Kindheitstrauma kommt immer wieder hoch

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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Armund
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Kindheitstrauma kommt immer wieder hoch

Beitrag Fr., 23.05.2008, 15:47

Ich habe enorme Schwierigkeiten damit, über meine Kindheit zu erzählen. Vielleicht aber hilft es, wenigstens einen kleinen Teil von allem einmal aufgeschrieben vor sich zu sehen. Und ich bin auf der Suche nach Menschen, denen es vielleicht ähnlich ergangen ist. Es fängt an wichtig für mich zu werden, wie andere mit ihrer Geschichte umgehen.

Meine Kindheit ist geprägt von den ungeheuren völlig unkontrollierten Gewaltausbrüchen eines schwer traumatisierten Vaters (7 Jahre politische Haft und mehrfache, zum Teil schwere, Folter). Mein Vater war reizbar, aggressiv und absolut unzuverlässig in seinen Reaktionen. Bestimmte Tage im Jahr, welche während seiner Haftzeit besonders grausam waren, waren dann auch bei uns zu Hause besonders schlimm, z.B. der 1. Weihnachtstag. Heute noch geht es auch mir an diesem Tag nicht gut.

Es gab außerdem grausige Rituale in unserem Hause: wir mußten abends zu einem bestimmten Zeitpunkt zu Hause sein, dann wurden alle Türen abgeschlossen und die Alarm- und Sicherheitsanlagen eingeschaltet. Unsere Fenster im ersten Stock und Keller waren teilweise vergittert oder abschließbar, überall im Haus waren Schuß- und Schlagwaffen, geladen und griffbereit. Ich hatte als Kind nicht alleine vor meinem Vater eine grauenhafte Angst, sondern auch vor der Welt, die er vor uns lebte.

Meine Mutter war vollkommen hilflos und verlangte von mir bereits als 6jähriges Mädchen, daß ich vernünftig bin und Verständnis habe für die Gewalt durch meinen Vater. Ich mußte sehr früh erwachsen werden. Habe ich geweint, wurde ich auf mein Zimmer geschickt zum "ausheulen", habe ich mich meiner Mutter anvertraut mit dem was mich in meinem Elternhaus belastet, hat sie mir Undank und Egoismus vorgeworfen oder sie fing an zu weinen: "Mach du mir jetzt nicht auch noch das Leben schwer." Es wurde mir auch sehr streng verboten, überhaupt mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Bin ich unruhig geworden oder habe gereizt reagiert, bekam ich recht kräftig den Hintern versohlt. Das ist zum letzten Mal geschehen, als ich 11 Jahre alt war, danach war es nicht mehr nötig - ich bin sehr still und sehr schüchtern geworden. Und zum Weinen habe ich mich irgendwann ganz von alleine zurückgezogen.

Ich komme sehr gut zurecht im Leben und habe auch immer viel gemacht, privat und beruflich. Ich finde mein Leben interessant und ich mag meine Arbeit sehr. Aber ich verliere immer wieder ganz plötzlich vollkommen den Halt. Ohne jede Vorwarnung kommt ganz plötzlich alles wieder hoch. Mir geht es dann immer sehr sehr schlecht. Neurodermitis-Schübe und Gewichtsabnahme sind die kleineren Probleme. Am meisten leide ich darunter, daß ich menschliche Nähe und Berührung immer weniger aushalten kann. Ich will nicht angefaßt werden.

Es wäre schön für mich zu hören, wie andere mit vergleichbaren Erfahrungen umgehen.

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yuna
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Beiträge: 888

Beitrag Fr., 23.05.2008, 16:08

Hallo Armund!

Schrecklich was dir da in der Kindheit widerfahren ist. Klar, dein Vater war traumatisiert von den Geschehnissen in der politischen Haft, aber dennoch ist dies keine Entschuldigung für sein Verhalten.

Mein Vater zum Beispiel ist ein kleiner Tyrann, der uns das Leben häufig sehr schwer macht. Und auch in meiner Kindheit sind Dinge geschehen, mit denen ich noch heute nicht zurecht komme.

Hast du schon einmal über eine Therapie nachgedacht, um das Erlebte endgültig verarbeiten zu können und deinen inneren Frieden zu finden? Denn die Tatsache, dass noch heute diese Erlebnisse hochkommen, zeigt, dass du es nie richtig verarbeiten konntest.

LG yuna

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gompert
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Beiträge: 493

Beitrag Fr., 23.05.2008, 16:56

Armund, ich bin auch mit gefolterten Eltern aufgewachsen. Ich hab das Thema im alten Forum mal berührt. Ich habe nun eine zweijährige Gruppentherapie für Kinder von Kriegs- und Gewaltsopfern hinter mir. Wir haben alle die gleichen Merkmale: verschwiegene Verantwortung fürs Wohl der Eltern und folgliche Probleme, durch die ich mich schön hindurchgemogelt hatte, die in der Ehe im Winterschlaf untergeschneit waren, die in der Scheidungshitze aber zum Vorschein schmolzen: Aufschieberitis, Sorgenmacherei usw.

Therapie mit Schicksalsgenossen war ein Dampfbad. Ich wurde durchschaut, sträubte mich, muβte schluβendlich meine Kinderseele freilegen. Das war schwer. Erst in den letzten Monaten aber werden mir meine verdrängten Vorwürfe klar.

Ein Kind kommt nicht zur Welt um die Makel seiner Eltern zu verstehen und zu schonen. An Parentifizierung sind Eltern schuld. Sie haben das zustande gebracht. Ich will meine Wut über ihre emotionelle Verwahrlosung nicht mehr verbergen. Was sie alles durchgemacht haben, soll mir endlich wurscht sein. Sie sind sowieso schon jahrzehntelang tod. Mein Leben haben sie nicht wichtig genug gefunden, immer war ihr Kummer wichtiger. Verständnis für ihr Leid hat mir mein Lebensglück genommen. Ich will es wieder haben und bin dabei es mir endlich zu holen.

Schönen Gruβ vom Nordseestrand,

gompy.
Staunend liest's der anbetroffne Chef......

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Ragenir
Helferlein
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Beiträge: 80

Beitrag Fr., 23.05.2008, 23:32

Liebe Armund!
Hallo yuna und gompy!

Mir fallen die Worte schwer. Diese Sache, die Du beschriebst und die von Euch anderen weiter geführt wurde, habe ich schon längst verdrängt.

Mein Vater hatte die Gepflogenheit inmitten der Nacht politische Reden zu schwingen, wo ich noch in den Kindergarten und mein älterer Bruder in die Volksschule ging.

-

Ich selbst bin das Produkt aus der Versöhnungswoche, als mein Vater aus dem Gefängnis 1974 entlassen wurde. Aber auch er hatte schon damals, laut meiner Mutter, die noch lebt, schwerwiegende Wahnvorstellungen. (Eigentlich seit der Hochzeitsnacht 1963 hielt sie ihm nicht für ganz dicht.)

Ich wurde selbst nicht geschlagen, dafür umso mehr meine beiden ältern Brüder, vor allem seit der Scheidung 1980, wo meine Mutter regelrecht flüchten musste (was er als Betrug und Schande und ...... uns Tag und Nacht einzutrichtern versuchte).

Die damalige Jugendbehörde war damals nicht nur unfähig, sondern auch geblendet, durch die fantastische Redegabe und Schauspielerei meines Vaters.

-

Hungern und nicht Weinen und Schweigen wurden zum Alltag. Ablehnung und Mobbing, durch Schüler und einzelner Lehrer in der Schule, selbstverständlich.

Dies änderte sich schlagartig, als wir delogiert werden sollten und Gott sei Dank das Jugendamt einen neuen Vorstand bekam. 1986 kamen wir binnen dreier Tage zu unserer Mutter.

Leider ist sie auch psychisch krank, sie trank aber nie.

-

Ich bin jetz schon seit 15 Jahren ausser Haus, aber mich beschäftigt, beeinträchtigt, belastet diese meine Geschicht noch immer.

Und jetzt zu Dir Gompert: Danke, Danke, Danke! Ich war über ein Jahr in Therapie! Aber niemals erfuhr ich solche erlösenden Worte!

Danke an Euch!!!

Ragenir
Dankbarkeit. Demut. Liebe.

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Armund
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Beiträge: 2

Beitrag Sa., 24.05.2008, 14:01

Vielen vielen Dank an Euch alle!

Für mich war es bisher immer unmöglich, mit irgend jemandem über meine Kindheit zu sprechen. Euere Reaktionen sind eine unglaublich wichtige Erfahrung für mich. Und vollkommen neu. Ein riesengroßes Dankeschön.

Es ist mir wirklich sehr schwer gefallen, ein bißchen von meiner Kindheit zu erzählen, und ich habe mich hinterher auch sehr unwohl damit gefühlt. Ich habe immer noch die Angst davor, meinen Eltern Unrecht zu tun. Immerhin war es mein Vater, der Gewalt erleben mußte, nicht ich.

Auch ich kenne das, äußerst aggressive, "politische-Rede-schwingen" von meinem Vater sehr gut. Wir durften dann den Raum nicht verlassen und durften auch nichts sagen, was allerdings auch niemand gewagt hätte.

Und auch die unglaublichen Gewaltausbrüche meines Vaters haben ausschließlich in geschlossenen Räumen und während Autofahrten stattgefunden und waren auch meist mit grausamen Drohungen verbunden: "Ich stecke dich in die Irrenanstalt, dort ziehen sie dir die Haut ab." oder "Du kommst hier lebend nicht mehr heraus." und ähnliches. Mit all meinen Erfahrungen heute denke ich, daß es zumindest einige gefährliche Grenzmomente gab. Wenn ich an meine Kindheit denke, erinnere ich mich vor allem an Angst. Heute noch habe ich Angst in geschlossenen Räumen und als Beifahrer im Auto. Ich fühle mich schnell ausgeliefert.

Auch in meinem Elternhaus war früher einmal jemand vom Jugendamt, auch bei uns ist nichts passiert. Mein Vater war ein sehr attraktiver Mann, der alle um den Finger bekommen hat. Jeder klebte an seinen Lippen. Ich bin in einem (nach außen hin) sehr ordentlichen Elternhaus aufgewachsen. Das Bild für die Außenwelt wurde gepflegt. Ich war ein ruhiges und unauffälliges Kind. Sehr früh, bereits neben der Schule, habe ich angefangen zu studieren. Jeder war beeindruckt von unserer Familie.

Heute habe ich immer größere Probleme damit es zu verstehen, daß meine Eltern nicht professionelle Hilfe gesucht haben, die meinem Vater als Folteropfer ziemlich sicher zugestanden hätte. Aber das wäre für meinen Vater eine Schande gewesen. Ich fühle mich manchmal mißbraucht.

Mir ist nahe gegangen, was du schreibst, lieber gompert: "Mein Leben haben sie nicht wichtig genug gefunden, immer war ihr Kummer wichtiger." Das ist ein sehr schmerzhafter Prozeß, in dem ich mich gerade befinde: anzuerkennen, daß es vielleicht doch niemals wirklich um mich gegangen sein konnte.

Für mich ist es sehr wichtig, mich noch weiter mit Euch auszutauschen, aber ich bin vom 26.05. bis zum 04.06. erst einmal unterwegs ohne Internettzugang. Wäre aber schön, danach wieder etwas zu hören von Euch.

Viele herzliche Grüße an Euch alle aus Norwegen

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Aditi
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Beiträge: 1089

Beitrag Sa., 24.05.2008, 23:02

gompert hat geschrieben: Verständnis für ihr Leid hat mir mein Lebensglück genommen. Ich will es wieder haben und bin dabei es mir endlich zu holen.
gompy.
ja!! genau darum geht es! - erkennen, bewusst machen, verändern.
ich möchte es ja noch genauer formulieren: "verständnis für ihr leid haben zu müssen", denn ein kind hat keine wahlmöglichkeit.

aditi

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Selectioner
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Beitrag Sa., 13.08.2016, 23:09

Hallo alle ! Ich bin ein bisschen verwirrt und weiß eben nicht was hier abgeht. Tut mir leid könnte ein bisschen ein längerer Text werden. Ich habe ein 11 Jahre andauerndes Kindheitstrauma hinter mir. Meine Eltern trennten sich als ich ein Baby war. Ich wuchs bei meiner Mutter auf. Meine Mutter hat Borderline. Ich wurde von kleinem auf geschlagen und an den Haaren gezogen. Alle paar Jahre hatte ich einen neuen Stiefvater. Meine Mutter beschimpfte mich auch immer, dass ich das letzte sei und ein wertloser Mensch. Meine Mutter hat auch immer wieder geschrien: Ich bring dich um, du dummes Kind! Ich verstand mich mit meinen Vater immer prächtig. Wir haben auch immer sehr lange telefoniert. Meine Mutter war damit nicht einverstanden und nahm mir das Telefon weg und beleidigte mich dann immer abgrundtief. Wenn sie mich was fragte und ich ihr nicht die Antwort gab, die sie hören wollte, schrie sie mich immer an: Du Monster, ich weiß, dass du lügst! Meine Mutter war auch immer alkholabhängig. Wenn sie betrunken war, musste ich auf meine Schwester aufpassen. Meine Mutter gab mir immer die Schuld an allem. Meine Schwester war ihre Prinzessin, ich ihre Sklavin. Sie verteidigte meine Schwester immer, wie toll sie ist und wie hübsch und sagte mir immer, was für ein schreckliches Kind ich bin und dass keine Mutter so ein Kind wolle. Als ich so 3 Jahre alt war, hatte sie immer wieder die Angewohnheit mich einzusperren, sie riss mich an den Haaren und sperrte mich in mein Kinderzimmer ein. Ich wurde auch gemobbt. Meiner Mutter interessierte es nicht. Ich stand kurz vor dem Suizid. Dann zog ich zu meinen Vater. Dennoch kommen immer wieder negative Gedanken. Ich fühle mich für alles verantwortlich und gebe mir auch die Schuld. Ich habe mich auch geritzt, weil ich mit meinen Gedanken nicht mehr klar gekommen bin. Ich will mich selbst bestrafen. Ich weiß nicht, wieso ich immer negative Gedanken habe. Ich werde beschützt vor meiner Mutter aber habe Angst, Angst wie ein kleines Mädchen! In Behandlung bin ich schon :/

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Blume1973
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Beitrag So., 14.08.2016, 09:55

Hallo!

Wie lange ist denn dieses schreckliche Leben bei deiner Mutter her?
Es ist völlig klar, dass du das nicht so schnell vergessen kannst. Vergessen wirst du es wohl nie können und auch nicht verstehen, aber du kannst darüber hinwegkommen und ein neues Leben anfangen.

Ich habe auch ein Kindheitstrauma. Bei mir ging es zwar um was ganz was anderes, aber es war auch schlimm. Ich werde es nie vergessen und es bleibt immer in mir, aber ich habe ein neues Leben angefangen. Das was mir passiert ist, wird mir nie wieder passieren, es ist vorbei, es ist Vergangenheit. Es existiert nur mehr in meiner Erinnerung.

Du bist nicht schrecklich, du bist genauso liebenswert wie deine Schwester!!

Du schreibst du bist in Behandlung, hilft dir das nicht irgendwie?

Denk daran, dass dein Vater dich liebt und versuche abzuschließen. Es ist jetzt vorbei.

Alles Gute!
Die einzigen wirklichen Feinde des Menschen, sind seine negativen Gedanken.

Albert Einstein

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Blume1973
[nicht mehr wegzudenken]
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weiblich/female, 43
Beiträge: 1536

Beitrag So., 14.08.2016, 16:03

Was ich noch sagen wollte, ich hab 30 werden müssen, bis ich nicht mehr weinen musste, wenn man mich drauf ansprach. Also so einfach ist es nicht, wie es sich jetzt anhört. Es dauert, bis du darüber reden kannst ohne verzweifelt zu sein, aber es besteht eine gute Chance, dass du es zumindest als einen Teil deines Lebens akzeptierst. Kopf hoch! Gib dir eine Chance, lass die Wunden heilen. Es ist ganz schrecklich was du da hinter dir hast. Vielleicht bist du ja jetzt selber Mama und kannst deinem Kind ganz viel Liebe schenken?
Die einzigen wirklichen Feinde des Menschen, sind seine negativen Gedanken.

Albert Einstein

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