Nähe ohne Sex

Fragen und Erfahrungsaustausch über sexuelle Problembereiche wie Sexualstörungen, rund um gleichgeschlechtliche Sexualität und sexuelle Identität, den Umgang mit sexuellen Neigungen wie Fetischismus, S/M usw. - ausser Aufklärungs-Fragen.
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Gold__Marie
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Nähe ohne Sex

Beitrag Mi., 14.03.2012, 23:03

Hallo liebe Leser,

Momentan arbeite ich gerade daran, den sexuellen Missbrauch in meiner frühen Kindheit zu verarbeiten. Es fehlen mir zwar viele Bilder, aber Beweise gibt es mittlerweile ausreichend. Unter den Folgen leide ich schon lange, allerdings beginne ich jetzt mit der Aufarbeitung dieser Gefühle, ich fange an es als wahr anzunehmen, auch wenn ich es immer noch nicht hundertprozentig in meine Geschichte integriert habe...

Davor habe ich lange Zeit versucht es ungeschehen zu machen, es durch neue traumatische Erfahrungen zu ersetzen, teilweise heute noch.
Nachdem die Therapie mich momentan sehr mitnimmt, habe ich letztes Wochenende zu viel getrunken. Ich habe einen Freund mit nach Hause genommen, vermutlich schlicht und ergreifend deshalb weil ich einfach nicht annehmen konnte, diesbezüglich anders zu sein. Ich wollte mir im Rausch abermals beweisen, keine Einschränkungen durch das Erlebte zu haben...
Aber wie immer, vergeblich. Wir haben uns bloß geküsst und als er mich berühren wollte, legte sich ein Schalter in meinem Kopf um. Ich empfand, wie immer in derartigen Situationen, ein Gefühl, das ich einfach nicht in Worte fassen kann... es hat mich total umgehauen, ich konnte nicht sprechen, ich konnte nicht nein sagen, ich fing heftig an zu weinen, habe es im Endeffekt aber geschafft das Ganze abzulehnen, mich zu erklären und glücklicherweise (!) bin ich dabei auch auf ein Akzeptieren meines Neins gestoßen.

Wie erkläre ich mich, mein missverständliches Verhalten? Ich stelle es mir furchtbar unangenehm vor, dass alles im Vorhinein zu besprechen...Ich will zwar keinen Sex, aber küssen und umarmen ist mir möglich, genieße ich, sehne ich mich danach, auch ohne in einer festen Beziehung zu sein. Ich habe das Gefühl entweder mit jemanden schlafen zu müssen um diese Art von Zärtlichkeit zu bekommen (also auch einstecken zu müssen) oder darauf gänzlich verzichten zu müssen. Ein Teufelskreis...
Ich will einfach nicht einsam sein, und momentan gibt es niemanden in meinem Leben, der ein potenzieller Partner sein könnte...
Aber wie macht man das jemand anders klar? Ich habe das Gefühl, das alles ohne Sex nicht zu bekommen, dazu fühle ich mich wahrscheinlich zu wenig liebenswert, weshalb ich immer wieder den gleichen Fehler begehe...

Da der Missbrauch in sehr früher Kindheit geschehen ist, und ich nur sehr wenige Bilder dazu habe, kann ich diese Gefühle unmöglich in Worte fassen. Es ist komisch, das was gerade mit einem geschieht nicht definieren zu können...
Am nächsten Tag fiel es mir sehr schwer die Gefühle von damals von denen von heute zu unterscheiden. Es ekelte mich wahnsinnig, schämte mich und ich kam im Endeffekt zu der Einsicht, es jetzt endgültig dabei zu belassen nur mehr mit einem Partner zu schlafen, weil mir anderes auch gar nicht mehr möglich ist, weil das Verdrängen nicht mehr möglich ist...Ich denke ich bin jetzt zu dem Punkt gekommen, an dem ich mein "Anders sein" akzeptieren lerne. Immerhin war das der erste Ausrutscher seit längerem...Aber trotz allem sehnt man sich nach dem Gefühl von Geborgenheit und Umarmungen...

Mich würde an dieser Stelle auch interessieren, wie ihr mit diesem "Anders sein" zurecht kommt? Gibt es vielleicht jemanden unter euch, der ebenfalls ständig versucht hat das Geschehene durch neue traumatische Erlebnisse diesbezüglich zu ersetzen? Wie habt ihr das mit dem normalen Bedürfnis von Nähe vereinbart (Nähe ohne Sex)?
Heißt das für mich, dass Sex für mich so lange schrecklich bleibt, bis ich mich verliebe? Werde ich derartige Berührungen überhaupt jemals als angenehm empfinden können? Ich fühle mich ziemlich entzweit, weil ich mich ja einerseits nach nichts mehr als nach Nähe sehne, aber sie in Form von Sex nicht zulassen kann und ich dazu noch ziemlich einsam bin...
Und wie geht ihr mit diesem Thema im Allgemeinen um? Redet ihr mit Freunden darüber? Bislang traue ich mich das, bis auf ein paar wenige Anmerkungen, eigentlich nicht. Ich bin bisher diesbezüglich eher nur auf Unverständnis gestoßen...

Ich würde mich freuen etwas von euch lesen zu dürfen, da ich im realen Leben niemanden kenne mit dem ich mich zu diesem Thema austauschen könnte...

Lg Gold__Marie

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Krang2
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Beitrag Do., 15.03.2012, 01:03

Hallo,
mir geht es in vielen Punkten ähnlich, wobei es bei mir so war, daß ich mein Erlebnis bisher immer heruntergespielt habe, einerseits wegen der Reaktionen der Umwelt (damals) und weil wohl objektiv auch nicht so viel geschehen ist wie bei dir.
Du fragst, ob Sex für dich schrecklich bleibt, bis du dich verliebst. Wenn du es schaffst, einem Mann zu vertrauen, dann vielleicht nur bis dann. Aber bei mir war Sex nie gut, obwohl ich durchaus in der Lage bin, mich emotional zu verlieben, also auf geistiger Ebene, und dann auch mit demjenigen Streicheleinheiten und Wärme austauschen möchte, so wie du. D.h. im schlimmsten Fall wird es bei dir vielleicht immer so bleiben, aber ich hoffe es nicht.

Bisher habe ich es so gehandhabt, daß ich beim Sex einfach mitgemacht habe, so als Gefälligkeit, und dann etwas vorspielte oder einfach wartete, bis er vorbei war. Aber eigentlich wertet man sich damit ab, denke ich jedenfalls jetzt. Wie man trotzdem zu Zärtlichkeit kommt, weiß ich leider auch nicht; außer vielleicht als Gefälligkeit eines Freundes, der dafür keinen Sex erwartet (vielleicht irgend etwas anderes).

Ich rede über das Thema auch nicht, aber nicht wegen Unverständnis, sondern weil ich es nicht schaffe. Ich rede über alles und jedes, auch über meine Probleme, aber das fällt mir schwer, weil es mit Schwäche und Scham zu tun hat. Ich mag den Gedanken nicht, daß mich jemand so sieht, emotional ohnmächtig und verletzlich, und ich kann es auch selbst nicht ertragen. Eigentlich bist du die erste, der ich das so direkt schreibe.

Ansonsten kann ich nur noch anfügen, daß ich pervers bin (und deshalb seit Kurzem in Therapie, siehe mein anderer Beitrag, falls es dich interessiert). Ich weiß nicht, ob und inwieweit ein Zusammenhang zu dem besteht, was ich erlebt habe. Vielleicht ist es bei dir auch so, daß du dich vielleicht für (hoffentlich harmlosere) sexuelle Abweichungen begeistern kannst. Da klappt jedenfalls bei mir alles, was im normalen Sex völlig mau ist.

Wenn du möchtest, kannst du mir auch eine PN schicken.

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Gold__Marie
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Beitrag Do., 15.03.2012, 19:08

Hallo Krang2!

Danke für deine Antwort!

Mittlerweile schaffe ich es leider nicht einmal mehr beim Sex "einfach mitzumachen"... Mein Körper wehrt sich vehement dagegen, ich kann es also nicht einmal mehr über "mich ergehen lassen", momentan jedenfalls.
Und ich stimme dir zu, damit würde man sich sowieso bloß abwerten. Ich glaube schon, dass ich mit ein paar wenigen Leuten darüber sprechen könnte, dass sie mir zuhören würden, aber ich habe einfach das Gefühl sie könnten es ohnehin nicht nachvollziehen, würden vielleicht sogar etwas missverstehen. Ich habe vorwiegend männliche Freunde, was das ganze nicht gerade vereinfacht...und dazu kommt, dass ich erst frische 18 Jahre alt bin und ich oft das Gefühl habe eine andere Weltanschauung als die meisten Gleichaltrigen zu haben (ohne eingebildet klingen zu wollen.)

Ich habe auch Angst sie könnten den MB in Frage stellen, denn dann würde ich wieder anfangen an meiner Wahrnehmung zu zweifeln. Das alles ist mir mit zu viel Risiko verbunden, obwohl es mir sicherlich gut tun würde, ab und dann mein Herz ausschütten zu können...Ich empfinde das übrigens genauso wie du... Ich hasse es meine Schwächen offenzulegen, und das ist wohl auch einer der Gründe weshalb mir Sex nach wie vor so schwer fällt.
Bisher konnte ich Sex erst zweimal in meinem Leben annähernd genießen, bzw. es überhaupt zulassen. Einmal als ich verliebt war (und dafür habe ich gefühlte 100 Anläufe gebraucht) und einmal als ich einen Dreier hatte, es überrascht mich bis heute dass ich mich das wirklich getraut habe! Komischerweise fühlte ich mich dabei total sicher weil ich ihn mit einer guten Freundin hatte und deshalb all meine Hemmungen fallen lassen konnte... Es scheint also doch möglich zu sein... Allerdings nur mit einer ordentlichen Portion Vertrauen, was mir ohnehin sehr sehr schwer fällt... Ich hätte eine Frage, du musst sie natürlich nicht beantworten wenn es dir zu schwer fällt... Konntest du dich dein Leben lang erinnern oder hast du zeitweise verdrängt?
Ps.: Ich werde bei nächster Gelegenheit deinen Beitrag lesen und darauf zurückkommen!

Glg Grüße und Danke für dein Vertrauen!

Gold__Marie

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Tristezza
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Beitrag Mi., 21.03.2012, 17:44

Hallo Goldmarie,

eine Möglichkeit Nähe ohne Sex zu haben wäre vielleicht, dir einen asexuellen Partner zu suchen. Im Internet gibt es spezielle Foren für Menschen, die keine Sexualität leben möchten. Kannst dich ja dort mal umschauen ...
Allerdings scheinst du Sex ja unter bestimmten Voraussetzungen genießen zu können. Du bist noch jung, vielleicht kann sich im Rahmen einer Therapie mit der Zeit etwas ändern.

Lg
Tristezza

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