Muss man seinen Eltern alles verzeihen? wo ist Schluss?

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ubeda
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Muss man seinen Eltern alles verzeihen? wo ist Schluss?

Beitrag Mo., 01.12.2014, 17:58

Mein Vater hat mich mein Leben lang immer wieder erniedrigt, beleidigt und verbal angegriffen.

ich bin inzwischen fast 40 Jahre alt, wohne seit Langem nicht mehr bei meinen Eltern, habe aber regelmäßig Kontakt zu ihnen - eigentlich eher zu meiner Mutter, aber wenn ich zu Besuch hinfahre, dann ist mein Vater eben auch da.

Mein Vater ist inzwischen ein alter Mann, aber seine plötzlichen Ausbrüche bekomme ich trotzdem immer wieder ab. Meistens passiert das ganz plötzlich wie aus heiterem Himmel und trifft mich wie ein Faustschlag.
Die Gründe dafür sind für mich einfach nicht nachvollziehbar, und auf die Frage, WARUM bekomme ich keine Antwort. Offensichtlich benutzt er mich als Blitzableiter um seinen Frust loszuwerden (die Ehe meiner Eltern ist nicht besonders gut, aber sie streiten NIE, er schluckt alles runter und irgendwann explodiert er, wenn ich da bin)

Was mich fast genauso verletzt: Meine Mutter hat uns Kinder NIE beschützt vor seinen Ausbrüchen. Sie ließ ihn immer gewähren. Als wir klein waren, hat er uns sogar geschlagen. Sie behauptet, sie hätte him immer wieder gesagt, er soll das nicht tun, aber ich kann das kaum glauben - und selbst wenn, es hat ihn nie interessiert, was sie wollte. Er hat die Hosen an und sie ordnet sich zu 100% unter. Glücklich ist sie damit auch nicht.

Ich habe in der Vergangenheit eine Therapie gemacht & die Therapeutin meinte, ich solle ihm doch verzeihen - er sei doch mein Vater.... - aber meine Frage an euch:
Wie OFT muss man sich das gefallen lassen?
Wieviele Jahrezehnte muss man so einen TYRANNEN ertragen, nur weil er der eigene Vater ist???
Bin ich nicht auch seine Tochter?
Kann man ein Kind so behandeln, wenn man es ehrlich liebt?

Meiner Meinung nach, empfindet er NULL Liebe für mich und meinen Bruder. Und das schmerzt ganz furchtbar.
Ich habe so viele Jahre versucht die BRAVE Tochter zu sein und ihm alles recht zu machen, weil ich eben gespürt habe, dass ich nicht geliebt werde...

Aber ich WILL und KANN das nicht mehr ertragen.
Er ist so respektlos und lacht sogar, wenn er mich zum weinen bringt!

ich habe ihm immer wieder verziehen - auch meiner Mutter zuliebe, die immer versucht die Familie zusammenzuhalten. Mein Bruder hat sich schon vor Jahren davon gemacht, er hat es auch nicht mehr ausgehalten. Meine Mutter meint: "Es gibt doch in jeder Familie Probleme"! Sie spielt immer alles runter & erwartet dass ich ihm immer wieder verzeihe. Ich kann das nichtmehr! Was soll ich denn tun???
Zuletzt geändert von ubeda am Mo., 01.12.2014, 18:55, insgesamt 1-mal geändert.

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pandas
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Beitrag Mo., 01.12.2014, 18:05

Wie wäre es denn eine Zeitlang den Kontakt abzubrechen und zu schauen, wie es Dir damit geht?

... Aber was meint denn Deine Therapeutin damit?
Ich habe in der Vergangenheit eine Therapie gemacht & die Therapeutin meinte, ich solle ihm doch verzeihen - er sei doch mein Vater....
Warum sollst Du ihn verzeihen, weil er Dein Vater ist?
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montagne
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Beitrag Mo., 01.12.2014, 18:08

Müssen tut niemand irgendwas, meine ich so.
Und Erniedrigungen, Lieblosigkeit und brutale Umgangsformen wie Schlagen muss man nun wahrnicht nicht verzeihen, erst Recht nicht seinen Eltern.
Ich finde es eher seltsam, dass eine Therapeutin dir sowas "vorschlägt".

Ich kenne eine ähnliche Situation. Ich habe aus genau diesen Gründen den Kontakt zur Familie schon vor Jahren abgebrochen. Die Frage ob ich verzeihe oder nicht stelle ich mir so nicht. Ich stelle mir eher die Frage, welche Beziehungen tun mir gut? Sowas ganz sicher nicht. Sowas lasse ich mir sicher nicht bieten. Da breche ich konsequent den Kontakt ab, zumal auch nur ein Minimum an Einsicht oder Besserung nicht zu erwarten war.

So sind jedenfalls meine Erfahrungen.
Vielleicht hilft dir das weiter.
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Sarana
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Beitrag Mo., 01.12.2014, 18:16

Ich hab mich auch ein wenig an der Aussage dieser Therapeutin aufgehängt. Na gut, dieses Argument "er ist ja dein Vater, deswegen...." hab ich aber auch deutlich zu oft hören müssen.

Diese Worte bedeuten einfach gar nichts, das solltest du dir vor Augen führen. Die Frage ist, wie DU dich damit fühlst, was du dir in dieser Beziehung wünschst, ob du das Gefühl hast, dass sie sich in diese Richtung ändern kann, und so weiter.

Quäl dich nicht, weil er "ja dein Vater ist". Auch wenn es schwer ist, das so durchzusetzen, du hast Grenzen, und zu diesen darfst du auch stehen.
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Hoffentlich: "I think I'm at a stage of my life where I subconsciously purposefully f.uck everything up just to see if I can find a way out of it."
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pandas
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Beitrag Mo., 01.12.2014, 18:20

Sarana, hast Du dies in einem therapeutischen Kontext gehört oder direkt im Umfeld?

Ich kenne dieses "er ist Dein Vater" aus der Familie, die damit meinte, letztlich muss ich mich ihm irgendwie anpassen (habe ich aber nicht gemacht).

Im therapeutischen Kontext finde ich das unmöglich. Mein Ex-Analytiker hat aber leider, in Bezug auf den Vater (der bei mir der schlimmere Part war), auch dahin tendiert.
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Sarana
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Beitrag Mo., 01.12.2014, 18:35

Überall. Von Außenstehenden, die es gut meinten, sich meine Lage nicht vorstellen konnten, weil sie nie mit so etwas konfrontiert waren. Von Menschen, die es sich zum Beruf gemacht haben, Kindern zu "helfen" - von ihnen kann ich jetzt nicht schreiben. Von so vielen, die meinten, dass ich "übertreibe".

Als ich zu jung war, um verstehen zu können, dann wurde dieses Argument wieder und wieder gebraucht. Und ich rate jedem, die Worte anderer kritisch zu überprüfen, vor allem, wenn sie einem selbst weh tun.

Sie müssen nicht per se falsch sein - aber die Frage ist, was sie BRINGEN können, und ob der Schmerz im Inneren davon kommt, dass man sich seine falsche Sicht der Dinge nicht eingestehen möchte, oder vielleicht von ganz anderen Dingen.
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ubeda
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Beitrag Mo., 01.12.2014, 18:51

pandas hat geschrieben:Wie wäre es denn eine Zeitlang den Kontakt abzubrechen und zu schauen, wie es Dir damit geht?
Ja das habe ich vor - aber meine Mutter wird alles dransetzen, dass es sich wieder "einrenkt" d.h. dass ich wieder alles runterschlucke und wir so tun, als wäre nix gewesen bis er in ein paar Monaten wieder ausrastet....
pandas hat geschrieben:Warum sollst Du ihn verzeihen, weil er Dein Vater ist?
Es gibt genügend Väter, die sich nicht so verhalten.
Meine Therapeutin meinte, dass er doch ein alter Mann sei (weit über 70) und dass es schlimm wäre, wenn er demnächst sterben sollte und ich mit ihm gebrochen hätte. Sie hat wohl Patientinnen, die darüber nie hinweggekommen sind, dass sie den Kontakt zu den Eltern abgebrochen haben....

Ich frage mich allerdings wirklich, wie oft ich MIR noch verzeihen kann, dass ich immer wieder so DUMM bin und ihm immer wieder die Gelegenheit gebe, mich so zu erniedrigen und verbal zu "treten". Ich würde das KEINEM anderen Menschen auf der Welt erlauben - keinem Partner - einfach NIEMANDEM.
Da hast du, liebe MONTAGNE, total Recht!
Zuletzt geändert von ubeda am Mo., 01.12.2014, 18:59, insgesamt 1-mal geändert.

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ubeda
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Beitrag Mo., 01.12.2014, 18:58

Sarana hat geschrieben:
Diese Worte bedeuten einfach gar nichts, das solltest du dir vor Augen führen. Die Frage ist, wie DU dich damit fühlst, was du dir in dieser Beziehung wünschst, ob du das Gefühl hast, dass sie sich in diese Richtung ändern kann, und so weiter.

Quäl dich nicht, weil er "ja dein Vater ist". Auch wenn es schwer ist, das so durchzusetzen, du hast Grenzen, und zu diesen darfst du auch stehen.
Danke Sarana, ich weiß dass du Recht hast! Und ja, es ist trotzdem schwer diesen Schritt zu gehen & zu sagen - ENDE. Wobei ich rational garnicht verstehen kann, warum es schwer sein sollte... emotional ist es das.
.

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Christine_Walter
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Beitrag Mo., 01.12.2014, 19:06

ich denke, deine thera hat einerseits recht. andererseits: ganz ehrlich, obwohl ich mich von meinem vater quasi im guten trennte, habe ich ihm längst noch nicht alles verzeihen können. aber damit muss ich eben leben. verzeihen "funktioniert" nicht, wenn man muss, aus welchen gründen auch immer, und auch oft nicht, wenn man will...


montagne
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Beitrag Mo., 01.12.2014, 19:51

Ich frage mich allerdings wirklich, wie oft ich MIR noch verzeihen kann, dass ich immer wieder so DUMM bin und ihm immer wieder die Gelegenheit gebe, mich so zu erniedrigen und verbal zu "treten". Ich würde das KEINEM anderen Menschen auf der Welt erlauben - keinem Partner - einfach NIEMANDEM.
Da gibst du dir selbst die Antwort.

Wie gesagt, was die Therapeutin da sagt ist merkwürdig. Von Lieschen Müller würde ich sowas erwarten, da sicher einige Menschen den Unterschied zwischen -seinen eigenen Frieden finden- und -dem anderen verzeihen- nicht kennen. Sicher ist es erstrebenswert seinen eigenen Frieden zu finden, mit seinem Leben weiter zu machen, sein Leben erstmal zu leben und seine Energie nicht darin verschwenden nachzutragen und Kämpfe zu führen, die nicht gewinnbar sind, die niemand gewinnen kann.
Statt dessen sich eben auf sein leben konzentrieren und Stück für Stück abschließen, mit dem was war, eben zur Ruhe kommen.
Aber dazu muss ich dem anderem, den Eltern nicht verziehen, ich muss dazu nichtmal Kontakt zu ihnen haben.
amor fati

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Sarana
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Beitrag Mo., 01.12.2014, 20:21

Naja, mit der Erklärung dahinter kann ich schon verstehen, was die Therapeutin meinte. Persönlich glaube ich nicht, dass ein weiterer Kontakt mit deinem Vater gut wäre, ubeda.

Das kann dann aber eben die Kehrseite haben, die deine Thera da ansprach...

Allerdings glaube ich auch, dass du die für dich richtige Entscheidung treffen wirst! Du hinterfragst ja schon, du möchtest dich lösen, und so fängt es an. Leicht wird es vielleicht nicht, aber lohnenswert. Und vielleicht hilft dir der neu gewonnene Abstand dabei, deine Gedanken zu ordnen, und du schaffst es, zwar sporadischen Kontakt mit deinem Vater zu halten, dich aber nicht davon vereinnahmen zu lassen, dich nicht verletzen zu lassen.
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leberblümchen
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Beitrag Mo., 01.12.2014, 21:13

ubeda, Therapie ist keine Erziehungsanstalt. Der Patient kommt ja nicht nur zum Therapeuten, um über die bösen Eltern zu sprechen, sondern er hat ja ein Symptom entwickelt. Dieses Symptom ist oft verdrängte Wut oder Angst vor den Eltern, zum Beispiel, gerade wenn die Eltern - wie so häufig - ja Druck erzeugt haben, indem sie das Kind zum Schweigen oder Stillhalten gedrängt haben (sonst wäre das Symptom ja überflüssig). Insofern dient die Therapie der inneren Befreiung von dem Zwang, die gute Tochter zu sein. Ein Therapeut, der nun aber sagt: "Ihre Eltern sind doof" ist auch nicht gerade hilfreich, denn hier findet auch keine wirkliche Befreiung statt; stattdessen wird schon wieder von außen gesagt, was richtig ist. Der Therapeut, der sagt: "Es ist doch Ihr Vater", der setzt eigentlich nur das fort, was man schon kennt.

Eine wirkliche Befreiung ermöglicht es dem Patienten, selbst zu entscheiden, ob er lieben will oder nicht oder ob er verzeihen will oder nicht. Es kann stimmig sein, den Eltern die schlimmsten Verbrechen zu verzeihen - und genauso gut kann es stimmig sein, vermeintlich kleinere Verletzungen nicht zu verzeihen; das hängt von vielen Faktoren ab - aber ganz sicher NICHT davon, dass der Therapeut sagt, wie ES richtig ist.

Wenn der Patient sich später Vorwürfe macht, den alten Eltern nicht verziehen zu haben, dann wohl eher deshalb, weil das Nicht-Verzeihen auch keine bewusste, freie Entscheidung war.

Ich glaube, einer der wichtigsten Sätze meines Therapeuten war mal: "Man muss seine Eltern nicht lieben".


Widow
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Beitrag Di., 02.12.2014, 00:21

Liebe ubeda,

vieles Gute ist Dir hier gesagt worden.
Was ich sage, sage ich vielleicht weniger für Dich als für mich - und ob es zum Guten gehört, weiß ich nicht.

Ich habe vor dreieinhalb Jahren mit meiner Mutter gebrochen. Für mich bis heute der einzig mögliche Weg. (Schon damals war mir klar, wie elendig, wie erbärmlich, wie jämmerlich dieser Weg ist. Aber er war und ist bis heute der mir einzig mögliche Weg im "Umgang" mit meiner Mutter.)

Mein Therapeut hat das nie "gutheißen" können.
Ich habe lange, lange gebraucht, um wenigstens ansatzweise zu begreifen: mit meinem Verstand und meinen Sinnen/Gefühlen, - was der Therapeut da für ein Problem hat.
Langsam kommt das bei mir an:

Ich werde so lange das "Kind meiner Mutter" sein, werde so lange sie in mir haben, unverdaut, als Klumpen in meinem Magen, meiner Lunge, meinem Geist - bis ich FÜR sie selbst trauern kann (für all das, was sie selber an Entsetzlichem erlebt hat als Kind) und UM sie als meine Mutter trauern kann (um all das, was sie mir als Mutter nie geben konnte). - Nie wird irgendjemand da irgendwas "gut machen" können. (Es geht - bestenfalls - nur um Trauer; und die kann niemand aufbringen statt meiner, die muss ich aufbringen können, und wenn nicht, dann halt nicht.)

(Und ich persönlich glaube, dass ich diese Frau bis an mein Ende unverdaut in mir haben werde. Aber das ist hier wurscht!)

- Was ich glaube: Wenn Theras solche "Sprüche ablassen", dann hört sich das nur in unseren, der PatientInnen Ohren, mitunter nach moralinsauren "Sprüchen" an.
Aber in Wirklichkeit geht es den Theras nicht um die "Mutter" oder den "Vater". Da geht es denen dann um die/den PatientIn.
Dann geht's um's Freiwerdenkönnen eines geschlagenen, eines geduckten, missbrauchten, eines vor lauter Schweigen blauangelaufenen Menschen.

Leider ist Deine Therapie ja offenbar beendet, wenn ich das richtig verstanden habe. - So wird sich das also mit Deiner Therapeutin wohl nicht mehr klären lassen? - Wenn Du den Eindruck hast, sie noch kontaktieren zu können, würde ich Dir wünschen, dass Du da nochmal nachfragen kannst.

LG
Widow


stadtwolf
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Beitrag Di., 02.12.2014, 01:00

ubeda hat geschrieben: Ich habe in der Vergangenheit eine Therapie gemacht & die Therapeutin meinte, ich solle ihm doch verzeihen - er sei doch mein Vater.... - aber meine Frage an euch:
Wie OFT muss man sich das gefallen lassen?
Hallo Ubeda,

ich war Jahrzehnte in dieser Zwickmühle.
Bin von meiner Mutter jahrelang mißbraucht worden und mein Vater war immer abwesend.
Aus heutiger Sicht ist mir vieles klar. Wie soll das gehen, überhaupt jemandem zu verzeihen ?
Ist das wirklich ein willentlicher Akt ? Oder heißt Verzeihen aus dem Wunsch heraus es tun zu müssen nicht vielmehr den Haß zu verleugnen ?
Zu verdrängen und untenzuhalten ?
Ich habe es nie "geschafft" zu verzeihen, es war immer nur ein Theater. Ich habe so getan als hätte ich verziehen, hab es mir und der Umwelt vorgespielt.
Aus verständlichen Gründen. Ich habe gelernt, und zwar mit dem Prügel, daß es verboten ist die Eltern zu hassen.
Das tut "MAN" nicht.
Heute weiß ich daß "MAN" nicht existiert, das ist eine aus der Angst geborene Verallgemeinerung und eine Illusion.
Sie dient nur dazu die erlernte Angst untenzuhalten.
Sehr interessant finde ich daß in mir eine signifikante Veränderung stattfand als ich mir das erste Mal gestattet habe den Haß auf meine Mutter
zu verbalisieren. Zu diesem Zeitpunkt war sie schon 15 Jahre tot.
Mein Vater ist noch am Leben, er ist sehr alt und ich kann ihm gegenüber nur eine Art Traurigkeit verspüren, manchmal auch eine Gleichgültigkeit.
Er ist sehr krank und es ist sehr unwahrscheinlich daß er noch lange lebt.
Bei der Vorstellung daß er z.B.morgen stirbt tut sich in mir gar nichts.
Will damit sagen: Wie soll ich bestimmen was ich fühle ? Das ist wie es ist, da kann ich mich am Kopf stellen.
Außer Verleugnen oder Akzeptieren kann ich nichts tun. Verändern kann ich gar nichts.
Erst das Akzeptieren hat für mich Veränderung gebracht. Heute hasse ich meine Mutter nicht mehr, aber weder liebe ich sie noch fehlt sie mir.

Vielleicht kannst Du ja was anfangen mit meinen Erfahrungen ?

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ubeda
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Beitrag Di., 02.12.2014, 07:35

leberblümchen hat geschrieben:

Ich glaube, einer der wichtigsten Sätze meines Therapeuten war mal: "Man muss seine Eltern nicht lieben".
Dieser Satz macht mich sehr nachdenklich - weil er natürlich total stimmt, aber andererseits weiß ich, dass ich meinen Vater sowieso nicht liebe - ich weiß das schon seit vielen Jahren. Trotz allem habe ich mir immer gewünscht, dass er mich liebt... aber das tut er nicht. Und diese Erkenntnis ist heute genauso schmerzhaft, wie als Kind. Ich habe ihm immer "gehorcht" ich hatte immer Angst vor ihm & das habe ich noch bis heute. Wenn er auf mich losgeht, dann spüre und sehe ich, dass er gerne zuschlagen möchte. Ich habe dann immer wieder schreckliche Angst.

Und: Ich habe ihm das alles noch NIE gesagt. Konnte & wollte ich nie. Er würde sowieso nicht zuhören. Meine Gefühle lassen ihn kalt. Ich werde höchstens verhöhnt, wenn ich Tränen zeige.

Ich habe deshalb noch eine Frage an alle, die ihre Eltern (oder einen Elternteil) verlassen haben. Habt ihr einen "Abschiedsbrief" geschrieben? Habt ihr euch erklärt?

Ich habe die Befürchtung, dass alles was ich schreiben könnte, ihn weder interessiert noch ernst genommen wird... die Vorstellung, dass es ihn evtl. amüsiert oder er sich MÄCHTIG fühlt, wenn er merkt, dass er mich endgültig gebrochen hat. Das ist definitv schlimmer, als der Wunsch irgendwas zu erklären....

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