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joana
Helferlein


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Sun, 18.Jul.04, 18:37 Die Sklavin |
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Die Sklavin
Sie sitzt in ihrer Schachtel, einem kleinen Kästchen mit hohen, unsichtbaren, jedoch undurchdringlichen Wänden. Schon seit beinahe zwei Jahren ist sie darin gefangen. Dieser Zustand ist nun kaum noch etwas Besonderes, denn sie kennt nichts anderes mehr; wie es außerhalb der Schachtel aussieht, weiß sie nur noch aus Erinnerungen, die immer wieder einmal in ihrem Kopf auftauchen. Sie ist sich nicht einmal sicher, ob es sich außerhalb ihres Gefängnisses besser leben ließe - woher sollte sie das wissen ? Will sie es überhaupt wissen ? An manchen Tagen, wenn es drinnen all zu erdrückend ist, blickt sie mit trostlosen Augen hinaus. Dann wünscht sie sich nichts sehnlicher, als vielleicht doch irgendwann einmal wieder die Luft der Freiheit atmen zu können. Wie wird sie sich wohl anfühlen, wie mag sie schmecken ? Manchmal legt sich die Sklavin auf den Rücken und schaut nach oben, denn die Schachtel besitzt keinen Deckel. Ihn hatte man beim Bauen weggelassen, da man glaubte, dass es sowieso niemand je schaffen würde, über die hohen Wände nach draußen zu gelangen. Dann sieht sie ein kleines Stückchen aus der anderen Welt, in der Menschen frei sind. So scheint es ihr zumindest, doch insgeheim weiß sie, dass auch diese mit Fesseln an etwas gebunden sind, einige mehr, andere weniger. Trotzdem hat sie schon oft darüber nachgedacht, wie es wäre, einfach sich dort oben aus dem Kästchen davonzustehlen, ganz langsam und unbemerkt. Sie wollte gerne die Erbauer überlisten und ihnen zeigen, dass es doch eine Möglichkeit gäbe, die Wände zu überwinden, mochten sie noch so endlos sein, sie würde es schaffen, und man würde sie dafür bewundern. Doch bis dahin lag noch ein langer, qualvoller Weg vor ihr, und oft zweifelte sie daran, zweifelte an sich selbst, ob sie genügend Kraft und Durchhaltevermögen, Stärke und Disziplin besaß, an ihrem Ziel festzuhalten und es zu verfolgen. Das Seltsame jedoch war, das die Wände immer noch ein Stückchen höher wurden, je mehr sie sich bemühte, ihr Ziel zu erreichen. Zunächst nahm sie diese merkwürdige Begebenheit gar nicht wahr, erst nach etwa einem Jahr, als es schon zu spät war, wurde ihr langsam bewusst, dass es eigentlich sie selbst war, die das Freikommen aus der Schachtel, die nun mehr und mehr einem Turm glich, verhinderte. So hatte sie sich selbst zu ihrer eigenen Sklavin gemacht.
Diesen Text habe ich geschrieben, als ich noch sehr tief in der Magersucht drinsteckte, vor 2-3 Jahren etwa. Ich bin vor kurzem beim Aufräumen darauf gestoßen und als ich ihn jetzt nach langer Zeit wieder las, hat er mich sehr nachdenklich gemacht, auch erschrocken irgendwie, weil ich all das nun hinter mir gelassen habe und allzu oft vergesse, wie sehr ich gelitten habe damals. Ich wäre sehr gespannt, ob euch noch etwas dazu einfällt.....ob ihr diese Gefühle kennt (auch aus anderen „Zuständen“ heraus, außer Essstörungen), ob das „Ziel“, von dem hier so oft die Rede ist, wohl eher Leben oder doch Sterben war (denn das weiß ich selbst nicht mehr so genau, obwohl ich eher zu letzterem tendiere)....und sämtliche andere Denkanstöße sind natürlich ebenso willkommen !
joana
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littlemonsta
Helferlein


60
Leipzig W, 23
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Wed, 21.Jul.04, 13:06 Re: Die Sklavin |
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hallo joana,
deine schachtel könnte die meinige sein. das ziel könnte die freiheit sein. mein ziel ist die freiheit. sind nicht immer zwänge - in jeglicher größe und form - das, was uns gefangen hält?
der zwang gut zu sein, der zwang schön zu sein, der zwang geliebt zu sein, der zwang sich selbst in die augen sehen zu müssen, und zu bekennen, ich bin nicht was ich sein möchte. darauf folgt weiterer zwang, zu handeln, zu leben, zu sehnen, zu wollen....
Und ist nicht angst der grund des zwanges? angst nicht wertvoll zu sein, angst vor einsamkeit, angst vor der meinung anderer....
aber ist nicht freiheit genau dieser zustand, in dem ich nicht länger angst habe, nicht länger bestimmte dinge tun muss & verkörpern muss um gut zu sein?
darf ich sein, wer ich bin, kann ich akzeptieren, dass ich nicht weniger wert bin als alle anderen, kann ich leben ohne den zwang angst zu haben? ich denke ja, ich kann, wenn ich erst einmal frei bin ...
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_________________ kein gedanke
kein wort
und keine tat
geht verloren
alles bleibt
und trägt früchte |
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joana
Helferlein


51
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Fri, 23.Jul.04, 19:01 Re: Die Sklavin |
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Hallo littlemonsta,
interessante Gedanken... Du hast recht, Freiheit hat bei mir in dieser Zeit auch immer wieder eine entscheidenede Rolle gespielt..ich habe dutzende von Bildern gemalt, die sich um dieses Thema drehen, und immer wieder der Zwiespalt zwischen einerseits frei sein wollen, aber andererseits (scheinbar) nicht anders können als sich selbst im Gefängnis zu behalten. Es ist eben ganz schön schwer, sich unabhängig zu machen von diesen Zwängen, sowohl die äußeren als auch die inneren, hm ? Aber nicht unmöglich... was hindert Dich ?
LG, joana
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