Wenn die psychischen Symptome weg sind...

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audrey
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Wenn die psychischen Symptome weg sind...

Beitrag Mi., 13.08.2008, 23:58

Hallo Ihr,

Ich weiss nicht so recht wohin mit meinem Beitrag, also schreibe ich einfach mal hier rein.
Ich möchte euch meine gesamte Leidengeschichte ersparen, daher nur die Kurzfassung.
Ich hatte jahrelang, ca 7 Jahre, mit den verschiedensten psychischen Symptomen zu kämpfen, u.a. Depressionen, Zwangsgedanken, Angststörungen.
Ich bin von Therapeut zu Therapeut gepilgert, ich habe sämtliche Psychopharmaka geschluckt die man mir verschrieben hat (und das waren jede Menge), eine Zeit lang war ich sogar abhängig von Benzodiazepinen,
mir wurden die unterschiedlichsten Diagnosen gestellt, von ADS über diverse Persönlichkeitsstörungen, usw. und ich war einige Male stationär in Psychiatrien und psychosomatischen Kliniken.
Im Nachhinein kann ich nicht sagen dass mir dies alles nichts gebracht hat, eher im Gegenteil. Denn auch wenn es mir dadurch nicht besser ging, so habe ich doch viel über mich selbst, über andere Menschen und über das Leben gelernt.

Lange Rede, kurzer Sinn, bis auf gelegentliche Rückfälle in diverse Angststörungen, welche sich wirklich in Grenzen halten, sind die Symptome, die ich jahrelang mit mir rumgeschleppt habe, alle weg.
Keine Depressionen mehr, keine Suizidgedanken, keine anderweitigen Zwangsgedanken, nichts mehr.
Fragt mich bitte nicht, wie ich das konkret angestellt habe, denn ich weiss es selbst nicht so genau.
Ich glaube es war einfach ein Prozess der Zeit brauchte. Ich musste all die Erfahrungen machen die ich oben geschildert habe und ich musste mich massiv mit mir selbst auseinandersetzen um die Hintergründe zu erkennen.

Tja und nun sind sie auf einmal vordergründig, die Hintergründe und ich frage mich wirklich ob ich mir nicht besser meine Symptome zurückwünschen soll.
Um es mal zu verdeutlichen:
Irgendwie ist es leichter, sich während eines Praktikums wegen Selbstmordgedanken in die Psychiatrie zu verkriechen, anstatt sich ständig mit der eigenen Unfähigkeit herumzuschlagen.
Irgendwie ist es auch leichter sich wegen Panikattacken aus sozialen Situationen auszuklinken, als sich ständig mit anderen zu vergleichen und immer schlecht abzuschneiden.
Nicht dass ich mir die Symptome wirklich zurückwünschen würde, aber ich habe öfters gehört und gelesen dass psychische Symptome das kleinere Übel sein können, aber geglaubt habe ich es ehrlich gesagt nicht wirklich. Nun wurde ich eines Besseren belehrt.

Die Hintergründe all meiner Störungen sind definitiv bei einem katastrophalen Selbstwertgefühl zu suchen und zu finden.
Dadurch werte ich mich ständig selbst ab, ja es geht sogar bis hin zu selbstverletzendem Verhalten, aber ausschliesslich in Alltagssituationen wie durch ungesunde ernährung, mangelnde Bewegung, extremer Tabakkonsum, verstreichenlassen von Deadlines bei der Arbeit, usw, nicht als explizites SVV.
Es ist allerdings nicht so, dass ich mich in allen Bereichen immer minderwertiger als andere Menschen fühle. Nein, mein System ist noch subtiler Ich habe nämlich eine total gestörte Wahrnehmung.
Man kann mir die unintelligenteste, die unkommunikativste oder die unattraktivste Person dieser Erde vor die Nase setzen und man kann sich sicher sein, dass ich nur deren positiven Seiten wahrnehmen werde, welche bei mir zu den subjektiven Schwächen gehören. Und zack, hallo Minderwertigkeit.

So langsam weiss ich wirklich nicht mehr weiter. Denn anstatt dass es besser wird, wird es nur noch schlimmer. Ich war bei meiner letzten Therapeutin, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie das Problem und dessen Konsequenzen gar nicht so recht verstand. Klar, sie war ja auch zuvor Geschichten anderen Kalibers von mir gewohnt.
Aber ich werde es nochmal versuchen, vielleicht hatte sie einfach nur einen schlechteren Tag. Soll ja auch bei Therapeuten mal vorkommen

Hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht?
Auch über Ratschläge und Tips ohne die gleiche Basis an Erfahrungen würde ich mich freuen.

lg

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lametissa
sporadischer Gast
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Beiträge: 28

Beitrag Do., 14.08.2008, 11:11

Hallo Audrey!

Erst mal Glückwunsch, dass du deine Symptome alle wegbekommen hast - war wohl ein hartes Stück Arbeit für dich - sich so lange damit auseinanderzusetzen.
Letzenendes hast du's gut geschafft.
Ich denke, psychische Symptome sind immer ein Hinweis, dass man mit sich selber, seiner Seele ins Reine kommen soll. Ist ja so.
Dass du nun mit deinem mangelndem Selbstwertgefühl konfrontiert bist, zeigt, dass du dich mit dir selbst auseinandersetzt und darum geht's ja schließlich.
Okay, nun HAST du dein mangelndes Selbstwertgefühl; nun ist es an dir weiter dran zu arbeiten, dass du erkennst, wo deine Stärken sind und sie dir auch bewußt zu machen.
Schon alleine immer das Gute am anderen Menschen zu sehen - so wie du es beschreibst, ist eine absolute Stärke in unserer heutigen Gesellschaft.
Bin leider auch so gepolt wie du, hab das gleiche Problem und man kann mir jemanden vor die Nase setzen, der so ist, wie du ihn beschreibst, - auch ich werde nur seine positiven Seiten erkennen - anfangs jedenfalls.
Trotzdem darfst du nicht vom anderen auf dich schließen oder dich gar abwerten! DU bist einzigartig - egal wie du bist! Es gibt dich nur ein einziges Mal auf dieser Welt und ALLEINE DAS macht dich zu einem einzigartigen Wesen egal welche Defizite du hast oder zu haben glaubst.

Mach dir deine Stärken bewußt und anerkenne sie auch dir selbst gegenüber; vielleicht versuchst du einmal eine Therapie aus der Sparte der Kinesiologie - hier wird sehr stark auf diese Dinge, wie du sie als "deine Fehler" beschreibst eingegangen, und man kann nachhaltig durch verschiedene Techniken Erfolge in Richtung "Heilung" erzielen.

Was für mich ebenfalls zu einer Stärke zählt, ist die Tatsache, dass du es überhaupt so weit geschafft hast, aus dem Dilemma mit den Symptomen herauszufinden und einen neuen Weg zu gehen. - Such dir deine Stärken; es gibt viel mehr, das man als Stärke auslegen kann, als man oft glaubt! Such sie dir! Du hast bestimmt jede Menge davon! Und geh weiter deinen Weg - ich glaube, dass du in die richtige Richtung schon unterwegs bist.

Alles Liebe
Lametissa
Tröste dich, die Stunden eilen,
Und was all dich drücken mag,
Auch das Schlimmste kann nicht weilen,
Und es kommt ein andrer Tag
(Theodor Fontane)

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Gärtnerin
[nicht mehr wegzudenken]
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Beiträge: 1162

Beitrag Do., 14.08.2008, 19:56

audrey hat geschrieben:Tja und nun sind sie auf einmal vordergründig, die Hintergründe
Danke für diesen Satz! Besser kann man das Wesen der Psychotherapie gar nicht ausdrücken. Die Hintergründe vordergründig zu machen, ist aber nur der erste Teil der Psychotherapie. Mit diesen neuen Vordergründen leben zu lernen, ist oft viel schwieriger und langwieriger.

audrey hat geschrieben: Irgendwie ist es leichter, sich während eines Praktikums wegen Selbstmordgedanken in die Psychiatrie zu verkriechen, anstatt sich ständig mit der eigenen Unfähigkeit herumzuschlagen.
Irgendwie ist es auch leichter sich wegen Panikattacken aus sozialen Situationen auszuklinken, als sich ständig mit anderen zu vergleichen und immer schlecht abzuschneiden.
Da ist etwas dran. Nur: Die Flucht in psychische Symptome ist jedesmal nur eine kurzfristige Lösung, die zudem immer weiter in den Kreislauf der Selbstabwertung führt. Das ist wie bei einem Alkoholiker, der sich seine Probleme kurzfristig "wegsäuft", aber nie eine echte Lösung dafür findet. Zu den ursprünglichen Problemen kommt dann noch der Selbsthass wegen der eigenen Schwäche. Wenn du eine dauerhafte, eine erwachsene Lösung suchst, wird dir nichts anderes übrig bleiben, als all das, was du in deinem Inneren entdeckt hast, bewusst anzunehmen: "Ja, so bin ich. Genau so." Das ist furchtbar schwer, weil automatisch gleich eine Wertung und Abwertung damit verbunden ist. Kein Mensch starrt gerne in die Abgründe der eigenen Unfähigkeiten. Keiner hat gerne "Schwächen" und "Defizite". Leider geht vom Augen zumachen der Abgrund nicht weg. Aber wenn du den Mut findest, immer wieder einmal hinunterzuschauen und zu sagen, ja, das bin ich, das ist weder gut noch schlecht, dann wird der Abgrund mit der Zeit vielleicht weniger tief und weniger dunkel. Vielleicht musst du erst einmal für dich die ganz klare Entscheidung treffen, ob du das überhaupt willst.

Libe Grüße und viel Kraft!

Die Gärtnerin
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.

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frosch
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weiblich/female, 36
Beiträge: 41

Beitrag Fr., 15.08.2008, 09:12

Hallo, Audrey!

zunächst einmal auch von mir einen herzlichen "glückwunsch" zu all den dingen, die du bereits erreicht hast! - auch ich zolle dem den größten respekt! das "dahinter" zum vordergründigen zu machen, wie du es so schön beschreibst, ist wahrlich nicht einfach. und der nächste schritt, den du auch schon geschafft hast, nämlich mit dem "dahinter" immerhin so umzugehen, dass auch die symptome nachlassen oder gar verschwinden, ist ein weiterer großer schritt. dazu gehört viel arbeit, viel beharrlichkeit und viel konsequenz. chapeau! Bild
insofern finde ich, dass du eigentlich schon weiter bist als du vermittelst.
wie ich das meine? - das grundsätzliche erkennen allein bringt ja noch keine veränderung. man muss diese dinge / verhaltensweisen ja immer wieder im alltag erkennen und anders als zuvor gewohnt agieren, damit die symptome aufhören. wären dir diese veränderungen noch nicht gelungen, wären die symptome ja noch nicht überflüssig und hätten sich nicht verkrümelt, um es mal so auszudrücken. Bild
insofern hast du doch schon wirklich, wirklich viel erreicht!

was nun dein angesprochenens "rest-problem" betrifft (dies meine ich nicht geringschätzig, sondern im vergleich zu dem langen weg, den du schon bestritten hast), so ging mir folgendes durch den kopf:
wenn ich dich richtig verstanden habe, resultiert dein problem mit dem selbstbewusstsein ja vor allem daraus, dass du dich mit anderen vergleichst und dabei vermeintlich schlechter abschneidest.
aber das gegenüber, das du in seinen eigenschaften so positiv beurteillst (wobei ich diese fähigkeit, menschen so positiv zu sehen - ebenso wie lametissa - einfach schon einen tollen, wunderschönen zug an DIR finde) - wird diese eigenschaften an sich selbst vielleicht gar nicht so positiv empfinden. denn es ist doch so: jede eigenschaft, jedes verhalten birgt in sich vor- und nachteile. ein ausgeprägtes temperament z. B. hilft, emotionen rauszulassen, man kann damit aber auch viel porzellan zerdeppern. umgekehrt nötigt eine ausgeprägte besonnenheit bei der umwelt oft respekt ab, führt aber beim "betroffenen" häufig dazu, dass viele gefühle ungelebt bleiben. oder der kreative chaos-mensch lebt vielleicht seiten aus, die wir uns ebenfalls wünschten, ausleben zu können. - hat aber durch seinen individualismus schwierigkeiten in beziehungen und bekommt den alltag schlecht organisiert. dem stets fröhlichen gruppenunterhalter, den wir um sein selbstbewusstsein beneiden, entgehen vielleicht viele feinheiten im leben und im zwischenmenschlichen, die ein ruhigerer, stiller mensch in sich aufnimmt.
man könnte derlei unendlich viele beispiele anführen.
also: sei auch mit dir selbst ein wenig gnädig Bild
und betrachte dich respektvoll! versuch mal, bei den eigenschaften und fähigkeiten anderer auch zu sehen, was für "nachteile" diese menschen dadurch vielleicht erleben. und umgekehrt: sieh bei dir auch die positive kehrseite der medaille.
wobei mir wichtig ist: wenn ich hier von vor- und nachteilen spreche, ist das nicht wertend, sondern mit blick auf das jeweilige subjektive empfinden gemeint. es gibt kein wirkliches "gut" oder "schlecht". alles hat zwei seiten und wichtig ist, mit sich im reinen zu sein. ich muss dabei nicht alles an mir toll finden, aber ich kann vieles toll finden und mit dem rest auch mal ein wenig liebevoll-nachsichtig umgehen.
ganz lieben gruß,
dat fröschle
p.s. und ich muss es nochmals loswerden: ich finde es so toll, was du schon geschafft hast! du bist damit schon so viel weiter als viele, viele andere hier, und da schließe ich mich mit ein! Bild
Nicht was man erlebt, sondern wie man empfindet, was man erlebt, macht das Schicksal aus. (Marie von Ebner-Eschenbach)

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Dornröschen Dorn
[nicht mehr wegzudenken]
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weiblich/female, 23
Beiträge: 2323

Beitrag Fr., 15.08.2008, 12:09

Hey Gärtnerin!

Ich fand deinen post echt hammermäßig gut beschrieben!
Sooooo aufschlussreich! Unglaublich!
Du hast mir sozusagen aus der Seele gesprochen!


@Audrey: Auch von mir alles Gute weiterhin aber echt von deiner Leistung!

Grüßle!
Erfahrungen sind die Schlüssel zu noch mehr Glück und Vollkommenheit, für alle Schlösser, die das Leben mir noch bringen wird..



Lieben Gruss und bis bald!

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today
Forums-Insider
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weiblich/female, 18
Beiträge: 428

Beitrag Mi., 20.08.2008, 16:03

Keiner hat gerne "Schwächen" und "Defizite".
Doch doch, ich mag gern Schwächen und Defizite haben.
Mit Mr. oder Mrs. Perfect unterhält sich keiner wirklich gern, der würde einem nämlich IMMER nur seine Schwächen aufzeigen, so perfekt, wie der in allen Lebenslagen ist.
Ist doch gut für das Selbstwertgefühl, wenn jeder mal seine Stärken zeigen kann, wo der andere schwächelt und umgedreht.
und tschüss, das ist mir zu viel wortzensur hier

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