Lügen aus Scham - Lebenslüge beichten

sporadischer Gast 13 Deutschland M, 25

Hallo. Dies ist mein erster Beitrag.

Ich begann als Kind, die für mich beschämenden Umstände meiner Familie zu verbergen. Ich isolierte mich, war ausweichend und griff schließlich zu Notlügen, einfach um nicht mehr in gaffende, verständnislose oder mitleidige Gesichter blicken zu müssen.

Ich war es gewohnt, daß es sowieso nicht um mich ging und was los war, sondern daß es einfach ist, seine Ruhe zu bekommen wenn man so tut als wenn alles in Ordnung ist. Sogar meine Familie bekam nur abwiegelnde, verbale Beruhigungspillen sozusagen.

Das wurde zur Gewohnheit. Keiner wußte wie es um uns und mich bestellt war.

Nach der Schule bekam ich nichts auf die Reihe. Eine Krise (schwere Depression) hatte mir den Boden unter den Füßen weggezogen, und nach einen zweijährigen ziemlichen Absturz wußte ich nicht weiter und kam wieder zu meiner Mutter.

Mein Versagen und die Tatsache, als junger Erwachsener jahrelang bei meiner Mutter rumzuhängen, beschämten mich zusätzlich. Ich war sehr scheu und hatte mich ziemlich aufgegeben.

In dieser Lage lernte ich im Internet meine erste Freundin kennen. Zufällig. Meine Identität im Web war jedoch geschönt. Ich habe nichts großartiges behauptet, aber einen kleinen Job und eine Wohnung erfunden, eine eigene Existenz eben, die ich mir so sehr wünschte. Und ich hatte eigentlich auch gedacht, weiterhin die Kontrolle darüber zu haben wen ich kennen lerne. Ich hatte gar nicht vor, jemanden zu finden.

Es passierte aber trotzdem. Zwar war ich zu dem Zeitpunkt des persönlichen Kennenlernens doch wieder ausgezogen und stecke in einer Ausbildung - meine jetztigen Situation (und auch meine Herkunftsverhältnisse) sind ihr bekannt, aber sie weiß bis heute nichts von meiner Zeit bei meiner Mutter als unselbständiger Deprihänger und wie massiv handlungsfähig ich war.

Ich schäme mich sehr dafür, ausgerechnet diesen Menschen angelogen zu haben. Es geht hier also nicht mal so sehr darum, WAS ich vertuscht habe, sondern daß ich ihr nicht ehrlich begegnet bin.

Und ich weiß auch, daß sie mit Lügen einige extrem schmerzhafte Erfahrungen gemacht hat. Ich muß damit rechnen, daß ein Geständnis die Basis unserer Beziehung nachhaltig beschädigt.

Trotzdem will ich es ihr natürlich sagen, es gibt ja auch keine Alternative.

Ich habe bloß solche Angst davor. Es fällt mir schwer die Kraft dafür aufzubringen und außerdem würde ich mir gerne irgendeinen Rückhalt suchen für die Zeit, wo sie mich (zu Recht) überdenken wird.

Ich fühle mich sehr schlecht deswegen.

Forums-InsiderIn 193 Österreich W, 35

Ok, es war eine kleine Lüge. Aber es hat ja an sich nichts mit der Beziehung zu tun. Du hattest eine depressive Phase und es ging dir sehr schlecht - Und sowas ist halt etwas, was man erst dann erzählt, wenn man jemanden schon besser kennt. Ich denke, dass sie dafür schon Verständnis haben wird, wenn sie dich liebt.

sporadischer Gast 13 Deutschland M, 25

Wir hatten aber sehr lange online Kontakt.

Insofern finde ich eben nicht daß es eine "kleine Lüge" ist.

Ich habe ihr ein ganz anderes Leben vorgegaukelt.

Das ist in meinen Augen nicht klein, sondern sehr groß, gerade wenn man solche Erfahrungen hinter sich hat wie sie.

Oder sehe ich das bloß durch die falsche Brille...

Forums-InsiderIn 193 Österreich W, 35

Wie sieht das jetzt aus? Ist deine jetzige Situation so, wie du es ihr sagst?
Ich würd ihr sagen, dass du krank warst und es dir nicht zu sagen getraut hast. Für eine Depression brauchst du dich nicht schämen, dabei bleib ich.
Setz dich mit dem Thema Depression auseinander, dann wirst du vermutlich sehen, dass du nicht der einzige bist, der das nicht zugeben will und es verschleiert...

sporadischer Gast 13 Deutschland M, 25

Ja, meine jetztige Lage kennt sie.

Einige Details nicht, aber das nicht weil ich ihr da was anderes erzählt habe, sondern weil ich 2-3 Themen einfach gemieden habe (Dinge die ich nicht kann/habe usw).

Die Lüge die im Raum steht sind halt diese von mir verschleierten Jahre, wo ich voller Selbstabwertung bei meiner Mutter gelebt und den A* nicht hochgekriegt habe.

Allerdings habe ich von meinem gefaketen Leben doch auch einiges erzählt, von dem Job den ich nicht hatte, usw. EDIT: also, nicht erzählt im Sinne von gebeichtet - ich meine damit daß ich doch relativ vieles dazu erfunden habe, also ein ganz so kleines Lügengebäude war es eben nicht.

Was meine Depris angeht, und generell familiäre Belastungen usw, das weiß sie schon, es war weniger das Problem, meine Schwierigkeiten zuzugeben. Nur, daß ich es nicht geschafft hatte, TROTZ ALLEDEM mehr aus mir zu machen, meine Träume zu verfolgen, das ist so vernichtend für mich gewesen, daß ich die Wahrheit durch ein Lügengebäude ersetzt habe.

Es war früher immer mein größter Wunsch, aus meiner Herkunft rauszuwachsen, aber als es dann ernst wurde, hatte ich massive Krisen und hab wieder nur die Rücklichter von den anderen gesehen. Speziell meine erste Krise war sehr traumatisch was das angeht. Es ist als ob ein großer Teil von mir im Treibsand erstickt ist, all das was ich an mir selber besser machen und gut finden wollte. Meine Perspektive. Das wollte ich nicht zugeben, also "öffentlich wahrhaben" müssen.

Hallo Liguster!

Ich misch mich mal kurz in eure Diskussion ein… Wink

Also meiner Meinung nach ist das Ganze auch keine „kleine Lüge“. Vor allem dann, wenn deine Freundin in dieser Richtung schon mal schlechte Erfahrungen gemacht hat. Wenn sie erfährt, dass du sie wirklich angelogen hast, kann das schon einen Riss in ihrem Vertrauen zu dir bewirken.
Nur: du hast Recht, sagen musst du es ihr – und zwar so bald wie möglich! Je länger du´s hinauszögerst, umso schlimmer wird´s!
Ich stell mir grad vor, wenn ich in ihrer Lage wär… für mich ist Ehrlich absolut unabdingbar – und zwar in jeder Beziehung! Mich würd das schon ziemlich treffen, und ich würd mich fragen, was du sonst noch so „erzählt“ hast, das nicht der Wahrheit entspricht.
Versuch, ihr vor allem diese Angst zu nehmen. Erklär ihr, warum du deine Identität im Internet beschönigt hast und warum du ihr nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt hast. Sag ihr (zumindest wenn’s stimmt), dass du sonst immer aufrichtig zu ihr warst und auch immer aufrichtig zu ihr sein wirst.
Wenn sie dich kennt und wenn du ihr wichtig bist, wird sie dich auch verstehen können! Auch wenn sie ggf. eine zeitlang braucht, um dir wieder zu 100 % ihr Vertrauen schenken zu können.

Ich wünsch dir Kraft und den Mut, ihr dein Herz ganz zu öffnen.

Liebe Grüsse

lilit

Forums-InsiderIn 444 A Country near Germany M, 41

Nun, jede Lüge kommt irgendwann auf.
Aber manchmal kann das auch etwas befreiendes haben.
Vll ist es ganz schön jmd. in der Nähe zu wissen, der einem vergibt.
So würde ich es zumindest halten.
Das Wichtigste ist doch, dass der/die Betreffende von nun ab nicht mehr Lügen muss.
Keine Energie mehr auf Abblocken verwenden muss, auf Geschichtlein und Ausreden erfinden.

Forums-InsiderIn 284 Berlin W, 40

Hallo Liguster,

ich habe den eindruck, dass du zwei sachen vermischst, die nichts miteinander zu tun haben. Deine selbstzerfleischende sicht auf dein leben und die vermeintliche perspektive deiner freundin. Du hast sehr eindrücklich beschrieben, dass lügen in deinem leben ein rettungsanker waren, dass du keinen anderen weg gesehen hast. Mich hat berührt, was du geschrieben hast.
Es tut mir weh zu lesen, wie brutal du dich fertig machst, weil du wegen deiner depris bei deiner mutter "herumgehangen" hast. Das ist das depressive an sich, selbsthass.
Der hat aber mit deiner freundin nichts zu tun. Ihre sicht ist eine andere. Ich habe das gefühl, du machst aus deiner lüge jetzt eine große sache, um dich fertig zu machen. Die lüge bekommt ein so großes gewicht, wie dein vermeintliches versagen. Und du nimmst an, dass das für deine freundin auch so sein muss.
Ich finde, du brauchst ihr nichts davon zu sagen. Warum denn eigentlich? Die story hat doch mit ihr nichts zu tun. Du täuschst sie doch nicht, um sie zu beeinflussen oder zu irgendwelchen sachen zu drängen, die sie hinterher bereuen könnte. Als freundin wird sie allmählich genug von dir sehen und verstehen.
Wenn du das verschweigen der lüge allerdings dazu benutzt, um dich zu geißeln, dann sag es ihr.
Wichtiger wäre aus meiner sicht, mehr verständnis und zärtlichkeit dir selbst gegenüber zu entwickeln.
Bist du eigentlich in therapie?

viel kraft dabei und lieben gruß

Wink

sporadischer Gast 13 Deutschland M, 25

Nicht erzählen ist keine wirkliche Option, oder?

Erstens gibt es ja einen Teil in mir, der es loswerden will, auch wenn ein anderer große Angst davor hat - und zweitens: selbst wenn ich es wirklich bewußt weiter verbergen wollte, wird sowas auf Dauer kaum funktionieren.

Ich meine, irgendwann leben wir vielleicht näher beieinander oder sogar zusammen, sie wird mit meiner Familie zu tun haben... da lassen sich mehrere Jahre wohl kaum einfach streichen. Das kommt eh irgendwann auf den Tisch, und wenn es nur aus Zufall ist.

Forums-InsiderIn 284 Berlin W, 40

Was willst du loswerden?

Ich habe den eindruck, die last, die auf deinem leben liegt.
Die hat aber mit deiner freundin nix zu tun.

Kümmere dich doch erstmal um dich und die entwicklung eurer beziehung. Scheint mir naheliegender, als sich gedanken über eine mögliche zukunft zu machen, in der zufällig ans tageleicht kommt, was für ein elender versager du bist. Wink

Es gibt doch bestimmt viel positives in deiner neuen beziehung. Genieße es! Wink

sporadischer Gast 13 Deutschland M, 25

Eine positive Beziehung , in der die eine den anderen nur unvollständig kennt?!

Mit loswerden meine ich bereinigen - eine bessere Grundlage schaffen.

Und dabei fällt es mir weniger schwer, zuzugeben daß ich bislang nicht viel zustande gebracht habe (das weiß sie ja auch an sich), sondern auszusprechen daß ich sie über mich angelogen habe.

Forums-Gruftie 677 eine Stadt in D W, 53

Hallo Liguster!

Es gibt zwar bei solchen Beichten den Grundsatz, es nicht nur deshalb zu tun, um die eigene Last abzuwerfen, wenn es den anderen dafür dann verletzt - aber ich denke, wenn Du Dich nach der gründlichen Abwägung Deinerseits für das Aussprechen der Wahrheit entscheidest, dann im Hinblick darauf, dass der beidseitige Nutzen der Offenheit größer wäre als der möglicherweise anzurichtende Schaden.

Reinen Tisch zu machen - auch auf die Gefahr hin, jemanden zu verlieren, wäre mir ein Herzensbedürfnis. Und ich denke, eine Frau, die Dich sehr mag, würde es akzeptieren, wenn Du es ihr genauso erklärst, wie uns hier. Wenn Du sie gleichzeitig aufrichtig um Verzeihung bittest und ihr versicherst, dass Du in derlei Dingen in Zukunft auf keinen Fall mehr Heimlichkeiten beabsichtigst, dürfte es nicht zwischen Euch stehen bleiben.

Sollte aufgrund dessen ein Riss entstehen, wäre das zwar sehr schade, entspräche aber der Lebensrealität; wenn das für sie relevanter wäre als Eure gemeinsame Zukunft - könnte es sowieso fraglich sein, ob Ihr harmonisieren würdet auf Dauer.

Gruß, Eve

Forums-InsiderIn 284 Berlin W, 40

Hallo liguster,

was verstehst du unter "vollständig kennen"?

Kann ich nicht nachvollziehen. Das ist doch gar nicht möglich. Und wer will das schon?

Aber du scheinst dir doch sicher zu sein, dass du beichten möchtest. Dann mach' es und sei guten mutes. Ich schließe mich in diesem punkt meiner vorrednerin an. Wenn deine freundin vom glauben an dich abfällt, dann wäre sie dir sowieso nicht gewachsen.

Viel glück
Wink

sporadischer Gast 13 Deutschland M, 25

Nochmal ein kleines Update zu der Sache.

Nun, zunächst das schlechte: ich hab´s noch nicht getan.

Es war sehr turbulent die letzte Zeit und ich wollte weder mir noch ihr diesen "Klopper" zwischendrin servieren.

Das Gute: wir haben generell sehr viel über unsere Vergangenheit ausgetauscht und sie weiß immerhin von den Dingen, die mich zT ins Deckeln und Lügen getrieben haben, und auch daß sie es zeitweise getan haben.

Nun habe ich einen klaren, nicht zu langen Brief verfasst. Wenn ich sie das nächste Mal besuche, werde ich ihr sagen daß es etwas gibt was sie wissen muss und was ich ihr aber lieber schreiben möchte.

So langsam wird es also ernst.

Ich hab natürlich große Angst davor, und bin auch ziemlich niedergeschlagen, weil die Chancen nicht schlecht stehen, daß ich meine erste Beziehung durch mein Verhalten zum Scheitern verurteilt habe.

Das ist jetzt also der (immer noch unbefriedigende) Stand der Dinge Neutral

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