Wurstel
Es ist interessant, daß mir im Psychotherapieforum immer wieder "neue" Themen angezeigt werden, die tatsächlich schon älter sind. Aber diese Themen sind ja oft zeitlos, daher meine ich, daß auch eine späte Antwort (bzw. ein Mitdiskutieren, denn es geht hier ja weniger um eine Frage) besser ist als nie zu antworten, wenn man etwas zum Thema mitteilen möchte.
Anna-Luisa hat geschrieben: ↑Mi., 26.02.2020, 20:05
Insgesamt habe ich den Eindruck, dass Kinder heute deutlich mehr "Rechte" haben als meine Generation (früher natürlich auch).
Das ist tendenziell richtig.
Allerdings kommt es schon auch auf den jeweiligen Einzelfall an. Hier gilt der allgemeine Satz: "Ausnahmen bestätigen die Regel."
Anna-Luisa hat geschrieben: ↑Mi., 26.02.2020, 20:05Ich habe die Eltern meiner Freunde ausnahmelos gesiezt.
Ich habe als Kind oder Jugendlicher oft nicht gewußt, ob ich bestimmte Personen mit "Sie" oder mit "Du" anreden soll und bin damals oft diesbezüglich ins Fettnäpfchen getreten. Mir wurde oft von meinen Eltern der Vorwurf gemacht, daß ich jemanden mit "Du" angesprochen habe, zu dem ich ihrer Meinung nach "Sie" sagen hätte sollen - da meinten sie, daß das ein Anbiedern und sehr unhöflich ist. Selten, aber doch gab es den umgekehrten Fall, nämlich, daß sie mir vorgeworfen haben, jemanden mit "Sie" anzusprechen, zu dem ich "Du" sagen hätte sollen - sie meinten damals, daß das "Sie" bei Freunden der Familie unüblich ist. (Verstehe einer die Erwachsenen!)
Ein weiteres Thema war die Sache mit dem Grüßen.
Meine Eltern verlangten von mir, daß ich (wenn ich zu Fuß gegangen oder mit dem Rad gefahren bin) jeden Menschen grüßen muß, der mir begegnet. Ich aber habe es eigentlich so gehalten, daß ich nur solche Leute gegrüßt habe, die ich kannte. Dafür wurde ich sehr oft von meiner Mutter gemaßregelt, sie fand mein diesbezügliches Verhalten sehr unhöflich und ungezogen. Das ging sogar soweit, daß ich auch in der Wiener Stadtbahn die Leute beim Ein- und Aussteigen grüßen mußte, weil meine Mutter das auch immer gemacht hat, wenn wir miteinander gefahren sind. In der Handelsschule (ich war von 1979 bis 1982 in einer Behinderten-Handelsschule in Wien) empfanden das die anderen Schulkollegen als lächerlich; sie sagten, daß das vielleicht in Kleinhinterhofbachhütten üblich ist, aber absolut nicht in Wien. (Okay, wir lebten zwar in einem Dorf am Land, aber mein Heimatdorf hatte schon 1971 2.300 Einwohner.)
Anna-Luisa hat geschrieben: ↑Mi., 26.02.2020, 20:05In meiner Klasse wurden Plaudereien unterbunden, in dem die Betreffenden umgehend Strafarbeiten bekamen.
Das war bei uns nicht der Fall.
In der Volksschule und im Gymnasium durften wir in der Pause auch mit den anderen Schülern derselben Klasse (bzw. von anderen Klassen derselben Klasse
*) reden. Allerdings durften wir in die anderen Klassen nicht hineingehen, diese Unterhaltung war nur am Gang möglich. Mit Schülern anderer Klassen (also höherer oder niedrigerer) durften wir hingegen nicht reden - wenn man dabei von der Gangaufsicht erwischt wurde, mußte man zum Direktor, der dann die Eltern in die Schule zitiert hat. In der ersten und zweiten Klasse Gymnasium war es gänzlich verboten, mit Mädchen Kontakt zu haben; wer dabei erwischt wurde, ist sofort aus der Schule geflogen. (In der Hauptschule soll das noch viel krasser gewesen sein, dort hatten die Knaben und die Mädchen getrennte Eingänge, und auch innerhalb des Hauptschulgebäudes gab es keine Möglichkeit, vom Knabentrakt in den Mädchentrakt zu gehen, dazu mußten die Lehrer aus dem Gebäude raus- und beim anderen Eingang wieder reingehen. Dies weiß ich aber nur von Erzählungen, weil ich nie in der Hauptschule war.)
Anna-Luisa hat geschrieben: ↑Mi., 26.02.2020, 20:05Das Ausflugsziel für den Wandertag wurde nicht im "Kinderparlament" beschlossen, sondern von den Lehrern festgelegt.
Ich bezweifle, daß es in diesem Gymnasium heute sowas wie ein Kinderparlament gibt. Man war dort total autoritär, und daran hat sich offenbar auch später nichts geändert. (In der Zeitung stand vor Jahren, daß Schüler in diesem Gymnasium einen Streich gespielt haben, worauf der Schuldirektor gleich die Kriminalpolizei eingeschaltet und die Schüler wie Verbrecher behandelt hat und sie einsperren lassen wollte - und das nur, weil Schüler in drei Klassen das Waschbecken verstopft und eine Überschwemmung herbeigeführt haben.
*) gemeint sind gleiche Klassen - aufgrund der Menge an Schülern wurden die Klassen geteilt, so gab es sechs erste Klassen.
Anna-Luisa hat geschrieben: ↑Mi., 26.02.2020, 20:05Aber ich kenne es so, dass wir nicht über die Probleme unserer Eltern informiert wurden. Ich habe mit Erstaunen spät erfahren, dass wir an der Armutsgrenze gelebt haben. Es wäre mir als Kind nie in den Sinn gekommen.
Geld war bei uns nie ein Thema. Es war immer mehr als genug da. Ich bekam auch ein fürstliches Taschengeld, außerdem steckten mir diverse Tanten bei ihren Besuchen immer Geld zu. Ich bin ins Gmynasium (also als 13jähriger) immer mit 100 bis 200 Schilling (das sind ca. 7 - 14,50 Euro, bei Berücksichtigung der Inflation entspricht es aber eher € 17,50 - 36,25.) gegangen.
Im Nachhinein betrachtet, war das möglicherweise ein Fehler meiner Eltern, denn ich habe nie gelernt, mit Geld umzugehen.
Anna-Luisa hat geschrieben: ↑Mi., 26.02.2020, 20:05Aber die Erwachsenen haben sich um unsere Probleme gekümmert, sie kamen mir immer stark vor. Ich denke auch, dass man das für seine Kinder nach allen Kräften stark sein sollte.
Um meine Probleme haben sich meine Eltern teilweise gekümmert.
Es war ja so, daß die anderen Kinder in der Volksschule und im Gymnasium auf mich losgegangen sind und oft meine Schulsachen zerstört haben. Da sind meine Eltern dann öfters zu deren Eltern gefahren und haben denen das erzählt bzw. Vorwürfe gemacht, und meine Mutter hat von den Eltern dieser Kinder dann oft auch Schadenersatz verlangt. Mit dem Ergebnis, daß diese Schüler noch mehr auf mich losgegangen sind und mich verprügelt haben und mir erst recht meine Schulhefte zerissen haben. (Weil ich mich dann öfters gewehrt habe, wurde ich als Raufbold vier Monate lang in die psychiatrische Kinderklinik [also in eine geschlossene Anstalt] in Wien gesteckt.) Zum Glück war das dann in der Handelsschule in Wien nicht mehr so.
Die mir von meinen Schulkollegen entgegengebrachte Aggressivität hing einerseits damit zusammen, daß ich mich körperlich kaum wehren konnte (ich war schwach und langsam) und offenbar auch damit, daß ich viel mehr Taschengeld hatte als meine Schulkollegen.
Anna-Luisa hat geschrieben: ↑Mi., 26.02.2020, 20:05Nach all dem, was ich heutzutage so höre, ist hier ein deutlicher Wandel eingetreten. Viele Eltern berichten stolz, dass das Verhältnis zu ihren Kindern "partnerschaftlich" ist....
Das habe ich noch nie gehört.
Allerdings hatte ich in der Handelsschule einen Schulkollegen, bei dem ich damals oft zu Besuch war. Mit dessen Vater konnte man über sehr viele Sachen diskutieren, und das habe ich damals auch oft gemacht (teilweise dann auch am Telefon).
Mit meinen Eltern hingegen konnte ich nie diskutieren, weil es da immer "basta und aus und keine Debatten!" hieß. (Dieser Schulkollege kam auch ein paarmal zu mir auf Besuch und versuchte, mit meinen Eltern zu diskutieren, wie er es von zuhause gewöhnt war und mußte feststellen, daß dies mit meinen Eltern nicht ging, weil die Diskussionen überhaupt nicht zuließen und darin einen Versuch des Untergrabens ihrer Autorität sahen; deshalb wollten sie dann auch nicht mehr, daß mich dieser Schulkollege besucht - ja, sie sagten mir sogar, daß ich den Kontakt zu ihm abbrechen soll, weil der ein schlechter Umgang für mich ist und mich nur runterziehen würde.)
(Meine Schwester, die bald 70 Jahre alt wird, hat übrigens nie gegen die Eltern revoltiert. Das habe nur ich gemacht, und zwar begann die Trotzphase bei mir mit 17 Jahren, als ich in die Handelsschule kam. Vorher hatte ich ja keine positiven Kontakt zu Schukollegen und wußte daher nicht, daß man sich gegen die Eltern auflehen kann.)
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