Ewige Trauer

Hier können Sie sich über Belastungen durch eigene oder fremde schwere Erkrankungen, aber auch den Umgang mit Tod und Trauer austauschen.
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Nachdenklicher1989
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Ewige Trauer

Beitrag Fr., 10.10.2008, 14:53

Hallo zusammen,

ich muss euch schreiben, weil ich nicht mehr so recht weiter weiß.

Es mag sehr merkwürdig für euch klingen, aber mein Großvater ist vor über 2 jahren verstorben....aber das Gefühl des Vermissens ist noch genauso stark wie damals.
Viele von euch werden jetzt denken, es war nur der Großvater, aber das war eigentlich nur biologisch gesehen....
Für mich war er sogar mehr als ein vater....er war mein mentor.
Er war der einzige dem ich blind vertraut habe....
Doch jetzt bin ich allein. Ich habe zwar eine Familie, aber wirklich geborgen hab ich mich nie gefühlt. Leider sind wir die typische Arbeiter-Proletarier-Familie.....ich sags nicht gern, aber sie sind alle so stumpfsinnig....von ihnen hat mich noch nie jemand verstanden. Seit dem Kindesalter bekam ich indirekt gesagt "Du bist nicht normal"...Nur weil ich mich früh für alles mögliche interessiert habe, Politik, Sport, Weltgeschehen....bin ein wissbegieriger Mensch. Und mein Großvater war genauso. Wie oft haben wir stundenlang zusammen gesessen und er hat mir die Welt erklärt....das es Dinge gibt, von denen stumpfsinnige Proletarier nichts verstehen....Er hat sich für alles interessieren, seine unendliche Weisheit hat mich von kindesbeinen an fasziniert.

Es würde sehr sehr lange dauern, von den glücklichsten Ereignissen meines Lebens zu berichten, die er mir beschert hat.
Er gab mir immer das Gefühl, dass ich liebenswürdig bin, das ich stärken habe, das man sich freuen kann mich zu sehen....
Meine Oma war relativ viel in Kur etc. und wenn er dann alleine war, rief er mich an, ob ich nicht lust hätte zu ihm zu kommen. Ich mein, er hat 2 Kinder und 5 Enkelkinder. Er hätte auch meinen Bruder, meine Mutter, oder meinen Onkel anrufen können....aber er rief mich an.

Er war immer so stolz, weil ich schon als Kind sagte, das ich irgendwann mal Studieren möchte....ich war der erste in der Familie der das überhaupt wollte und er war immer sehr sehr stolz darauf, den anderen aus meiner Familie ist es auch heute noch weitestgehend egal....

Ich hab mir immer vorgestellt wie wir dann zusammen sitzen, und ich ihm vom Studium erzähle, und er sich dann freut und wir interessiert drüber diskutieren. Und nun? ich studiere seit 2 Wochen und wo ist er?

Ich hab das doch alles ihm zu verdanken, er hat mir jahrelang erklärt das die Welt viel mehr bietet als es sich viele vorstellen können....

Ich weiß, ihr werdet mich jetzt für verrückt halten, aber es gibt sowas: Ein kleiner Junge liebt seinen Großvater mehr als alles andere....durch ihn weß ich erst, was es überhaupt heißt zu lieben, selbstlos zu lieben, nur um dem anderen eine Freude zu machen...

Ich bin so allein, es ist grausam. Eine zeitlang dachte ich das ich die Trauer überwunden habe, aber gestern kam der große Knall, ich habe den ganzen tag geheult, und heute gehts mir auch nicht viel besser....
Alle sagen immer "Er ist tot, akzeptier das endlich"....je öfter sie das sagen, desto schlimmer fühle ich mich...

Vielleicht würde er ja noch leben, wenn ich ihm nur ein einziges Mal gesagt hätte was er mir alles bedeutet, das er meine familie ist.....er starb sehr überraschend, so dass ich nie daran dachte ihm das mal alles zu sagen....Wenn ich zu ihm kam, habe ich ihm immer auf die Schulter geklopft und ich hab ihn auch oft gedrückt und so....aber wirklich gesagt hab ich's ihm nie...

Und jetzt ist er tot und er hat nichts mehr davon, das ich ihn so sehr vermisse...


So, ich könnte noch viel viel mehr erzählen über unser tolles Verhältnis, über einen großen Mann....aber ich will euch nicht mit Infos erschlagen


Es würde mich interessieren ob ihr eventuell ähnliche Erfahrungen gemacht habt? Ich hab angst davor das es mir immer wieder ne zeitlang gut geht und dann wieder wie gestern der totale emotionale zusammenbruch kommt....kann mir jemand eigene Erlebnisse schildern?


Würde mich sehr darüber freuen
LG Einsamer Krieger

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Nachdenklicher1989
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Beitrag Fr., 10.10.2008, 14:57

Kleiner Nachtrag noch:

Ich frage euch, wie oft gibt es sowas im Leben? Ich sehe es ja an meinem Bekanntenkreis...wie oft im Leben gibt es solche Väter/Großväter die so selbstlos sind? Immer für einen da sind? Wenn ich mich mit anderen vergleiche, dann war er wirklich wie ein Sechser im Lotto, wie jemand aus dem Bilderbuch....sowas gibts nicht oft auf dieser Welt, und ich bin sooooo dankbar dafür, das mir so jemand zur Seite gestellt wurde.....

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Meereszauber
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Beitrag Fr., 10.10.2008, 15:29

Hallo Nachdenklicher,

ich kann das, was Du beschreibst, gut nachfühlen und beziehe mich mal auf diesen Satz:
Viele von euch werden jetzt denken, es war nur der Großvater, aber das war eigentlich nur biologisch gesehen....
Für mich war er sogar mehr als ein vater....er war mein mentor.
Er war der einzige dem ich blind vertraut habe....
Ich hatte auch eine ähnliche Beziehung und das nicht mal mit einem "Großvater aus der Familie", sondern zu einem Mann, der vom Alter her mein Großvater hätte sein können und mir wie ein Vater war .

Wenn ich Dir schreibe, wie wir uns kennenglernt haben, wirst Du es vielleicht nicht glauben können- das Ganze ist fast romanreif und führt in die Reihen der us-amerikanischen Politik. Von daher will ich es gar nicht vertiefen.

Ich sage mal soviel:
er war "bekannt" und er schrieb u.a ein Buch über ein Themengebiet, das mich schon immer fasziniert hat und nach dem ich einen grossen Teil meines Lebens ausgerichtet hatte und habe.

Ich wollte diesen Mann unbedingt kennenlernen - und es "es passierte".
Den Weg lassen wir mal besser aussen vor .

Das ganze war Sympathie auf den ersten Blick. Ich kürze ab:
mein Mann und ich waren als wir noch keine Kinder hatten, sehr oft in den USA und jede Gelegenheit wahrgenommen, uns mit "Mr. A." zu treffen.

"Mr. A" ermutigte uns zu adoptieren, "Mr. A" gab mir in den Jahren, in denen wir uns kannten soviel "mit für's Leben", dass ich noch heute davon profitiere.
Sei es im Umgang mit anderen Menschen, im Umgang mit den Medien, ja auch schon mal im Umgang mit der Presse.
Der Mann hatte Lebenserfahrung die buchfüllend war (eines davon hatte ich ja gelesen ).

Ich habe noch heute einen dicken Ordner über meinem Schreibtisch mit der ganzen Korrespondenz stehen, die wir geführt haben.
Ich glaube, ich könnte satt Geld damit verdienen - aber das ist nicht meine Intention.

Für mich war er "die Vaterfigur", die ich mir geholt hatte.
Es war ein sagenhaftes Wechselspiel zwischen uns.
Am 11. September 2001 fand eines unserer letzten Telefonate mit "politischem Inhalt" statt - wenige Zeit später sahen wir uns zum letzten Mal als ich mit meinem Kind in die USA geflogen bin, um mit eigenen Augen das Unbegreifliche und Unbeschreibliche zu sehen....
Das letzte, das er zu mir lebend sagte war ein kritischer Satz über den amtierenden Präsidenten.


Einer der schönsten gemeinsamen Momente war, als wir im Jahr 2000 mit unserem damals frisch adoptiertem Kind in die USA geflogen sind und wir es ihm in die Arme gedrückt haben.
Es schlief in seinen Armen ein und er trug es durch die Strassen von Washington DC mit einer Zärtlichkeit, wie man sie von Opa's eben kennt .

Er starb vor einigen Jahren. Für mich brach eine Welt zusammen.
Ein Jahr später besuchte ich sein Grab - ich hatte Angst vor dem Moment, an dem ich am Grabstein stehe.

Ich konnte zwei Jahre nichts mehr von ihm anfassen ohne in Tränen auszubrechen.
Erst nach 3 Jahren habe ich es geschafft, eine Doku anzusehen, in der er ein maßgebliches Interview gab.

Einerseits tat es mir gut, seine vertraute Stimme zu hören - auf der anderen Seite wollte ich gleich wieder heulen.


Es gibt noch heute - Jahre später- Momente, von denen ich ihm so gerne erzählen würde und es schon piekst, weil ich ihn vermisse.

Meine Adoptivtochter kann sich kaum an ihn erinnern, meine Pflegetochter hat er persönlich nicht mehr kennenlernen können.
Ich hebe jeden Schnipsel über ihn auf, den ich habe, um das alles mal meiner Adoptivtochter zu geben.

Doch ... ich kann Deine Gefühle wirklich gut verstehen.
Ich lebe mit dem Vermissen, dafür unternehme ich immer wieder mal Gedankenspaziergänge, wenn ich ihm in Gedanken einfach mal das eine oder andere erzählen möchte.
Herzliche Grüße
Meereszauber





Vergangenheit ist gegenwärtige Erinnerung.
Zukunft ist gegenwärtige Erwartung.
Gegenwart ist der Moment in dem die Vergangenheit in die Zukunft fließt.


Augustinus

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