Intensität der 'Erstverschlechterung'

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
Antworten
Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Madame Wunderlich
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 34
Beiträge: 5

Intensität der "Erstverschlechterung"

Beitrag Mo., 15.08.2022, 11:23

Hallo Ihr Lieben,

Ich mache zur Zeit eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Im letzten Jahr hatte ich ein traumatisches Erlebnis, allerdings auch schon vorher phasenweise mit psychischen Problem zu kämpfen. Normalerweise bin ich der Typ Mensch, der eben einfach funktioniert, sich zusammenreißt und "aushält". Weil "es auch gar nicht anders geht". Nach dem Ereignis im letzten Sommer ging für 6 Wochen nichts mehr bei mir. Ich war krank geschrieben und durchlebte die Tage ohne jegliches Zeitgefühl. Danach ging ich wieder arbeiten. Zusätzlich studiere ich nebenberuflich noch. Auch das hab ich weiter durchgezogen. Um Weihnachten 2021 herum hatte ich die erste Sprechstunde bei meiner jetzigen Therapeutin. Wir haben die Zeit der Sprechstunden und probatorischen Sitzungen in die Länge gezogen bis sie einen festen Platz für mich hatte. Von der allerersten telefonischen Kontaktaufnahme (die war schon vor dem angesprochenen Ereignis) bis zur ersten "regulären" Therapiestunde sind fast eineinhalb Jahre vergangen.

Ich hatte nun vier reguläre Termine alle 14 Tage (plus 5 oder 6 vor der Antragstellung) und habe das Gefühl, ich kann nicht mehr abbremsen, was da nun alles in der Masse hochkommt. Natürlich ist mir bewusst, dass es ja auch genau darum geht. Es wirkt nur so als hätte ich jegliche Kontrolle darüber verloren. Es ist auch gar nicht das Erlebnis aus dem letzten Jahr, sondern viel mehr allerlei Nebenschauplätze und größere Themen, die schon vorher existierten - leider gefühlt alles gleichzeitig. Normalerweise hab ich das gut verpackt. Der Plan war ja auch, das dosiert und eben gemeinsam mit meiner Therapeutin nach und nach anzugehen. Aber obwohl ich zu Therapiebeginn in keiner akuten Krise steckte, hat es sich jetzt so schnell so sehr verselbstständigt, dass ich komplett überfordert bin. Ich schlafe sehr wenig und sehr schlecht, arbeiten funktioniert kaum noch und ich habe innerhalb der letzten 7 Tage 4,5kg abgenommen. Es ist nicht so, dass ich denke, dass ich gleich zusammenbreche. Auch emotional passiert dabei so gar nichts, ich fühle mich auch nicht depressiv oder antriebslos. Aber es strengt mich unglaublich an und ich kann dieses Gefühl, das nicht steuern oder beherrschen zu können nur sehr schlecht aushalten. Noch bin ich auf dem "Du musst das jetzt aber aushalten!"-Trip, aber ich ertappe mich immer wieder dabei, darüber nachzudenken, mich krank schreiben zu lassen. Gleichzeitig macht mir das eine Heidenangst, ich habe doch gerade erst angefangen mit der Therapie. Zudem läuft mein Arbeitsvertrag Ende des Jahres aus und ich möchte gerne an derselben Stelle in eine andere Funktion wechseln. Die Unipause ist auch in 14 Tagen vorbei. Es ist das übliche "Jetzt gerade geht es absolut nicht!". Das kenne ich ja von mir. Was ich aber nicht kenne, ist das Gefühl, so wahnsinnig erschöpft zu sein, dass ich glaube, bald gar keine andere Wahl mehr zu haben. Eben dieser Kontrollverlust.

Ich weiß, Ihr könnt mir nicht sagen, ob ich mich nun krank schreiben lassen soll oder nicht. Das möchte ich auch gar nicht. Viel mehr würde mich interessieren, ob Ihr ähnliche Erfahrungen gemacht habt.
Von einer "Erstverschlechterung" habe ich schon gehört und natürlich weiß ich auch um die Nebenwirkungen einer Psychotherapie. Das ist keine Spaßveranstaltung, sondern Arbeit und davor scheue ich mich auch nicht. Diese Intensität jetzt erschreckt mich aber einfach sehr und vor allem auch, dass das so schnell geht. Ich habe normalerweise eine ganz schön hohe und dicke Mauer, hinter die ich niemanden schauen lasse. Meine Therapeutin hat diese Mauer gefühlt dreimal schief angesehen und schon war kein einziger Stein mehr zu sehen. Das ist natürlich sinnvoll im Rahmen der Therapie und irgendwie ja auch ein gutes Zeichen, dass die therapeutische Beziehung/das Vertrauen passt. Dummerweise ist dabei aber eben auch die innere Mauer, die meine Themen gut verpackt hält, irgendwie undicht geworden. Im Übrigen ohne aktives Zutun der Therapeutin - ein Thema wurde kurz "im Vorbeigehen" gestreift, alle anderen noch nicht angesprochen. Ich kenne mich so überhaupt nicht und das irritiert mich zusätzlich!

Ich habe mir für nächste Stunde am kommenden Montag vorgenommen, das alles so anzusprechen und auch, darum zu bitten, die Frequenz der Sitzungen auf wöchentliche Termine zu erhöhen, sofern das möglich ist. Es fällt mir unendlich schwer, um Dinge zu bitten, aber ich merke, dass ich Hilfe beim "Einfangen" dieser Themen benötige und auch, dass ich aktuell sehr auf die jeweils nächste Stunde warte (dass ich dabei Angst habe, schon jetzt abhängig geworden zu sein, ist eine andere Geschichte!). Ich hoffe sehr, dass ich mich dazu durchringen kann.

Vielleicht hat ja der/die eine oder andere ein paar hilfreiche Worte und sei es nur "Mir ging das damals auch so oder so ähnlich." Das hier so aufschreiben zu können, tat aber schon jetzt sehr gut.

Madame Wunderlich

Werbung

Benutzeravatar

chrysokoll
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 45
Beiträge: 3661

Beitrag Mo., 15.08.2022, 11:39

Der Start in deine Therapie war und ist mehr als unglücklich
1,5 Jahre bis es mal anfängt ??
Hast du nie weitere Therapeuten kontaktiert, versucht einen anderen Platz zu finden, dich auf weitere Wartelisten setzen lassen?

Was diese Therapeutin macht finde ich verantwortungslos.
Nach einem traumatischen Ereignis (von dem sie doch sicherlich Kenntnis hat ?) kann doch nicht einfach abgewartet werden. Und ganz ehrlich, das sollte zeitnah von jemand mit Traumaqualifikation bearbeitet werden. Da kann man doch nicht zusehen wie du weiter abrutschst, wie du geflutet wirst und mal gemächlich ein Jahr später anfangen.

Ich finde es sehr wichtig dass du das in der nächsten Stunde deutlich ansprichst, eine wöchentliche Stundenfrequenz ist wirklich normal und wenn sie das auch weiterhin nicht bieten kann solltest du dich nach Alternativen umsehen.

Wenn es dir jetzt sehr schlecht geht ist seine Krankschreibung, eine kurze Pause ganz sicher sinnvoll.

Und notfalls sogar ein kurzer, stabilisierender Klinikaufenthalt.
Hast du einen guten Hausarzt? Einen Psychiater? Eine Ambulanz in der Nähe?

Benutzeravatar

alatan
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 48
Beiträge: 940

Beitrag Mo., 15.08.2022, 11:54

chrysokoll hat geschrieben: Mo., 15.08.2022, 11:39 Ich finde es sehr wichtig dass du das in der nächsten Stunde deutlich ansprichst, eine wöchentliche Stundenfrequenz ist wirklich normal und wenn sie das auch weiterhin nicht bieten kann solltest du dich nach Alternativen umsehen.
Finde ich auch. Es spricht nicht für wesentliche psychodynamische Kenntnisse, nur eine 2-Wochen-Frequenz anzubieten.

Benutzeravatar

münchnerkindl
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 38
Beiträge: 9547

Beitrag Mo., 15.08.2022, 13:18

Also erst mal, bei so einer komplexen Problematik, altes Zeugs, ungesunde lange bestehende Bewältigungsstrategie "mit Willenskraft durchhalten" und dann noch eine einmalige relativ aktuelle Traumatisierung brauchst du erstens mehr als eine Stunde alle 2 Wochen, und du brauchst jemanden der explizit mit Traumatisierungen auskennt, und mit dir gemeinsam abschätzen kann wie viel Exposition von Ungutem du verkrafte kannst ohne dass es dich überwältigt und der mit dir sinnvolle Bewältigungsstrategien erarbeitet.

Ich würde dich da ehrlich gesagt eher bei einem traumatherapeutisch arbeitenden Verhaltenstherapeuten sehen der dir hilft im Hier und Jetzt einen besseren und gesünderen Umgang mit dir selbst zu erarbeiten und dich zu stabilisieren. Stichwort ressourcenorientierte Therapie.
Es ist bei Traumatisierungen nicht unbedingt nötig, den ganzen Kram im Detail hochzuholen um das zu bessern. Ob, wann und in welchem Umfang man das machen sollte ist extrem individuell. Und bei jedem unkontrollierten Hochholen ohne Bewältigugnsfähigeiten um das abzufangen riskierst du Retraumatisierung und Destabiilisierung.

Ob Reden über traumatische Erlebnisse entlastet oder nicht hängt von so vielen Faktoren ab, und nein, es ist nicht automatisch entlastend, es ist in vielen Fällen genau das Gegenteil, und es ist der Job des qualifizeirten Therapeuten da genau drauf zu achten.

Exposition von unguten Vergangenheitsinhalten kann auch nur gemacht werden wenn man stabil genug ist und auch Methoden an der Hand hat um sich wenn nötig zu stabilisieren wenn hochgeholte Sachen belasten.

Und es ist definitiv NICHT sinnvoll, wenn der Therapeut Schutzmechanismen des Klienten mit gezielten Fragen oder was auch immer einfach so "zum Einsturz bringt" wie du es gesagt hat. Nach so kurzer Zeit mit dem Therapeuten ist es VIEL zu früh, und der Prozess darf nicht vom Therapeuten ausgehen oder forciert werden, weil du als traumatisierter Mensch ja sehr gute Gründe hast dass du Grenzen setzt. Die einfach zu übergehen ist wieder ein Übergriff und erzeugt aufgrund der Traumatisierung die komplette Panik.

Ich würde also mit dem Therapeuten DRINGEND das Vorgehen besprechen und erst mal mit ihm anschauen was du brauchst.

Werbung

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Madame Wunderlich
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 34
Beiträge: 5

Beitrag Mo., 15.08.2022, 13:39

Danke Euch für Eure Antworten, chrysokoll und alatan.

Tatsächlich gehen die 1,5 Jahre Wartezeit allein auf meine Kappe. Der erste telefonische Kontakt fand vor dem traumatischen Erlebnis statt, ich war stabil und wollte Dinge aufarbeiten, die mir immer wieder im Weg standen und für deren Ursache ich zwar eine Vermutung hatte, aber eben keine genaue Kenntnis. Bei unserem ersten Telefonat sagte sie mir, dass sie keinen Platz frei hätte und ermunterte mich, weiterzusuchen, nannte mir auch Namen von Kolleginnen und Kollegen. Sollte ich so gar nicht weiterkommen, könnte ich sie in einigen Wochen noch einmal anrufen, um dann zu schauen, ob sich etwas machen ließe.

Dazu muss ich allerdings erwähnen, dass ich hier sehr ländlich wohne und Psychotherapeuten im Umkreis ohnehin rar gesät sind und welche, die tiefenpsychologisch arbeiten, noch rarer. Und dann sollte es auch noch unbedingt eine Frau sein. Da blieben drei in einigermaßen bewältigbarer Entfernung übrig. Bei einer war gar nichts zu machen, bei einer weiteren besuchte ich eine Sprechstunde und fühlte mich von vorne bis hinten unwohl. Mit allem. Also rief ich nochmals meine jetzige Therapeutin an und wir vereinbarten eine erste Sprechstunde, allerdings auch nochmal mit kräftig Wartezeit bis dahin. In der Zwischenzeit telefonierte ich "Plan B"-Therapeutinnen ab und fühlte mich aber nicht wohl dabei, sodass ich es irgendwann ließ.

Während der Wartezeit fand das angesprochene Erlebnis und die daran anschließende sechswöchige "Zombiephase" statt. Danach switchte ich wieder aufs Funktionieren um und konnte meinen Alltag weitestgehend normal bewältigen. In der Sprechstunde umriss ich das Ereignis grob und meine Therapeutin regte zu einer stationären Aufnahme an und erläuterte erneut die Problematik des fehlenden Platzes bei ihr. Mir waren Arbeit und Studium zu wichtig, sodass eine Klinik nicht für mich in Frage kam. Wir vereinbarten die eingangs erwähnten längeren Zeiträume zwischen den Abläufen und sie händigte mir eine Liste von allen Psychotherapeuten im Umkreis aus. Ich nahm die folgenden Termine war und bei unserem dritten Termin entschied ich klar, dass ich die Therapie bei ihr beginnen möchte.
Was ich damit sagen will: Ich war zu der Zeit stabil (so jedenfalls meine eigene Wahrnehmung), betonte das auch und ließ mich bewusst auf die Wartezeit ein. Ich habe dafür gekämpft, diese Therapie in dieser Form so zu machen. Ich fühle mich sehr gut aufgehoben bei meiner Therapeutin und war deshalb auch ein bisschen erschrocken über Eure Worte. Vermutlich habe ich das zuvor nicht klar genug benannt. Es geht mir nicht darum, dass ich mich in dem Therapiesetting nicht wohl fühle, sondern viel mehr um meine eigene, für mich schwer zu greifende Reaktion.

Dass der 14 Tage-Rhythmus eher ungewöhnlich ist, wurde mir aber auch spätestens beim Lesen hier im Forum bewusst. Das ist tatsächlich das Einzige, was sich nicht passend anfühlt. Ich denke aber, dass die Notwendigkeit häufigerer Termine erstmal nicht erkennbar war, eben weil ich stabil war. Für mich war das zu Beginn absolut in Ordnung so, ich brauchte nicht mehr. Jetzt aber schon..
Aber das und auch die Tatsache, dass ich jetzt so absaufe, weiß meine Therapeutin noch nicht. So sehr verselbstständigt hat es sich erst seit dem letzten Termin. Zuvor gab es kurze Momente, von denen ich auch berichtet habe und aber auch, dass ich die - gerade durchs Arbeiten! - gut abgefedert bekomme. Mal eben anrufen und berichten bzw. "Zuwendung einfordern" ist für mich schwierig. Bis nächsten Montag komme ich hin. Aber Eure Beiträge haben ich in meinem Entschluss bestärkt, dann über eine höhere Frequenz der Stunden zu sprechen.
Danke Euch!

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Madame Wunderlich
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 34
Beiträge: 5

Beitrag Mo., 15.08.2022, 13:54

Auch Dir vielen Dank für Deine Worte und Deine Einschätzung, münchnerkindl.
münchnerkindl hat geschrieben: Mo., 15.08.2022, 13:18
Und es ist definitiv NICHT sinnvoll, wenn der Therapeut Schutzmechanismen des Klienten mit gezielten Fragen oder was auch immer einfach so "zum Einsturz bringt" wie du es gesagt hat. Nach so kurzer Zeit mit dem Therapeuten ist es VIEL zu früh, und der Prozess darf nicht vom Therapeuten ausgehen oder forciert werden, weil du als traumatisierter Mensch ja sehr gute Gründe hast dass du Grenzen setzt. Die einfach zu übergehen ist wieder ein Übergriff und erzeugt aufgrund der Traumatisierung die komplette Panik.
Da hab ich mich wohl missverständlich ausgedrückt. Die Therapeutin hat das Einstürzen meiner Mauer nicht forciert. Sie hat weder gebohrt, noch übermäßig gefragt. Zu keiner Zeit war sie übergriffig oder grenzüberschreitend, ganz im Gegenteil! Es war viel mehr so, dass es einfach aus mir raus floss und die Mauer eben einfach weg war. Das kenne ich so aber nicht, vor allem nicht so schnell. In allen anderen Sozialkontakten ist diese Mauer da. Es fühlt sich auch nicht schlimm an, dass sie "mich sieht". Nur wahnsinnig irritierend. Schlimm fühlt sich an, dass sich meine Themen nicht mehr im Zaum halten lassen, also sozusagen die innere Mauer, die ja auch tatsächlich dazu dient, mich selbst zu schützen. Aber auch hier hat sie keinerlei Anstalten gemacht, "einzudringen".

Ich fühle mich sehr wohl mit meiner Therapeutin. Nur mit den Nebenwirkungen gerade nicht..

Benutzeravatar

Candykills
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
männlich/male, 30
Beiträge: 4852

Beitrag Mo., 15.08.2022, 15:11

Das lässt sich leider überhaupt nicht prognostizieren, ob das eine kurzfristige "Erstverschlechterung" ist, oder ob da jetzt einfach der Deckel weg ist und das weitere Deckeln trotz Strategien erfolglos bleibt.
Deswegen bringt es auch nicht viel, wenn andere dir schreiben, wie lange es bei ihnen gedauert hat.
Vernünftig ist in so einer Situation - und das hast du ja bereits vor - um eine höhere Frequenz zu bitten. Und dann möglichst Strategien erarbeiten, wie du selbst etwas Abstand nehmen kannst zu den Themen, die da jetzt so stark an die Oberfläche drängen.
Vielleicht hilft dir allein schon, wenn die Frequenz erhöht wird. Dass die Erhöhung schon Druck raus nimmt.

Ich glaube wichtig ist, nicht zu erwarten. Damit meine ich, dass du jetzt nicht ständig in Wartestellung dann verbringst, wann endlich wieder alles gut ist, sondern in kleinen Schritten schaust, dass sich wieder Besserung einstellt. Also in der Therapie von Woche zu Woche zum Beispiel zu schauen und nicht, was du in einem halben Jahr erreicht haben willst. Weil sowas lässt sich nicht planen. Manchmal macht man mega Sprünge, manchmal hat man das Gefühl, dass sich über längere Zeit gar nichts tut.

Wenn sonst alles passt in der Therapie (außer die Frequenz), dann hast du sicher gute Chancen, dass ihr das gemeinsam in den Griff bekommt.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Madame Wunderlich
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 34
Beiträge: 5

Beitrag Mo., 15.08.2022, 19:40

Candykills hat geschrieben: Mo., 15.08.2022, 15:11 Ich glaube wichtig ist, nicht zu erwarten. Damit meine ich, dass du jetzt nicht ständig in Wartestellung dann verbringst, wann endlich wieder alles gut ist, sondern in kleinen Schritten schaust, dass sich wieder Besserung einstellt. Also in der Therapie von Woche zu Woche zum Beispiel zu schauen und nicht, was du in einem halben Jahr erreicht haben willst. Weil sowas lässt sich nicht planen. Manchmal macht man mega Sprünge, manchmal hat man das Gefühl, dass sich über längere Zeit gar nichts tut.
Lieber Candykills,
vielen Dank für den Denkanstoß. Hab mich tatsächlich ein bisschen "ertappt" gefühlt, denn eine gewisse Ungeduld mit mir selbst und auch ein Art übersteigerter Ehrgeiz sind durchaus auch Dinge, die mir immer wieder im Weg stehen. Vielleicht ist das jetzt auch einfach etwas, was erstmal keiner weiteren Bewertung mehr bedarf, sondern zuallererst einer Konsequenz in Form von Anpassung der Frequenz der Stunden und ggf. einer Bremse hinsichtlich Arbeit und Studium.

Benutzeravatar

meersein
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 34
Beiträge: 22

Beitrag Mo., 15.08.2022, 21:13

Vorweg: mit akuten aktuellen Trauma-Ereignissen und dem therapeutischen Umgang damit kenne ich mich nicht aus. Aber wenn ich es richtig verstehe, geht es dir ja auch eher um die grundlegenden Themen, die schon vor dem Ereignis bestanden und jetzt so unkontrollierbar zutage kommen.

Und das finde ich eine sehr interessante Frage, die mich in meiner (ebenfalls tiefenpsychologischen) Therapie auch oft beschäftigt (hat). Ich war schon immer und auch vor Beginn der Therapie sehr selbstreflektiert, hatte aber einen großen "blinden Fleck" bzw. Überlebens-/Bewältigungsstrategien nicht als solche erkannt, sondern mich über diese (als vermeintliche Stärken) definiert. Da fühlte es sich auch für mich sehr überwältigend an, als dieser blinde Fleck sehr zum Anfang der Therapie ausgeleuchtet war und so offensichtlich auf dem Tisch lag. Ich aber erst in ganz langsamen Minischritten lerne, wie ich etwas oder mich verändern kann.

Teilweise war/bin ich dann auch wütend auf die Thera, dass sie das nicht besser dosiert hat - mir sozusagen in verdauliche Häppchen meine Probleme portioniert hat ;-).
Nach und nach habe ich begriffen, dass genau das mein eigentlicher Lernprozess war und ist - dass ICH entscheide, was ich gerade brauche, in welchem Tempo ich Probleme und Veränderungen angehen kann, wie viel Hilfe ich mir hole, wo ich mir eingestehe, dass ich meine alten Pläne nicht einfach weiter "durchziehen" kann (z.B. berufliche Entwicklung)...

Auch zur Arbeitsunfähigkeit: mein "altes Ich" hätte es sicher als Versagen angesehen, dass ich nach 1 Jahr Therapie an einem Punkt war, an dem ich mich für einen Klinikaufenthalt entschieden habe, weil ich anders nicht mehr weiter wusste. Im Rückblick verstehe ich, dass genau das ein Fortschritt von dem Jahr Therapie war, dass so eine Entscheidung überhaupt möglich war.
Es ist schließlich (zum Glück) auch nicht Auftrag der Therapeuten, die Patienten um jeden Preis "funktionsfähig" zu halten, sondern ihnen eine Weg zu ermöglichen, der langfristig gut tut. Da kann es gerade dazugehören, dass man lernt, sich einzugestehen, dass um jeden Preis funktionieren nicht gesund ist...

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Madame Wunderlich
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 34
Beiträge: 5

Beitrag Di., 16.08.2022, 19:52

meersein hat geschrieben: Mo., 15.08.2022, 21:13 Ich war schon immer und auch vor Beginn der Therapie sehr selbstreflektiert, hatte aber einen großen "blinden Fleck" bzw. Überlebens-/Bewältigungsstrategien nicht als solche erkannt, sondern mich über diese (als vermeintliche Stärken) definiert. Da fühlte es sich auch für mich sehr überwältigend an, als dieser blinde Fleck sehr zum Anfang der Therapie ausgeleuchtet war und so offensichtlich auf dem Tisch lag. Ich aber erst in ganz langsamen Minischritten lerne, wie ich etwas oder mich verändern kann.

Liebe meersein,
hier erkenne ich mich wieder. Dazu kam bei mir vielleicht auch noch eine gewisse Überheblichkeit, da ich mich immer für sehr resilient gehalten habe. Das wurde mir in meinem Leben auch häufig von anderen zurückgemeldet, wenn sie z.B. kleine Ausschnitte aus meiner nicht ganz einfachen Familiengeschichte hörten. Meine eigene Reaktion war dann auch oft der Gedanke "Na so schlimm war es doch auch nicht, ich kam doch wunderbar klar!"
Tatsächlich hatte ich vor noch gar nicht so langer Zeit einen Anfall von "Vielleicht übertreibe ich auch einfach, stelle mich an und nehme dafür jemandem den Therapieplatz weg!". Das habe ich auch mit meiner Therapeutin besprochen und auch schon etwas besser beleuchten können. Wenn ich so drüber nachdenke, vermute ich einen Zusammenhang mit der aktuellen Überflutung an Themen. Vielleicht ist das die Erkenntnis, dass es eben doch schlimm war, die ich jetzt nicht mehr wegschieben kann.

meersein hat geschrieben: Mo., 15.08.2022, 21:13 Auch zur Arbeitsunfähigkeit: mein "altes Ich" hätte es sicher als Versagen angesehen, dass ich nach 1 Jahr Therapie an einem Punkt war, an dem ich mich für einen Klinikaufenthalt entschieden habe, weil ich anders nicht mehr weiter wusste. Im Rückblick verstehe ich, dass genau das ein Fortschritt von dem Jahr Therapie war, dass so eine Entscheidung überhaupt möglich war.
Es ist schließlich (zum Glück) auch nicht Auftrag der Therapeuten, die Patienten um jeden Preis "funktionsfähig" zu halten, sondern ihnen eine Weg zu ermöglichen, der langfristig gut tut. Da kann es gerade dazugehören, dass man lernt, sich einzugestehen, dass um jeden Preis funktionieren nicht gesund ist...

Auch das passt zu mir. Sowohl das Gefühl zu versagen als auch die Schwierigkeit sich einzugestehen, dass "funktionoeren" nicht das Ziel sein kann. Rein rational ist mir das klar. Ich würde das auch anderen in meiner Situation so sagen. Nur für mich selbst kann ich es noch nicht so sehen bzw. dann dahinter stehen.

Vielen Dank für Deine Antwort, meersein! Sie war für mich wirklich wertvoll, weil ich mich einerseits verstanden und ermutigt fühle und andererseits neue Impulse bekommen habe, um dieses verflixte Mysterium meiner eigenen Psyche vielleicht ein kleines bisschen besser zu verstehen.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Madame Wunderlich
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 34
Beiträge: 5

Beitrag Mo., 22.08.2022, 20:53

Hallo Ihr Lieben!

Ich wollte eine kurze Rückmeldung zu meinem heutigen Termin bei meiner Therapeutin geben.

Zuallererst: Es war sehr, sehr entlastend für mich. So befreit wie jetzt gerade habe ich mich die letzten 2 Wochen nicht gefühlt.
Ich konnte alles gut ansprechen und wir hatten ein sehr wertvolles Gespräch über Selbstschutz und "auf die Bremse treten, wenn es nötig ist". Letzteres auch auf meinen durchaus vorhandenen Ehrgeiz in punkto Therapie bezogen - vermutlich hat auch das einen entscheidenden Beitrag zu dieser Überschwemmung geleistet.
Wir bzw. viel mehr ich selbst etabliere nun einen "sicheren Ort" für mich. Es steht auch das Angebot, dass wir in der nächsten Stunde eine Imaginationsübung machen, wenn ich das möchte. Gemeinsam entstand auch noch eine weitere Idee dazu, die Themen "bei ihr zu lassen". Über die genaue Umsetzung mache ich mir noch in Ruhe Gedanken, finde die Idee aber sehr gut.

Das Gespräch hat mir wahnsinnig viel gegeben und ich konnte auch aussprechen, dass ich mir eine erhöhte Frequenz der Termine wünsche. Das war völlig unproblematisch und wurde direkt umgesetzt. Ich habe nächste Woche wieder einen Termin. Danach hat sie zwar eine Woche Praxisurlaub, aber allein das Wissen, dass nun wöchentlich Termine anstehen, ist für mich eine echte Erleichterung. Auch dass mich meine eigene "Bedürftigkeit" sehr irritiert und ich große Angst vor einer Abhängigkeit habe, konnte ich anbringen und das wurde sehr gut aufgefangen. Ich konnte spüren, dass ich ihr vertrauen kann, dass sie darauf ebenfalls ein Auge hat. Es fielen auch 1-2 Sätze, die ich hier so oder so ähnlich auch schon gelesen habe. Zum Beispiel, dass ein Therapeut bereits am Anfang der Therapie schon das Ende im Blick hat. Das hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Ich bin gespannt, was die nächsten Tage so bringen werden.

Nochmals danke für alle Eure Antworten! Der Austausch hier hat definitiv dazu beigetragen, dass ich heute so viel loswerden konnte und dadurch ein so gutes Gespräch hatte.

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag