
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Beitrag Mo., 13.12.2021, 10:04

lisbeth,
ich verstehe das tatsächlich nicht.
Warum ist es übergriffig, wenn ich anderen Menschen belastende Dinge von mir nicht erzähle?
Ich habe es so gelernt, dass es egoistisch ist, WENN ich das tue.

Das fühlt sich wie eine eklige Zwickmühle an - erzähle ich es, bin ich egoistisch/egozentrisch, erzähle ich es nicht, bin ich übergriffig.

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lisbeth
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Beitrag Mo., 13.12.2021, 11:53

Liebe Ylva,

vorab: "übergriffig" meine ich eher beschreibend als bewertend. Ich meine das nicht im Sinne von egoistisch oder so ähnlich.

Ich glaube schon, dass du mit diesen Gedanken/Gefühlen eine "Grenze" überschreitest, und für mich gehts da gar nicht darum, ob du drüber mit der Person sprichst oder nicht. Du bist ja innerlich zB viel mehr bei deinem Partner als bei dir.
Indem du innerlich am Rad drehst und den anderen am liebsten vor allem Unangenehmen oder Schädlichem bewahren willst, willst du ja auch über ihn bestimmen. Bei kleinen Kindern ist das völlig angemessen. Bei erwachsenen Menschen, die gut für sich selbst sorgen können, hat das nach meinem Empfinden schon etwas Übergriffiges: Denn indem du das aus der Welt schaffen willst, sprichst du dem anderen ab, dass er sich selbst ganz gut um sich kümmern kann. Es hält den anderen oft auch klein. Und du agierst aus einer Position der (imaginierten) Überlegenheit heraus.
Und ich glaube schon, dass sich diese innere Haltung auch in der Beziehungsdynamik niederschlägt, egal ob du drüber redest oder nicht. Im Grunde sagst du ihm ja mit deiner Haltung: Wie kannst du nur so entspannt sein, siehst du nicht, dass du in akuter Lebensgefahr bist??? Du sprichst ihm quasi seine aktuelle Haltung ab.

Klar gibt es Situationen, wo der andere absolut nicht kapiert oder kapieren will, dass es brenzlig ist. Und da ist es auch mehr als angemessen, klare Worte zu finden und in die Konfrontation zu gehen. Aber du sagst ja selbst, dass deine Ängste und Befürchtungen in ihrem Ausmaß eher unangemessen sind. Sie gehen aber nicht davon weg, dass du sie deckelst und so tust als wären sie nicht da.

Der Weg raus führt (für mich jedenfalls) durch die Auseinandersetzung. Drüber reden. Mit meiner Therapeutin. Und z.T. auch mit Leuten in meinem Umfeld. Denn die müssen mich auch hin und wieder mal zur Ordnung rufen, wenn ich wieder anfange, Verantwortungen zu übernehmen, die nicht meine sind.
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Beitrag Mo., 13.12.2021, 12:11

Um es bildhaft auszudrücken:

Dein Partner muss einen Karton zum Auto tragen.
Er findet überhaupt nichts dabei, findet den Karton auch nicht zu schwer und hat auch keine körperlichen Einschränkungen, die es für ihn irgendwie schwierig machen würden, den Karton zum Auto zu bringen.

Du dagegen denkst: OhGott ohGott, der Karton ist viel zu schwer! Er kann den gar nicht zum Auto bringen. Er wird sich daran überheben! Er wird zusammen brechen! Er wird ausrutschen und stürzen und dann....*

Und auch wenn du das nicht aussprichst: Du wirst vielleicht wie eine Helikoptermama ungefragt um ihn herumrotieren und ihn nicht aus den Augen lassen. Läufst ihm vielleicht in deiner Besorgnis ständig vor die Füße und bist so fast selbst ein Hindernis. Oder du reißt ihm den Karton ungefragt aus der Hand, um ihn selbst ins Auto zu stellen, was deinen Partner vielleicht irritierend wundert oder sogar ärgert.

* Das spannende ist: womit füllst du diese Lücke aus? Wovor hast du Angst? Es kann sein, dass du wirklich Angst hat, dass ihm etwas passiert. Oder dass du davor Angst hast, dass er dir Vorwürfe macht im Sinne von "warum hast du nicht...?" und das mit deiner "Sorge" vorwegnehmen willst. Oder du willst verhindern, dass er stolpert, weil das deinen Zeitplan durcheinander bringt, wenn du dich dann um ihn kümmern musst, selber machen ist also "einfacher" und "bequemer"... Gibt noch 1000 andere Gründe.

Anstatt also gar nicht drüber zu reden, oder ihm ungefragt den Karton aus der Hand zu nehmen, könntest du ihn auch einfach mal fragen:
Sag mal, brauchst du Hilfe?
Und dann sagt er vielleicht: Den Karton kann ich gut tragen, danke. Aber könntest du mir bitte die Türe aufhalten?
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candle.
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Beitrag Mo., 13.12.2021, 13:39

Ylva hat geschrieben: Mo., 13.12.2021, 09:05 Alles Andere, was der Mutter zB zugestoßen ist, da konnte oder kann ich ja gar nichts ändern, nur wünschen, dass ihr es nicht passiert wäre.
Ich weiß nicht wie das früher kommuniziert wurde, aber offenbar hat deine Mutter da keine Rücksicht auf dich genommen. Ich hatte eher die Idee, dass es dir in solchen Situationen vielleicht an Aufmerksamkeit mangelt, wenn dein Mann wegen Erkrankungen im Fokus steht.

Beurteilen will ich hier aber wirklich nichts, dafür weiß ich einfach zu wenig über dich und deine Beziehung und die Problematik.

LG candle
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