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sternschwester
sporadischer Gast


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München W, 22
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Sun, 09.Nov.03, 15:12 Die Ungerechtigkeit dieser Welt! |
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Hey.
Ich fürchte, der Beitrag paßt nicht so richtig in die Beziehungs-Ecke, weil es um die "Beziehung" zu einem Kind geht. Ich wußte nur nicht wohin ich sonst damit soll. Ich hoffe, das geht ok.
Seit zwei Monaten bin ich jetzt dort im Asylbewerberwohnheim, mache theoriebegleitendes Praktikum und meine Tätigkeitsbereich sind die Schulkinder. Ich mache mit ihnen (und noch 2 Kommilitonen) Ausflüge, wir verbringen unsere Zeit gemeinsam, lachen, reden, streiten, leben miteinander, jedenfalls einmal die Woche für ein paar Stunden. Tapetenwechsel für die Kids, die ihr Dasein in Baracken fristen und nichts haben als eine Betonwüste und Stacheldraht, der die Gemeinschafts-unterkunft umgibt. Ich genieße diese Stunden mit „meinen“ Kindern. Sie transportieren den puren Optimismus, Lebenskraft – und wille und sind wohl Anpassungskünstler sondergleichen. Denn sie sind Kriegsflüchtlinge. Aus dem Irak, Afghanistan und dem Kosovo. Das genaue Schicksal des Einzelnen kenne ich nicht, ich will auch nicht fragen, manchmal lässt ein Kind über die Geschichte des anderen einen Nebensatz raus („Sein Vater wurde erschossen und er saß daneben“) und für die Zeit, die wir zusammen sind ist’s auch nicht wichtig, denn sie versuchen ein ganz normales Leben zu führen hier in Deutschland, in die Schule gehen, Hausaufgaben, Fußballspielen, Kind-sein eben.
Wie es immer so ist (und wie es eigentlich nicht sein sollte) hab ich an einem von den Kids nen Narren gefressen. Einer von der Sorte Showmacher, der in seinem Auftreten (auch schon mit 13 Jahren) die Gruppe im Griff hat, als Peacemaker fungiert und mir damit echt eine Hilfe ist. Er hängt an mir dran, will meine Aufmerksamkeit und dass er mir wichtig ist. Nun, inzwischen hat er das schon ganz gut geschafft muss ich wohl zugeben..
Soweit alles gut. Bis Freitagabend.
Nach unserem Ausflug (wo wir alle einige –alterstypische- Streitigkeiten hatten und deswegen die Stimmung etwas gelitten hatte) hab ich mit meiner Anleiterin telephoniert und ganz nebenbei erfahren, dass A. („mein“ Kleiner), seine Eltern und seine vier Geschwister in 4 Wochen abgeschoben werden. Mich hat das ungefähr so unerwartet getroffen, wie einem ein Vorschlaghammer von hinten den Kopf spaltet.
Die „Rückführung“ läuft schon und soll bis Ende des Jahres „abgeschlossen“ sein.
Ich konnte erstmal gar nichts mehr.
Viele viele Stunden später.
Höre den Soundtrack von „Jenseits der Stille“ (absolute Depri-Musik), liege auf meinem Teppich, starre an die Decke. Mein Kopf ist leer, bis auf ein paar Worte, „Ungerechtigkeit“ ist eins davon. Eine lähmende Traurigkeit hat von mir Besitz ergriffen. Es tut mir so weh, ein dumpfer Schmerz sitzt ganz tief in mir drin, die Tränen kommen schon wieder, ich lasse es zu, heute haben sie eine absolute Daseinsberechtigung, vielleicht spenden sie mir den Trost, den ich schon den ganzen Tag nirgendwo finden kann. Es wäre mir peinlich, wenn A. mich so sehen würde, er würde mir sicher sagen „Ach, heul doch nicht!“, mich schief angrinsen -nicht ohne Traurigkeit im Blick - und versuchen mir weiszumachen, dass es ihm gar nichts ausmacht, aber wahrscheinlich nur aus dem Grund, weil er selber nicht heulen wollte.
Er wird seinen geliebten Fußballverein verlassen müssen, seinen Posten als Teamcaptain abgeben, seine Kids nicht mehr trainieren können. Seine Schule wird einen neuen Schülersprecher wählen müssen. Weil Deutschland ihn nicht mehr haben will. Obwohl er hier zu Schule geht, die Sprache spricht – seit 5 Jahren hier lebt.
„Nach hause“ also, und das heißt - wieder – entwurzelt werden. Heimkommen und - wieder- völlig fremd sein. Glaubt ihr, der Kosovo hat auf sie gewartet?!
Sie werden dort ankommen mit nichts als ihrer Kleidung, die sie tragen. Aber dort am Flughafen wird die Sache für die Bundesrepublik erledigt sein, Solidarität bis zur Staatsgrenze, danach kann sie der Teufel holen.
Es macht mich so wütend, ich bin so machtlos.
An der Tatsache, dass ich ihn dann nie mehr sehen werde, dass er nie mehr versuchen wird mich zu verarschen, dass er meine Stimmung durch seine Art nie wieder so pushen wird, dass er einfach weg sein wird, daran ist nichts zu ändern.
Das mit der Distanz muss ich wohl echt noch lernen. Also Leute, passt auf, an wen sich euer Herz verschenkt, es könnte passieren, dass es eine schmerzhafte Wendung nimmt.
Ich werde jetzt versuchen etwas Trost zu finden, vielleicht beim lesen, oder beim malen, vielleicht hilft es der Seele. Meiner Seele. A.’s Seele wird es gewiss nicht helfen, wie denn auch?!
Er hat heute ein Fußballspiel und ich wünsche ihm von Herzen, dass er gewinnt. Wenigstens beim Fußball *bitterlächel*
Yeah, life sucks. *heul*
Sternschwester.
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Annemarie
Moderatorin


1682
Oberösterreich W, 45
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Mon, 10.Nov.03, 8:18 Re: Die Ungerechtigkeit dieser Welt! |
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Liebe Sternschwester,
*eigentlich sprachlos und traurig bin*
Ich muß es nicht "hautnah" erleben, aber alleine beim Lesen läuft´s mir kalt den Rücken runter.
Da ich immer nach Positivem in einer noch so traurigen "Geschichte" bzw. in einem noch so traurigen "Erleben" suche, habe ich es auch hier versucht. Klingt das meiste nach Hohn.
Aber etwas ist mir trotzdem in den Sinn gekommen.
Wenn es jemand schafft, mit solch einer tragischen Situation umzugehen und das Beste herauszuholen, dann ist es "Dein Kleiner" mit solch einer starken Persönlichkeit, wie Du sie beschrieben hast. Vielleicht hat das alles seinen Sinn, warum gerade er dorthin "zurückgeholt" wird ....
Ich weiß nicht, ob es für Dich ein Trost ist, aber ich erinnere mich dabei an die Worte der Frau unseres Pfarrers (mit ihr hatten wir engeren Kontakt, weil unsere Kinder befreundet sind). Ein Satz, den sie des öfteren sagte, der mir sehr imponierte und ich von ihr gerne "mitgenommen" habe:
Gott gibt jeden nur die Last, die er auch tragen kann.
Ich würde Dir wünschen, daß dies oder ähnliches auch Dir in Deinem Seelenleben ein wenig helfen kann.
Vom Herzen alles Liebe,
Annemarie
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_________________ Liebe ist das Fundament des Lebens |
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sternschwester
sporadischer Gast


13
München W, 22
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Wed, 12.Nov.03, 13:22 Re: Die Ungerechtigkeit dieser Welt! |
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Liebe Annemarie.
Ich danke dir von Herzen für deine Antwort.
In meiner Niedergeschlagenheit hat mich dein Satz ("Gott gibt jedem nur die Last, die er auch tragen kann") innehalten lassen und darüber nachdenken.
Ich denke, das ist was Wahres dran. Der Kleine triumphiert über sein Schicksal, ich finde das immer wieder faszinierend wie Kindér das hinkriegen.
Vielleicht wird er es auch weiterhin hinkriegen. Auch "zuhause" im Kosovo.
Ich kann's ihm nur wünschen.
Fast schon fand ich mich selbst unverschämt, weil ich so traurig war/bin über diesen "Verlust". Ist es der pure Egoismus, wenn man um einen Menschen weint, den man verlieren wird?
Fast schon hab ich mich gefragt, ob ich überhaupt eine Berechtigung dazu hab... Ich betrauere sein Schicksal, die Lebensumstände, mit denen er fertig werden muss und die Tatsachen, vor die er gestellt wird, das ist richtig. Aber ich muss zugeben, dass ich auch darum trauere, weil er dann nicht mehr "in" meinem Leben ist, weil er mich durch seinen Charakter nicht mehr, wie könnte ich sagen, bereichert(?).
*schmunzel*
Ja, seufz, ich werde ihn vermissen.
Alles Liebe,
sternschwester.
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Deanna
Forums-InsiderIn


201
Wien W
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Sun, 16.Nov.03, 15:05 Re: Die Ungerechtigkeit dieser Welt! |
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sternenschwester,
ich bin selbst etliche Male in Restjugoslavien gewesen,
Serbien, Montenegro, auch Bulgarien.
was mir im Gegensatz zu unserer Gesellschaft auffällt, ist folgendes:
viel mehr Hilfsbereitschaft, Kinder sind für sie heilig, dort einen Freund zu haben bedeutet, dass er alles für Dich geben würde, viel mehr als der durchschnittliche Mitteleuropäer.
der Krieg ist vorbei, es könnte noch schlimmer sein...
ich schliesse mich den Worten von Annemarie an,
Gott gibt jeden nur die Last zu tragen, die er tragen kann.
es kann sein, dass genau dieser kleine, tolle Charakter später dazu beitragen wird, aus seinem Land wieder einen schönen, lebenswerten Platz zu machen
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_________________ children of the stars are we
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