Wie einer leidenden Freundin gegenüber verhalten?

sporadischer Gast 9 Norden M, 18

Seit längerer Zeit befinde ich mich wegen einer Depression und eines kindlichen Traumas in stationärer Behandlung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Meine Probleme wurden dank der Kompetenz meiner Therapeutin inzwischen sehr gelindert, ich habe - auch dank medikamentöser Behandlung - inziwschen ein einigermaßen gesundes Selbstwertgefühl, habe wieder Glaube in die Erreichbarkeit meiner Ziele bekommen und bin einigermaßen emotional stabil. Bald - d.h. in ein oder zwei Monaten - werde ich die Klinik verlassen.

Nun zu meinem Problem ...

Seit zwei Wochen haben wir eine neue Mitpatientin auf der Station, ein 17-jähriges, intelligentes und sehr hübsches Mädchen. Ich fand sie von Anfang an attraktiv und wir sind uns auch bald über intellektuelle Gespräche etwas näher gekommen. In der letzten Woche haben wir sehr viel zusammen gemacht, viel gesprochen, viel geschmust und auch herumgeknutscht. Es hat sich eine recht seltsame Beziehung entwickelt. Dabei habe ich auch jede Menge über sie erfahren. So ist sie in einer ein- oder zweijährigen Beziehung von ihrem Exfreund mehrmals vergewaltigt und physisch und psychisch verletzt worden. Außerdem hatte sie in ihrer Kindheit ein Erlebnis sexuellen Missbrauchs durch fast Gleichaltrige, für das sie sich schämt. Die Situation in ihrer Familie ist nicht die Beste, die Eltern sind geschieden, ihre Mutter und ihr Bruder scheinen wenig einfühlsam zu sein.Sie verletzt sich selbst. Außerdem erzählt sie davon, dass ihre Realität immer so sei, als hätte sie Drogen genommen. Sie träumt luzid und scheint Dissoziationen erlebt zu haben. Sie zeigt promiskuitives Verhalten, d.h. hat Bekanntschaften und sexuellen Begnungen mit ihr kaum bekannten oder völlig unbekannten jungen Männern, das sie selbst als eine Art Selbstverletzung betrachtet. Sie äußerte außerdem, dass Sexualität schrecklich sei, alle Jungen/Männer würden alles für Sex tun und Sex würde unglaubliches Leid verursachen. Sie meint, sie könne ihren eigenen Selbstwert und ihre Wirkung auf Jungs nicht einschätzen. Sie ist oft angespannt, aggressiv und erzählt von einer Lebensmüdigkeit und Todessehnsucht. Außerdem meint sie, sie würde ihren Selbstwert über Jungs beziehen. Sie scheint eine Art Schwarm zu haben und erzählt öfters, dass dieser bald mit ihr schlafen wolle, aber im Moment noch wartet, vermutlich aufgrund ihrer Verhaltensweise. Nun ist es so, dass ich sie sehr liebgewonnen habe, auf jeden Fall geniesse ich ihre Nähe, geniesse es, sie in die Arme zu nehmen. Unser körperliche Kontakt ist schon sehr innig und sie hat öfters geäußert, sie wolle mit mir schlafen. Daraufhin habe ich sie dann auf ihre promiskutive Lebensweise angesprochen, meinte dass ich nicht mit ihr schlafen will, wenn man den Willen als handlungswirksamen Wunsch definiert, Lust hätte ich dagegen schon, ich wolle sie aber auf keinen Fall verletzen. Daraufhin meinte sie, selbstverletztend wären die sexuellen Handlung, wenn sie mit irgendeinem unbekannten Typen stattfinden würden. Ich selbst habe kaum Erfahrung mit Mädchen, das weiß sie, und sie meinte auch einmal, dass sie mich schon noch "heilen" würde, Nun, ich weiß nicht, ka, ich sehe, dass sie unglaublich leidet und möchte ihr in keiner Weise schaden, sie nicht verletzten. Wieviel Nähe oder Distanz soll ich zeigen, wie soll ich mit ihr umgehen, was ist ethisch gut? Ich habe echt keine Ahnung. Meine Liebe zu ihr würde ich als bedingungslos bezeichnen, ich habe zwar Wünsche, aber keine Ängste oder Forderungen. Bisher habe ich versucht, ihr meine Zuneigung mit Umarmungen und Komplimenten auszudrücken und offen und ehrlich zu sein, was meine Gefühle bzw. Ängste betrifft.

Was soll ich tun?

Forums-InsiderIn 193 Österreich W, 35

Da du sagst, dass du sie liebst, sehe ich weniger das Problem, dass du SIE verletzt - ich hätte eher Sorge, dass sie dich verletzt, weil irgendwie nicht hervorgeht, dass sie dich auch liebt bzw. ist sie dazu überhaupt in der Lage? Würde also nicht nur an sie denken, sondern auch an dich selber. Wie gehts dir damit, wenn du merkst, sie erwiedert deine Zuneigung nicht in der Form und landet dann doch wieder bei einem anderen Mann... Confused

Forums-InsiderIn 305 Ostholstein M, 43

Hallo, Phoenix!

Dein Problem erinnert mich an meine erste Beziehung damals. Mit dem vielleicht nicht unbedeutenden Unterscheid, dass ich erstens aufgrund meiner eigenen Probleme noch keine Hilfe bekam wie du und meine Partnerin ihren schweren Missbrauch damals noch nicht konfrontiert hatte.
Der Endeffekt war, dass mich ihr nähezerstörendes promiskuitives Verhalten sehr verunsicherte und mein eh geringes Selbstwertgefühl sehr erschütterte. Ich kann mich dem bereits ausgesprochenen Hinweis nur anschließen, dass du auch auf dich selbst achten musst, ob du dich in deiner gegenwärtigen Situation (grade mal stabilisiert oder dabei, es zu werden) nicht selbst massiv überforderst. Ich habe lange gebraucht, es anzuerkennen, dass mich meine Freundin damals mit ihren heftigen Problemen schlicht überfordert hat. Ich konnte ihre Stimmungssprünge nicht ertragen und auffangen, kannte ja auch die Ursachen nicht.

Ich weiß auch nicht genau, was das Beste wäre in deiner Situation. Fakt ist, ihr braucht beide Nähe und Zuneigung, wie jeder Mensch, und versucht beieinander diese zu bekommen. Aber ihr habt auch ein Problem, damit umzugehen, weil ihr es nicht lernen durftet bisher. Setzt euch selbst so wenig wie möglich unter Druck, indem ihr z.B. von "Liebe" oder "Beziehung" redet. Damit sind so viele verschwommene Erwartungen verbunden, die ihr wahrscheinlich gar nicht erfüllen könnt. Vielleicht geht es euch besser, wenn ihr das zwischen euch als vorsichtige Freundschaft "deklariert", das lässt euch vielleicht mehr innere Freiheit, euch langsam zu entfalten und gemeinsam und mit Vorsicht neue Verhaltensweisen auszuprobieren.

Viel Kraft und Glück auf eurem Weg!
Rainer

sporadischer Gast 9 Norden M, 18

Nun, wenn sie den Kontakt zu mir abbricht, würde ich mir wohl einfach eine interessanter Tochter einer anderen Mutter suchen. Klingt vielleicht unromantisch, aber so ist das Leben. Wenn ich aber dafür verantwortlich wäre, dass sie leidet, würde ich das kaum verkraften können.

@spätzündi
Danke, so wird's wohl echt das Beste sein.

Forums-InsiderIn 305 Ostholstein M, 43

waum fühlst du dich für ihr Leiden so verantwortlich? Du bist doch kein Brutalo-Typ, der sie schlägt oder missbraucht oder egoistisch für seine Triebe benutzt! Sieh es mal so, dass sie so schwere Probleme mit Liebe und Nähe und Sexualität hat, dass darin der Grund für ihr Leiden liegt - nicht in Dir! Klar leidet deine Freundin, und wie! Aber nicht wegen dir, sondern dem, was andere ihr in der Vergangenheit angetan haben und den Folgen davon! Wenn ihr beide Sex haben solltet, so ist das bei so jungen Menschen und ihren sprudelnden Hormonen erstmal nur natürlich. Aber - du wirst damit wahrscheinlich ganz anders umgehen und etwas ganz anders darin sehen als sie.
Bei mir war es so, dass ich mit der Zeit spürte, dass Sex für meine Freundin kein Vergnügen, sondern ein Zwang ist, kein Ausdrucksmittel für Liebe, sondern etwas zutiefst zwiespältiges. Mal genoss sie es scheinbar, dann wieder hasste sie es. Damit kam ich überhaupt nicht klar auf Dauer. Es bestand zwar bei uns eine hohe Energie (neurotische!), die wir oft mit Liebe verwechselten! Wir versuchten es immer wieder miteienander, aber jedes Mal, wenn ich mich öffnen und unsere körperliche Nähe geniessen wollte, ging sie wieder auf Distanz. Darunter habe ich sehr gelitten und irgendwann sah ich ein, dass mich das alles nur überforderte.
Wenn ich dir von daher einen Rat geben soll: konzentriere dich erstmal auf deinen eignen Heilungs- und Selbstfindungsprozeß und mach dich nicht schon wieder von der Liebe oder Ablehnung eines anderen Menschen abhängig! Du musst nicht zum Retter eines armen Mädchens werden, um selber was wert zu sein.

Lg
Rainer

sporadischer Gast 9 Norden M, 18

Ich habe gerade eben noch ein wenig mit ihr gechattet, hab' ein paar interessante Dinge erfahren und glaube die innere Logik in ihrem Verhalten im Großen und Ganzen zu verstehen. Ich werde ganz sicher nicht mit ihr schlafen.

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