Berichte an Gutachter lesen sinnvoll?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
Benutzeravatar

candle.
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 56
Beiträge: 15043

Beitrag Fr., 09.09.2022, 15:08

Gespensterkind hat geschrieben: Fr., 09.09.2022, 15:02 Ich finde halt, dass diese Berichte einen schon auch erschrecken können. Weil sie eben manchmal ganz anders geschrieben sind, als man sonst mit dem Therapeuten spricht. Und das liegt genau daran, was Dein Therapeut Dir gesagt hat, dass diese Berichte ja für einen bestimmten Zweck geschrieben werden - nämlich mehr Stunden zu bekommen. Deshalb werden manche Dinge übertrieben negativ dargestellt, andere - die Dir in der Therapie vielleicht wichtig waren - bekommen gar kein Gewicht. Und es kann so der Eindruck entstehen, dass der Therapeut einen eigentlich falsch eingeschätzt hat.
So wurde mir das auch erklärt, auch, dass man diagnostisch etwas überspitzen muß um Folgestunden zu bekommen und das ich anders wahrgenommen werde in Therapie.

Ansonsten würde mich das gar nicht interessieren was da mal geschrieben wurde, weil es mir damals um den Erfolg für weitere Stunden ging und abgesehen davon, muß ich ja auch davon ausgehen Fortschritte gemacht zu haben, so würden diese alten Berichte eh nicht mehr stimmig.

Müssen die Therapeuten nicht eh Abschlußberichte schreiben? Da würde ich eher sowas anfordern.

candle
Now I know how the bunny runs! Bild

Werbung

Benutzeravatar

Montana
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 3288

Beitrag Fr., 09.09.2022, 15:56

candle. hat geschrieben: Fr., 09.09.2022, 15:08 Müssen die Therapeuten nicht eh Abschlußberichte schreiben?
Nein.

Benutzeravatar

candle.
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 56
Beiträge: 15043

Beitrag Fr., 09.09.2022, 16:07

@ Montana, als ich damals Therapie machte, das muß so 5 Jahre her sein, war das angeblich ein Muß, dass jährlich ein Bericht verfasst werden mußte. Ich wurde auch gefragt, ob ich den haben will. Hat sich das inzwischen geändert?

candle
Now I know how the bunny runs! Bild

Benutzeravatar

Montana
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 3288

Beitrag Fr., 09.09.2022, 16:18

Bist du damals mit Überweisung vom Arzt dorthin? Falls ja, dann besteht eine Berichtspflicht an diesen Arzt, es sei denn, man widerspricht dem. Das gilt für alle ärztlichen Überweisungen, was viele Leute nicht wissen.
Wenn es niemanden gibt, der Empfänger eines Berichtes wäre, muss auch keiner geschrieben werden. Der Therapeut muss seine Arbeit dokumentieren, aber das kann er machen, wie er möchte. Damit kann er dann jederzeit benötigte Berichte schreiben, die ja je nach Adressat auch anders ausfallen. Anträge an Krankenkassen müssen bestimmten Regeln entsprechen und Berichte für andere (ich brauchte z.B. einen für den Fonds) sehen ganz anders aus.

Werbung

Benutzeravatar

candle.
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 56
Beiträge: 15043

Beitrag Fr., 09.09.2022, 16:24

Nein, ich bin nicht überwiesen worden. Da konnte ich den Platz noch selber suchen und wählen.
Now I know how the bunny runs! Bild

Benutzeravatar

Montana
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 3288

Beitrag Fr., 09.09.2022, 16:29

candle. hat geschrieben: Fr., 09.09.2022, 16:24 Nein, ich bin nicht überwiesen worden. Da konnte ich den Platz noch selber suchen und wählen.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Kriege ich eine Überweisung zum Augenarzt, dann suche ich mir den auch selber aus.

Aber ich habe gerade nachgelesen. Es gibt eine Berichtspflicht und die besagt, dass der Therapeut nach dem Hausarzt fragen muss um diesem dann Berichte zu schicken. Natürlich muss man dem nicht zustimmen. Man darf erklären, keinen Hausarzt zu haben, oder mit dem Versenden von Berichten nicht einverstanden zu sein.

Das fiese an den Überweisungen ist, dass viele Leute von der Berichtspflicht nichts wissen und mit Überweisung nicht gefragt werden müssen. Die Einwilligung gilt als erteilt und man muss aktiv widersprechen und das im Zweifel durchsetzen. Viel einfacher, der Hausarzt ist dem Therapeuten unbekannt.

Benutzeravatar

candle.
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 56
Beiträge: 15043

Beitrag Fr., 09.09.2022, 16:41

Montana hat geschrieben: Fr., 09.09.2022, 16:29 Das fiese an den Überweisungen ist, dass viele Leute von der Berichtspflicht nichts wissen und mit Überweisung nicht gefragt werden müssen. Die Einwilligung gilt als erteilt und man muss aktiv widersprechen und das im Zweifel durchsetzen. Viel einfacher, der Hausarzt ist dem Therapeuten unbekannt.
Dass das keiner weiß, halte ich für ein Gerücht. Es braucht doch jeder Facharzt eine Überweisung. Stell dir vor ein Orthopäde schickt dich zum Röntgen und der Patient will jetzt keinen Bericht über das Ergebnis für den überweisenden Orthopäden? Abgesehen davon braucht man vor einer Therapie ein Konsil, was bei mir auch der Hausarzt übernommen hatte.

Für mich macht es Sinn, dass alle Berichte bei einem Arzt zusammenlaufen, was ja auch der "Heilung" dient. Und da weiß ich eben von ganz früher nur, dass ein Abschlußbericht geschrieben wird, mit dem jährlichen Bericht war mir das neu.

Aber das ist auch OT. Ich überlege schon eine Weile zur Therapeutensuche einen Thread zu öffnen, weil ich nicht weiß wie es aktuell "geht", denn beim letzten Versuch wurde ich abgewiesen, weil der Therapeut außerhalb meiner Stadt lag. :roll: Und wenn das noch bundesländerübergreifend gilt... :roll:

candle
Now I know how the bunny runs! Bild


Bluemoon123
Forums-Insider
Forums-Insider
weiblich/female, 50
Beiträge: 491

Beitrag Fr., 09.09.2022, 16:46

Ich wurde damals auch von der Hausärztin an den Thera überwiesen und da war auch angekreuzt "Bitte um Bericht". Aber mein Thera sagte mir, er ist nur mir und der Krankenkasse gegenüber verpflichtet. Dass die Hausärztin einen Bericht will, heißt somit nicht, dass er einen schreiben muss. Er schreibt nur Berichte, die entweder die Krankenkasse von ihm fordert oder die ich fordere. Ich hab ihn dann dann am Ende der Therapie um einen Bericht für die Hausärztin gebeten. Das hat er dann auch gemacht. Aber er hat ihn nicht an die Hausärztin geschickt, sondern mir gegeben. Somit hatte ich die Entscheidungsgewalt ob ich den weiter geben will oder nicht.

Aber zurück zum Thema. Ich hab damals meinen Bericht an den Gutachter gelesen (es gibt da auch einen Thread dazu). Bei mir war es aber so, dass der Thera mir das angeboten hatte. Ich fand das nicht schlimm, weil mir die Sprache nicht fremd war. Allerdings ist es schon seltsam zu lesen, wie man z.B. auch optisch beschrieben wird. Das war jetzt nicht falsch. Ist aber irgendwie seltsam zu lesen. Die ganzen psychodynamischen Konfliktmuster, waren für mich nicht völlig aus der Luft geholt und mir war klar, wozu der Bericht diente. Deshalb war es nicht ganz so arg.
Allerdings merke ich, dass ich auch heute noch (ein dreiviertel Jahr nach Therapieende) manchmal den Bericht vorkrame um darin zu lesen weil ich bis heute noch nicht damit abgeschlossen habe. Ich habe mir ja auch damals die Doku zeigen lassen und auch die lese ich noch öfter und dann bin ich wieder voll drin in dem was damals passiert ist. War aber auch ein anderes Ende als bei Dir. Und bei mir sind so viele Fragen offen, die durch den Bericht und die Doku nicht geklärt werden (eigentlich sind sie dadurch erst aufgetreten) und auf die ich wohl nie eine Antwort bekommen werde.

Benutzeravatar

Montana
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 3288

Beitrag Fr., 09.09.2022, 17:14

candle. hat geschrieben: Fr., 09.09.2022, 16:41 Dass das keiner weiß, halte ich für ein Gerücht. Es braucht doch jeder Facharzt eine Überweisung.
Frag mal nach in deinem Bekanntenkreis. Du wirst womöglich erstaunt sein. Es wissen wirklich viele nicht, dass ihr Hausarzt MIT Überweisung automatisch einen Bericht bekommt, und OHNE nicht.
Und Überweisungen braucht man nicht für jeden Facharzt. Das war früher mal so.
Heutzutage kannst du praktisch überall ohne hingehen. Natürlich ausgenommen Apparatemedizin und Ärzte, die in Krankenhäusern ansässig sind.

Und für mich macht es keinen Sinn, dass alle Berichte bei einem Arzt zusammenlaufen. Für mich macht es Sinn, dass die bei mir - und NUR bei mir - zusammenlaufen. Und darum bin ich für Transparenz. Patienten sollten immer wissen, wer wohin Berichte schickt, und was da drin steht. Wenn sie Berichte an den Hausarzt möchten: dann sollen die bitte dahin. Und sonst halt nicht.

Berichte von somatischen Ärzten habe ich viele, viele und da steht oft Unsinn drin. Nicht selten passiert das unbeabsichtigt. Aber wenn man als Patient in der Lage ist, da ein Auge drauf zu haben, dann kann das äußerst nützlich sein. Dann kann man nämlich Fehler aufklären.

Und aus dem gleichen Grund bin ich auch ein Freund davon, Berichte von Therapeuten zu lesen. Nach Möglichkeit nicht erst am Ende der Therapie. Denn auch da können gravierende Missverständnisse zutage treten, die man dann besprechen kann. Manch verunglückter Therapieverlauf hätte dadurch vielleicht gar nicht stattgefunden.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
ArcticFox
Forums-Insider
Forums-Insider
männlich/male, 35
Beiträge: 164

Beitrag Fr., 09.09.2022, 19:38

candle. hat geschrieben: Fr., 09.09.2022, 14:41 [...] Es scheint dir ja doch um diese therapeutische Beziehung zu gehen.
Gespensterkind hat geschrieben: Fr., 09.09.2022, 15:02 [...]Und es kann so der Eindruck entstehen, dass der Therapeut einen eigentlich falsch eingeschätzt hat.

Aber es geht in diesen Berichten nicht darum, ob der Therapeut Dich falsch oder richtig einschätzt, sondern ob er mit Hilfe dieses Berichtes für Dich mehr Stunden "raushaut".
Nee, mit den Berichten selbst geht es mir gar nicht darum, irgendetwas über die Beziehung herauszufinden oder zu analysieren. Dafür sind sie meines Erachtens auch wirklich nicht geeignet. Das ist für mich eher eine bürokratische Sache, weil ich eben wirklich gerne meine medizinischen Unterlagen beisammen habe. Und weil ich so einen Bericht noch nie gesehen habe und neugierig bin. In jedem andere medizinischen Kontext lasse ich mir auch immer alle Berichte geben, auch die, die nicht explizit für die Weitergabe an den Patienten gedacht sind, z.B. OP- Berichte.

Wo für mich das Beziehungsthema gerade aber wieder reinkommt, ist an der Stelle, an der mein Therapeut nicht möchte, dass ich sie lese. Da kommt bei mir das Gefühl auf, er traut mir nicht zu, mit dem Inhalt umgehen zu können, er möchte mich schützen (schrieb Winni auch) etc. Und das, selbst nachdem er schon etliche Einschränkungen bzw. Lesehilfen gegeben hat (also, wie ich das Geschriebene einordnen sollte).Das fühlt sich sehr stark nach Bevormundung an, was ich absolut hasse.

Ich bin erwachsen, habe ne Menge hinter mich gebracht, kann sehr gut auf mich selbst aufpassen, muss heute nicht mehr geschützt werden - und schon gar nicht an Stellen, an denen es um mich, meinen Körper, meine Gesundheit geht. Ich habe durchaus auch in somatisch-medizinischen Zusammenhängen oft die Erfahrung gemacht, dass Ärzte mir nichtmal auf Nachfrage genau und in der Tiefe erklären wollen, was sie gefunden haben, was sie gemacht haben,wie sie die Prognose einschätzen etc., weil sie mir als medizinischem Laien nicht zutrauen, dass ich das alles verstehe und einordnen kann. Kann ich wohl auch nicht umfassend, aber ich möchte wenigstens die Möglichkeit haben, mich damit auseinanderzusetzen in der Tiefe, in der ich das möchte.

Ich möchte die Berichte auf jeden Fall haben, aber ich denke noch darüber nach, damit noch eine Weile zu warten, weil ich sonst vielleicht länger nicht richtig mit der Therapie abschließen kann. Andererseits bin ich durch seine starke Vorsicht und Zurückhaltung ja gerade auch schon wieder in einer Weise damit beschäftigt, in der ich gar nicht mehr mit ihm beschäftigt sein wollte...

Benutzeravatar

Sydney-b
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 50
Beiträge: 3516

Beitrag Fr., 09.09.2022, 20:29

Vielleicht liege ich vollkommen falsch...
In mir entsteht beim Lesen deines Threads so ein Gefühl, als ob du dich unbewusst doch ständig mit dem Therapeuten "befassen" möchtest.
Du fängst gerade erst an zu trauern, alles zu verarbeiten, was du mit ihm gemeinsam in der Therapie erarbeitet und erleben/erfühlen durftest.
Du gehst die ersten kleinen Schritte ohne seine Begleitung.
In deinem Kopf und Gefühlen wird er aber noch sehr lange für dich präsent sein.
Was auch sehr gut so ist.

Mit dem Ende eurer therapeutischen Zusammenarbeit warst du ziemlich unglücklich und knabberst noch immer daran.
Was absolut normal und verständlich ist.

Dies wird auch noch seine Zeit brauchen.

Möchtest du durch den Bericht vielleicht den Beweis, dass er ein Ars.h war, damit du wütend auf ihn sein kannst?
Damit du gar nicht trauern musst, sondern wütend auf ihn sein kannst?

Ist natürlich reine Spekulation von mir....ist nur so ein Eindruck von mir, kann natürlich total falsch damit liegen.

Aber vielleicht ist es ja eine Idee wert, dass du mal darüber sinnierst?

Egal, was der Grund ist: Lass dir noch Zeit mit dem Bericht.
Du hast im Moment keine Begleitung, kannst keine aufkommenden Fragen an den Therapeuten stellen...
In einem Jahr oder so kannst du immer noch darum bitten, vielleicht in einer gemeinsamen Stunde den Bericht mit ihm durchgehen, damit du deine Fragen gleich beantwortet bekommst.

So zumindest würde ich vorgehen.
Du kannst das natürlich ganz anders handhaben.

Benutzeravatar

Solage
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 48
Beiträge: 2860

Beitrag Fr., 09.09.2022, 22:31

Ich finde es unseriös, wenn Therapeuten sagen, dass sie übertreiben müssen, um weitere Therapiestunden bewilligt zu bekommen.
Ist das jetzt eine faule Ausrede, um den Patienten zu manipulieren?

Weil, wenn doch Therapiebedarf tatsächlich besteht, muss nicht übertrieben werden und der Patient kann das auch lesen.

Ich habe vom übergriffigen Therapeuten anwaltlich seine Gutachten erstritten. Schwärzen durfte er nichts. Da habe ich mich nicht erkannt!

Dann habe ich vom Folgetherapeuten einen Bericht gelesen über mich und der Therapeut fragte, wie es mir damit geht. Das war ein langer sehr differenzierter Bericht, in welchem ich mich sehr gesehen gefühlt habe. Sehr gefühlvoll , wie er mich wahrnimmt. Nicht meine Defizite, sondern die Grenzüberschreitungen mir gegenüber und die Einsamkeit, die er gespürt hat. Seine Gegenübertragung.

Benutzeravatar

Solage
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 48
Beiträge: 2860

Beitrag Fr., 09.09.2022, 22:47

Mir hat das Lesen des Berichtes sehr geholfen. Ich fühlte mich sehr gesehen und das hat die therapeutische Beziehung gefestigt.


Jenny Doe
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 55
Beiträge: 4850

Beitrag Sa., 10.09.2022, 05:24

Hallo ArcticFox
Da wollte der Thera ihn mir nur ungern geben mit der Begründung, dass mich das während der laufenden Therapie wahrscheinlich weg führt von den Themen, die eigentlich gerade wichtig sind und so einfach den Therapieprozess stört.
Ein Gutachten, dass von deinen Themen wegführt?

Ich kenne ja nun beide Seiten.

Ich habe zum einen selber ein Gutachter Zertifikat und weiß wie man Gutachten schreiben muss, damit die Kasse den Therapieantrag bewilligt. Man darf als Gutachter den Patienten nicht als "zu gesund" beschreiben, dann wird die Therapie abgelehnt. Umgekehrt darf man ihn nicht als "zu krank" beschreiben, da die Therapie dann mit der Frage nach der Wirksamkeit einer ambulanten Therapie abgelehnt wird. Kurz: Man darf nicht die Wahrheit schreiben.
Unter dem Strich bleibt also die Frage: Was haben Gutachten mit dem Patienten zu tun? Es geht nur darum, dass die Therapie bewilligt wird, nicht aber darum, das Problem des Patienten so zu beschreiben wie es tatsächlich ist.

Zum anderen kenne ich die Patientenperspektive. Mir werden die Gutachten meiner Psychotherapeuten derzeit in meinem Klageprozess vor dem Sozialgericht zum Verhängnis.
Leider hat es bei mir 30 Jahre gedauert, bis bei mir eine seltene neurologische Erkrankung festgestellt wurde. Bis dahin war es ein langer Weg durch 16 psychotherapeutische Praxen. D.h., ich habe 16 unterschiedliche Gutachten, die buchstäblich unterschiedlicher nicht sein können. Jeder Therapeut stellte eine andere Diagnose, jeder Therapeut beschrieb nichts anderes, als seine subjektiven Interpretationen meiner Person. Jedem der 16 Gutachten folgte ein Gegengutachten, das die Diagnose des Vorherapeuten widerlegte.
Wenn man sich die 16 Gutachten meiner Therapeuten anguckt, dann wird schnell offensichtlich, dass Gutachten nichts anderes sind, als subjektive Wahrnehmungen des Therapeuten.
Unter dem Strich bleibt also die Frage: Warum wird das Lesen des Gutachtens vom Therapeuten verweigert? In der Therapie sollte es doch darum gehen, dass der Therapeut dein Problem objektiv und richtig versteht und du die richtige Behandlung bekommst. So ein Gutachten, in dem der Therapeut seine subjektiven Wahrnehmungen beschreibt, bietet Patienten eine gute Gelegenheit zu überprüfen, ob der Therapeut der richtige ist, ob der Therapeut dein Problem wirklich verstand hat.
Ein Gutachten sollte dich nicht von deinen Themen und Problemen wegbringen, sondern genau diese beinhalten.

Aber wir haben halt leider ein Gesundheitssystem, in dem in Gutachten nicht die Wahrheit drin stehen darf. Gutachten müssen so (falsch) geschrieben sein, so dass der Therapieantrag bewilligt wird. Ein solches Gutachten, ja, das kann dich von deinen Themen wegbringen, wenn es deine Themen gar nicht beinhaltet.
Das kann erschrecken, wenn man in Gutachten, die über einen selbst verfasst wurde, nicht die Wahrheit drin steht.

Mich beschäftigt das Thema "Gutachten" natürlich derzeit sehr. Denn mir werden derzeit die 16 unterschiedlichen psychotherapeutischen Gutachten zum Verhängnis.
Einst ging es in meiner Klage vor dem Sozialgericht eigentlich um meinen Pflegeantrag. Inzwischen dreht sich alles nur noch um Ärzte und Psychotherapeuten, die allesamt keine vernünftige Differenzialdiagnostik gemacht haben, sondern nur beleglose Behauptungen aufgestellt haben.
Das Sozialgericht, der MDK und die Krankenkasse bekommen derzeit einen guten Einblick darin, wie absichtlich von Psychotherapeuten falsche Gutachten geschrieben werden, die nur einem Ziel dienen, nämlich die Therapiebewilligung (falscher Diagnosen und falscher Behauptungen).

Unter dem Strich bleibt also das Problem: Es kann irgendwann sein, dass Du Gutachten für irgendetwas brauchst, sei es für Rente, Reha, Schwerbehinderung, Pflege, ... oder was auch immer. Wenn Du dann nur Gutachten vorlegen kannst, die nicht die Wahrheit über dich beinhalten, dann bekommst du eine großes Problem.

Wenn dein Problem tatsächlich nicht so gravierend ist, so dass ein Therapieantrag abgelehnt werden würde, was will man dann in einer Psychotherapie? Dann könnten andere Einrichtungen mehr helfen.
Wenn dein Problem tatsächlich so gravierend ist, so dass eine ambulante Therapie abgelehnt werden würde, was will man dann in einer ambulanten Therapie? Dann wäre eine Klinik hilfreicher.

Für mich zählen so Argumente wie Beziehung zum Therapeuten, bei sich selber bleiben, dem Therapeuten vertrauen, ... nicht. Denn es geht um Dich, um die Wahrheit über dich, um die richtige objektive Wahrnehmung des Therapeuten deiner Person, um die richtige Diagnose, um die richtige Behandlung, ...

Therapeuten, die die Wahrheit über den Patienten schreiben würden, müssten dem Klienten nicht sagen "Das Gutachten würde sie erschrecken", "das Gutachten würde sie von IHREN Themen abbringen", ...
Ein richtiges Gutachten würde nicht von Themen ablenken und den Therapieprozess stören, sondern sie thematisieren.
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).

Benutzeravatar

lisbeth
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 80
Beiträge: 3881

Beitrag Sa., 10.09.2022, 08:07

Hallo ArcticFox,

zuallererst: natürlich hast du ein Recht darauf, die Berichte zu bekommen, das weiß auch dein (jetzt Ex-)Therapeut. Aber das stellt er ja auch grundsätzlich nicht in Frage.

Ich hab mich beim Lesen allerdings auch gefragt: Muss das unbedingt jetzt sein? Oder warum muss das ausgerechnet jetzt, ein paar Tage nach dem Abschied sein? Ich finde die Argumente die dein Therapeut anführt valide. Allein dass du schreibst, dein Therapeut "ziert" sich und dass du da jetzt "gegenhalten" musst finde ich bezeichnend. Könnte es nicht auch Fürsorge deines Therapeuten sein, dass er dir davon abrät, weil er weiß, wie misstrauisch du immer wieder reagiert hast und dass Kleinigkeiten ausreichen, damit du die Beziehungsebene in Frage stellst? Vertraust du der Beziehung, die ihr habt? Oder musst du auch noch über das Therapie-Ende hinaus Kontrolle über ihn ausüben? Diese Berichte machen etwas mit dir, egal wie sehr du dir im Vorfeld sagst, dass du mit klinisch-sachlichen Beschreibungen umgehen kannst. Sie sind überwiegend defizit-orientiert, weil ja der Behandlungsbedarf begründet werden muss. Und so wie du das Verhältnis zwischen dir und dem Therapeuten beschreibst, wirst du nach dem Lesen der Berichte zwangsläufig ziemlich viel eurer Beziehung in Frage stellen. Dafür hat ja in der Vergangenheit schon viel weniger ausgereicht... ;)

Aber du wirst keine Möglichkeit haben, das mit ihm zu besprechen und zu klären, den persönlichen Kontakt als haptische Erfahrung dagegen zu stellen. Weil die Therapie zu Ende ist.

Ich habe (von zwei unterschiedlichen Therapeutinnen) Berichte gelesen. Das waren keine Therapie-Anträge sondern Befunde für einen Klinikaufenthalt. Beide Therapeutinnen wollten mir den Bericht nicht per Post schicken sondern fanden es besser, wenn ich den Bericht in der Stunde lese und wir dann darüber reden. Und das war auch gut so, weil ganz zwangsläufig Fragen aufgetaucht sind. Manche Begriff haben (gerade im analytischen Kontext) eine andere Bedeutung als in der Alltagskommunikation. Du wirst bestimmte Dinge anders einschätzen als er, und ich glaube, dir dürfte das dann auch schwer fallen, das einfach so stehen zu lassen und weiter zu gehen.

Trotz aller Klippen und Hürden hast du mit ihm (oder ihr beide zusammen) einen stimmigen Abschied hinbekommen, finde ich. Auf mich wirkt das so, als wolltest du das jetzt kaputtmachen mit den Berichten. Selbstsabotage total. Du wirst nicht in der Lage sein, sie einfach zur Seite zu legen und abzuhaken, dafür ist der Abschied zu frisch und dafür war oder ist eure Beziehung zu kompliziert.

Was ich dir raten würde: Hast du evtl. einen Psychiater oder Psychiaterin, der oder die die Berichte zu deiner Akte nehmen könnte? Dann wären sie gesichert aber du wärst auch nicht ständig in Versuchung, da jetzt unmittelbar reinzuschauen. Beim Hausarzt würde ich das eher nicht machen, da dort der "Psychostempel" manchmal schon auch problematisch ist, wenn mögliche Beschwerden dann auf die Psyche geschoben werden...

Oder: Dein Therapeut hat ja auch 10 Jahre Aufbewahrungspflicht. Setz dir das Ganze auf Wiedervorlage, meinetwegen in 5 Jahren wenn du genügend Abstand gewonnen hast und der Abschied nicht mehr frisch ist und du die Beziehung zum Therapeuten auch nochmal ganz anders verinnerlicht hast.

Jetzt im Moment würde ich dir dringlichst davon abraten. Da machst du dir mehr kaputt als dass es dir irgendwas bringt.
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag