Starke emotionale Abhängigkeit in sozialen Beziehungen

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peponi
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Beitrag Di., 23.03.2021, 12:53

Hallo donbrasco,

ich weiß nicht, ob du meine Gedanken als hilfreich empfindest, aber ich habe gerade das Bedürfnis, dir einige Worte zu schreiben, nicht zuletzt, weil du mit der Aussage, etwas weggesperrt zu haben, irgendetwas in mir gerührt hast. Mir geht es mit dem Weinen tatsächlich ganz genauso. Seit Jahren kann ich nicht mehr weinen, auch wenn ich es gerne würde, weil ich Weinen eine sehr gesunde und hilfreiche Möglichkeit finde, um den Schmerz rauszulassen. Aber es geht einfach nicht, meistens lache ich nur und mache Witze. Und ganz selten kann ich die Tränen in meiner Stimme sogar hören, aber sie stecken einfach fest. Keine Ahnung, wie sich das durchbrechen lässt, ich wünschte, ich wüsste es.

Und zu dem, was du zu der emotionalen Abhängigkeit schreibst: ich kenne das ebenfalls, früher hatte ich damit mehr zu kämpfen, wenn auch nie so stark ausgeprägt, wie du es beschreibst. Ist es denn bei dir auch so, dass du die kleinsten, substilsten Äußerungen sofort auf dich beziehst und sie als Abwertung interpretierst und dich davon verunsichern lässt?
Mir hat dabei geholfen, mir zu verdeutlichen, dass das im Kern eine sehr egozentrische Perspektive ist (und das meine ich als Beobachtung, nicht als Bewertung, bitte nicht falsch verstehen). Die meisten Menschen denken gar nicht so viel über solche Sachen nach. Indem man das sofort auf sich selbst bezieht, vollzieht man meiner Meinung nach häufig gedankliche Konstruktionen, die so gar nicht gegeben sind. Ich war z.B. immer sehr sensibel in Bezug auf schriftliche Kommunikation, wenn ich gesehen hatte, mein Gegenüber hatte die Nachricht gelesen, aber antwortete nicht sofort. Dann war klar, okay, ich habe Blödsinn geschrieben, mein Gegenüber kann mich jetzt nicht mehr ausstehen. Aber: ich antworte auch selten sofort, was meist daran liegt, dass ich gerade etwas anderes zu tun hatte oder mich nicht in der Lage fühlte, jetzt mit jemandem kommunizieren zu können oder zu wollen. Das hat aber nichts mit der anderen Person zu tun, sondern mit mir. Und ich denke, so ist es häufig in zwischenmenschlichen Beziehungen. Allerdings weiß ich nicht, ob das auch dein Thema ist oder ich komplett daran vorbei schreibe.

Du schreibst, du hast kaum etwas in dir, was eine ernstgemeinte Kritik aushalten kann. Hattest du denn jemals die Erfahrung gemacht, dass eine Beziehung auch dann noch gut bleiben kann, selbst wenn Kritik an dir geübt wurde? Diese Kritik ist ja immer nur eine Momentaufnahme in einer Beziehung und die vielen, vielen positiven Momente, die es vielleicht vorher gab, lösen sich ja deswegen nicht in Luft auf oder werden ungültig.

So wie du es beschreibst und so wie ich es verstehe, richtest du dein Selbstbild und deinen Selbstwert an dem aus, was dir von anderen Menschen gespiegelt wird. Und was ich mich da frage: wer bist du, unabhängig von anderen Menschen? Hast du überhaupt ein Bild von dir oder ist da einfach Nichts?
silence like a cancer grows.

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donbrasco90
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Beitrag Di., 23.03.2021, 14:30

Hi Peponi,

du triffst den Nagel auf den Kopf. Scheint als hätten wir einiges Gemein. Was das Weinen angeht, habe ich tatsächlich schon Dinge ausprobiert aber Funktionieren tut es tatsächlich nicht. Es ist auch nicht so, als hätte ich das Bedürfnis zu weinen, es ist für mich einfach nur ein Indiz für diese fehlende Verbindung zu seinen Emotionen.

Das mit der egozentrischen Perspektive find ich gut. Als wäre man der alleinige Mittelpunkt der Erde. So fühlt es sich zumindest an. Ich verstehe auch immer mehr, dass das alles konstruktiv ist und ich falle auch nicht mehr in diese Löcher. Aber unabhängig von der Bewertung Anderer bin ich irgendwie immer noch nicht. Sogar beim Verfassen dieses Posts, kommt mir nach jedem Satz der Gedanke, ob es angemessen ist, was ich schreibe. Verrückte Sache. Mittlerweile, fühlt es sich so an, als wäre alles schöne im meinem Leben abhängig von den Menschen, die damit zutun haben oder allgemein in Beziehung zu mir stehen.

Bei mir spielt noch eine andere Sache eine entscheidende Rolle. Ich begebe mich, absichtlich oder unabsichtlich, immer in eine Art Euphorie Phase, wenn ich was neues finde um meine schlechten Gefühle zu bewältigen. Manchmal ist es eine Sitzung bei der Therapie. Manchmal eine Begegnung mit einem Menschen. Es trägt immer das Motto "ah jetzt hab ich was gefunden, daran lag es also die ganze Zeit". In dieser Euphorie Phase gelingt mir dann auf einmal alles. Ich nehme Menschen anders war. Habe wieder Drive den Tag anzugehen. Möchte auf einmal Reisen, habe Freude am Leben. Und das heftige ist, die Menschen um mich rum, gehen auch anders mit mir um. Die Menschen reden gerne mit mir. Ich steck sie an und sie leuchten mich zurück an. Manche Freunde sind mir sogar in die Arme gefallen. Eine Freundin hat behauptet, sie zeige meine Sprachnachrichten anderen Menschen, weil sie so inspirierend sind. Dann irgendwann fängt dieses Gefühl an nachzulassen. Ich versuche dagegen anzugehen, was mich den letzten Nerv kostet und am Ende erliege ich den Gedanken, den Angriffen usw. und bekomme ne Art Angstzustand, das mein Leben wieder das alte ist. Das Problem dieser Phasen ist, das ich kaum eine Methode zuverlässig anwenden kann, weil sie mir am Anfang das Gefühl gibt, alles zu lösen, am Ende jedoch nicht mehr greift. Und so habe ich volle Notizbücher mit Tipps, Zitaten, Methoden die mir alle nichts bringen, weil sie nicht mehr greifen (gefühlt). Das ist zumindest meine Wahrnehmung. Natürlich, würde ich einiges davon regelmäßig anwenden, dann würde auch was bei rum kommen. Ich hoffe ich konnte diesen Zustand verständlich beschreiben.

Um auf deine Fragen nochmal zu antworten. Genau so ist es. Nachrichten sind mal richtig schlimm gewesen. Ich bin aus Gruppen ausgetreten, weil ich z.b. an einem wunderschönen Tag einen Satz in die Gruppe geschrieben hab, nicht alle reagiert haben und ich mich fühlte, als hätte jemand von einem Moment auf den anderen das Licht ausgemacht und auf einmal was ich das unsicherste Wesen, auf diesem Planeten.

Ich habe kein Bild von mir, dass mich überzeugt. Es kann mit einem Satz von einem Menschen den ich sehr respektiere schon wieder ganz anders sein. Wenn ich denke, ich bin zuverlässig und jemand mich als unsicher bewertet, dann wars auch damit. Das heißt, ein Bild von mir habe ich, nur keins das fest in mir drin ist. Ich weiß gar nicht wie Menschen Dinge machen könnten unabhängig wie jemand anders darüber denkt. Deshalb sind viele Entscheidung in meinem Leben dadurch motiviert (es sei denn ich befinde ich mich in einer Euphorie Phase, dann weiß ich auf einmal was ich will und bin selbstbewusst), was andere gut finden würden. Ich würde zum Beispiel eher Urlaub in Thailand machen, wenn mir 5 Leute sagen, dass sie gerne dahin fliegen würden, als irgendwo hin wo es mir gefällt. Weil in meinem Leben immer wichtiger war, was andere machen.

Nur als Ergänzung: diese euphorischen Phasen bilden 3 % meines Lebens ab. In den restlichen 97 % bin ich mal mehr, mal weniger unsicher, habe Angst, mache mir Gedanken und Beziehung bedeutet für mich oft GEFAHR!

Gut mal darüber in diesem Kontext sprechen zu können.

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peponi
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Beitrag Mi., 24.03.2021, 15:52

donbrasco90 hat geschrieben: Di., 23.03.2021, 14:30 Was das Weinen angeht, habe ich tatsächlich schon Dinge ausprobiert aber Funktionieren tut es tatsächlich nicht. Es ist auch nicht so, als hätte ich das Bedürfnis zu weinen, es ist für mich einfach nur ein Indiz für diese fehlende Verbindung zu seinen Emotionen.
Ich denke, man kann das nicht erzwingen. Damit baut man sich nur zusätzlichen Druck auf.
Ich habe schon manchmal das Bedürfnis zu weinen bzw. denke eher, wenn ich jetzt weinen könnte, würde die Anspannung vielleicht weniger werden. Aber es ist wie festgefroren. Vor ein paar Monaten ist mir nach einer etwas schwierigeren Therapiestunde plötzlich eine Träne über die Wange gelaufen, als ich auf den Bus gewartet habe. Das kam unerwartet, aber hat sich irgendwie gut angefühlt. Wäre mir auch völlig egal gewesen, wenn ich richtig geweint hätte. Aber mehr war nicht, nur diese eine Träne. Und vielleicht mystifiziert man das auch irgendwie und das Weinen kommt von allein, wenn man erst einmal wieder einen Zugang zu seinen Emotionen aufgebaut hat.
Aber da trete ich halt auch auf der Stelle und weiß nicht weiter.
Aber unabhängig von der Bewertung Anderer bin ich irgendwie immer noch nicht. Sogar beim Verfassen dieses Posts, kommt mir nach jedem Satz der Gedanke, ob es angemessen ist, was ich schreibe.
Naja, Menschen sind soziale Wesen, unabhängig von der Bewertung Anderer ist man doch nie und natürlich sucht man immer irgendwie nach Anerkennung. Die Frage ist eher, in welchem Ausmaß das passiert. Wenn du, wie du beschreibst, schon nicht mehr in diese Löcher fällst, dann erkennst du die Situationen ja schon, und das ist m.E. bereits die halbe Miete. Zu merken, wann das Kopfkino losgeht, dass du dem auch nicht hilflos ausgeliefert bist, sondern schauen kannst, wie sich das auflösen lässt, es vielleicht auch allein schon hinkriegst. Hast du in solchen Momenten schon einmal andere Strategien außer Rückzug ausprobiert? Also beispielsweise, jemand sagt was, was dich massiv verunsichert und in deinem Selbstbild erschüttert, und du sprichst es einfach direkt bei dieser Person an? Häufig kommt da schon eine ganz andere Rückmeldung als man vorher glaubt...
Und mit deiner letzten Aussage bist du übrigens nicht allein, ich überlege mir meine Worte hier auch sehr genau und les alles fünf mal durch, bevor ichs abschicke. ;)
Und so habe ich volle Notizbücher mit Tipps, Zitaten, Methoden die mir alle nichts bringen, weil sie nicht mehr greifen (gefühlt).
Das klingt ein wenig danach, als würdest du da auch sehr verkopft herangehen, sehr technisch, rational. Und das kann schon eine Hilfestellung sein bzw. eine wertvolle Ressource und man kann Antworten in Literatur, wissenschaftlichen Studien etc. suchen und auch finden, aber irgendwann kommt halt ein Punkt, an dem man damit nicht mehr weiterkommt. Weil man vielleicht auf der falschen Ebene ansetzt. Und vielleicht eher ins Fühlen hereinkommen muss als immer nur ins (Zer)Denken.
Das heißt, ein Bild von mir habe ich, nur keins das fest in mir drin ist.
Aber das ist doch dann schon mal etwas, auf dem sich sicherlich aufbauen lässt. Ist das denn Thema in deiner Therapie?
Nur als Ergänzung: diese euphorischen Phasen bilden 3 % meines Lebens ab. In den restlichen 97 % bin ich mal mehr, mal weniger unsicher, habe Angst, mache mir Gedanken und Beziehung bedeutet für mich oft GEFAHR!
Ist es ja häufig auch. Man macht sich unglaublich verwundbar und ich finde eher die Menschen naiv, die da so völlig unbedarft herangehen. Je nachdem, welche Erfahrungen man gemacht hat, hat man aber teils schon sehr früh und sehr schmerzhaft lernen müssen, dass Beziehungen eine wirkliche Gefahr darstellen können – auch und gerade die Beziehung zu den Eltern, die Sicherheit und Geborgenheit vermitteln sollte, es aber häufig nicht tut.
Findest du diese euphorischen Phasen denn schlimm bzw. einen zu extremen Gegenpol? Denn so wie du das schilderst, hört sich das für mich erst mal gut an. Sich für etwas begeistern zu können, ist doch erst einmal etwas sehr Positives; wenn es dir ein Selbstbewusstsein vermittelt, umso besser, und so wie du schreibst, strahlst du das dann ja nach außen aus. Da wäre für mich die Frage, wie lässt sich das stabilisieren bzw. wie lässt es sich verhindern, dass die Begeisterungsfähigkeit wieder nachlässt. Und ich denke, das lässt sich therapeutisch durchaus bearbeiten.

Soweit meine Gedanken...
silence like a cancer grows.

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