Fürsorge <-> Achtsamkeit durch den Therapeuten

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Wandelröschen
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Fürsorge <-> Achtsamkeit durch den Therapeuten

Beitrag Fr., 18.10.2013, 20:08

Das im Threadtitel geht so gerade in unsereiner um.

Wie empfindet ihr/spürt ihr/nehmt ihr wahr die Fürsorge durch den Therapeuten, denn er wird euch ja nicht sagen, jetzt bin ich mal fürsorglich mit Ihnen? Die gleiche Fragestellung gilt der Achtsamkeit.

Empfindet ihr beides als ähnlich/gleichwertig oder macht ihr da Unterschiede.
Wir haben ja beides in unserer Herkunftsfamilie nicht kennengelernt. Inzwischen durfte ich beides kennenlernen und wie ihr allein schon an meiner Formulierung erkennt, mache ich da sehr wohl einen unterschied.
Z.B. verbinde ich Achtsamkeit mit gleicher Augenhöhe, Fürsorge nicht.

Jetzt gebe ich erst Mal diese Diskussion an euch ab und freue mich schon auf eure Ideen/Anregungen dazu.
Gruß
Wandelröschen

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nettasch
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Beitrag Fr., 18.10.2013, 21:40

hallo Wandelröschen,

spannende frage und interessantes thema, was du da ansprichst.

ich verbinde mit dem begriff fürsorge (für jemanden sorgen) eher das eltern-kind-verhältnis und komme in der therapie schlecht damit zurecht, weil da die übergriffgkeit ein problem sein kann und vor so etwas muss ich mich dann schon am besten 5 stufen vorher schützen.

achtsamkeit durch die therapeutin ... stimme ich dir zu ... findet mehr auf augenhöhe statt und erlebe ich als sehr schön. bei mir am besten angekommen ist dabei ihr vorbild (sozusagen das modell-lernen). so langsam scheint das konzept der achtsamkeit in meinem leben auch seine wirkung zu entfalten.

möchtest du mehr erzählen, warum dich das thema gerade jetzt so in seinen bann zieht?

freundliche grüße,
nettasch

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Wandelröschen
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Beitrag Sa., 19.10.2013, 00:07

Hallo nettasch,

danke für deinen Beitrag
nettasch hat geschrieben: möchtest du mehr erzählen, warum dich das thema gerade jetzt so in seinen bann zieht?
Es stimmt schon, dass mich das Thema gerade beschäftigt; in den Bann ziehen ist aber etwas zu viel gesagt.
Mir tut die Beziehung, die er zu mir aufgebaut hat, unheimlich gut, habe aber inzwischen festgestellt, und das auch thematisiert, dass sich da gegenüber früher etwas geändert hat und habe inzwischen so für mich die Unterschiede herausgearbeitet.

Beides hat ja etwas damit zu tun, die Bedürfnisse des anderen wahrzunehmen, zu erkennen und darauf zu reagieren. Aber die Art und Weise, wie es geschieht, ist anders.
nettasch hat geschrieben: ich verbinde mit dem begriff fürsorge (für jemanden sorgen) eher das eltern-kind-verhältnis und komme in der therapie schlecht damit zurecht, weil da die übergriffgkeit ein problem sein kann und vor so etwas muss ich mich dann schon am besten 5 stufen vorher schützen.
Sehe ich sehr ähnlich. Für-(jemanden)-sorgen. Also sehen, was braucht der (Bedürfnis feststellen) und es dann tun. Also ja, wie bei einem Eltern-Kind-Verhältnis. Das war zum Anfang tatsächlich so bei uns, mit sehr, sehr vielen Kleinigkeiten, die mir jetzt auch so im Nachhinein auffallen. Das tat sehr gut, denn das kannte ich so noch nicht, dass sich jemand kümmert, mich mit meinen Bedürfnissen wahr nimmt (mich überhaupt wahr nimmt) und etwas für mich tut. Er war dann tatsächlich ein Modell, an dem ich lernen konnte. Mal ganz davon abgesehen, dass ich lange meine Bedürfnisse selber gar nicht erkannt habe, geschweige sie denn formulieren konnte, und erst recht nicht gewusst hätte, wie ich sie befriedigen könnte.
Das birgt aber auch, wie du schreibst, die Gefahr von Übergriffigkeit (wenn der Thera damit seine eigenen Bedürfnisse bzw. seinen eigenen Narzissmus befriedigt) und Abhängigkeit (von Patientenseite kommt ein „mehr, mehr“, ist ja so bequem und toll, wenn der Thera es tut, was soll man sich da selber anstrengen, Mami bzw. Papi solln es tun). Denn der Fürsorgende ist ja eindeutig in einer Machtposition, es gibt ein Gefälle, keine Augenhöhe. In Abhängigkeit gerät man dann ganz schnell, wenn man die Eigenverantwortung abgibt – und der Thera es zulässt.
nettasch hat geschrieben: achtsamkeit durch die therapeutin ... stimme ich dir zu ... findet mehr auf augenhöhe statt und erlebe ich als sehr schön.
Fürsorge mehr so, überspitzt gesagt: Ach du armes tuck-tuck, ich weiß, was du brauchst und tue es für dich.
Achtsamkeit eher in die Richtung: Schau mal selber, was du brauchst, was dir hilft; Und dann – egal, was der Patient für sich als hilfreich findet – es dann zuzulassen, zu respektieren, dass dieses dem Patienten dient. Dem Patienten Eigenkompetenz zutrauen, dem Patienten Vertrauen entgegen bringen. Auch wenn er dadurch vielleicht das sichere Fahrwasser des in der Ausbildung gelernten verlässt und etwas entgegen der gängigen Lehrmeinung ausprobiert.

Ein ganz banales Beispiel aus meiner Sicht für den Unterschied Fürsorge/Achtsamkeit, was ihr bestimmt alle kennt, wäre folgendes:
Der Thera merkt in einer Situation, dass der Patient sich schutzlos fühlt.
Fürsorge: er steht auf, holt eine Decke gibt sie dem Patient (oder deckt ihn sogar selber zu) und sagt vielleicht, ich merke, dass sie diese brauchen könnten.
Achtsamkeit: T: ich merke, dass irgendetwas nicht stimmt, was ist es? P (kann das schon selber erkennen und formulieren): ich brauche mehr Schutz. T: wie können Sie den Schutz besser herstellen? Wenn dann der Wunsch nach einer Decke kommt, springt dann der Thera nicht gleich auf und holt sie (wäre wieder Fürsorge) sondern lässt sie dem Patienten vielleicht selber holen (wenn die eh schon im Raum sichtbar irgendwo ist). Und wenn der Patient sich dann mit der Decke hinter dem Stuhl oder so verkriecht und er keinen Blickkontakt mehr hat, respektiert er diesen Eigenwunsch.

Nettasch, dieses Beispiel ist mir gerade gekommen, es ist nicht als aktuelle „Erfahrung“ für meine Ausgangsfrage zu verstehen. Die Achtsamkeit – ja, die mir gerade auch momentan in meiner Therapie bewusst wird (daher jetzt mein Thread) - findet momentan auf einem ganz anderen Level statt und tut irgendwie unheimlich gut und ist auch mal wieder sehr vertrauensfördend, denn mit dem Misstrauen unsereins hat mein Thera immer mal wieder zu kämpfen.
Gruß
Wandelröschen

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hopelife
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Beitrag Sa., 19.10.2013, 01:44

Liebe Wandelröschen
ich habe mich über deinen Beitrag gefreut, ich lese deine Beiträge hier immer total gerne.
Wenn ich nicht so dein Thema treffe, entschuldige ich mich schon einmal.
Ich erlebe die therapeutische Beziehung oft sehr heilsam.
Ich bin derzeit auch an dem Punkt, wo ich mich in meiner Therapie sehr gehalten fühle und gleichzeitig wenn ich diese Wärme fühle auch das Misstrauen stark dominiert und ich das Gefühl nie richtig geniessen kann.
Ich lerne mich das erste Mal in meinem Leben zu akzeptieren und anzunehmen.
Ich hatte dein Thema in der letzten Stunde, meine Thera sagte mir, dass sie nur in dem Rahmen,den wir miteinander haben mich etwas versorgen könne, aber auch meine Selbstständigkeit fördern muss, denn sonst würde ich mich fixieren und nicht mehr selbst für mich und das kleine bedürftige kleine Mädchen sorgen können.

Ich habe sehr viele Therapien gemacht und für mich ist diese Nähe, ja zum Teil auch diese Idealisierung sehr befremdlich. Ich sehe da immer wieder eine sehr schöne Frau vor mir und ich weiss, dass dieses " Fühlen" ein sehr kindliches Gefühl ist. Und auch endlich eine Frau, die ich mir schon in meiner Not als kleines Mädchen wünschte, die es jetzt auch endlich gibt. Einen Ort an dem ich alle Fragen stellen darf.
Das lernen am Modell, wie Bandura es damals beschrieb, das erkenne ich auch. Manchmal erwische ich mich im Alltag dabei, dass ich ihre Worte übernehme, sie als Vorbild fungiert.
Dafür ist aber ein Gegenüber notwenig, was selbst gut Beziehungen leben und gestalten kann.
Es fällt mir aber zunehmend schwer mir körperlich diese Nähe zu geben, die ich mir oft wünsche.Manchmal kommen durch diese Sehnsüchte auch alte Ängste zu Tage und ich frage mich ist die Verdrängung dieser Gefühle nicht sinnvoller, als das Durchleben dieser Sehnsüchte, dieses Brauchen, diese Angst, sie würde mich schlecht behandeln oder fortgehen?
Manchmal kann ich es so schwer annehmen, wenn sie sagt, was kannst du dem kleinen Kind Gutes tun.
Ich erlebe mich innerlich regelrecht bockig und abgewiesen.
Ich kann dir nicht sagen warum.
Manchmal so denke ich, wenn ich dich nur einmal drücken und weinen dürfte gemeinsam mit meiner Thera über die fehlende Mutter und sie sagen würde, wir schaffen das und du bist irgendwann so stark, dass du keine Mutter mehr brauchst, aber jetzt bin ich sehr gerne für dich da!
Ich erlebe es in der Beziehung zu ihr auch so, umso fürsorglicher sie sich verhält, umso mehr innere Reife erfahre ich und spüre auch eine richtige Ruhe.

Ich spüre aber auch bei dem kleinen Kind ein Nährboden für Verletzungen. Jedes Wort vermag ich auf die goldene Waage zu legen, jedes für mich unpassende Wort löst bei mir Trauer und Ablehnung und Versunsicherung und Misstrauen aus.
Glücklichweise habe ich eine Therapeutin, der ich das mitteilen kann. Ich kann Kritik ausüben, ich kann Verletzungen formulieren und sie reflektiert sich immer und erklärt mir auch, woher diese Verletzungen kommen mögen.
Ich "liebe" das an meiner Therapeutin.
Das sie mir immer authentisch spiegelt, was sie bewegt und wie sie mich in der Beziehung erlebt.
Aber es ist nach einer frühkindlichen Traumatisierung immer noch schwer für mich auszuhalten, dass es " nur " diesen Rahmen gibt und ich ansonsten für mich alleine verantwortlich bin.
Was die Achtsamkeit angeht, so spüre ich oft eine Ungeduld, obwohl ich mich besser annehmen kann, aber ich immer noch durch den Schutz von außen angewiesen bin, immer noch auf die Wärme, die es nie gab.
Zuletzt geändert von hopelife am Sa., 19.10.2013, 01:49, insgesamt 1-mal geändert.
es wäre heute nicht so wie es ist,
wäre es damals nichts gewesen wie es war!

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hopelife
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Beitrag Sa., 19.10.2013, 01:47

In der Traumaaufarbeitung gegenwärtig erlebe ich sie als " Objekt", als heilende nachholende Kraft, die mir jetzt nachholend ein wenig Fürsorge, Wärme und Schutz bietet. Wenn ich die Stunde verlassen habe und wieder alleine mit meinen Flashbacks bin, dann fühle ich mich oft in die wärmende Stunde hinein, wo sie da ist, mir Halt und Wärme gibt, aber das ist oft ein Kraftakt, der gar nicht so leicht ist, weil sie als Person ja nur imaginär vorhanden ist.
Es ist vielleicht ein Prozess, eine lange und haltende Beziehung notwendig, um die Selbstfürsorge zu verinnerlichen, zu reifen, zu lernen und das mit auf den Weg zu nehmen, was wir von den Theras leise im Ohr haben. Ich trage ihre Worte immer in meinem Herzen, alles was ich erinnere.. es sind berührende und stärkende Worte und ich glaube auch, das die Worte Wirkung erzielen, weil ich von ihrer Seite aus echte Nähe empfinde, echte Achtung meiner Person und Akzeptanz.
Deswegen sehe ich im Mittelpunkt der Heilung auch immer wieder die therapeutische Beziehung als Fundament jeder Heilung.
Sicherlich habe ich das Thema nicht so gut inhaltlich getroffen, ich wollte aber ein paar Worte dazu hier schreiben.
Schade das man hier so wenig von dir liest, deine Beiträge sind total schön und berührend, auch der Umgang mit deinen Kindern/ Kind/ sorry, habe es nicht mehr so in Erinnerung, den fand ich so haltend und wegweisend damals. Ich wünschte dir sehr, dass du dich auch so gut halten kannst/ lernen kannst dich so zu halten, wie gut du das bei deinen Kindern/ Kind gemacht hast, das was du beschrieben hattest, war wirklich ganz wertvoll... und gerade in der Zeit, wo Pädagogik und Erziehung noch gar nicht so einen großen Stellenwert hatten, wie heute.
Toll!
Ganz lieben Gruß, hopelife
es wäre heute nicht so wie es ist,
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Beitrag Sa., 19.10.2013, 11:44

Hallo Hopelife,

schon mal vorab vielen Dank für deinen lieben Post.
Auch wenn er vielleicht nicht zu 100% das Thread-Thema trifft, sind doch viele wertvolle Aspekte dabei, da mach dir mal keine Gedanken.
Ich werde dir noch in irgendeiner Form ausführlich schreiben. Momentan schau in nur mal kurz rein, bin zeitlich ziemlich eingespannt. Mein Sohn hatte Geburtstag und wir feiern gleich noch ein bisschen, unsere komplette Familie ist mal zusammen (kommt mit großen Kindern nicht mehr so oft vor). Und bei dem schönen Wetter ist hier heute Abend noch einmal Grillen mit Freunden angesagt.

Aber ich würde mich freuen, wenn noch weitere Ideen zu dem Thema kämen, heute spät Abend oder Morgen bin ich auf jeden Fall wieder da.
Gruß
Wandelröschen

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Beitrag So., 20.10.2013, 15:23

Hallo Hopelife,
jetzt wie versprochen zu deinem Posting, aus dem ich einiges zum Thema Fürsorge entnehme. Ich zitiere mal ein paar Sachen und gehe zusammen drauf ein:
hopelife hat geschrieben: • Ich hatte dein Thema in der letzten Stunde, meine Thera sagte mir, dass sie nur in dem Rahmen, den wir miteinander haben mich etwas versorgen könne, aber auch meine Selbstständigkeit fördern muss, denn sonst würde ich mich fixieren und nicht mehr selbst für mich und das kleine bedürftige kleine Mädchen sorgen können.(…)
• Ich bin derzeit auch an dem Punkt, wo ich mich in meiner Therapie sehr gehalten fühle und gleichzeitig wenn ich diese Wärme fühle auch das Misstrauen stark dominiert und ich das Gefühl nie richtig geniessen kann. .(…)
• Manchmal kann ich es so schwer annehmen, wenn sie sagt, was kannst du dem kleinen Kind Gutes tun. Ich erlebe mich innerlich regelrecht bockig und abgewiesen. Ich kann dir nicht sagen warum. .(…)
• Ich erlebe es in der Beziehung zu ihr auch so, umso fürsorglicher sie sich verhält, umso mehr innere Reife erfahre ich und spüre auch eine richtige Ruhe. .(…)
• Es ist vielleicht ein Prozess, eine lange und haltende Beziehung notwendig, um die Selbstfürsorge zu verinnerlichen, zu reifen, zu lernen und das mit auf den Weg zu nehmen, was wir von den Theras leise im Ohr haben. Ich trage ihre Worte immer in meinem Herzen, alles was ich erinnere. .(…)
Durch die konkrete Fürsorge werden also Bedürfnisse, vor allem des „kleine Kindes“ konkret gestillt durch den Thera. Er/Sie ist also so was wie das Modell eines guten Elternteils, an dem der Patient lernen/sich orientieren kann. Also betreibt der Thera durch Fürsorge eine Art Nachbeelterung. Wahrscheinlich dann, je größer die frühkindlichen Defizite, umso mehr Fürsorge.
Es wird dann ein Balance-Akt von Seiten des Theras sein, seine anfängliche Fürsorge zurückzufahren, ums den Patienten zur Selbstfürsorge zu „erziehen“, nachdem dieser ja am Modell (Therapeut) lernen konnte, was Fürsorge bedeutet. Ansonsten würde er ja wie überfürsorgliche Eltern sein, die ihr Kind unter einer Käseglocke halten und damit am Wachsen und selbstständig werden hindern.
Fürsorge heißt also: ich mache etwas für dich, weil du es (noch) nicht kannst, also Gefälle.
Wenn ein Thera achtsam ist, dann achtet und fördert er dieses „noch“, um das Gefälle zu verringern, den Patienten wachsen zu lassen.

Diese Fragen vom Thera „was kannst du tun …“ ist dann das Schupsen in Richtung Selbstfürsorge, nachdem Fürsorge erlebt wurde (wenn man es nicht kennt, weil nie erlebt, funktioniert das natürlich nicht).
Ich denke, es ist völlig normal, dass man sich (zunächst) innerlich etwas abgewiesen fühlt und bockig reagiert (Schrei nach mehr-mehr), wenn der Thera die Fürsorge reduziert, ähnlich wie bei einem Kind, das z.B. irgendwann mal ohne Gute-Nacht-Geschichte einschlafen soll.

Wie du denke ich auch, dass durch die Fürsorge ein Reifeprozess ausgelöst wird, der dazu führen wird die Selbstfürsorge zu übernehmen, wenn der Therapeut auch achtsam ist und es schafft, sich selber mit der Zeit diesbezüglich zurückzunehmen.

Fürsorge erzeugt Bindung und gibt Halt. Sehe ich auch so. Und das ist wiederum für die Therapeutische Beziehung notwendig. Also ist auch Fürsorge durch den Therapeuten in der Therapie (individuell aber unterschiedlich) notwendig.

Und jetzt schreibst du, dass „wenn ich diese Wärme fühle auch das Misstrauen stark dominiert und ich das Gefühl nie richtig genießen kann.“
Oh ja, das kenne ich auch von mir, war am Anfang bei meinem jetzigen Thera ganz extrem. Warum? Ich schreibe mal von mir, kann bei dir natürlich ganz anders sein, aber vielleicht gibt es ja Parallelen, kannst nur du wissen.
Es gab durchaus hin und wieder mal so etwas wie Fürsorge. Bloß gab es da immer einen Pferdefuß. Es gab Fürsorge, damit ich hinterher in irgendeine bestimmte Richtung funktionierte, sie hatte also einen Zweck. Wenn ich diesen Zweck nicht selber erkannte, was die Regel war und ihn dann also nicht erfüllte, hagelte es Strafe. Ergo war Fürsorge fast immer mit negativer Konsequenz verbunden, war gefährlich. Also wurde Fürsorge von mir schon als Kind immer sehr misstrauisch beäugt „was will der von mir“, um drohende Strafe zu entgehen. Und dieses gelernte Muster saß sehr, sehr tief. Hatte mein Thera stark mit zu kämpfen.
Wenn in der Kindheit „nur“ Bedürfnisse nicht gestillt worden sind, also nur Mangel, dann stelle ich mir vor, wirkt Fürsorge durch den Thera sehr angenehm, stillend, … wenn Fürsorge auch noch mit was Negativem verknüpft war, wie bei mir, ist auch Misstrauen da. Es gab Fürsorge, wenn ich sie brauchte, aber auch, wenn ich sie nicht brauchte, und es gab sie meistens nicht, wenn ich sie brauchte, und schon gar nicht um meiner selbst willen, sondern nur mit einem Zweck verbunden. Ergo, ich konnte mich diesbezüglich auf nichts verlassen.
-> Misstrauen
Gruß
Wandelröschen

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Wandelröschen
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Beitrag So., 20.10.2013, 15:26

Jetzt noch Mal in die allgemeine Runde, zusammenfassend aus meiner Sicht:

Fürsorge in der Therapie/durch den Therapeuten
Erkennen und stillen von Bedürfnisse
Erzeugt Bindung
Gibt Halt
Schaft Vertrauen
In der ersten Zeit der Therapie gerade bei frühkindlichen Mangel viel notwendig
Kann aber bei zu viel und zu lange auch zur Abhängigkeit führen oder zur Hemmung der Selbstständigkeit
Beinhaltet Gefälle und nicht gleiche Augenhöhe
Sollte im Laufe der Therapie vom Thera zurückgefahren werden

Achtsamkeit in der Therapie/durch den Therapeuten
Erkennt Bedürfnisse, aber befriedigt diese nicht selber, sondern leitet den Patienten an, es selber zu tun, aber unter der Berücksichtigung, dass der das auch kann, muss also auch die Kompetenzen des Patienten richtig einschätzen.
Erzeugt Bindung
Gibt Halt
Schafft Vertrauen
Erkennt Selbstständigkeit des Patienten an
Gleiche Augenhöhe
Sollte im Laufe der Therapie immer größer werden

Weitere Fragen an euch
Seht ihr etwas anders, habt ich noch weitere Aspekte?

Und vor allem jetzt ganz konkret, wie erfahrt ihr Fürsorge oder auch Achtsamkeit in der therapeutischen Sitzung. Also Fürsorge z.B. mit der berühmt-berüchtigten Decke, die euch euer Thera zum Schutz überlegt.

Und jetzt auch an die, die Analyse machen, da kann eurer Thera ja nicht aufstehen und holt euch eine Decke, wenn ihr da auf der Couch liegt, oder doch?
Gruß
Wandelröschen

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Waldschratin
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Beitrag So., 20.10.2013, 15:58

Wandelröschen hat geschrieben:Wenn in der Kindheit „nur“ Bedürfnisse nicht gestillt worden sind, also nur Mangel, dann stelle ich mir vor, wirkt Fürsorge durch den Thera sehr angenehm, stillend, … wenn Fürsorge auch noch mit was Negativem verknüpft war, wie bei mir, ist auch Misstrauen da
Ist bei mir auch der Fall.Ich hab keine respektvolle Fürsorge kennengelernt,sondern anstatt Fürsorge Manipulation zur Befriedigung der Bedürfnisse anderer durch mich/ an mir.
Wenn mir jetzt mein Thera fürsorglich kommt,dann schüttel ich mich wie ein nasser Hund und geh in Schutzhaltung - Mißtrauen bis hin zur Gegenwehr.

Das Dumme ist,daß mein Thera tatsächlich die eine oder andere eigene Unsicherheit versucht auszugleichen,indem er mich in sein gewohntes Behandlungsschema zu bringen versucht,obwohl das so gar nicht dann grade meinen Bedürfnissen entspricht und das dann "Fürsorge" nennt.Da triggert er immer mal wieder so manches an.

Ich denk auch nicht,daß es unbedingt nen langen fürsorgenden und "haltenden" Prozess braucht,um Selbstfürsorge lernen zu können.Klar,am Beispiel lernen ist immer gut.Aber ob dieser Prozess lang oder kurz ist,hängt doch von individuellen Umständen ab.
Ich glaub,daß es da auch in erster Linie ne Fähigkeit zur Entscheidung für nen Weg mit sich braucht und daß diese Fähigkeit entscheidend ist,wie lange das dann dauern wird.Hat halt jeder seine Fähigkeiten woanders,ebenso wie seine Defizite.

Für mich z.B. ist "aufgezwungene" Fürsorge echtes Gift.Nicht,weil ich nicht "fähig" wäre,Kontrolle abzugeben oder mich anzuvertrauen.Das krieg ich mittlerweile ganz gut hin.Ich KANN "führen",auch mich selber,aber ich MUß es nicht mehr.Ich genieße es inzwischen schon,wenn mein Thera mich mal bei der Hand nimmt.

Nur wenn seine "Fürsorge" mehr ihn selber meint als mich,da hakt es dann bei mir.Da ist auch eine meiner Baustellen.Und sich dann ner solchen "Fürsorge" unbesehen und ohne zu hinterfragen unterzuordnen,der garantiert falsche Weg für mich.

Ich arbeite da derzeit mehr dran,die für mich gute von der für mich falschen Fürsorge unterschieden zu bekommen.Und sorge da inzwischen mehr für die respektvolle,achtsame Art der Fürsorge für mich bis hin,die einzufordern - wenn denn Achtsamkeit und Respekt alleine für sich nicht schon das Beste für mich ist.

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Fundevogel
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Beitrag So., 20.10.2013, 20:36

Liebe Wandelröschen,

ich empfinde es auch als wichtig, ob es um eines meiner Bedürfnisse geht,
das ich selbst wahrgenommen habe oder nicht.

Wenn es um ein Bedürfnis geht, das ich wahrnehme und auch artikuliere
und erfüllt es, dann empfinde ich das auch als fürsorglich.
Beispiel: Wenn ich sage, mir ist kalt und ein Blick auf das Thermometer zeigt, dass es nicht (nur ) um psychosomatisches Frösteln geht, dann dreht er die Heizung auf.

Achtsamkeit ist glaube ich eine Grundhaltung meines Therapeuten, bin immer wieder erstaunt, wie aufmerksam und konzentriert er ist.

Wenn es um ein Bedürfnis von mir geht, das mir nicht aufgefallen ist,
dann kommt manchmal ein Angebot oder eine Aussage, die mir hilft und das empfinde auch als fürsorglich.
Beispiel: Er empfiehlt mir einen Ersatztermin, da meine Stunde wegen eines Feiertages ausfallen würde. Fragt, ob er den Ventilator an- oder abdrehen soll, weil mir mein Frösteln nicht aufgefallen war.

Ungefragtes Stillen von Bedürfnissen, wie das Beispiel mit dem Umlegen einer Decke, das würde ich glaube ich als übergriffig empfinden. So nach dem Motto: Ich kenne deine Bedürfnisse besser als du ... Wäre mir auch viel zu nahe, glaube ich, wenn er sich ohne Vorankündigung auf mich zubewegen würde, das würde mir glaube ich Angst machen.
Fundevogel

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Wandelröschen
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Beitrag So., 20.10.2013, 21:55

Liebe Waldschratin,
danke auch für deine Ideen.
Wldschratin hat geschrieben: Ist bei mir auch der Fall.Ich hab keine respektvolle Fürsorge kennengelernt,sondern anstatt Fürsorge Manipulation zur Befriedigung der Bedürfnisse anderer durch mich/ an mir. Wenn mir jetzt mein Thera fürsorglich kommt,dann schüttel ich mich wie ein nasser Hund und geh in Schutzhaltung - Mißtrauen bis hin zur Gegenwehr.
Ja genau, Fürsorge wurde bei mir auch zur Manipulation eingesetzt. Und deswegen konnte und kann ich teilweise immer noch nicht Fürsorge so einfach annehmen, Misstrauen, auch wenn es immer weniger wird, dieses Misstrauen auch meinem Thera gegenüber.
Wldschratin hat geschrieben: Für mich z.B. ist "aufgezwungene" Fürsorge echtes Gift.Nicht,weil ich nicht "fähig" wäre,Kontrolle abzugeben oder mich anzuvertrauen.Das krieg ich mittlerweile ganz gut hin.
Hiermit bringst du jetzt noch einen weiteren Aspekt ein, ist mir noch nicht in den Sinn gekommen: Kontrolle
Fürsorge zuzulassen hätte dann etwas mit Kontrolle abgeben, sich anvertrauen zu tun. Geht das nicht erst, wenn man sich seiner sicher ist?
Gruß
Wandelröschen

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Beitrag So., 20.10.2013, 21:59

Liebe Fundevogel,

danke für deine Sichtweise.
Fundevogel hat geschrieben: Achtsamkeit ist glaube ich eine Grundhaltung meines Therapeuten, bin immer wieder erstaunt, wie aufmerksam und konzentriert er ist.
Wenn du nicht in Österreich wohntest, nähme ich glatt an, du seist bei meinem Thera in Behandlung .

Aber jetzt wieder zum Thema.
Fundevogel hat geschrieben: Ungefragtes Stillen von Bedürfnissen, wie das Beispiel mit dem Umlegen einer Decke, das würde ich glaube ich als übergriffig empfinden. So nach dem Motto: Ich kenne deine Bedürfnisse besser als du ...
So in etwa sehe ich es auch, wobei ich nicht gerade übergriffig sagen würde (aber das wäre Wortklauberei), ich denke, es kommt an, was du meinst. Durch das ungefragte Tun wird genau diese Haltung ausgedrückt: ich kenne deine Bedürfnisse besser als du,… du bist klein und ich bin groß. Das hat dann ja eigentlich nichts mit Respekt zu tun. Achtsam wäre es dann, wenn er fragt und genau das tut, was gewünscht wird, also keine Grenze dann überschreitet, also Respekt vor den Grenzen des anderen. Du merkst bestimmt, ich denke gerade laut.
Also hat Achtsamkeit mit Respekt vor/für den anderen zu tun.

Hm, da fällt mir gerade eine Situation aus der letzten Stunde ein. Er hatte gespürt, dass ich ein Bedürfnis hatte und sprach mich darauf an, bzw. fragte mich, was ich denn gerade bräuchte. Ich: mehr Nähe, Sie sitzen mir zu weit weg.
Da hätte ich dann erwartet (wie bei meiner ersten Thera), dass er sagt, ich solle mich dann so setzten, dass es für mich stimmig sei. Und das wäre dann ja achtsam gewesen, und Förderung der Selbstfürsorge, und absolut ok.
Hat er aber nicht, fällt mir jetzt erst auf. Er fragte, wo er sich hinsetzen solle, ich zeigte es ihm, er fragte nochmal nach, ob es stimmt, ich korrigierte noch mal, bis es für mich stimmte. Boa, da hat er sich ja „mir in die Hände“ gegeben, er hat sich ja mir anvertraut, mir ein Vertrauen entgegen gebracht. Das muss ich mal auf mich wirken lassen.

Ich sehe schon, Fürsorge ist viel leichter auszumachen/wahrzunehmen/zu definieren als Achtsamkeit.
Gruß
Wandelröschen

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nettasch
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Beitrag Mo., 21.10.2013, 19:54

hallo Wandelröschen,

vielen vielen dank für diesen deinen thread, weil dieser mir durch die tollen beiträge hier gerade eine wichtige erkenntnis gegeben hat, die da wäre: nur mit achtsamkeit auch fürsorge. (fürsorge mit der weiter gefassten bedeutung für-sich-sorgen).

vllt. ist das die tiefere bedeutung, die in der therapie durch das vorbild therapeut verfolgt wird. quasi über das dortige erfahren, es in das eigene sein integrieren können.
hmm... das könnte ja dann bedeuten, wirklich mal die kontrolle loslassen zu können, um sich einzulassen und auch die fürsorge anzunehmen. womit ich wieder beim vertrauen in den anderen (und dadurch später in sich selber) wäre.

dankende grüße,
nettasch

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