Soziale Unterschiede/ Geld und emotionen

sporadischer Gast 15 Lohmühlen M, 29

Hallo.

Ich habe ein recht heikles Thema am Wickel. Heikel weil es ja diese Binsenweisheiten gibt, á la "Geld ist nicht entscheidend" usw...

Nun, bei mir existiert aber eine ganz starke Verstrickung von materieller Freiheit und Gefühlen.

Nicht weil ich so unmässig viel besitzen möchte. Aber der reihe nach.

Ich habe derzeit meine erste feste beziehung, und das sehr spät.

Meine Lebenssituation unterschiedet sich sehr von der meiner Freundin.

Sie ist ein wenig jünger als ich und erfolgreich auf dem Weg zu genau dem Beruf, den ich mir auch einmal erträumte. Ich war jedoch durch verschiedenste Belastungssituationen (Familie, emotional) schon in recht jungem Alter sehr desillusioniert. Ich hatte mich aufgegeben bevor es überhaupt angefangen hatte. Hatte schwere Lebenskrisen. Es folgten jahre wo ich abwechselnd mit einem Bein in der Obdachlosigkeit vegetierte, und bei meiner Mutter (ausgerechnet) lebte. Eine berufliche Kontinuität, geschweige denn ein Ziel habe ich nicht verwirklicht. Und wir reden hier von Dimensionen die man im Grunde in keinem Einstellungsgespräch mehr erklären kann.

Ich bin zum Glück seit 2-3 Jahren besser drauf und mache derzeit eine schulische Ausbildung, aber das ist dann auch alles. Ich schaffe es gerade, mich über Wasser zu halten, und mir fehlen eigentlich alle die Erfahrungen die ein junger Mensch so macht. Ich habe keine Erfolgserlebnisse im Rücken, ich kann noch nicht mal autofahren. Und ich habe einen reinen Brotberuf gewählt, weil ich mir zunächst zu unsicher war, was längerfristige oder aufwändige Studien angeht.

Das ist bei meiner Freundin nun ganz anders. Sie hat als Studentin schon einen Lebensstandard der für mich maximal langfristig, bei günstigster beruflicher Entwicklung denkbar ist. Und sie verwirklicht gleich einen Traum. Der ja eigentlich auch mal meiner war.

Dazu kommt, dass sie sich zum Teil in Kreisen bewegt die sehr erfolgreich und wohlhabend sind. Die sind auch ohne Frage alle sehr nett, aber ich komme nicht gegen das Gefühl an, dort ein Fremdkörper zu sein.

Einfach weil ich derart vom Gegenteil geprägt bin, So sind einige durchaus prominente Künstler darunter - darstellende und
Musik. Sprich, von klein auf Talent entwickeln können. Ich empfinde aber soviel Schmerz über die Unfreiheit die meine Lebensmöglichkeiten (unterste soziale herkunft, neurotische Familie) so beschränkt haben, dass ich mich nicht wohlfühlen kann wenn ich dies vor Augen habe.

Ich weiss nicht so recht wie ich es erklären soll. Es macht mich traurig über mich selbst, und so ist es einfacher ich gucke mir das nicht an. Ich komme mir schäbig vor dagegen. Meine maximale Kraft reicht nur für diese kleine Idiotenexistenz, und andere konnten sich soviel aufbauen und haben immer noch Kraft übrig.

Es ist ja fast tabuisiert dass so zu sehen, aber für mich empfindet es sich genau so, dass es tatsächlich sowas wie Schichten gibt und dass nicht jeder überall hingehört.

Forums-InsiderIn 175 NÖ/Wien M, 33

Du siehst praktisch jetzt Deine mögliche Zukunft wie Du sie Dir vor x Jahren ausgemalt hast. Du trauerst über diese entgangene Möglichkeit nach, wärst auch gern an ihrer Stelle und bist Dir gleichzeitig dessen bewusst, dass Du nie soweit kommen wirst Sad

Ich hab auch nen Beruf wo man mehr oder weniger keine Karriere machen kann, außer man kennt Leute und schleimt. Wenn ich mir vor Augen halte, wie erfolgreich andere sind und wieviel sie verdienen, dann werd ich fast schon depressiv und ärgere mich weil ich ein Nichts bin. Ich war nie zu faul, aber ich hatte immer panische Angst etwas nicht schaffen zu können, auch jetzt noch. Und dieser Umstand nahm mir natürlich etliche Möglichkeiten ... aber was red ich von mir.

Wichtig in Eurer Beziehung ist, dass Ihr Euch liebt und voll vertraut. Oder hatte sie je ein Problem mit Dir oder Deinen Umständen?

sporadischer Gast 15 Lohmühlen M, 29

Nein, das ist ja das wundervolle - unsere Gefühle füreinander sind davon unabhängig - ich möchte fast schon sagen dass es eine relativ seltene Sache ist, wenn das so für sich stehen kann.

Nur, meine Gefühle mir und meinem Leben gegenüber erfahren da natürlich einen krassen Spiegel...

Forums-InsiderIn 175 NÖ/Wien M, 33

Du hast schon mal einen sehr großen Pluspunkt in Deinem Leben - Deine Freundin und Eure Gefühle füreinander!!!

sporadischer Gast 15 Lohmühlen M, 29

Das ist mir auch bewusst, gerade (man verzeihe mir die Formulierung, es ist nicht verallgemeinernd gedacht) bei Paaren beobachte ich, dass es dann speziell für die Frauen doch nicht selten eine gewissen Rolle spielt, wo der Partner so im Leben steht.

Ich bin sehr dankbar, dass wir uns auf einer völlig anderen Ebene begegnen.

Aber darum geht´s hier ja eigentlich nicht, sondern um die Konfrontationen denen ich ausgesetzt bin, jetzt wo ich mich öffne.

Und meinem Umgang damit. Ich finde nämlich keinen so recht, ausser Rückzug aus bestimmten Bereichen ihres Lebens.

neu an Bord! 1 sydney W, 30

Hallo Aristo,
was Du geschrieben hast, hat mich sehr bewegt.
Ich finde ueberhaupt keinen Grund dafuer, dass Du Dich verstecken muesstet oder diesen inneren Druck in Dir aufbaust, Du waerest nicht gut genug. Siehst Du denn eigentlich nicht, wie stark DU bist? Ich entnehme Deinen Zeilen, dass Du es in Deiner Kindheit bis ins junge Erwachsenalter nicht leicht hattest, vielleicht sogar emotional so viel aufgebuerdet bekommen hast, dass Du Dich selbst verloren hast. Aber Du hast es geschafft, Dich davon frei zu machen. Du gehst heute Deinen eigenen Weg. Fang endlich an, stolz auf Dich zu sein und sei auf der Hut, Dich mit anderen zu vergleichen. Du kannst den anderen, ach so erfolgreichen Menschen auch nur vor den Kopf schauen. Man, Du weisst garnicht, was sich bei Manchen so hinter der scheinbar fehlerlosen Fassade wirklich abspielt.
Natuerlich ist es einfacher, erfolgreich zu sein, wenn das Elternhaus eine gute Basis bildet (und das meine ich nicht nur materiell). Du siehst das also total richtig... aber bitte messe DICH nicht daran. Und wenn Du schon vergleichst, warum denn nicht mit Menschen, die es nicht mal so weit wie Du geschafft haben. Wir tendieren leider immer dazu, nach oben zu sehen und machen uns selbst traurig... anstelle einfach mit UNS gluecklich zu sein.
Ich finde es wunderschoen, dass Du diese Frau getroffen hast und ihr offenbar diese "sozialen" Unterschiede so garnichts ausmachen. Aber erstens steht auch Dir die Welt noch offen und zweitens sagt Dein Job so absolut ueberhaupt nichts ueber DEINE PERSON aus. Die fuer mich wundervollsten, interessantesten und weisesten Menschen die ich in meinen Leben getroffen habe, waren oft Personen, die sich ganz bewusst aus dem Geld- und Machtkarussell zurueck gezogen haben, um das zu machen, was sie gluecklich macht. Ein guter Freund, war einst Bankchef und hat heute seinen kleinen Kiosk. Deine Wortwahl und die Faehigkeit sich mit Dir selbst so ehrlich auseinanderzusetzen, zeigt Deine enorme emotionale Intelligenz. Glaub mir, Du musst kein Bankchef sein, damit Menschen Dich moegen oder als Person wahrnehmen. Nur oberflaechliche, unintelligente Menschen, mit sehr eingeschraenkten Horizont beurteilen andere nach Ihrem Beruf oder materiellen Werten. Deine Persoenlichkeit hat Deine Freundin beeindruckt und ich denke, dass Du fuer sie etwas ganz besonderes bist... nun musst nur noch DU davon ueberzeugt werden!! zwinkernd..

SEI EINFACH DU SELBST und zerstoere nicht diese wundervolle Liebe mit DEINEN und nur DEINEN eigenen SELBSTZWEIFELN!!! Viele herzliche Gruesse, Monchi

Forums-InsiderIn 193 Nürnberg W, 31

Hallo lieber Aristo,

ich möcht mich der Vorrednerin gerne anschließen. Ich habe in meinem Leben selbst viel verbockt und hätte viel mehr erreichen können beruflich. Doch leider habe ich durch meine Suchtkrankheit vieles verpaßt. Auch den Führerschein verloren, Studium erst mit 31 abgeschlossen und das nur durchschnittlich, in einem Fach in dem man sogar mit Topnoten nur schwer was findet. Ich bin heute Zeitarbeitskraft und lebe mit minimalen Verdienst am Existenzminimum. Ich bin meistens als Assistentin eingesetzt, wobei mir vor Augen geführt wird was ich alles hätte erreichen können (von denen, denen ich "assistiere"). Aber was ich niemals verloren habe ist mein Stolz. Ich war immer stolz auf mich auch wenn andere dachten dass ich absteige. Ich schleiche niemals leise durch die Büros und schäme mich ob der verpassten und verpatzen Möglichkeiten. Ich gehe aufrecht und mit festem Schritt. Und siehe da ich werde respektiert und niemals schlecht behandelt nur weil ich die von der Zeitarbeit bin. Du hast für Dich einiges erreicht, vergleiche Dich nicht mit anderen, das muß schief gehen. Du hast Deine Biographie und Du kannst stolz auf Dich sein. Wenn Du selbst stolz durchs Leben gehst, wird man Dich überall mit Respekt behandeln und aufnehmen, auch in "gehobeneren" Kreisen. Und das wichtigste ist dass Deine Freundin Dich so nimmt wie Du bist. Und frage sie mal, sie ist bestimmt stolz auf Dich ! Razz

Alles Liebe scouty

[nicht mehr wegzudenken] 1030 münchen W, 35

Hi Aristo,

ich kenne das auch.

Es kann ziemlich demütigend sein wenn ich mit jemandem in überwiegend Akademikerkreisen bin und gefragt werde was ich denn studieren würde...

Naja, bin mittlerweile für diese Frage zu alt. Aber ich könnte nicht mit jemandem Leben wo ich ständig daran erinnert werden würde was ich alles NICHT hatte in meinem Leben... daß ich vor der Berentung wegen Erwerbsunfähigkeit stehe, nachdem ich es nicht mal geschafft habe die verdammte Ausbildung wo ich nur ausgenutzt worden bin statt was zu lernen fertigzumachen... Und anderweitig auf dem 2. Arbeitsmarkt irgendeinen Miesen Wäschereijob zu machen und psychisch krank zu sein.

Liebe grüsse,

Petra

Helferlein 125 Kärnten M, 36

Hi Aristo
geniese die Schoene Zeit eurer Beziehung.
Und - dadurch dass Deine Freundin auf diesen Beruf zugeht, den Du Dir erträumt hast, aber nicht erreichen durftest hat Du zumindest mit ihr die Möglichkeit ein wenig dabei zu sein.

Vielleicht mag das mt den Schichten stimmen, aber auch Änderungen sind möglich. Glaub nicht dass sich die "hiohen" Leute untereinander helfen, wenn mal einer abstürzt - den lassen sie dann fallen wie eine heisse Kartoffel. Nach hinauf ists allerdings viel schwieriger.

Aber eines bleibt klar - der Bekanntenkreis Deiner Freundin wird oft auch von Dingen reden, wo Du nicht mitreden kannst. Hat nichts mit Intelligenz zu tun, sondern mit dem täglichen Umfeld.
Ich kenn das bei Bekannten, die Golf spielen - na dann sollen Sie halt erzaehlen... Das Zuhören ist ein Geduldsspiel, aber es gibt dann auch andere schoene Dinge die besprochen werden wo ich mehr Anhnung habe ( Technik usw. )

Ausserdem gibt es auch einige in den sog. "oberen" schichten, welche die Arbeit der "unteren" - um das so für Dich zu bezeichen - sehr wohl zu schätzen wissen.und manchmal auch gerne tauschen würden.

Und - warum soll immer der Mann aus der höheren Schicht kommen ? Bei Euch ists mal umgekehrt. Die vielen Frauen schaffen das dann doch auch , also warum nicht mal wir Männer ?

Deine Freundin hat bei dir etwas gefunden, was ihr in Ihrer "Schicht" nicht geboten wurde .... ist diese Schicht dann besser ?

Also - noch allles Gute mit Eurer Beziehung ....
LG Diskusoph

Forums-InsiderIn 248 Graz M, 30

Aristo wrote:

Es ist ja fast tabuisiert dass so zu sehen, aber für mich empfindet es sich genau so, dass es tatsächlich sowas wie Schichten gibt und dass nicht jeder überall hingehört.

das ist absolut so, da gibts gar nichts abzureden.

ABER: vielleicht fehlt deiner freundin zu ihrem "100 %igen Glück" genau das, was du ihr im moment gibst.
sei also dankbar für jeden augenblick und lebe nicht schon in der zukunft, die noch gar nicht "produziert" ist.

Helferlein 100 München, BRD W, 28

Ich finde, Du solltest, ja Du musst, auf Monchi hören! Sie hat total Recht. Auch ich studiere mittlerweile im 11.Sem!!! Ich habe auch viel verbockt in meiner Schullaufbahn und hatte Probleme. Mittlerweile habe ich mich von meinem Problem befreit (seit Feb 06) und ich habe immer mehr Selbstbewusstsein aufbauen können. Ich mag mich jetzt so, wie ich bin - mit meiner Vergangenheit. Ich bin voller Tatendrang - beruflich, studienmäßig und privat. Und ich habe in den letzten Monaten so viel Zuspruch, Verständnis und Anerkennung erfahren, wie ich es nie für möglich gehalten hätte! Und niemand hat je meine Vergangenheit oder meine Situation mir negativ vorgehalten. Alle haben das verstanden, alle sagen mir, dass sie es bewundern, wie stark ich bin usw.. Und sie meinen das ernst. Das hat mir die Augen geöffnet und Tag für Tag spüre ich mehr Lebensfreude in mir! Das ist wunderbar. Der Schlüssel zum Glück ist , sich selbst zu lieben! Das hielt ich immer für eine abgedroschenen Phrase, aber - es stimmt! Jetzt weiß ich das und Du wirst Dich wundern, zu was Du noch alles in der Lage sein wirst, wenn Du das erstmal gelernt hast! Alles Gute!

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