Zweigleisig: stark und depressiv

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Juline
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Zweigleisig: stark und depressiv

Beitrag Fr., 04.05.2012, 15:23

hallo!

Ich mache schon lange Therapie(n) und lerne seit dem mein Leben zu meistern.

Ich habe in den letzten Jahren an Stärke gewonnen, obwohl ich es alles andere als leicht hatte. Seit einiger Zeit habe ich trotz vieler Ängste mein Leben wieder etwas mehr im Griff. Darauf bin ich stolz und ich freue mich auch wieder mehr soziale Kontakte pflegen zu können.
Im krassen Widerspruch dazu fühle ich mich elend. Es geht mir überhaupt nicht gut. Ich lasse das nur kaum zu, weil ich ja auch die andere Seite in mir kenne, die mir natürlich um einiges lieber ist.
Ich bin sehr aktiv und körperlich manchmal völlig am Ende.
Ich lauf mich manchmal richtig kaputt, damit ich das Schöne erleben und genießen kann und keine Zeit für depressive Phasen habe.
Manchmal baut sich ein Druck in mir auf, den ich kaum los werde. Ich tue mir manchmal richtig weh, um diesen Druck loszuwerden.
Ich beginne mein Leben richtig zu genießen, schließe und halte viele Freundschaften und bin glücklich darüber. Mehrmals am Tag denke ich an den Tod, um das Leben nicht mehr halten zu müssen.

Ich erkenne mich manchmal nicht wieder. Ich bin einerseits so stark und zufrieden und andererseits lebensmüde und traurig. Manchmal vielleicht sogar beides gleichzeitig.

Ich weiß nicht was ich tun soll und wie ich damit umgehen soll. Bei meiner Thera sitze ich die letzten Wochen ebenso sehr stark und stabil, obwohl ich zuvor noch total depri war.
Ich merke, dass ich diese negative, bedrückende Seite in mir überhaupt nicht zeigen möchte und wahrscheinlich auch nicht aushalte. Somit übergehe ich mich oft und täusche meine Thera. Das alles kann ich bewusst kaum steuern. Es läuft ganz automatisch so. Ich mache mir etwas Sorgen, obwohl ich auch ganz stolz darüber bin, wie viel mir die letzte Zeit auch gelingt.

Ich würde mich gern etwas austauschen, um ein bisschen besser mit mir klar zu kommen. Vielleicht auch, um bis nächste Woche bei meiner Thera ehrlich mit mir sein zu können.

Kann mir jemand helfen, zu klären was sich da in mir tut?

Juline

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bloedekuh
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Beitrag Fr., 04.05.2012, 16:24

Hi Juline,

Ich helfe dir gern. Wenn es darum geht, der Zweigleisigkeit zu entkommen, kein Problem. Ich zB bin nur depressiv und kann dir tipps geben, wie du es auch werden könntest.

Schreib mir einfach, lg, bloedekuh
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münchnerkindl
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Beitrag Fr., 04.05.2012, 16:34

Also ich denke nicht daß dir das was du im Moment tust, nämlich einen Gute-Laune Krieg gegen deine Depression zu führen dich glücklich machen kann.

Glück ist eben nicht, ständig zu kämpfen.

Glück ist es, unter einem Baum in der Sonne zu sitzen und eifnach zufrieden zu sein. Und zwar ohne dafür irgendwas gemacht haben zu müssen. Wenn bei dir Glück nur aufkommt weil a, b, c, d... und du da einen regelrechten Aktivismus benötigst dazu, dann ist das kein Glück, dann ist das ein emotionaler Kick, ein stimuliertes High, das danach sofort abflaut und du musst dem nächsten High nachlaufen.

Aber so lange du einen Krieg gegen Anteile von dir führst, dir hier einen Gute Laune Leistungsdruck machst sorgst du genau damit dafür daß die eigentliche Ursche für die Depression nicht besser werden kann.

Das ist einfach nur kollossal erschöpfend und Raubbau was du da betreibst.

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Jugendstil
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Beitrag Fr., 04.05.2012, 18:20

Der Thera gegenüber ehrlich sein, die Rolle zugeben ... dir selbst zuliebe. Damit sie dir helfen kann zu sehen, was los ist.

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pandas
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Beitrag Fr., 04.05.2012, 18:43

Hast Du denn der Thera schon mal von der Zweigleisigkeit erzählt?

Also nicht, dass Du eigentlich ja depressiv bist, sondern dass diese beiden Anteile in Dir miteinander konkurrieren?

Das klingt ja alles mehr nach bipolar. Und da kann die Thera anders herangehen als an eine Depression.
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard

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münchnerkindl
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Beitrag Fr., 04.05.2012, 18:52

biber hat geschrieben:Hast Du denn der Thera schon mal von der Zweigleisigkeit erzählt?


Das klingt ja alles mehr nach bipolar.

Also der Therapeutin aufrichtig über die Befindlcihkeit zu berichten ist AUF JEDEN FALL notwendig damit eine Therapie helfen kann.

Allerdings Bipolar ist was anderes. Da wird der Betroffene von den Stimmungsschwankungen regelrecht überfallen und überrollt ohne da irgendeine Einflussmöglichkeit zu haben. Eine bioplare Störung ist eine neurologisch-psychiatrische Krankheit, da helfen nur die entsprechenden Medikamente.


pandas
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Beitrag Fr., 04.05.2012, 19:03

@ münchnerkindl

Naja, ich wollte nicht sagen oder gar fern diagnostizieren, dass es sich um eine bipolare Störung nach ICD 10 handelt - wobei die ICD 10 Diagnosen ohnehin Hilfkonstrukte sind, um psychische Krankheiten überhaupt in einer gemeinsamen Definition zu beschreiben. Beim einzelnen ist immer eine Varianz in den Symptomen etc. gegeben. das wird auch seit ca. 2000 kritisch in der Fachpsychiatrie diskutiert.

Ich wollte nur betonen, letztlich wie Du auch schreibst, dass es wichtig ist, dass sie die Zweigleisigkeit als solche benennt, und nicht etwa betont, sie sei doch vor allem depressiv ... damit die Thera eben mit den verschiedenen Anteilen arbeiten kann bzw. über diese Bescheid weiß.
Ich habe auch schon von mit sich in Streit tretenden Anteilen berichtet und bekam deshalb keine schwerere Diagnose verpasst oder gar Medis empfohlen.

Die Thera weiss dann aber, dass sie, wenn Juline demnächt dann wieder eher munter erscheint, dies nicht als Bessergehen nehmen muss, sondern kann dies anders befragen ...
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard

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Juline
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Beitrag Fr., 04.05.2012, 19:43

Hallo ihr!

Ich bin mir nicht sicher, ob diese Anteile in mir wirklich konkurrieren. Sie sind eher parallel nebeneinander vorhanden. Ich erlebe mich darin immer mehr in 2 Persönlichkeiten, ohne jedoch zu vergessen, dass "alles" ich bin.
Ich frage mich:
- Bin ich aus einer Depression noch nicht ganz raus und etabliere gerade eine neue positive Seite, die sich noch nicht voll ausbreiten kann (aber gerade dabei ist)?
- Spiele ich einen positiveren Menschen, um die depressiven Verstimmungen aus Angst vor näherem Hinschauen zu unterdrücken?

Vielleicht stimmt irgendwie beides.

Mein Problem mit meiner Thera ist, dass ich meist nicht spüre, wenn ich dort bin, dass es mir eben auch oft richtig schlecht geht. Dort fühle ich mich eben auch wirklich sehr stark. Am selben Tag kippt das dann oft wirklich zu Selbstmordgedanken und heftigen Tiefs.

Ich habe auch Angst vor einer Offenbarung dieser Zweigleisigkeit: Angst, dass sie mich darin vielleicht nicht ernst nimmt und nur meint, ich "übertreibe" und formuliere wieder nur Extreme (sagt sie mir oft). Und andererseits habe ich Angst, dass sie zu sehr auf meine negativen Anteile eingeht und mir dabei etwas aus den Fugen gerät.
Ich weiß ich sollte mit ihr reden, aber mehr habe ich das Bedürfnis stark zu sein und wenn Negatives latent hochkommt, versuche ich irgendwie die Spannung raus zu bringen. Die Spannung, der Druck in mir ist so stark, dass ich einfach alles versuche um mich davon zu befreien.

Sobald ich es anspreche, ist es nicht mehr wegzubringen. Und ich möchte unbedingt das Positive in mir aufrecht und dominant halten. Aber das ist tatsächlich richtig anstrengend und erschöpfend.

Aber ich hab so Angst darüber zu reden. Ich will ja stark sein (und nicht nur mich stark zeigen).

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Beitrag Fr., 04.05.2012, 19:51

Add:

ich habe meiner Therapeutin in den letzten Monaten weder von "Depression" noch von "Zweigleisigkeit" berichtet.

Wir sind gerade sehr mit Beziehungsthemen beschäftigt. Beziehung zwischen mir und Thera. Sie versucht das schon seit so langer Zeit mit mir zu thematisieren und seit ein paar Wochen schaffen wir das auch ein bisschen näher zu thematisieren. Auch deshalb passt das Thema "Zweigleisigkeit", das sich ja jetzt weniger auf die Therapie per se bezieht (sondern eher auf meinen Allgemeinzustand im Alltagsleben), gerade eher so gar nicht.
Über Ambivalenzen und Spannungen, was die Beziehung zur Thera betrifft, sprechen wir schon oft. (Aber da sehe ich momentan keinen Zusammenhang...)

LG Juline

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Beitrag Fr., 04.05.2012, 21:02

Juline hat geschrieben:Auch deshalb passt das Thema "Zweigleisigkeit", das sich ja jetzt weniger auf die Therapie per se bezieht (sondern eher auf meinen Allgemeinzustand im Alltagsleben), gerade eher so gar nicht.

Es passt sehr wohl: Nämlich insofern als du ihr absolut wichtige Fakten über deinen Zustand vorenthältst und ihr Theater vorspielst wie gut es dir doch geht. Das hat zu 100% mit der Beziehung die du zu ihr als deiner Therapeutin hast zu tun.

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Juline
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Beitrag Fr., 04.05.2012, 22:05

Ich habe gerade versucht, nachdem ich hier ein bisschen etwas losgeworden bin, ein Schreiben an meine Thera zu verfassen. Ich wollte es ihr erklären. Das ist aber ein Ding der Unmöglichkeit.
Das klappt nicht. Ich kann doch nicht schreiben/sagen, dass ich oft nicht mehr leben möchte. Ich kann doch nicht sagen, dass ich tieftraurig bin, obwohl mir so viel gelingt und ich auch wirklich nebenher glücklich bin. Das ist dumm. Das glaubt sie mir nie. Das passt doch auch überhaupt nicht zusammen.

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Beitrag Fr., 04.05.2012, 22:08

Warum sollte das dumm sein und warum sollte sie dir das nicht glauben?

Viele Leute die depressiv sind oder gar Suizidgedanken haben verheimlichen solche Tendenzen sehr beharrlich und über lange Zeit. Wenn also jemand dem man das so garnicht ohne weiteres anmerkt sowas gesteht ist das erst mal nicht abwegig oder unglaubwürdig.

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Juline
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Beitrag Fr., 04.05.2012, 23:38

Weil ich mir selbst nicht mehr glaube. Ich entferne mich von mir. Ich entfremde mich von den negativen Gedanken. Ich bin gar nicht so. Es geht mir doch gut. Was soll dieser andere Schwachsinn? Ich kann mich so glücklich schätzen, so viel geschafft zu haben. Wieso also kranken Gedanken Raum geben? Ich muss einfach positiv denken. Sonst mache ich alles kaputt und zerrede Dinge, die doch schön sind.
Ich bin nicht depressiv. Wirklich nicht. Das sind nur kurze Momente, in denen ich mich etwas überfordert fühle.

Sonst ist alles gut. Ich weiß nicht, warum ich das manchmal nicht verstehe

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Beitrag Sa., 05.05.2012, 09:25

Wieso also kranken Gedanken Raum geben?
Sofern das Zwang-los stattfindet, finde ich den Rückschluss richtig. Eigentlich wird viel zu wenig so gedacht und gehandelt. Das mit dem Sport und ablenken oben klingt für mich eigentlich richtig gut. (Wobei - ein wenig Obacht mit Exzessen.)

Also prinzipiell nichts gegen diesen Weg. Nur wenn er mit massiven Selbstzweifeln verbunden ist, sieht es doch anders aus. Dann nimmt die Rolle zu viel Raum ein, als dass sie die "echte" Seite ist, jedenfalls noch nicht, weil: dann kämpfen zwei Seelen in deiner Brust.

Ansatzweise sollte es deshalb die Thera schon wissen (was ja nicht die detaillierte Erklärung verlangt, die musst DU gar nicht nicht von vornherein haben), aber gleich mit der eigenen Maßgabe, den neuen, gesunden Gefühlen mehr Raum zu geben und "dem anderen" weniger. Dann kann sie dir dabei helfen. Wenn sie nichts weiß, eher nicht.

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münchnerkindl
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Beitrag Sa., 05.05.2012, 09:42

Juline hat geschrieben: Ich bin gar nicht so. Es geht mir doch gut. Was soll dieser andere Schwachsinn? Ich kann mich so glücklich schätzen, so viel geschafft zu haben. Wieso also kranken Gedanken Raum geben? Ich muss einfach positiv denken. Sonst mache ich alles kaputt und zerrede Dinge, die doch schön sind.
Ich bin nicht depressiv. Wirklich nicht. Das sind nur kurze Momente, in denen ich mich etwas überfordert fühle.

Sonst ist alles gut. Ich weiß nicht, warum ich das manchmal nicht verstehe

Wenn man Probleme mit Verleugnen, Verdrängen und Ablenken einfach lösen könnte hätte vermutlich kaum jemand auf der Welt Probleme

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