Psychotherapie: Kassen stellen Reformkonzept vor (BRD)

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stern
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Beitrag So., 15.12.2013, 22:52

leberblümchen hat geschrieben:Irgendwie irritiert es mich, dass einige hier offensichtlich wirklich denken, in Deutschland sei alles erst mal toll. Und wenn man auch nur ein Fünkchen verändern möchte (z.B. Steuererhöhung, Tempolimit, Veggie-Day), dann bricht die Panik aus, von wegen: "Die wollen uns was wegnehmen" - wie gesagt: Anders ist nicht schlechter.
na, ich denke, es könnte Menschen auch schlechter treffen als es in D der Fall ist.

Allerdings habe ich in der Tat ebenfalls die Befürchtung, dass die Regelungen, die im Gespräch sind, eher einer Verschlechterung (im Vergleich zum Status Quo) sind. Und wenn man sagt, etwas verschlechtert sich, heißt das nicht, dass vorher alles toll war.

Wenn man zukünftig auch medizinisch notwendige Leistungen zur Privatleistung machen wollte (IGEL), dann müsste man unser System wohl umfassender reformieren.

vgl. wiki: Die Individuellen Gesundheitsleistungen – kurz IGeL - sind Leistungen, die Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten in Deutschland ihren gesetzlich krankenversicherten Patienten gegen Selbstzahlung anbieten können. Sie reichen über das vom Gesetzgeber definierte Maß einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen[1] Patientenversorgung hinaus und sind daher von den gesetzlichen Krankenversicherungen nicht gedeckt.

Das ist aber nicht geplant... sondern leichter ist es, wenn man umdefiniert, was ausreichend, zweckmäßig bzw. wirtschaftlich ist... 300h werden zukünftig mglw. nicht mehr so eingeschätzt. Andeutungen von möglichen Begründungen finden sich ja im Papier.
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Widow
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Beitrag Mo., 16.12.2013, 00:00

Zweierlei Gedanken beschleichen mich, je länger ich über dieses "Reformpapier" nachdenke (und es mit den mir bekannten Zahlen vergleiche):

1. Es ist lächerlich, weil es mit Kanonen auf Spatzen schießt, was die 'längsten' der "Langzeit-Therapien", also die psychoanalytischen Therapien anbelangt, die nur einen Bruchteil der beantragten (und bewilligten) Therapien ausmachen (etwa 6 Prozent, s. zum Beispiel S. 19 in dieser TK-Studie, in der es nur 5,3% sind, und aus der auch hervorgeht, dass Folgeanträge nach der Erstbewilligung im Falle von psychoanalytischer Therapie in 0,6 % aller Fälle von Folgeanträgen [also aller Verfahren] gestellt werden).
Diese Erhebung aus den Jahren 2005/06 stammt aus Bremen, gilt der TK aber als exemplarisch.
(Und ich glaube nicht, dass mittlerweile die Anträge auf psychoanalytische Psychotherapie sonderlich zugenommen haben werden ...)

2. Es ist gemeingefährlich und perfide, weil es im Grunde darauf abzielt, "Psychotherapie" gleichzuschalten - also jedes derzeit gkv-finanzierte Verfahren seiner Grundlagen zu entheben -, "Psychotherapie" gleichzuschalten auf eine 12 Termine dauernde "Behandlung" - jedenfalls, sofern in einem einzigen "Beratungsgespräch" über Behandlungsmöglichkeiten (das dann keinerlei Diagnostik zulässt, weil es ja über therapeutische Möglichkeiten aufklären soll) "Behandlungsbedarf" (auf welcher diagnostischen Grundlage auch immer) festgestellt worden ist, und dann noch in maximal drei probatorischen Sitzungen die "Passung" zwischen Behandler und zu Behandelndem festgestellt worden ist.
- Wohlgemerkt für 12 Sitzungen.
Gleich, welchen Verfahrens: Ob in 12 Wochen oder in 3 Wochen.

Denn danach, nach der heiligen 12 (Jünger, Pairs, Artusritter oder meinethalben auch Tages- oder Nachtstunden) hat gefälligst der zu Behandelnde in sich zu gehen.
Für 6 Wochen. (Die Tage der Schöpfung! Am Siebenten ruhte auch Gott aus.)
Und (im äußersten Falle) festzustellen, ob er deren Vergehen überlebt oder halt nicht (was für diese äußersten Fälle den Herren GKV-Spitzen gewisslich am Liebsten wär).
In den anderen, den erwünschten Fällen, denen vom GKV-Spitzen- und BDA- und BDI-Verband und Forbes und Moody's und Lehmans (jaja, immer noch!) und wie sie nicht alle heißen, in den erwünschten Fällen ist der zu Behandelnde nach jenen heiligen 12 Wochen + 6 des persönlichen Innegehens (inmitten allen Untergangs) wieder tippitoppifitti und reibt sich die Hände für das Gleiten nicht mehr des Signifikanten, sondern des Shareholder Values rasant nach oben; dank seines, des ehedem zu Behandelnden, Arbeitsbeitrags zum Aktienhimmelssturm gen 12!

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stern
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Beitrag Mo., 16.12.2013, 02:13

Widow hat geschrieben:1. Es ist lächerlich, weil es mit Kanonen auf Spatzen schießt, was die 'längsten' der "Langzeit-Therapien", also die psychoanalytischen Therapien anbelangt, die nur einen Bruchteil der beantragten (und bewilligten) Therapien ausmachen (etwa 6 Prozent, s. zum Beispiel S. 19 in dieser TK-Studie, in der es nur 5,3% sind, und ...
nur die KK schielt ja auch auf die Kosten... und dazu hat sie vielleicht auf S. 21 geblättert, was die 5,3% in etwas anderem Licht erscheinen lässt: Die rund 170 Mio. Kosten (2005, entspricht 100 %) für ambulante PT verteilen sich (gemäß zitierter Studie) auf die Therapieverfahren wie folgt:
32% VT
43,2% TFP
24,8% PA

Dass ich nichts davon halte, wenn die Zuteilung medinzinischer/psychotherapeutischer Leistung eine primär wirtschaftliche Fragen der Kosten wird, habe ich bereits geschrieben. (!) Aber ein Ökonom stolpert geradezu über Sachverhalte, bei denen ein 5% bis 10%iger Anteil 25% der Gesamtkosten verursacht.

Das relativiert sich aber deutlich dadurch (S. 14 ... und du hattest das auch schon erwähnt), dass der Anteil der Kosten für Psycholeistungen differenziert nach Versorgungseinrichtungen nur 3% ausmacht. Zum Vergleich:
Medikamente: 11%
(Teil-)stationäre Versorgung 54%
Ärztlich 7%
etc.

Wobei auch das nicht unbedingt eine Frage der Wahl ist. Aber Basis der Zahlgrundlage fände ich es (wieder mal rein ökonomisch gesehen) logischer, wenn man zuerst auf die 54% schaut (welche die stationäre Versorgung verursacht), später auf die 3% (PT)

Dass die Argumentation des Papiers löchrig ist, ja... natürlich. Geht um zunehmende Ökonomisierung aus meiner Sicht.

Eine ökonomisch zutreffende (aber nicht notwendigerweise angemessene) Rechnung ist auch folgende: Bei faktischer Unterversorgung schafft man es, mehr Patienten durch Therapien zu schleusen, je kürzer die jeweiligen Verweildauern.

Relativ starr fand ich die bisherigen Kontingente auch bisher... vielleicht war das für Patienten, die eine höheres Volumen an Sitzungen hatten nur nicht so spürbar (weil ja in einem Bewilligungschritt ein größerer Satz an Sitzungen gewährt wurde). In einer VT/TFP musste man ja jetzt nach +/- 25h verlängern (sprich: die Kurzzeittherapie in eine Langzeittherapie umwandeln).

Kurzzeittherapie ist alles bis 25h... was mehr ist, zählt (bereits jetzt) als Langzeittherapie. Und als Sinn einer Kurzzeittherapie sagt man:
Sie dient der Be- handlung von aktuellen Konflikten, die fokussiert behandelt werden können, z. b. Trennungskonflikte oder Arbeits-platzkonflikte. In einer Kurzeittherapie kann auch abgeklärt werden , ob eine weiterführende Langzeittherapie notwendig und sinnvoll erscheint.
http://www.psychotherapie-psychoanalyse ... rapie.html
Also akute Krisenintervention für eng umrissene Konflikte, wie es auch öfters bezeichnet wird. Wenn das Standard wird, ist auch nicht mehr wesentlich mehr möglich.
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Jenny Doe
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Beitrag Di., 17.12.2013, 10:20

Interessant, wie unterschiedlich verschiedene Länder mit denselben Problemen im Bereich der Psychotherapie umgehen:

Mehr psychisch Kranke als angenommen
http://vorarlberg.orf.at/news/stories/2620713/
Laut einer Studie der Universitätsklinik Salzburg sind 1,2 Mio. Menschen in Österreich psychisch krank - mehr als allgemein angenommen. Die VGKK verdoppelt nun mit einer halben Million Euro den Aufwand für Psychotherapien.
(...)
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).

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Beitrag Sa., 21.12.2013, 01:45

Jenny Doe hat geschrieben:Interessant, wie unterschiedlich verschiedene Länder mit denselben Problemen im Bereich der Psychotherapie umgehen:
Laut einer Studie der Universitätsklinik Salzburg sind 1,2 Mio. Menschen in Österreich psychisch krank - mehr als allgemein angenommen. Die VGKK verdoppelt nun mit einer halben Million Euro den Aufwand für Psychotherapien.
(...)
Jepp... das ist in D das Problem, dass die Therapeutenanzahl nicht entsprechend des Bedarfs angepasst wird (angeblich basiert die Bedarfsplanung auf nicht passenden Werten. Das kann ich natürlich nicht überprüfen/nachrechnen *g*, wird aber öfters als Argument eingebracht, dass eine faktische Unterversorgung besteht).
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Beitrag Sa., 01.02.2014, 19:02

Psychotherapie
Eine Reform liegt auf der langen Bank

Kassen und Psychotherapeuten sind sich darin einig, dass es eine Reform der Psychotherapie geben muss. Über das Wie streiten sie allerdings weiter. Jetzt soll es eine Arbeitsgruppe im Gemeinsamen Bundesausschuss richten.

http://www.aerztezeitung.de/politik_ges ... -bank.html
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Beitrag Sa., 01.02.2014, 19:22

Anmerkungen zum Positionspapier des GKV-Spitzenverbandes vom 27.11.2013
http://www.deutschepsychotherapeutenver ... _11_13.pdf
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