Kann man sexuellen Missbrauch völlig abgespalten haben??

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.

Jenny Doe
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Beitrag Fr., 17.07.2015, 13:33

@ Ambi14
Ich weiß aber auch nicht, wie hoch sie bei denjenigen ist, die einen tatsächlichen MB abgespalten oder verdrängt haben.
Ich denke auch, die Dunkeklziffer wird auf beiden Seiten hoch sein. An die Öffentlichkeit kommt ja nur das, worüber Menschen reden und reden können, was ihnen bewusst ist und worüber sie reden möchten.
Auf beiden Seiten ist so viel Leid, deshalb kotzt es mich an, dass das Thema zu politischen und ideologischen Zwecken so missbraucht wird.
Ein sehr trauriges Thema - wirklich
Zustimm. Ich finds furchtbar, wie mit dem Leid hilfesuchender Klienten gespielt wird, um ideologische Machtkämpchen austragen zu können.
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).

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Jenny Doe
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Beitrag Fr., 17.07.2015, 13:36

@ Candykills
Ich weiß jetzt nicht, ob du auf irgendwas hinauswillst bei mir, weil ich DIS bin.
An dich habe ich nicht gedacht. Nur an Andrea.
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kaja
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Beitrag Fr., 17.07.2015, 13:56

In dem Zusammenhang muss ich an die Gerichtsprozesse min den 90iger denken, z.B. den Montessori-Prozess.
Da ging es ja auch erstmalig in der Öffentlichkeit um Suggestivfragen durch Zartbitter e.V. und dadurch falsch induzierte Erinnerungen. Oder die Prozesse in Worms an denen Wildwasser beteiligz war.
Ich denke das hat der Glaubwürdigkeit von Opfern von sexuellem Missbrauch sehr geschadet.
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pandas
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Beitrag Fr., 17.07.2015, 14:46

@ kaja
Da ging es ja auch erstmalig in der Öffentlichkeit um Suggestivfragen durch Zartbitter e.V. und dadurch falsch induzierte Erinnerungen. Oder die Prozesse in Worms an denen Wildwasser beteiligz war.
Ich denke das hat der Glaubwürdigkeit von Opfern von sexuellem Missbrauch sehr geschadet.
Wenn dies in einem weiteren zeitgeschichtlichen Kontext betrachtet wird, so kann dies so nicht festgestellt werden.
Im Gegenteil, vor diesen "Gross"-Prozessen war sexueller Missbrauch gar kein Thema. Es war eher so, dass es als letztlich nicht sooo schlimm galt. Und eindeutig schlimme Taten wie tatsächliche Vergewaltigung wurden als nicht möglich angesehen, die Behauptungen wurden von vorneherein als klassisch psychoanayltisch interpretiert: Abgewehrte Wünsche der Betroffenen, Interpretation einer Tat als sexuellen Missbrauch aufgrund "gesellschaftlicher Prüderie".
In diesem Kontext geschahen ja erst die Taten an der Odenwaldschule: Aufgrund der reformpädagogischen Haltung rechtfertigten die Täter sich vor sich selbst als nicht kriminell, sondern an den (unbewussten) Bedürfnissen ihrer Schüler_innen orientiert!
Ich frage mich ja, wie viele Prozesse es überhaupt vor den 90ern im Bereich sexueller Missbrauch gegeben hat ... denn Meldungen von betroffenen Kindern wurden da meist überhaupt nicht ernst genommen oder als "naja, ist halt so die Familie" abgetan.
Es bleibt dabei, dass Veränderungen im Denken erst durch die Betroffenenverbände wie Wildwasser und Zartbitter erwirkt worden sind. Ohne dies hätte es wohl auch nie einen entsprechenden Fonds gegeben.
Zudem ist es heute noch so, dass viele Therapeut_innen sexuellen Missbrauch nicht als Trauma ansehen und behandeln ...

Gut dargestellt wird dies in dem Film "Nirgendland", wo auch ein Richterspruch aus den 90ern verlesen wird, durch welchen ein Täter freigesprochen wird und die Klägerin bezichtigt, zum Teil imaginiert zu haben, zum Teil sich im Kindesalter nicht gegen die sexuellen Übergriffe des Großvaters gewehrt zu haben ...

Suggestive Fragen gibt es leider in allen Bereichen. Im Grunde ist jede rhetorisch gedachte Frage der Versuch einer Suggestion.
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard

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kaja
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Beitrag Fr., 17.07.2015, 15:42

Es geht nicht darum ob es bereits vorher in der Öffentlichkeit und bei Gericht verfolgt wurde, sondern darum das diese Prozesse den Leuten in die Hände gespielt haben die an der Glaubwürdigkeit von Opfern zweifeln.
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Jenny Doe
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Beitrag Fr., 17.07.2015, 15:55

Ich sehe das bzgl. Wildwasser wie Katja. Es ist nicht gerade glaubwürdig wenn man (Wildwasser, Zartbitter usw. ) einerseits bemüht ist darauf aufmerksam zu machen, dass es sexuellen Missbrauch gibt, anderseits jedoch selber falsche Opfer produziert und Unschuldige vor Gericht zerrt. Der Montessori-Prozess ist ja nur ein Besipiel für die Skandale. Es gab mehrere solcher Prozesse, in denen jene, die dafür kämpften, dass Opfern geglaubt wird, selber zeitgleich falsche Opfer produzierten. Man kann nicht einerseits sagen "Glaubt uns" und anderseits selber dafür sorgen, dass die Glaubwürdigkeit der Opfer durch selbstproduzierte falsche Opfer wieder zunichte gemacht wird. Ich stimme da Katja zu. Dass hat den Opfern mehr geschadet als gehofen.
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pandas
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Beitrag Fr., 17.07.2015, 16:18

Jenny Doe hat geschrieben:Ich sehe das bzgl. Wildwasser wie Katja. Es ist nicht gerade glaubwürdig wenn man (Wildwasser, Zartbitter usw. ) einerseits bemüht ist darauf aufmerksam zu machen, dass es sexuellen Missbrauch gibt, anderseits jedoch selber falsche Opfer produziert und Unschuldige vor Gericht zerrt. Der Montessori-Prozess ist ja nur ein Besipiel für die Skandale. Es gab mehrere solcher Prozesse, in denen jene, die dafür kämpften, dass Opfern geglaubt wird, selber zeitgleich falsche Opfer produzierten. Man kann nicht einerseits sagen "Glaubt uns" und anderseits selber dafür sorgen, dass die Glaubwürdigkeit der Opfer durch selbstproduzierte falsche Opfer wieder zunichte gemacht wird. Ich stimme da Katja zu. Dass hat den Opfern mehr geschadet als gehofen.
Aber Jenny, wie war die Situation der Opfer denn vor Wildwasser und Zartbitter? Ich weise nochmal auf mein obig geschriebenes hin.
Das ist nun auch nicht einzigartig, dennoch gravierend. Sexueller Missbrauch wurde als solcher bis zu einer bestimmten Zeit schlicht nicht als Kriminaltat und auch nicht als schädlich angesehen, in dem Sinne das es weder ein Hilfe- noch ein Strafsystem gab. Genauso war das ja auch mit anderen Topics wie Schläge an Kinder, aber auch häusliche Gewalt in der Familie und/oder Vergewaltigung in der Ehe.
Solche Themen müssen erstmal in den Diskurs gebracht werden, bevor entsprechende Gesetze etc. etabliert werden.
Bspw. war es auch bis in die 50er Jahre hinein erlaubt, dass Lehrer Schüler_innen schlagen (Linealhieb etc.).
Bei sexuellen Missbrauch war dies bis in die 90er hinein entweder: "ist für die Kinder nicht so schlimm; schlimm ist nur die Prüderie" oder "ne, sowas kommt so gut wie nie vor; Kinder sind halt mal ärgerlich auf die Eltern und produzieren dann Phantasiegeschichten".

Zu den Prozessen:
Es sind Prozesse. Es kommt in allen Straftatbeständen vor, dass sich innerhalb eines Prozesses herausstellt, dass jemand nicht schuldig ist genau wie es vorkommt, dass sich herausstellt, dass jemand schuldig ist. Ebenso kommt es in allen Bereichen dazu, dass das Gericht nicht die Wahrheit herausfinden kann. Das ist keine Spezifik im Gebiet sexueller Missbrauch; zumal es, wie ich bereits schrieb, vor WW und ZB so war, dass es im Bereich sexueller Missbrauch zum einen unzureichende Gesetze gab, zum anderen v.a. dem (unschuldbeteuernden) Täter geglaubt wurde.

Könnt Ihr das mal mit einem Link belegen, inwiefern innerhalb der genannten Prozesse wie "falsche Opfer produziert" wurden?
Wie geschrieben bezweifele ich, dass da irgendeinen Spezifik nachzuweisen ist, sondern das es SO ist, wie eben Gerichtsprozesse sind. In der Regel gilt da eh "Im Zweifel für den Angeklagten".
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard


kaja
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Beitrag Fr., 17.07.2015, 16:39

http://m.spiegel.de/spiegel/print/d-918 ... referrrer=
"Passagen aus der mündlichen Urteilsbegründung zu Markus, seinem Satz, der alles auslöst - und den Folgen: " Der erste Verdacht tauchte gegenüber einer "" Mitarbeiterin von Zartbitter auf. Es liegt auf der Hand, "" daß die Mitarbeiterin diese Aussage bereitwillig "" aufgenommen hat, weil sie in ihr Konzept paßte. Die "" Aussage des Kindes vor Gericht erbrachte keinen "" greifbaren Hintergrund für einen sexuellen Mißbrauch . . "" . "" Schon bei der ersten Befragung des Kindes kam es zu "" Suggestionen. Die suggerierten Vorstellungen setzten sich "" fest wie echte Erinnerungen an tatsächlich Erlebtes . . . "" Die Eltern waren von der Befürchtung ausgegangen, daß "" ihre Kinder mißbraucht worden seien. Mit immer "" bohrenderen Fragen drangen sie auf die Kinder ein, bis "" die erwünschte Antwort kam . . . "" Zum Teil kam es zu monatelangen Befragungen, weil die "" Eltern mit den Antworten der Kinder nicht zufrieden "" waren. Es wurden Fragen so lange wiederholt, bis das Kind "" die gewünschte Antwort gab. Mit jeder Frage lernt das "" Kind immer mehr, was der Fragende erwartet. Es lernt - "" unbewußt - die Opferrolle. Es lernt die Geschichte, wie "" sie sich ereignet haben soll . . . "" Das erschütterndste Ergebnis dieses Verfahrens ist, daß "" man Kindern auf diesem Gebiet etwas suggerieren kann, was "" sie dann als tatsächlich Erlebtes erinnern . . . "Das Resultat war eine Anklageschrift, in der Rainer Möllers vorgeworfen wurde, zwischen 1983 und 1991 mehr als 750 Tathandlungen des Mißbrauchs an 63 Kindern begangen zu haben."



Du vermischst da zwei Dinge die nicht zusammengehören. Hier geht es um falsche Erinnerungen und wie sie zustande kommen können. Es geht nicht um die Frage ob diese zwei Vereine auch gutes geleistet haben.
Im Fall der angesprochenen Prozesse war es nicht so und es hat dazu geführt das an den Aussagen von Opfern massiv gezweifelt wurde und wird.
"Der Missbrauch mit dem Missbrauch" ist dir doch sicher ein Begriff.

Bin nur mit dem Handy on deshalb für den Rest gidf. Einfach mal Montessori-Prozess, Wormser Prozesse usw suchen.
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Jenny Doe
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Beitrag Fr., 17.07.2015, 19:02

@ pandas
Es kommt in allen Straftatbeständen vor, dass sich innerhalb eines Prozesses herausstellt, dass jemand nicht schuldig ist genau wie es vorkommt, dass sich herausstellt, dass jemand schuldig ist.
Sicher kommt es auch bei anderen Straftaten zu Fehlurteilen. Der entscheidende Unterschied zu anderen Prozessen ist jedoch der, dass Wildwasser und Zartbitter einerseits öffentlich forderten, den Opfern zu glauben, es anderseits selbst waren, die falsche Erinnerungen induzierten und Unschuldige hinter Gitter brachten. Damit haben sie selbst dafür gesorgt, dass Opfern erneut wieder nicht mehr geglaubt wurde, Glaubwürdigkeitskriterien eingeführt wurden usw. Man kann nicht einerseits sagen "Opfer sagen die Wahrheit" und gleichzeitig selbst dafür sorgen, dass sie was Falsches glauben und sagen und Unschuldige hinter Gitter landen.

Wie die Situation heute ist? Hier ein Beispiel (von zahlreichen Folgen), das dir Frauenberatungsstellen (auch für Erwachsene) bestätigen werden:
(...)
Seit die Betroffenen kommen, geht den Trägern mehr und mehr das Geld aus. Sie kämpfen mit personellen und finanziellen Engpässen. Es gibt keine Traumatherapieplätze mehr. Berater und Therapeuten werden seit Jahren nur mit Zeitverträgen und geringer Bezahlung beschäftigt. Und wenn es Therapieplätze gibt, wird die Therapie von der Justiz untersagt, jedenfalls für die Zeit, die das Verfahren gegen die Täter dauert, was bis zu zwei Jahre dauern kann. Begründung: Therapie würde die Kinder als Zeugen unbrauchbar machen, weil man bei den wiederholten Befragungen nicht sicher unterscheiden kann, ob ihnen das Berichtete wirklich passiert oder nur vom Therapeuten zu Therapiezwecken suggeriert wurde.
(...)
Quelle: „Sowas macht mein Opa immer mit mir“ aus freitag.de. Link leider nicht merh online.

Ich finde das schlimm. Da müssen Kinder, die sexuell missbraucht wurden, bis zu 2 Jahre warten, bis sie Hilfe bekommen, und das nur, weil die Gefahr besteht, dass Therapeuten sie als Zeuge unbrauchbar machen.
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Lotosritter
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Beitrag Sa., 25.07.2015, 15:21

Missbrauchsaufdeckung fasziniert die Aufdecker allüberall. Wir kennen dies von Zartbitter Münster und Wildwasser Worms und von etlichen anderen Fällen von Gruppenempörung. Wir kennen dies gleichermaßen von der Seite seelisch Verletzter, die sich selbst viktimisieren, indem sie sich eine Legende zulegen. Insbesondere im esoterisch und heilpraktischen Bereich psychischer Behandler ist die Missbrauchsthese ein Instrument langfristiger Klientenbindung und damit einer zuverlässigen Einnahmequelle. Ich spreche dabei nicht von ungefähr, sondern aus langjähriger Beobachtung dieses Gewerbes.

Nur zu erinnern genügt nicht beim Wiedererinnern anscheinend vergessener oder verdrängter Erinnerungen, sondern wenn, sollten die Erinnerungen anhand von Daten und Fakten überprüft werden. Es ist in keiner Weise angenehm ein Traumaopfer zu sein, deshalb sollte man bei Einreden entsprechend skeptisch sein.

Dass ich persönlich große Zweifel habe an der These des gänzlich verdrängten Missbrauchs, habe ich schon kundgetan. Kaum jemand verdrängt oder vergisst einen heftigen Unfall. Aber gerade beim sexuellen MIssbrauch durch nahe Menschen, bei einer derart tiefen Verletzung, soll dies so oft geschehen? - Eine tragbare Erklärung für manchen Fall habe ich jedoch: In vielen Fällen wird der Missbrauch erst später als solcher erkannt, weil erst mit zunehmender Reife das Geschehen eingeordnet werden kann. Dieserart Missbrauchsgeschehen können tatsächlich vergessen und wiedererinnert werden. Sie werden vergessen, weil sie vom Opfer nicht als Schändung begriffen wurden. Sie werden erinnert, weil eine Situation an dieses Geschehen erinnert und erst dann die Bilder des Ereignisses verstanden werden.

Gleichwohl sind Erinnerungen sehr veränderbar und vielfältig deutbar. Deswegen sollte man auch in solchen Fällen, sofern es möglich ist, die Umstände erforschen, ob sie die Erinnerung belegen.
Ich bin hier, weil es letztlich kein Entkommen vor mir selbst gibt ...
Mein Blog: http://lotoskraft.wordpress.com


pandas
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Beitrag Sa., 25.07.2015, 17:32

Lotosritter, aber wie sollen in einer viel späteren Therapie die Umstände, so wie von Dir gefordert, erforscht werden?
Es ist ja schon so, dass, wenn man sich für eine Klage im justiziellen Sinn, also vor Gericht, entscheidet, die Umstände detailliert faktisch erforscht werden - ob die Erinnerung ausreicht, um den (hier verdächtigten) Täter noch zur Rechenschaft zu ziehen (oder nicht, wenn die Umstände nicht mehr genügend erforscht werden können; dann wird der verdächtigte Täter freigesprochen).
Es ist ja nunmal so, dass das Umfeld lange Zeit gesellschaftlich getragen dazu beigetragen hat, sexuellen Missbrauch zu vertuschen und durch die gesellschaftliche Tabuiersierung die Betroffenen nicht in der Lage waren, sich nach außen zu wenden - wenn sie es getan haben, wurde eher versucht, es auszureden: Sexueller Missbrauch wurde schlicht nicht ernst genommen.
Kaum jemand verdrängt oder vergisst einen heftigen Unfall. Aber gerade beim sexuellen MIssbrauch durch nahe Menschen, bei einer derart tiefen Verletzung, soll dies so oft geschehen?
Und deshalb macht dieser Vergleich keinen Sinn: Ein heftiger Unfall an sich ist nicht strittig im Umfeld. Keiner wird zu einem Unfallopfer sagen: "Das ist nicht so schlimm. Da war nichts. Das bildest Du Dir ein." Lediglich wird bei Unfällen nach einer Mitverschuldung gefragt. Aber dies ist hier gegensätzlich nur für die juristische Seite relevant. Keiner wird bezweifeln, dass ein Unfallopfer auch bei Mitverschulden ein weites Spektrum an Hilfen bedarf und (je nach Schwere des Unfalls) traumatisiert ist. Dies ist die Erklärung dafür, warum ein Unfall oft nicht vergessen wird. Das Geschehnis an sich wird im übrigen im weiteren Verlauf des Lebens durchaus auch mal verdrängt, wenn man zb völlig gesundet ist. ABER: Macht ja nichts, da ein Unfallopfer sofort gesellschaftliche Anerkennung und Hilfe und somit (hierzulande) bestmögliche Heilung bekommt.

Eine tragbare Erklärung für manchen Fall habe ich jedoch: In vielen Fällen wird der Missbrauch erst später als solcher erkannt, weil erst mit zunehmender Reife das Geschehen eingeordnet werden kann. Dieserart Missbrauchsgeschehen können tatsächlich vergessen und wiedererinnert werden. Sie werden vergessen, weil sie vom Opfer nicht als Schändung begriffen wurden.
Nun, das hängt nicht damit zusammen, dass das Opfer es selbst nicht als "Schändung" begreift, sondern dass es ihm - wie ich nun bereits beschrieb vom Umfeld nicht zugestanden wird, seine Symptome etc. als Folge von sexuellen Missbrauch zu sehen und die Tat als Tat des sexuellen Missbrauchs.
Verdrängt bedeutet auch nicht vergessen in dem Sinne, dass es "nichts ausmacht", sondern die Verdrängung sorgt für Symptome vielschichtiger Art bis hin zur Abspaltung von Persönlichkeitsanteilen, aber auch Abspaltung des Körpers u.ä.
Und dies, weil der Körper missbraucht worden ist, nicht weil der sexuelle Übergriff als okay emfunden wurde und erst später als Schändung definiert.
Und wenn es nicht so wäre: Woher kommt denn dann die Wahrnehmung an sich? Wenn es niemand so erleben würde, dann würde es auch niemanden geben, der dafür beigetragen hat, dass sexueller Missbrauch heute als Straftat angesehen wird. Dies war ja nur möglich, weil einige Betroffene davon berichtet haben, wie fürchterlich sie dies erlebt haben.

Aufgrund der Tatsache, dass es bis vor jüngerer Zeit gesellschaftlich tabuisiert war, sexuellen Missbrauch als solchen zu begreifen und entsprechende Hilfen zu gewährleisten, wäre eine Aufhebung der Trennung Jura und Therapie fatal:
Denn es ist in vielen Fällen eben nicht mehr möglich, die Umstände zu erforschen.
Dies ist auch eine Kernbasis dafür, dass der Fonds Sexueller Missbrauch ins Leben gerufen werden konnte: Dies ist explizit auch deshalb geschehen, weil die Strafverfolgung hier über Jahrzehnte hinweg versagt hat.
Ansonsten: Es ist freiwillig, einen Antrag dort zu stellen. Menschen, die von sexuellen Missbrauch betroffen waren und an den Traumatsierungen leiden, können dies nutzen, aber niemand zwingt sie dazu. Warum nun behauptet wird, irgendwer rede dies ein, finde ich leicht abwegig.
Dies sagt dann ja auch, dass diejenigen, die sich dies einreden lassen, aber "in Wirklichkeit" nicht betroffen sind, irgendwelche andere Gründe haben, sich dies einreden zu lassen und eher charakterschwach sind. Warum sollte dies (häufig) so sein?
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pandas
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Beitrag Sa., 25.07.2015, 17:36

Lotosritter hat geschrieben:Missbrauchsaufdeckung fasziniert die Aufdecker allüberall.
Naja, offensichtlich fasziniert Missbrauchsaufdeckung vor allem einen Teil der Userschar im PTF.
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pandas
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Beitrag Sa., 25.07.2015, 18:19

Jenny Doe hat geschrieben: Sicher kommt es auch bei anderen Straftaten zu Fehlurteilen. Der entscheidende Unterschied zu anderen Prozessen ist jedoch der, dass Wildwasser und Zartbitter einerseits öffentlich forderten, den Opfern zu glauben, es anderseits selbst waren, die falsche Erinnerungen induzierten und Unschuldige hinter Gitter brachten.
Nein, Jenny, das ist kein Unterschied zu anderen Fehlurteilen.
DAS ist eine Basis von jeglichen Fehlurteilen: Verhörtechniken etc. sind nie 100% sicher.
Wenn Du solche Kontrastierungen aufmachst, kann man da auch andere gesellschaftliche kontroverse Themen hineindenken.

Was ich mit meinem Post, auf das Du Dich beziehst, sagen wollte, war, dass es Fehlurteile im justiziellen Bereich immer geben wird, da es nie eine 100% Objektivität geben wird. Und das hängt auch zum Teil von allen Beteiligten ab.
Ich weiss immer noch nicht, welche Prozessfälle Du konkret meinst, wo bewiesen wurde, dass es zu Verurteilung von unschuldigen personen kam, da Wildwasser und Zartbitter "falsche Erinnerungen induziert" haben. Mir ist dies in dem Sinne nicht bekannt.
Ein juristischer freispruch an sich ist übrigens kein Beweis dafür, das es so war.
Das sagt nur, dass es juristisch nicht bewiesen werden konnte.
Der sexuelle Missbrauch kann trotzdem stattgefunden haben.
Auch dass Aussagen zurückgezogen werden, kann viele Gründe haben, wie familiärer Druck und andere Abhängigkeitverhältnisse.

Jenny Doe hat geschrieben: Damit haben sie selbst dafür gesorgt, dass Opfern erneut wieder nicht mehr geglaubt wurde, Glaubwürdigkeitskriterien eingeführt wurden usw. Man kann nicht einerseits sagen "Opfer sagen die Wahrheit" und gleichzeitig selbst dafür sorgen, dass sie was Falsches glauben und sagen und Unschuldige hinter Gitter landen.
Jenny, Du verprasselst die Zusammenhänge. Juristisch wird, nicht nur im Bereich sexueller Missbrauch immer so vorgegangen. Du tust ja so, als ob VORHER faktisch weniger Glaubwürdigkeitskriterien bestanden haben.
Das ist nicht so. Vielmehr wurden Klagen noch viel pauschaler abgewiesen.
Erst durch das höhere Aufkommen musste das Verfahren verfeinert werden.
Denk doch mal an Vergewaltigungsprozesse, wie sehr da den Klägerinnen misstraut wurde.
Oder hast Du den Film "Vergewaltigt" mit Jodie Foster gesehen?
Gut, ist Fiktion, aber basierend auf die damalige juristische Realität.

Und ich kann nur erneut empfehlen sich die Doku "Nirgendland" anzusehen, wo Richtersprüche aus der Zeit VOR Wildwasser und Zartbitter vorgelesen werden.

Jenny Doe hat geschrieben:Wie die Situation heute ist? Hier ein Beispiel (von zahlreichen Folgen), das dir Frauenberatungsstellen (auch für Erwachsene) bestätigen werden:
(...)
Seit die Betroffenen kommen, geht den Trägern mehr und mehr das Geld aus. Sie kämpfen mit personellen und finanziellen Engpässen. Es gibt keine Traumatherapieplätze mehr. Berater und Therapeuten werden seit Jahren nur mit Zeitverträgen und geringer Bezahlung beschäftigt. Und wenn es Therapieplätze gibt, wird die Therapie von der Justiz untersagt, jedenfalls für die Zeit, die das Verfahren gegen die Täter dauert, was bis zu zwei Jahre dauern kann. Begründung: Therapie würde die Kinder als Zeugen unbrauchbar machen, weil man bei den wiederholten Befragungen nicht sicher unterscheiden kann, ob ihnen das Berichtete wirklich passiert oder nur vom Therapeuten zu Therapiezwecken suggeriert wurde.
(...)
Quelle: „Sowas macht mein Opa immer mit mir“ aus freitag.de. Link leider nicht merh online.

Ich finde das schlimm. Da müssen Kinder, die sexuell missbraucht wurden, bis zu 2 Jahre warten, bis sie Hilfe bekommen, und das nur, weil die Gefahr besteht, dass Therapeuten sie als Zeuge unbrauchbar machen.
Aber dass ist doch auch ein älteres Thema, welches nicht nur sexuellen Missbrauch betrifft.
Was in einer Therapie geschieht, hat aus gutem Grund noch nie den Objektivitätskriterien des juristischen Bereiches gereicht. Therapie beschäftigt sich ja auch mit der subjektiven Wahrnehmung und kann sich deshalb nicht mit einem Zeugenverhör mischen.

Deshalb werden ja auch oft für psychologische Gutachten mehrere Experten herangezogen.

Übrigens geht es hier im Thread wohl eher um "Altfälle", so auch die TE, die oft gar keine Chance mehr haben, die Taten vor Gericht zu bringen. Wäre ja schön, wenn diese dann die nicht vergebenen Traumatherapieplätze zunächst erhalten können. Aber es ist anscheinend doch so, dass die Therapeuten in diesen Fällen sich oft nicht berufen fühlen. Ich jedenfalls habe bei meinen Therapiesuchen eher die Erfahrung gemacht, dass man sich davor drücken wollte, den sexuellen Missbrauch in den Mittelpunkt der Therapie zu stellen.
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pandas
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Beitrag Sa., 25.07.2015, 18:33

Jenny Doe hat geschrieben: Auf beiden Seiten ist so viel Leid, deshalb kotzt es mich an, dass das Thema zu politischen und ideologischen Zwecken so missbraucht wird.
Nun, aber hier wird das Thema ja auch missbraucht, um gegen Wildwasser und Zartbitter zu hetzen.
Die Pauschalisierungen, die hier getroffen werden (einschließlich der Vermutung der Motivationen), sind so nicht haltbar, nahezu verleumderisch. Seltsam.
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Lotosritter
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Beitrag So., 26.07.2015, 01:12

Verzeihung Pandas, ich verstehe Deine Einwände oder Deine Mitteilung an mich nicht. Ich habe keine Zeiträume benannt, die zwischen Tat und angemessener Einordnung derselben liegen. Ich habe auch keine Forderungen gestellt. Ich habe lediglich gesagt, dass man Erinnerungen, an die man sich bislang nicht erinnern konnte, anhand von Daten und Fakten überprüfen sollte. Eine solche Prüfung wäre zum Beispiel die Klärung der Frage: War ich oder Täter zur Zeit des gehobenen erinnerten Geschehens überhaupt am Tatort? Häufig kann man dies anhand von Dokumenten oder Zeugenbefragung ergründen.

Dein Einwand, sexuelle Gewalt wäre lange Zeit (welche und wann?) durch ein gesellschaftliches Umfeld vertuscht und diminuiert worden, ist ein Stereotyp, aber entspricht nicht den Tatsachen. Wenn, müsstest du deine Behauptung schon präzisieren. Wenn es um sexuelle Gewalt in Familien geht, dann mag dein Stereotyp gezielter aber gleichwohl nicht richtig sein. Es waren jedoch weniger gesellschaftliche als vielmehr familiäre Strukturen, die hier Vertuschen und Verschweigen ermöglichten. Vor allem aber ist es die maßlose seelische Verletzung des Opfers - deswegen auch der Begriff Seelenmord -, die bedingt, dass eine solche Schändung oft über Jahrzehnte und meistens bis ins Grab verschwiegen wird.

Was denkst Du zum Beispiel, warum hat Pola Kinsky so viele Jahre geschwiegen, ehe sie über die sexuelle Gewalt geschrieben hat, die sie durch ihren Vater erlittenen hat? Es waren gewiss keine gesellschaftlichen Strukturen, die sie daran gehindert hatten, sondern ihre ganz persönliche seelische Verletzung.

Und dass ein sexueller Übergriff nicht als solcher erkannt wird, liegt vor allem daran, dass er erst als solcher erkannt werden kann, wenn das Wissen, dass es sich dabei um sexuelle Gewalt gehandelt hat, gereift ist. Wenn ich nicht weiß, was sexuelle Gewalt umfasst, kann ich die Tat auch nicht in diesem Spektrum einordnen. Und wenn ich mich aus welchen Gründen auch immer der Wissenserkenntnis entziehe, ordne ich die Tat ebenfalls nicht als das ein, was sie war. Ein Problem, das bekanntermaßen auch die Opfer antiker „Knabenliebe“ hatten. Doch um das Problem nicht unnötig zu abstrahieren eine Sequenz aus meinem Therapietagebuch vom 8. Mai 2015: (Fortsetzung nächster Kasten)
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