Ich schäme mich so, weil...

Nicht jedem fällt es leicht, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, "einfach" mal jemanden kennenzulernen oder sich in Gruppen selbstsicher zu verhalten. Hier können Sie Erfahrungen dazu (sowie auch allgemein zum Thema "Selbstsicherheit") austauschen.
Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Cajumi
neu an Bo(a)rd!
neu an Bo(a)rd!
weiblich/female, 27
Beiträge: 1

Ich schäme mich so, weil...

Beitrag So., 02.03.2008, 12:29

Hallo,

ich weiß gar nicht so recht wo ich anfangen soll. Und zwar geht es darum, dass ich ein großes Problem mit meiner Schulbildung habe. Ich schäme mich regelrecht dafür. So sehr, dass ich manchen Leuten einfach Mist erzähle, wenn ich danach gefragt werde.
Die ersten drei Schulklassen besuchte ich in Österreich. Meine Noten waren gut und die Schule hat mir Spaß gemacht. Dann zogen wir nach Deutschland und ich mußte natürlich dort weiter zur Schule gehen. Meine Noten wurden bereits in der 4. Klasse wesentlich schlechter. Heute kann ich nicht mehr sagen, ob wirklich der Stoff schwerer wurde oder vielleicht etwas anderes dahinter steckte. Nach der 4. Klasse kam ich in die Orientierungsstufe. Weiterhin waren die Noten so schlecht, dass ich nur eine Hauptschulempfehlung bekam. Meine Eltern konnten dies nicht akzeptieren und steckten mich trotzdem auf die Realschule, mit den Worten meiner Mutter:"Ich war auch auf der Realschule und Dein Vater hat sogar die Fachhochschulreife". Nachdem ich im Halbjahreszeugnis sieben fünfen (!!!) hatte, mußte ich zwangsweise auf die Hauptschule wechseln. Dort wurden die Noten zwar besser, aber ich hatte weiterhin schwere Probleme mit der Konzentration und dem Lernen. Ich machte die 10. Klasse, in der Hoffnung dadurch den Realschulabschluß zu bekommen. Aber ich hatte es nicht geschafft und damit war ich eine der wenigen. Mein Abschlußzeugnis hatte einen Durchschnitt von 3,4. Für den Realschulabschluß hätte ich mindestens 3,0 gebraucht.
Ich hatte trotz des schlechten Zeugnisses Glück und fand eine Lehrstelle zur Zahnarzthelferin. In der Berufsschule hatte ich wesentlich weniger Probleme. Ich konnte mich gut konzentrieren, lernte brav für Schularbeiten und schrieb relativ gute Noten. Meine Abschlußprüfung habe ich beim ersten Mal mit Note 3 bestanden. Mein Berufsabschlußzeugnis hatte einen Durchschnitt von 2,6 und ich bekam somit die Mittlere Reife.
Tja, das Problem was ich heute habe: Mein Mann hat mich vor Jahren nach meiner Schulbildung gefragt und aus Scham habe ich ihm nie die Wahrheit gesagt. Ich schaff es einfach nicht. Er denkt nun ganz einfach, dass ich auf der Realschule war. Was natürlich nicht stimmt.

Im letzten Jahr war ich wegen meiner Borderline-Störung in stationärer Therapie und auch dort habe ich es nicht geschafft, die Wahrheit zu sagen. In meiner Teamvorstellung schrieb ich, dass ich die Realschule besucht habe. Ich schäme mich einfach so sehr dafür. Ich weiß ja, dass dies Therapeuten sind und die mir dabei am ehesten helfen können. Aber gerade bei diesen ist die Scham am größten, da super Abi -> Psychologiestudium ect.

Das Thema kommt bei mir immer wieder hoch und ich merke, dass ich es einfach nicht akzeptieren kann. Und ich hab keinen Plan, wie ich es schaffen soll, dies bei meiner ambulanten Thera anzusprechen, ohne das sie denkt, was für ein dummer Mensch ich doch bin.

Jemand eine Idee?
Danke für's Lesen.

LG
Cajumi

Werbung

Benutzeravatar

Tara
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 32
Beiträge: 852

Beitrag So., 02.03.2008, 13:55

Liebe Catjumi!

Intelligenz, Klugheit und Weisheit lassen sich nicht am Grad der Schulbildung messen!!!

Mein Mann ist dafür ein gutes Beispiel- Er ist in Kaschmir aufgewachsen und konnte ab der 8. Klasse den regulären Schulbesuch nicht mehr machen, da seine Familie in absoluter Armut (bedingt durch einen jahrzehntelangen schwellenden Bürgerkrieg) lebte und er für den Unterhalt seinen Beitrag leisten MUSSTE!
Er hat somit eine recht schlechte Bildung (im schulischem Sinne) Durch seine Neugierde, seinen Wissensdurst und sein Auffassungsvermögen aber, ist er meines Erachtens ein unglaublich gebildeter und kluger Mensch!
Ich kenne viele Studenten, Mag., Dr. ... die ihm in gewissen Dingen keinesfalls das Wasser reichen können-

Gerade in der heutigen schnelllebigen Zeit, ist das Wissen von heute, morgen schon nicht mehr gültig!

Ich halte mich gerne an die Weise Aussage unseres bedeutenden Philosophen Sokrates :"Je mehr ich weiß, um so mehr weiß ich, dass ich nichts weiß"....

alles Gute
l.g.tara
"Die Theorie bestimmt, was wir beobachten können." (Einstein)

Benutzeravatar

expat
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
männlich/male, 68
Beiträge: 1161

Beitrag So., 02.03.2008, 14:55

tara hat geschrieben: Mein Mann ist dafür ein gutes Beispiel- Er ist in Kaschmir aufgewachsen und konnte ab der 8. Klasse den regulären Schulbesuch nicht mehr machen, ...
Das kann ich noch toppen: Meine Frau hat gerade mal 4 Jahre thailändische Dorfschule aufzuweisen. Ich glaube aber, das wird hier nicht weiterhelfen. Wer dazu neigt, sich zuschämen für jedes und alles, wird sachlichen Argumenten kaum aufgeschlossen sein. Warum schreibe ich das dann trotzdem? Weil ich hoffe, dass ich Unrecht habe.
Das war's
Wo jeder Widerspruch gelöscht wird, scheint alles klar.

Benutzeravatar

münchnerkindl
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 38
Beiträge: 9573

Beitrag So., 02.03.2008, 15:30

Ich glaube Du hast diese Probleme weil Deine Eltern Dir (erfolgreich) eingetrichtert haben daß Dein Wert als Mensch von einem Schulzeugnis abhängt. Diesen Mist hast Du verinnerlicht. Was auch nicht wundert so wie sie Dich damit tyrannisiert haben.
Vermutlich mussten Deine Eltern widerrum ihren eigenen Wert als Mensch stabilisieren indem sie eine Tochter haben die selbstverständlich nicht so minderwertig ist daß sie NUR die Hauptschule besucht....

Und dieser Mist muss jetzt aus Deinem Gehirn raus...

Und glaub mir, es gibt auch Akademiker die komplett asozial sind.
Oder schau Dir die ganzen Politiker an mit ihren Skandalen... Die meisten dürften Abitur und Studium haben Und? Hats was geholfen? Offensichtlich hat es sie nur dazu befähigt sich effizienter zu bedienen... Gegen deren Unfähigkeit hat die Bildung offenbar nicht geholfen...

Werbung

Benutzeravatar

Elfchen
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 51
Beiträge: 2845

Beitrag So., 02.03.2008, 15:33

Liebe Cajumi

Wie gut ich Dich verstehen kann!!
Ich bin das älteste von sechs Kindern und durfte nicht ins Gymnasium im Gegensatz zu meinen Geschwistern, von denen vier eine Matura und ein Studium haben. Wir sind auch fast jedes Jahr an einen anderen Ort gezogen.
Mit 15 wurde ich von meiner Mutter und meinem Stiefvater rausgeworfen; ich hatte ausgedient, der Platz wurde gebraucht.

Ich hab mich mein Leben lang geschämt, arbeite auch in einer Arztpraxis und hätte sooo gerne studiert.
Alles, was Expat sagt, ist richtig, nur hilft das wirklich nicht, diese Wunde zu schliessen. Klar hat Intelligenz nichts mit Bildung zu tun, aber lieber Expat, leb mal in einer Welt, wo Diplome und Ausweise wichtig sind!
Weisst Du auch, wie demütigend es ist, wenn Dir Dinge "erklärt" werden, die du weisst, aber eben eigentlich nicht wissen können solltest von deinem Bildungsstand her! Wenn Du in Gespräche, denen du mühelos folgen könntest, nicht einbezogen wirst, weil du ja genau genommen nicht diesen Level hast.
All das macht das Selbstvertrauen so sehr kaputt, dass (zumindest ich) mich auch selten bis nie getraue, mich einzubringen.

Lange hab ich mir überlegt, die Matura nachzuholen. Da ich aber nie Selbstvertrauen hatte, hab ich es mir nicht zugetraut.
Du siehst, liebe Cajumi, Du bist nicht alleine. Aber ich kann Dir irgendwie nur den Rat geben, mach so lange Du kannst an Ausbildung, was Du kriegen kannst. Ich leide heute nicht mehr so sehr wie früher, aber es ist eine Wunde, die nicht zugeht.

Alles Liebe!
Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben. Epiktet

Benutzeravatar

Elfchen
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 51
Beiträge: 2845

Beitrag So., 02.03.2008, 15:41

Noch was: ich hab es auch lange Jahre meinem Freund verschwiegen, mich bei fremden Leuten durchgemogelt, immer versucht, auszuweichen. Nicht mal meine eigenen Kinder haben meinen wirklichen Werdegang gekannt.
Vor ca. zwei Jahren hab ich dann meinem Freund die Wahrheit gesagt. Er ist Naturwissenschaftler und hat auch einen Doktortitel. Ich bin (obwohl ich keine Heulsuse bin) fast nicht mehr aus dem Weinen herausgekommen.
Fremden Menschen werde ich natürlich nichts sagen, aber seit ich es in der Familie offengelegt habe, ist mir doch wohler.

Also: Mut zur Ehrlichkeit! Steh zu Dir, denn auch zahnmedizinische Assistentin zu sein ist keine Schande! Und die Thera wird Dir besser helfen können, wenn sie weiss, was dich wirklich plagt!
Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben. Epiktet

Benutzeravatar

expat
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
männlich/male, 68
Beiträge: 1161

Beitrag So., 02.03.2008, 15:49

Brösmeli hat geschrieben:Expat, leb mal in einer Welt, wo Diplome und Ausweise wichtig sind!
Tue ich ja. Aber auf dem Weg dahin habe ich auch mein Ding mitbekommen, da ich mich ständig als schlechter Schüler gefühlt habe und es vielleicht auch war. Nur wenn ich meine Zeugnisse anschaue, war es gar nicht so schlimm, was wieder mal zeigt, dass man oft unter der Interpretation der Situation mehr leiden kann als unter den realen Umständen.
Weisst Du auch, wie demütigend es ist, wenn Dir Dinge "erklärt" werden, die du weisst, aber eben eigentlich nicht wissen können solltest von deinem Bildungsstand her! Wenn Du in Gespräche, denen du mühelos folgen könntest, nicht einbezogen wirst, weil du ja genau genommen nicht diesen Level hast.
Nein, so was erlebe ich nur in Foren. Stört mich aber nicht weiter.
Das war's
Wo jeder Widerspruch gelöscht wird, scheint alles klar.

Benutzeravatar

Elfchen
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 51
Beiträge: 2845

Beitrag So., 02.03.2008, 15:55

Dann, lieber Expat, kannst du auch nicht nachvollziehen, was das in der realen Welt bedeutet.
Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben. Epiktet

Benutzeravatar

expat
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
männlich/male, 68
Beiträge: 1161

Beitrag So., 02.03.2008, 16:02

Brösmeli hat geschrieben:Dann, lieber Expat, kannst du auch nicht nachvollziehen, was das in der realen Welt bedeutet.
Darum habe ich ja auch nicht geschrieben: "Ich kann dich so gut verstehen. Fühl dich gedrückt!"
Das war's
Wo jeder Widerspruch gelöscht wird, scheint alles klar.

Benutzeravatar

Elfchen
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 51
Beiträge: 2845

Beitrag So., 02.03.2008, 18:24

@expat:

Fühle mich grad ein wenig verlacht von Dir.
Das war jetzt weder konstruktiv noch wenigstens in irgendeiner Weise nett.
Genau das, was man braucht bei der Thematik, expat, vielen Dank!
Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben. Epiktet

Benutzeravatar

Aditi
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 53
Beiträge: 1089

Beitrag So., 02.03.2008, 23:11

ich fände es ja interessant zu fragen, wie es dazu kommt, dass man/frau sich schämt???? was ist dahinter?
ein gesundes schamgefühl zu entwickeln schützt und finde ich wichtig. wie hängen "scham" und "sich schämen" zusammen? wann und wodurch wird aus schutz einengung, beschränkung und last?

aditi

Benutzeravatar

expat
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
männlich/male, 68
Beiträge: 1161

Beitrag Mo., 03.03.2008, 02:33

Ein gesundes Schamgefühl gibt es nach meinem Dafürhalten ebenso wenig wie gesunde Eifersucht.
Das war's
Wo jeder Widerspruch gelöscht wird, scheint alles klar.

Benutzeravatar

Aditi
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 53
Beiträge: 1089

Beitrag Mo., 03.03.2008, 21:06

expat hat geschrieben:Ein gesundes Schamgefühl gibt es nach meinem Dafürhalten ebenso wenig wie gesunde Eifersucht.
*grübbel* ich muß dir recht geben! es ist sozialisation und sonst nix! - ich meine damit das schamgefühl.
"gesunde" eifersucht habe ich schon immer als ungesund empfunden!

aditi

Benutzeravatar

Elfchen
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 51
Beiträge: 2845

Beitrag Fr., 18.04.2008, 19:11

Heute ist grad so ein Tag.
Ich hatte mich für eine Stelle beworben und wurde von über 80 Bewerbern unter die letzten drei gewählt. Nachdem ich einen Tag dort gearbeitet hatte unter die letzten zwei. Menschlich und auch fachlich hat alles gestimmt. Für mich wäre es ein Traum gewesen.
Die andere hat das Rennen gemacht.
Sie hatte das Diplom, das mir fehlt, und das ich mit über 40 nicht "mal schnell" nachholen kann.....
Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben. Epiktet

Benutzeravatar

Elfchen
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 51
Beiträge: 2845

Beitrag Fr., 18.04.2008, 19:14

Expat, ich weiss ja was Du meinst und finde auch, dass Intelligenz mit Bildung nichts zu tun haben muss.
Aber trotzdem ist das Leben so schwer...
Vielleicht ist es für Deine Frau in ihrem Land besser, ich weiss es nicht. Vielleicht muss sie nicht zwei Jungs ernähren und ist nicht verheiratet.
Vielleicht hat sie einfach das nötige Selbstvertrauen....
Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben. Epiktet

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag