Zu kontrolliert?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

mio
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Beitrag Fr., 27.04.2018, 22:30

Das eine hält gefangen. Das andere löst.

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Hamna
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Beitrag Fr., 27.04.2018, 22:31

Ich kann das auch nicht auseinanderhalten, habe aber gerade die Befürchtung, dass ich damit OT bin. ::?


mio
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Beitrag Fr., 27.04.2018, 22:36

Versuche doch mal es Dir vorzustellen:

Du tritts zB. in einen Nagel. Dir tut Dein Fuss weh. Selbstmitleid lässt Dich da "liegen" und den "Nagel im Fuss" beheulen, aber nichts dagegen tun. Heulen über den echten Schmerz "zieht" Dir den Nagel aus dem Fuss.

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Silberstreif
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Beitrag Fr., 27.04.2018, 22:44

... ich wäre froh, wenn Selbstmitleid auch einmal sein dürfte. Denn wenn es Gefühle gibt, die man "nicht haben darf", dann spürt man vielleicht aus zu viel Angst vor den "falschen" Gefühlen gar keine Gefühle ...

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mio
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Beitrag Fr., 27.04.2018, 22:50

Und wer verbietet Dir dieses Gefühl? Am Ende bist Du selbst das.

Das, was einem/sich die Umwelt "verbietet/verbittet" ist dass sie sich in einem zu hohen Maße um den Nagel im fremden Fuss kümmern soll. Während der Jammernde nur jammert, aber nichts bereit ist zu tun.

Dir steht es doch frei liegen zu bleiben und zu jammern anstatt etwas zu tun oder bevor Du etwas tust. :)


Widow
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Beitrag Fr., 27.04.2018, 23:11

Meinegüte, was das hier wieder für statements heraufbeschwört ...
Die emotionalen Alleswisser wissen natürlich auch, dass Heulen aus Selbstmitleid pfuibähbäh ist und gefangen hält, während Heulen aus "echter" Trauer gutschigutschi is und löst. - Ich staune immer wieder darüber, welche irrsinnige Entfernung DIESE Menschen zu ihren eigenen Gefühlen haben müssen, da sie derartige Differenzierungen so klar vorzunehmen imstande sind ... (und dabei denke ich ja immer, dass ich schon sowas von meinen eigenen Gefühlen entfernt bin).

Der Wahnsinn!
Also ist nicht möglich, sondern 'unmöglich', dass man sich in Trauer um etwas anderes/jemand anderen selbst betrauert (beweint).
Also ist nicht möglich, sondern 'unmöglich', dass man in Trauer um etwas anderes/jemand anderen schockgefroren ist und nicht weinen kann.
Also ist nicht möglich, dass man sich selbst betrauert und beweint (denn das ist ja Selbstmitleid und Pfuibähbäh, also auch eine 'unmögliche' Reaktion).

- Echt der Wahnsinn, was die alles wissen, diese emotionalen Alleswisser!

_____________________

Zur Ausgangsfrage:

Ich habe nach dem Tod meines Mannes etwa vier Wochen lang immer wieder einmal lange geheult. Meist allein. Aber auch während seiner Beerdigung, also als etwa 150 Menschen anwesend waren. Mein Körper hat das gemacht. (Er hat damals auch seine Reproduktionsfähigkeit komplett eingestellt.) Ich fand diese Heulerei entsetzlich.
Noch entsetzlicher aber fand ich den Tod dieses Menschen. Und deshalb war mir meine Heulerei nicht nur entsetzlich, sondern auch völlig gleichgültig, so wie ich mir selbst. (EDIT: Und ich höre sie schon wieder, diese emotionalen Alleswisser, die behaupten werden, dass das doch gar nicht ginge. - Doch, verdammt noch mal! Das geht sehr wohl! Dass einem simultan etwas entsetzlich und gleichgültig ist.)

Gelöst hat das Weinen nichts. (Auch früher in meinem Leben nicht. Nie war ein Problem, das mich weinen ließ, "gelöst" durchs Heulen, nie war irgendwas einfacher danach; nie habe ich nach Heulerei gesagt, dass es mir jetzt besser ginge. - Ich kenne diese Erfahrung nicht und ich verwehre mich dagegen, was hier wieder einmal behauptet wird: Dass sie die einzig richtige Erfahrung sein soll, die man mit Weinen bestenfalls machen kann !!!)

In meiner Therapie mache ich die Erfahrung, dass meine Gefühlskontrolle für mich überlebens- und lebensnotwendig ist: Immer war und nach wie vor ist.
Mein Analytiker hat lange gewollt, dass ich 'das mit den Gefühlen besser hinkrieg', sie also besser er- und ausleben kann.
Mich hat das lange verunsichert. Zumal dergleichen ja auf allen Kanälen - auch hier im ptf - gesendet wird: "Deine Gefühle sind wichtig, lebe sie, lebe sie aus" ...

NEIN! SO einfach geht das für manche - und dazu gehöre ich - halt nicht!
Würde ich die Kontrolle über meine Gefühle abgeben, gäbe es mich nicht mehr.

Mein Zauberwort (auch da ..., und das hab ich meinem Analytiker geklaut): "Balance".
Die sieht bei Gefühlen für mich mittlerweile so aus, dass ich das, was ich "fühle" (aber nicht lebe), zu benennen versuche. Und wenn die vorhandenen Worte da nicht reichen, dann erfinde ich eins.
Dadurch komme ich meinem Gefühl ein Stück näher. Leben aber muss ich es dann oft immer noch nicht. - Und das ist für mich nach wie vor eine lebenssichernde Maßnahme.


Zum Schluss ein konkretes Beispiel:
Dass ich den Aussetzern meiner Schwiegermutter am besten mit Humor begegne, weiß ich.
Humor aber - eine Art "Gefühlskonglomerat" - ist extrem voraussetzungsvoll, emotional. Dazu, in diese emotionale Haltung zu kommen, gehört so viel an Gefühlen.
Ich pack' das im Moment nicht.
Aber mir hilft, zu benennen, was dazu emotional erforderlich ist und was ich im Moment alles emotional nicht habe und nicht kann.
Dadurch erreiche ich eine keineswegs perfekte, aber doch zumindest für mich realistische Balance.

Und dass ich mich von dieser (Psycho-)Ideologie des Weinens allmählich befreien kann, die besagt, dass nur, wer weinen könne, ein Mensch sei (aber auch nur dann, wenn er nicht aus Selbstmitleid weine) - das versetzt mich langsam ins Äquilibrium.

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werve
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Beitrag Fr., 27.04.2018, 23:25

Widow hat geschrieben: Fr., 27.04.2018, 23:11 Würde ich die Kontrolle über meine Gefühle abgeben, gäbe es mich nicht mehr.
Das ist ein - leider sehr weit verbreiteter - Irrtum, der auch durch das intellektuelle Drumherum nicht wahrer wird.


Widow
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Beitrag Fr., 27.04.2018, 23:26

werve hat geschrieben:
Widow hat geschrieben: Fr., 27.04.2018, 23:11 Würde ich die Kontrolle über meine Gefühle abgeben, gäbe es mich nicht mehr.
Das ist ein - leider sehr weit verbreiteter - Irrtum, der auch durch das intellektuelle Drumherum nicht wahrer wird.
Das ist gelebt. Mehrfach in meinem Leben. Von mir.

Mehr an Zeugnis habe ich nicht.

Meine Wahrheit aber muss nicht Deine sein, werve. So wenig, wie Deine Wahrheit meine werden wird.

EDIT: Allerdings maße ich mir im Unterschied zu Dir nicht an, Deine Wahrheit schlechterdings zu einem "Irrtum" zu erklären ...
Zuletzt geändert von Widow am Fr., 27.04.2018, 23:32, insgesamt 1-mal geändert.


mio
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Beitrag Fr., 27.04.2018, 23:31

Gefühle an sich sind nicht tödlich. Das was eventuell tödlich ist sind die eigenen oder fremden Reaktionen darauf. Also TATEN. Gefühle sind keine Taten.

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stern
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Beitrag Fr., 27.04.2018, 23:32

Selbstmitleid halte ich auch für ein Gefühl... also wenn man Gefühle wahrnehmen möchte, macht es nicht unbedingt Sinn, etwas von vorneherein "auszusortieren".
Prinzessin27 hat geschrieben: Fr., 27.04.2018, 17:50 Was mir noch einfällt. Ein Über-die-Gefühle sprechen ist ja erst mal Schritt eins. Erst einmal Gefühle überhaupt benennen zu können. 2. Wäre dann das richtige, echte Fühlen. Nur ist da oft der Zugang versperrt.
Ist das so? Also wenn es so sein sollte, dass du den Eindruck hast, gar nichts wahrnehmen, erübrigt sich ja auch die Benennung. Auf jeden Fall ist auch der umgekehrte Weg möglich, dass man schaut, was man wahrnimmt... und dann schaut, wie man das bezeichnet. Sicherlich gibt es auch Listen, aber die ersetzen nicht das Fühlen und sind höchstens Anhaltspunkte. Das kann auch vom eigenen Erleben wegführen, wenn man Gefühle anhand von Listen einsortiert. Für den Anfang kann das nützlich sein, aber überbewerten würde ich das nicht. Selbst was Grundgefühle angeht, ist man sich nicht einig, wie viele dazu gehören... insofern...

Wenn man hingegen viel wahrnimmt, das aber nicht in Worte fassen kann, ist vielleicht eher daran zu feilen.

Auch macht es vielleicht einen Unterschied, ob das Problem nur in der Sitzung besteht oder auch sonst bzw. wenn du alleine bist. Also manches nimmst du ja sehr wohl wahr, das du hier auch benennen konntest... nur nicht in der Sitzung.
Zuletzt geändert von stern am Sa., 28.04.2018, 00:08, insgesamt 2-mal geändert.
Liebe Grüße
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Montana
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Beitrag Fr., 27.04.2018, 23:37

Bei mir hat Weinen auch noch nie was gelöst. Es führt zu Erschöpfung und irgendwann in den Schlaf. Das ist immerhin etwas.

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stern
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Beitrag Fr., 27.04.2018, 23:46

Wahrnehmen und Kontrolle gehen oft Hand in Hand. Besonders auch in der VT, die tendenziell "anleitender" vorgeht. Vielleicht nicht bei jedem Patienten... aber es kann gewisse Zusammenhänge geben, so dass man evtl. das eine schwer vom anderen getrennt erarbeiten kann.
Liebe Grüße
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mio
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Beitrag Sa., 28.04.2018, 00:00

Montana hat geschrieben: Fr., 27.04.2018, 23:37 Bei mir hat Weinen auch noch nie was gelöst. Es führt zu Erschöpfung und irgendwann in den Schlaf. Das ist immerhin etwas.
Schlaf bedeutet dass Du Dich entspannt hast. Es wurde also sehr wohl was "gelöst" durch das Weinen.

"Stress" in welcher Form auch immer führt zu einer Kombination aus Erschöpfung und erhöhtem Adrenalinspiegel. Beim Weinen baust Du Adrenalin ab und so kann sich die Erschöpfung mehr "Raum" nehmen, also den Raum den sie braucht. Auch das ist "im Kontakt mit dem Gefühl sein".


Widow
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Beitrag Sa., 28.04.2018, 00:11

mio hat geschrieben: Gefühle sind keine Taten.
Sag mal, mio, wie bescheiden geht es eigentlich noch - zu denken?
Aber wir sind hier ja alle ganz konstruktiv, also schreibe ich Dir Folgendes:
Stimmt, mio! Das sind zwei völlig verschiedene Worte!!! Also können sie nicht identisch sein!

Nur was SIND Gefühle eigentlich für sich genommen?

Eine Tat ist eine Tat, ein Tun, etwas, das etwas verändert in der Realität. Das Wort "Tat" also kann leicht definiert und in der Realität gefunden werden.
Und ein Gefühl?

Und was ist, wenn jemand Angst hat und sein Blutdruck steigt? Ist das dann keine "Tat"?
Was ist, wenn jemand traurig ist und weint? Ist die Öffnung des Tränenkanals keine "Tat"?
Und was lässt den Blutdruck steigen, was öffnet den Tränenkanal? - Doch wohl das Gefühl, oder? Und folglich lautet die Frage: Wo fängt Tat an und wo hört Gefühl auf - oder?
Aber das ist vermutlich schon wieder zu komplex, dabei waren wir doch gerade beim klaren Unterschied von Substantiven. Jaja! Also: "Gefühle" sind keine "Taten". Genau.

Ich weiß ja nicht, wie das bei Dir ist, aber meine Gefühle übrigens lassen mich handeln.
Wenn ich Durst fühle, trinke ich, sofern ich an Wasser komme.
Wenn ich Hunger fühle, esse ich, sofern ich an Nahrung komme.
Wenn ich Todestraurigkeit fühle, setze ich meinem Leben ein Ende, sofern ich mich klug verhalte.


mio
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Beitrag Sa., 28.04.2018, 00:16

Widow hat geschrieben: Sa., 28.04.2018, 00:11 Ist das dann keine "Tat"?
Wenn Du Deinem Blutdruck "befehlen" kannst zu steigen? Dann ist es wohl eine. Ich kann das nicht. Aber vielleicht war Tat zu unscharf formuliert von mir für Deine Begriffe? Ersetze es gerne durch "aktive Handlung" wenn es Dir damit besser geht. :)

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