Panik vor den letzten Stunden

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ArcticFox
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Beitrag Mo., 24.10.2022, 18:25

Ich habe jetzt seit 2 Monaten keine Therapie mehr und nachdem die erste Wochen nach Therapieende recht hart für mich war im Hinblick aufs Vermissen, hat es sich danach ziemlich schnell eingependelt. Klar hab ich immer mal wieder an den Therapeuten gedacht, aber das war v.a. ein warmes Gefühl. Und ihr hattet recht, ich hatte und habe tatsächlich das Gefühl, etwas von ihm bei mir zu tragen.

Warum schreibe ich jetzt wieder hier? Weil ich seit ca. 2 Wochen wieder ein sehr tiefes Vermissen empfinde. Das fühlt sich anders an, als direkt nach der Therapie. Es ist weniger aufdringlich und hat keine "Schmerzspitzen". Es ist stattdessen eher ein leiser Dauerschmerz im Hintergrund, den ich auch gut mal für 3 Stunden ignorieren kann, wenn ich mich beschäftige, der aber sofort wieder in mein Bewusstsein springt, wenn ich auch nur für 5 Minuten zur Ruhe komme. Es ist nicht unaushaltbar, aber eben ein beständiges Nagen. Ich habe keine Idee, wie ich damit umgehen soll. Sowas kenne ich bisher nicht.

Der Witz daran ist, dass es bis vor 2 Wochen gar nicht mehr da war. Ich hatte nicht das Bedürfnis, ihn zu sehen. Jetzt ist das anders. Das, was ich von ihm bei mir trage, reicht mir gerade nicht mehr. Ich würde so gerne mit ihm reden. Aber ich weiß nicht, ob ich es eine gute Idee finde, mich jetzt schon wieder bei ihm zu melden. Ich hatte mir vorgenommen, ihn erst wieder zu kontaktieren, wenn ich tatsächlich Abstand zu ihm gefunden habe - sofern ich das dann überhaupt noch wollen würde.

Wie war/ist das bei euch? Kennt ihr dieses nagende Vermissen im Hintergrund? Und auch, dass es plötzlich wieder auftaucht, obwohl es eigentlich schon weg war? Wie geht ihr damit um?

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Philosophia
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Beitrag Mo., 24.10.2022, 18:44

Ich denke, das ist normal bei so einer intensiven Beziehung - Trauer und Abschied verläuft nicht geradlinig. Ich würde mich nicht bei ihm melden, sondern einfach trauern. Es wird auch wieder anders werden. Vielleicht erlaubst du dir mal einen ganzen Anihndenktag?
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Winni
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Beitrag Mo., 24.10.2022, 20:54

Ich kenne diese Sehnsucht gut. Auch heute noch „überfällt“ sie mich manchmal. Sie ist völlig normal nach einer langen, intensiven Therapie. Und das Therapieende ist bei Dir ja nach gerade mal 2 Monaten noch sehr frisch.

Ich vergleiche das für mich mit dem Tod eines geliebten Menschen. Dieses Trauern kann lange dauern. Jahre manchmal. Da ist Sehnsucht und Trauer und Schmerz. Das ist das Leben - all das gehört dazu.

Man kann gestärkt aus all dem hervorgehen, wenn man all das zulässt. Sich alles anschaut. Und loslässt. Und weitergeht.

Ich würde die Sehnsucht nicht ausagieren und den Thera kontaktieren. Es geht Dir ja offenbar nicht um ein inhaltliches Problem, für das Du Denkhilfe eines Beraters in Anspruch nehmen möchtest. Sondern Du möchtest ein (Sehnsuchts)Gefühl befriedigen. Der Schuss könnte nach hinten losgehen. Wie bei einem trockenen Alkoholiker, den episodenhaft die intensive Sehnsucht nach einem Schluck Bier heimsucht. Ein Nachgeben wäre keine gute Idee.
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Winni
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Beitrag Mo., 24.10.2022, 21:28

Da ist natürlich die Frage nach dem „Warum“? Woher kommt diese Sehnsucht so unvermittelt?

Ich glaube, es liegt daran, dass man sich in einer gelungenen Therapie gut aufgehoben gefühlt hat. Da war jemand, der sich für uns interessiert hat. Auch wenn es immer nur 50 Minuten sind, die wir im Mittelpunkt stehen - wir stehen mit positivem, uneingeschränktem Interesse im Mittelpunkt. Das hat man üblicherweise sonst nicht im Leben.

Die Sehnsucht kann daher immer auch aufkeimen, wenn wir ein Interessen-Defizit haben. Wenn sich „niemand“ für uns interessiert. Wenn wir uns einsam fühlen, nicht genügend wertgeschätzt. Dann ist die „Lücke“ des fehlenden Therapeuten besonders schmerzlich.

Hier können wir versuchen, uns selbst das Interesse entgegenzubringen, das uns fehlt. Uns etwas Gutes tun, ein Spaziergang, ein Treffen mit Freunden, ein Kurs in der Volkshochschule, ehrenamtliche Tätigkeit, Meditation, ein inspirierendes Buch… es gibt viel Schönes zu entdecken. Das kann helfen, Lücken zu schließen und zu heilen.
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ArcticFox
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Beitrag Di., 25.10.2022, 09:44

Ein "Anihndentag":D Außer, dass ich den Ausdruck lustig fand, war meine spontane Reaktion "Dazu hab ich keine Zeit!"... Tatsächlich stört mich dieses Vermissen auch sehr, weil es dafür sorgt, dass ich mich in den paar freien Minuten, die ich momentan habe, gedanklich nur damit beschäftige. - was vermutlich ein Anzeichen dafür ist, dass es gerade mehr Raum bräuchte. Nunja...

Ja, trauern ist ein Prozess, der eher in Schleifen, als in einer geraden Linie verläuft. Habe ich schon hundertfach bei anderen beobachtet und begleitet, aber bei mir selbst habe ich offenbar trotzdem etwas anderes erwartet. Weil ja niemand gestorben ist. Und einen Alltag, der plötzlich fehlt, gibts auch nicht. Und alles andere ist natürlich nicht so gravierend, dass ein normaler Trauerprozess durchlebt werden müsste... *Ironie off*

Und nein, ich werde ihn nicht kontaktieren. Dein Vergleich mit dem Alkoholiker, Winni, erscheint mir sehr treffend, leider.

Winni hat geschrieben: Mo., 24.10.2022, 21:28 Da ist natürlich die Frage nach dem „Warum“? Woher kommt diese Sehnsucht so unvermittelt?
Ich wundere mich eigentlich gar nicht so sehr über den Zeitpunkt. Ich weiß sehr genau, was ich gerade vermisse und warum. Wie du schreibst, ich habe gerade ein "Interessen-Defizit", fühle mich etwas einsam. Ich hab Anfang Oktober einen neuen Job begonnen, werde mit den neuen Kollegen und der Atmosphäre dort noch nicht richtig warm, fühle mich da noch etwas verloren. Dazu bricht noch in meinem Verein meine Stammgruppe gerade auseinander, die mir den Sommer über viel Halt gegeben hat. Und irgendwie ist in meinem privaten Umfeld gerade niemand da, bei dem ich aufgehoben fühle mit diesem Verlorenheitsgefühl. Und eigentlich sind da aber inzwischen zumindest ein paar wenige Menschen, mit denen ich normalerweise über solche Dinge reden würde. Nur sind die auf absehbare Zeit in ihrem eigenen Sumpf und ich will nicht die Erfahrung machen, mich da verletzlich zu machen, um dann auf emotionale Abwesenheit und Ablehnung zu stoßen...
Ich bin also, wie gesagt, nicht überrascht über den Zeitpunkt, nur darüber, dass es mit so existentieller Tiefe zurückkommt.

Winni hat geschrieben: Mo., 24.10.2022, 21:28 Hier können wir versuchen, uns selbst das Interesse entgegenzubringen, das uns fehlt. Uns etwas Gutes tun, ein Spaziergang, ein Treffen mit Freunden, ein Kurs in der Volkshochschule, ehrenamtliche Tätigkeit, Meditation, ein inspirierendes Buch… es gibt viel Schönes zu entdecken. Das kann helfen, Lücken zu schließen und zu heilen.
An und für sich stimme ich dir völlig zu. Man kann sich mit vielem selbst helfen. Aber ich glaube, das hat Grenzen. Wir Menschen sind soziale Wesen und wir können uns nicht alles an Interesse, Liebe, Aufmerksamkeit, Geborgenheit, Halt, die uns fehlen, selbst geben. Auch nicht als Erwachsene. Und das ist ok. Es sollte möglich sein, das nicht nur vom Therapeuten haben zu wollen, ja. Aber es ist ok, das in gewissem Maß von einem anderen Menschen zu brauchen.

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Winni
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Beitrag Di., 25.10.2022, 12:43

ArcticFox hat geschrieben: Wir Menschen sind soziale Wesen und wir können uns nicht alles an Interesse, Liebe, Aufmerksamkeit, Geborgenheit, Halt, die uns fehlen, selbst geben. Auch nicht als Erwachsene. Und das ist ok. Es sollte möglich sein, das nicht nur vom Therapeuten haben zu wollen, ja. Aber es ist ok, das in gewissem Maß von einem anderen Menschen zu brauchen.
Wir wünschen uns Liebe, Zuwendung und Aufmerksamkeit. Ja. Aber es von einem anderen Menschen zu brauchen wird (wenn wir erwachsen sind) nicht auf Dauer funktionieren. Zumindest nicht ohne Kollateralschäden.

Egal in welcher (nicht-therapeutischen) Beziehung: Halt und Stütze kann mir ein anderer nur in begrenztem Maße sein. Ich bin nicht der Mittelpunkt des Interesses eines anderen. Auch wenn wir in Freundschaft verbundene oder gar Liebende sind.

Auch der andere ist auf der Suche. Hat die selben elementaren Sehnsüchte. Hat seine Probleme. Und sucht Halt. Kann ich ihm diesen bieten? Kann ich seine Sehnsüchte stillen? Warum sollte dann der andere für mich der allein Seligmachende sein können?

Weise Ratgeber sagen daher übereinstimmend: es ist völlig legitim, Wünsche und Bedürfnisse zu haben. Man dürfe nur nicht glauben, diese an EINER einzigen Stelle alle bedient zu bekommen. Man solle ein wenig aufteilen: Ein Freund für den Sport, eine Freundin für‘s Reden, jemanden zum xy und einen anderen für… Und natürlich ebenfalls für andere ein Begleiter auf dem einen oder anderen Weg sein…

Dann ist man immer aufgehoben und wertgeschätzt, kann selbst auch punktuell Halt und Stütze sein. Alles in bewältigbarem Rahmen. Dann ist man nicht abhängig, sondern genießt einfach das gemeinsame Sein.
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ArcticFox
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Beitrag Di., 25.10.2022, 13:39

Da hab ich mich missverständlich ausgedrückt. Ich meinte nicht, dass es ok ist, das alles von EINEM Menschen zu brauchen. Natürlich kann niemand immer da sein. Und natürlich bin ich selbst auch für andere Menschen jemand, der Halt, Aufmerksamkeit etc. gibt. Und, wie ich schon geschrieben habe, bis zu einem gewissen Grad kann und muss ich mir diese Bedürfnisse natürlich selbst erfüllen, das gehört zu einer gesunden Selbstbeziehung vermutlich dazu.

Mir ging es darum, dass ich hier so oft lese, man soll sich v.a. selbst all diese tiefen Bedürfnisse erfüllen und erst, wenn man das tut, dann kann man sich auch anderen zumuten. Und unsere tiefen Grundbedürfnisse nach Liebe, Gesehen-werden etc. können und werden im Erwachsenenleben niemals wieder von einem (oder mehreren) anderen Menschen erfüllt werden. Ich überspitze es etwas, aber die Stoßrichtung kommt immer wieder hier im Forum vor. Das wäre aus meiner Sicht sehr tragisch, wenn es stimmen würde.

Ich glaube auch ehrlich nicht, dass die Einschränkung "ich wünsche mir", anstatt "ich brauche" so stimmt. Natürlich kann ich mir von einem bestimmten anderen Menschen immer nur wünschen, dass er mir bestimmte Bedürfnisse erfüllt. Aber auf mein ganzes Menschsein gesehen BRAUCHE ich andere Menschen, um bestimmte Bedürfnisse befriedigen zu können.

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Winni
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Beitrag Di., 25.10.2022, 19:37

Ich glaube, wir wagen uns jetzt auf tief philosophisches Terrain ;-)
ArcticFox hat geschrieben: Natürlich kann ich mir von einem bestimmten anderen Menschen immer nur wünschen, dass er mir bestimmte Bedürfnisse erfüllt. Aber auf mein ganzes Menschsein gesehen BRAUCHE ich andere Menschen, um bestimmte Bedürfnisse befriedigen zu können.
Ich bin bei Dir wenn Du sagst, dass wir zum Menschsein andere brauchen. Dieser Satz (dessen Autor ich vergessen habe) drückt das auch gut aus: „Wir brauchen einander, damit uns das Leben gelingt“.

Aber das „um bestimmte Bedürfnisse befriedigen zu können“ passt nicht in mein Bild. Ich gehe zwar nicht so weit zu sagen:
ArcticFox hat geschrieben: … man soll sich v.a. selbst all diese tiefen Bedürfnisse erfüllen und erst, wenn man das tut, dann kann man sich auch anderen zumuten
… denn das würde einer Erleuchtung schon sehr nah kommen. Und da bin ich zumindest noch bissl entfernt :cool:

Aber ich stelle diese Fixierung auf die Bedürfnisbefriedigung in Frage. Natürlich sind wir alle mehr oder weniger bedürftig, sehnen uns nach Liebe und Akzeptanz und Zuwendung und und … Aber ist unser Leben nur dann erfüllt und glücklich, wenn diese Bedürfnisse bedient werden?

Ich glaube, das ist der Casus knacksus: Ist unser Glück von der Zuwendung der anderen abhängig? Für mich eindeutig: NEIN. Für unser Glück sind wir (Erwachsene) selbst verantwortlich. Das findet innen drin statt, nicht im außen.

Und je mehr Glück (und Liebe für uns selbst) wir in uns entwickeln, umso unabhängiger werden wir. Dann ist die Liebe und Zuwendung anderer Menschen immer noch ein großes Glück - aber man kann es dann als Geschenk betrachten, nicht als Notwendigkeit. Damit schließt sich der Kreis.
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