Den Therapeuten um Stille bitten

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

Waldschratin
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Beitrag So., 17.10.2021, 10:45

chrysokoll hat geschrieben:Aber es ist und bleibt eine Gesprächstherapie, darauf lege ich Wert.
Und das will ich dir auch gar nicht miesreden! :hugs:

Ist halt wie immer : Jeder braucht was Anderes.

Mir ist es klargeworden, wieviel "mehr als nur reden" eine Therapie ist, als mir meine SE-Thera (SE=Somatic Experience) das mal mit der "Kommunikation" zwischen den autonomen Nervensystemen erklärt hat, wenn sich zwei Menschen empathisch begegnen. Fand ich sehr interessant!
Und es hat mir erklärt, warum ich ein miteinander Schweigen so faszinierend und "öffnend" erlebt hab in der Therapie. (War auch keine ganze Stunde, sondern eher dem Umstand geschuldet, dass ich für das, was in meinem Innersten abging, schlicht keine Worte finden konnte).

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münchnerkindl
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Beitrag So., 17.10.2021, 12:06

chrysokoll hat geschrieben: So., 17.10.2021, 10:17
ich halte es tatsächlich für das wichtigste Kommunikationsmittel des Menschen.
Aber darüber kann man streiten.
Nur: Wer eine Therapieform wählt die von Sprache lebt, kann nicht klagen dass da nicht meditiert wird, nicht geschwiegen wird, nicht Körpertherapie gemacht wird. Das ist doch logisch


Joah, deswegen labern sich Liebende beim Candlelight-Dinner auch gegenseitig die Ohren voll und Menschen die gerade einen Anghörigen verloren haben beziehen Trost daraus dass sie und die anderen Trauernden sich gegenseitig zutexten.

In den Momenten wo es emotional drauf ankommt wirklich wichtige emotionale Erlebnisse zu teilen wollen wir doch alle eher wenige Worte. Oder garkeine. Weil Sprache das was man ausdrücken will eh nur höchstens unzureichend ausdrücken kann.

Ständiges Reden ist eine Methode um einen Panzer um sich rum aufzubauen und von den tieferen Schichten abzulenken. Klar, mit Sprache kann man konzeptuelle Information transportieren, damit das Gegenüber komplexe Sachverhalte verstehen kann. Absolut wertvoll. Aber das was darüber hinaus geht kann nur nonverbal kommuniziert werden. Selbst innerhalb eines Gesprächs wird der emotionale Anteil nonverbal kommuniziert.

Auserdem, wenn es um Traumatisierungen geht die in einem Alter entstanden sind wo man weder Sprache noch die Fähigkeit zu komplexen mentalen Konzepten noch Erinnerung bis ins Erwachsenenalter hatte hilft Sprache überhaupt nicht. Da man keine konzeptuellen Gedanken dazu hat die m an in Sprache umsetzen könnte. Und das perfide gerade für diese Gruppe ist, dass ihnen in unserer Gesellschaft dringend notwendige therapeutische Hilfe mutwillig vorenthalten wird indem körperzentrierte oder andere nonverbale Therapieverfahren nicht von der Krankenkasse bezahlt werden.

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pustefix
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Beitrag So., 17.10.2021, 14:15

Liebe Sindy,

ich kann deinen Wunsch sehr gut verstehen, da ich mir das ebenfalls wünschte.
Leider habe ich es mich nicht getraut, es anzusprechen.

Es war zu einer Zeit, als die 1.Therapie schon einige Zeit lief und ich ein tiefes Vertrauen zu meinen Therapeuten entwickelt hatte. Ich wollte einfach nur da sein, nichts leisten, nichts liefern, keine Forderungen, einfach mal so ein Menschlein sein.
Das Gefühl des wohlwollenden Angenommenseins ohne dafür eine Leistung zu erbringen. Einfach nur ein Recht haben da zu sein.

Erlebt habe ich es dann doch zu einem späteren Zeitpunkt in einem traumtherapeutischen Aufenthalt in einer Klinik in der Kunsttherapie. Und genau diese Stille war mein erster großer Erfolg in der Therapie. Mir läuft heute noch ein angenehmer Schauer über den Rücken wenn ich daran zurückdenke. Es war so atmosphärisch, da ist ganz viel Gutes passiert.

Ich möchte dich ermutigen, dass du deinen Wunsch aussprechen kannst und wünsche dir, dass sich daraus viel Gutes für dich entwickelt.

Gruß
pustefix

P.S. Waldschratin, ich bin von Deinen Beiträgen immer ganz berührt. Du kannst Vieles so schön in Worte fassen. Ich fühle mich oft sehr verstanden.


Waldschratin
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Beitrag So., 17.10.2021, 17:04

pustefix hat geschrieben:P.S. Waldschratin, ich bin von Deinen Beiträgen immer ganz berührt. Du kannst Vieles so schön in Worte fassen. Ich fühle mich oft sehr verstanden.
Danke! :red: :heart:

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peppermint patty
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Beitrag So., 17.10.2021, 17:34

Ich muss sagen, dass ich auch mit die bewegendsten Momente in meinen Therapien symbolisch, also durch symbolische Taten, erlebt habe. Da sind dann Schichten berührt worden, an denen ich durch Worte vermutlich nie (oder nie so leicht) herangekommen wäre.
Wobei dies sicher erst in Stadien möglich ist, in denen durch Worte - quasi als Voraussetzung - Beziehung aufgebaut wurde.

Ich werde zB niemals vergessen, als ich meiner damaligen Kliniktherapeutin ein Stofftier übers Wochenende mitgab. Dieses Stofftier steht für einen kindlichen Anteil von mir, auf den ich sehr aufpasse. Einen Anteil, mit dem wir auch gearbeitet haben, der sehr viel Leid erlebt hat und entsprechend ein "besonderes Sorgenkind" für mich ist. Obwohl es unausgesprochen war, wusste sie, dass das Mitgeben ein Symbol sehr großen Vertrauens in sie für mich bedeutete. Ich habe ihn nie zuvor oder später wieder "irgendwo hingehen lassen".
Schon alleine wie sie ihn dann eingepackt hat - ich lief ihr zufällig über den Weg als sie nach Hause ging - (sie zeigte ihn mir, wo und wie sie ihn untergebracht hat) - berührte mich tief. Er war so liebevoll in ihrem Korb hineingelegt und zugedeckt, also geschützt worden - das hat mich gefreut und erschüttert.
Und jeden Tag an dem Wochenende, Freitag, Samstag und Sonntag bekam ich eine Mail von dieser Therapeutin, mit Fotos, was "er" so bei ihr erlebt und wie er gut versorgt wird. Abendessen, spielen, Gutenachtgeschichte vorlesen, was er am nächsten Tag essen und spielen mag etc,... Ich habe damals vor Freude und vor Schmerz sehr lange geweint, als ich sie gelesen habe. Noch heute kommen mir Tränen, wenn ich daran denke. Ja, es spürte sich für mich so an, als würde ich noch mal ein Stück "gute Kindheit" nachholen. Als könnte ich das innerlich analog zum Stofftier erleben. Das hat unsere Beziehung nochmals sehr intensiviert und hatte eine heilsame Wirkung auf mich.
Konkret besprochen haben wir all das nicht - ich wußte auch nicht, dass sie mir Mails schicken würde, sie wußte nur was der Anteil mir bedeutet. Nach dem Wochenende haben wir auch nicht viel darüber gesprochen, aber ich glaube es war uns beide klar, wie sehr es mich berührt und gestärkt hat.

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Sydney-b
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Beitrag So., 17.10.2021, 17:57

Peppermint Patty: Dein Text ist sehr berührend :->

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peppermint patty
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Beitrag So., 17.10.2021, 18:04

Sydney-b hat geschrieben: So., 17.10.2021, 17:57 Peppermint Patty: Dein Text ist sehr berührend :->
Danke schön! :cool: :flower:

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chrysokoll
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Beitrag So., 17.10.2021, 20:03

das ist wirklich ein sehr berührender und schöner Bericht, peppermint patty.
Toll dass du das erleben durftest, das war eine sehr gute Therapeutin finde ich !

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peponi
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Beitrag Mo., 18.10.2021, 13:50

Ich finde es faszinierend, wie unterschiedlich Stille in der Therapie gedeutet und erlebt wird. Für mich ist Schweigen das Schlimmste, ich empfinde es als unerträglich. Es bedeutet für mich, keinen Kontakt zu finden, wieder in die Sprachlosigkeit zurückgeworfen zu werden. Und sicher gibt es vieles, was schwer in Worte zu fassen ist. Aber ich sehe es als Ziel der Therapie an, gerade dafür Worte zu finden und damit die Ohnmacht und Sprachlosigkeit ein Stück weit hinter sich zu lassen.
Außerhalb der Therapie ist das anders. Da stört mich Stille überhaupt nicht, im Gegenteil. Da finde ich es manchmal sogar sehr schön, zusammen zu schweigen. Allerdings gibt es dort andere Formen der non-verbalen Kommunikation, die viel mehr zählen, eine Umarmung etwa oder die Hand halten. Das verschafft auch Trost, Linderung, Verständnis, gehört aber nicht in eine Therapie.
silence like a cancer grows.

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münchnerkindl
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Beitrag Mo., 18.10.2021, 17:56

peponi hat geschrieben: Mo., 18.10.2021, 13:50Aber ich sehe es als Ziel der Therapie an, gerade dafür Worte zu finden und damit die Ohnmacht und Sprachlosigkeit ein Stück weit hinter sich zu lassen.

Und da sieht man mal wie unterschiedlich Menschen sind. Ich hatte damit noch nie ein Problem. "Über meine Probleme sprechen lernen" ist bei mir absolut nicht der Therapieauftrag.

Prinzipiell würde ich von mir sagen, wenn ich nicht in der Lage bin mit einer Person auf gute Weise zu schweigen, dann kann ich mit der Person auch kein gutes Gespräch führen. Weil wie gesagt, der emotionale Gehalt wird sowieso immer nonverbal transportiert. Und wenn diese nonverbale Ebene grundlegend nicht funktioniert mit jemandem dann ist die Person für "Problemgespräche" für mich absolut ungeeignet.
Ich habe zB gute Freunde bei der diese Ebene fehlt. Denen erzähle ich keine tiefergehende Psycho-Probleme, weil es keinen Mehrwert für mich bringen würde.

Und, Schweigen kann da ja auch ganz unterschiedliche Qualitäten haben. Von passiv aggressiver Manipulation wo man das Gegenüber zwingen will als erster etwas zu sagen, zu peinlich berührtem Schweigen, bis hin zu man sagt nichts weil man sich so vertraut ist dass man sich auch ohne Worte versteht.

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Montana
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Beitrag Mo., 18.10.2021, 21:15

Wenn man schweigt, dann gibt es aber auch nicht viel nonverbalen Austausch.
Erstmal fehlt komplett der Kontext. Also, über welches Thema "sprechen" wir denn gerade?
Dann fehlt alles, was über die Stimme ausgedrückt wird, also Lautstärke, Tonhöhe, Sprachmelodie, Pausen.
Und es fehlt das Zusammenspiel zwischen den Worten und der Mimik.
Und, was für mich immer ganz besonders wichtig ist: ich merke es, wenn etwas nicht zusammenpasst. Wenn also die Worte etwas ganz anderes sagen als der Rest, dem ich definitiv mehr glaube. Es gibt ja schließlich gar keine Kommunikation ohne den nonverbalen Teil. Also muss ich auf Worte auch nicht verzichten um die nonverbale Kommunikation zu erleben.

Mich würde aber stören, wenn der Therapeut ohne Punkt und Komma redet und mir keine Zeit gibt, mich mit allen Ebenen der Kommunikation auseinanderzusetzen. Pausen an den passenden Stellen finde ich sehr wichtig. Nicht alle Therapeuten erkennen das, wenn so eine passende Stelle gerade da ist. Und ich bin sicher, dass es auch nicht allen angenehm ist, wenn Patienten mehr wahrnehmen als das gesprochene Wort.

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Winni
Helferlein
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Beitrag Mo., 18.10.2021, 21:37

Mit Stille „gut“ umgehen zu können - dazu habe ich in der Therapie lange gebraucht. Es war anfangs der reinste Horror. Ich habe Kämpfe gefochten um meinem Therapeuten klar zu machen, dass ich nicht schweigen will, sondern tun, machen, reden, Gedanken klären, Gefühle stabilisieren, mein Leben verändern…

Und je mehr, je lauter ich gekämpft habe, umso stiller wurde mein Gegenüber. So viele Worte meinerseits, und von ihm kam oft „nichts“. Bis ich losgelassen habe, das Wollen, das Müssen, die Worte. Bis ich vertraut habe. Bis ich mich in diese Stille habe fallenlassen.

Noch heute sehne ich mich nicht nach Stille, weil sie aus der Vergangenheit sehr negativ belegt ist. Aber ich habe gelernt zu differenzieren. Es gibt auch gute, kraftspendende Stille, die erlebt und erfahren werden darf. Ich ziehe die kommunikativen Phasen vor, ertrinke aber nicht mehr im Meer des Schweigens.

In der Therapie hat alles seinen Platz, alles darf sein. Solange wir uns gut gehalten und aufgehoben fühlen.

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