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Weinpale
neu an Bord!
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W, 28


Post Thu, 11.Aug.05, 18:13      Schreibzwang und Angst zu vergessen ... Reply with quoteBack to top

Hallo,

bin hier neu und habe erstmal nach Leidensgenossen gesucht. Konnte bisher aber noch niemanden finden, der dieselben Probleme hat wie ich. Aus diesem Grund will ich meine Situation hier mal schildern.

Habe seit längerer Zeit, ich würde sagen es zieht sich schon über mehrere Jahre das Bedürfnis, meinen ganzen Tagesablauf niederzuschreiben. Eine Art Tagebuch bestehend aus Daten und Fakten, weniger aus Gefühlen und Gedanken. Sehe ich nicht weiter als bedenklich an .... nur in letzter Zeit nehmen diese Schreibarbeiten enorme Ausmaße an, täglich bis zu 4 Stunden und mehr!
Ich ertappe mich selbst, wie ich in jeder freien Minute sitze und schreibe. Oft wirklich belangloses Zeug, z.B. was ich heut gegessen habe, welcher Freund wann und wie lange auf Besuch war ...

Wenn ich „memoriere“ bin ich für jedermann unansprechbar, brauche absolute Ruhe und einen eigenen Ort, wo ich mich ausbreiten kann. Zum Schreiben brauche ich jede Menge von bunten Farben und Papierschnipsel (werden aus der Zeitung, Illustrierte ausgeschnitten), die passend zu einem bestimmten Thema bzw. Veranstaltung eingeklebt werden. Wenn ich später etwas suche, so fällt es mir leichter, es zu finden (visueller Blickfang). Dieses „Ritual“ gehört mittlerweile zu meinem täglichen Alltag.

Komme ich ein oder sogar zwei Tage nicht zum Schreiben bin ich völlig unausgeglichen, werde nervös, oftmals laut und aggressiv. Bekomme Wutausbrüche bis hin zu Weinkrämpfen, ab und zu kommt ein Gefühl der inneren Leere, verliere das Gefühl mich selbst zu spüren. Überlege ständig was ich wann mit wem, wie lange, wo getan habe ...werde meine Gedanken nicht los, kreisen ständig in meinem Kopf herum. Ich wiederhole Worte und Sätze, verschiedene Aussagen immer wieder leise für mich, um sie nicht zu vergessen. Kann mich nicht aufs Wesentliche konzentrieren, bis ich zu Hause bin und es niedergeschrieben habe. Dann kehrt innere Ruhe und Zufriedenheit ein.

Sehr oft jedoch vergesse ich nur Kleinigkeiten und grüble so lange herum, bis ich sie aus meinem Gedächtnis zurückgeholt habe. Dann muss ich sie sofort festhalten und aufschreiben.
Ich frage viele Leute am nächsten Tag: „Was hast du gestern zu mir gesagt?“, wobei mir der genaue Wortlaut sehr wichtig ist.

Dabei habe ich eine Menge von Hobbies, für die momentan „keine Zeit“ ist. Dabei war ich immer ein sehr unternehmungslustiger Mensch, immer unterwegs, ständig lustig und aufgelegt zu spontanen Handlungen. Damals war ich sehr nachlässig mit meine Notizen, oft blieb eine Seite im Kalender leer ... heute unvorstellbar!

Was mich an der ganzen Sache persönlich am meisten erschreckt, ist der Verlust meiner Kontrolle, meiner Selbstbeherrschung. Ich werde zornig bis aggressiv, wenn ich nach etwas suche und nicht finde – sei es nur nach einer Begebenheit oder einem Gegenstand. Ich muss ständig kontrollieren, ob die Dinge noch da stehen, wo sie noch vor einigen Wochen oder Monaten standen, obwohl ich mir Bewusst bin dass sie eigentlich keinen Wert haben, doch in diesem Moment gibt es nichts Wichtigeres.
z.B. wenn mich eine Freundin anruft muss ich während des Gespräches alles mitschreiben. Nach dem Telefonat muss ich dann sofort in meinen Kalendern nachschauen wann wir dass letzte Mal telefoniert haben, und das Mal davor ...
So versuche ich ständig Erinnerungen zusammen zu fassen und Verknüpfungen zu erstellen.
Oft schaue ich nach und werde gleich fündig, was mir ein tiefes Gefühl der Erleichterung verschafft. Ich weiß dann: „Ich hab es nicht vergessen!“


So oder ähnlich vergehen die Tage, und ich muss beobachten dass die Zeit die ich investiere von Monat zu Monat steigt. Ich bin mir auch bewusst dass ich das ändern will, aber weiß nicht wie!

Im Internet habe ich nichts Vergleichbares gefunden, klar: ES IST EIN ZWANG!, aber welcher Kategorie gehört er an, oder sind es doch mehrere?

Ich würde mich über Anregungen oder Meinungen sehr freuen .....
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Hans-Jörg
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Wohnort Süddeutschland
M, 40


Post Fri, 12.Aug.05, 5:43      Re: Schreibzwang und Angst zu vergessen ... Reply with quoteBack to top

Hallo Weinpale,

macht es Sinn Deinen Zwang zu katalogisieren, ihm einen Namen zu geben?
Oder nachzuforschen, ob sich da mehrere überlappen?

Du hast also das Problem, es nicht ertragen zu können, eine Erinnerung nicht mehr zu finden und auch nicht anderweitig wieder zurückholen zu können.
Dass die Zwänge in der Regel mehr werden im Laufe der Zeit, wenn man sie stets schön erfüllt, ist nun auch bekannt.
Wenn Du sie nicht erfüllen kannst, weil Du Dich an das Noch-Nicht-Aufgeschriebene nicht mehr erinnerst, wirst Du wütend - klar, es ist Dir sehr wichtig, Du suchst und grübelst, findest es aber nicht - das frustriert ungemein. Die Erleichterung tritt erst auf, wenn Du gefunden hast, was Du suchtest, den Zwang erfüllt hast!

Was meinst Du, wie befreiend es für Dich wäre, wenn Du gar nichts mehr aufschreiben und erinnern müsstest?

Tja, das Beste wäre vermutlich, wenn Du es schaffen könntest eine Art Schlussstrich zu ziehen, von heute auf morgen die alten Notizen zu verbrennen und Dich daran zu hindern neue anzulegen, Dich zum Vergessen zu zwingen.
Das würde sicherlich die ersten Tage eine furchtbare Qual für Dich, der Entzug einer Süchtigen, aber nach kurzer Zeit nähmen diese ***Gefühle wieder ab. Die innere Leere würde verschwinden, die Nervosität und Wut - alles. Und dann wärst Du richtig frei!

Ich kenne es von früher, von meiner Schulzeit her. In den ersten Jahren habe ich es als Zwang empfunden, die Hausaufgaben machen zu müssen, schon fast mehr als selbstauferlegten. Musste sie stets ordentlich und gleich nach der Schule machen (nicht von den Eltern her). Habe ich damit einmal bis abends gewartet kam mir der ganze Nachmittag unrichtig vor, ich hatte keinerlei Entspannung, Freude oder so.
Mit 16 kam ich dann auf die Idee, es geht auch anders - nämlich, dass ich sie gar mehr nicht mache!
Die Lehrer reißen einem nicht den Kopf ab und es passiert auch nichts anderes wirklich Schlimmes!
Für mich war das eine riesige Befreiung, denn ich habe die Hausaufgaben (überhaupt die ganze Schule) immer furchtbar gehasst. Fortan habe ich dann diese Praktik, sie unter keinen Umständen zu machen, (zwanghaft) durchgezogen bis zum Ende der Schulzeit. - Es geht im Übrigen, mit ein paar Einbußen.

Zurück zu Dir. Was würde schlimmsten Falles geschehen, wenn Du nichts mehr aufschreiben würdest?
Die Unmutsgefühle jedenfalls vergehen schnell wieder. - Versuche es mal!

Wenn Du das alleine nicht schaffst, mache eine Psychotherapie. Zwänge sind eigentlich Zwänge, dabei spielt es weniger die Rolle, wie sie sich jetzt im Einzelnen zeigen.

Liebe Grüße
Hans-Jörg
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Post Wed, 21.Sep.05, 22:17      Re: Schreibzwang und Angst zu vergessen ... Reply with quoteBack to top

hi weinpale

Ich kann Dir wahrscheinlich nicht helfen, die augenfällige Unsinnigkeit solch Tuns zu fokussieren, auf daß man die Wirkmechanismen erkenne und sähe, wie diesen entgegenzutreten wäre, kann Dir nur schildern, daß ich weitgehend genauso handele.

Alles fing bei mir mit einer Register-Kladde an, in die ich, jeweils eine Zeile, Aufgaben eintrug, die demnächst (oder später) zu erledigen wären. Erledigtes strich ich aus. Das ging dahin, daß ich am Tag 20 ... 30 Einträge hinzusetzte, dagegen allenfalls 2 ... 3 erledigt hatte. Es war so zu frustrierend, deshalb ließ ich es sein.

Nebenher und danach habe ich schon über die vielfältigsten Vorgänge Aufzeichnungen verfaßt. Beispiel: Abläufe im Betrieb, über die langezeit Begleitblätter zu führen waren, wann wer mit der Sache befaßt war, was erfolgt war - als dieser Papierkram abgeschafft wurde, habe ich für mich diese Aufzeichnungen weitergeführt. Nur, um für den Fall der Fälle eine Aussage zu haben, was ich geleistet hätte. (Man lebt so auch immer in der Angst, ohne diese Nachweise hätten Vorgesetzte permanent einen schlechten Eindruck von einem selber.)

Als ich gelegentlich der Nutzung eines Dienstwagens ein Bordbuch zu führen hatte, wer wann wohin damit gefahren war (was ich sehr gewissenhaft tat im Hinblick darauf, daß sich, wenn einem die Polizei irgendwann einmal Verkehrsverstöße vorhielte, eine Rechtfertigung ergäbe), führte ich ein solches nachher auch für mein eigenes Auto (derselbe Grund).

Nachdem ich Freud's "Traumdeutung" gelesen hatte, schrieb ich jahrelang - und stundenlang - meine Träume auf, vorzugsweise in den Computer, aber oft auch nur auf Zettel. Und wenn ich dann einzelne Worte nicht mehr lesen konnte, blieb die Sache unvollendet. Zum Versuch einer Analyse bin ich deshalb bis heute nicht gekommen.

Kontoauszüge listete ich über viele Jahre auf. Wie das so geht: Einer fehlte. Ich habe nun die akkurate Liste, kann mir daraus auch Bericht ziehen, aber zu einem kleinen Teil bin ich innerlich unzufrieden, weil da ja der eine fehlt. Jede Lücke in den Aufzeichnungen macht mich krank. Ich kann die Sache dann mangels Masse nicht mehr verfolgen, aber es bleibt mir als Last.

Gegenwärtig, auch wieder seit Jahren, - und das kommt Deinem wohl schon näher - kritzele ich Hunderte von kleinen Zetteln mit allem Möglichen voll. Mitunter 500 Notizen am Tag habe ich mal ausgezählt. Lange nicht wie Du, die sich Wiedererkennungszeichen anheftet, und belegen will ich meinen Tag damit auch nicht mehr. Sie türmen sich auf meinem Schreibtisch und wenn es zu viele werden, fülle ich sie in einen Schuhkarton, womit ziemlich sichergestellt ist, daß ich auf die Inhalte lange nicht mehr werde zugreifen können (es dauert Stunden, wenn ich tatsächlich mal etwas daraus wiederfinden will, bis ich es herausgebracht habe ... und dann bleibt offen, ob ich's lesen kann).

Im Grunde ist eine Sache fast schon erledigt, sobald ich sie notiert habe.

Für unterwegs habe ich ein DIN-A-6-Buch immer bei mir, wo flüchtig hineingeschrieben wird, was ich mir merken will. Die krakelige Schrift kann ich auch hier später immer weniger lesen.

Wie gesagt, ich weiß keinen Ausweg aus solchem Dilemma. Aber eines weiß ich: So, wie Hans-Jörg es vorschlägt, geht es, bei mir jedenfalls, nicht. Das sind - verzeih HJ - die Standardstrategien, wie sie Dir jeder Psychotherapeut rät. Einer wollte mal von mir, daß ich zu jedem, was ich gerade aufgeschrieben hätte, dazuschriebe, weshalb ich mir dieses notiert, diese Sache für mich die nämliche Bedeutung hätte. Das ging nun schon mal gar nicht. Denn ich bin ja froh, wenn ich die Sache endlich auf dem Papier habe - keine Nerven für weitere Zusätze oder Erklärungen.

So, das war es, was ich Dir zu Deinem Text mitteilen wollte. Ich hoffe, es langweilt Dich nicht

FG CitaW.
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Post Thu, 22.Sep.05, 8:12      Re: Schreibzwang und Angst zu vergessen ... Reply with quoteBack to top

@ CitaW.

Quote:
Als ich gelegentlich der Nutzung eines Dienstwagens ein Bordbuch zu führen hatte, (..) führte ich ein solches nachher auch für mein eigenes Auto (derselbe Grund).


kurze Zwischenfrage:

Ääh, kann es sein, dass du dich bei der Altersangabe in deinem Profil etwas geirrt hast? Shocked

lg

Nele, etwas irritiert..
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Post Thu, 22.Sep.05, 22:00      Re: Schreibzwang und Angst zu vergessen ... Reply with quoteBack to top

hallo nele

Mir ist das auch schon aufgefallen; wußte nicht, wie das zu korrigieren wäre. --> dann Lichtblitz
... und jetzt stimmt's wieder. Wink
Danke, daß Du's gelesen hast.

Freundlichst, CitaW.
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