Soll man sich vor Therapie erst stabilisieren?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
Antworten
Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
seestern1968
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 44
Beiträge: 28

Soll man sich vor Therapie erst stabilisieren?

Beitrag Mo., 18.05.2015, 12:06

Hallo Ihr,

es geht mir zur Zeit sehr schlecht, da in den letzten Monaten zwei sehr wichtige Menschen gestorben sind, die ich sehr geliebt habe. Ich bin schon mehrere Wochen krankgeschrieben, komme aber vor lauter Trauer nicht wieder richtig auf die Beine, zumal ich bereits vor den beiden Todesfällen ein paar andere Probleme mit mir herumgetragen habe.

Mir ist klar, dass ich professionelle Hilfe brauche, und habe nun nach langem Herumtelefonieren und Warteplatzlisten heute eine erste probatorische Sitzung bei einer Therapeutin gehabt. Die verlief für mich aber ziemlich enttäuschend, da sie meinte, ich müsse mich erst mal stabilisieren, da sie der Meinung sei, für eine Therapie brauche man eine gewisse Stärke, um sich mit seinen Problemen auseinandersetzen zu können. In ihren Augen sei ich zur Zeit nicht belastbar genug.

Irgendwie verstehe ich nun die Welt nicht mehr. Ich dachte immer, gerade in akuten Krisen, die man nicht allein bewältigen kann, wäre es sinnvoll, sich psychologische Unterstützung zu suchen. Liegt es daran, dass die Therapeutin tiefenpsychologisch arbeitet? Vor ein paar Jahren habe ich mal wegen anderer Probleme einen Anlauf mit Verhaltenstherapie gemacht, aber das lief nicht besonders gut. Deshalb dachte ich, ich versuche jetzt mal Tiefenpsychologie. War das falsch? Was kann ich jetzt machen? Ich schaffe das alles allein nicht mehr.

Werbung

Benutzeravatar

Bergkristall
Forums-Insider
Forums-Insider
weiblich/female, 53
Beiträge: 185

Beitrag Mo., 18.05.2015, 12:24

Hallo Seestern,

meinte die Therapeutin, dass Du Dich -mit ihrer Hilfe- erst einmal stabilisieren sollst, oder meinte sie, Du sollst erst wieder zu ihr kommen, wenn Du Dich stabilisiert hast?

Grüße
Bergkristall

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
seestern1968
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 44
Beiträge: 28

Beitrag Mo., 18.05.2015, 12:43

Hallo Bergkristall,

das hat sie nicht so deutlich gesagt, aber ich habe ihre Worte und ihr Verhalten so interpretiert, dass ich erst mal allein stabiler werden soll. Sie meinte, wenn ich möchte, kann ich Ende nächster Woche einen zweiten probatorischen Termin bekommen, den sie mir heute aber noch nicht geben wollte. Ich soll nächste Woche Dienstag morgens bei ihr anrufen, um ihr zu sagen, ob ich mir eine Therapie derzeit trotz meiner belasteten Situation zutraue. Dann könnten wir einen neuen Probetermin festlegen.

Benutzeravatar

Bergkristall
Forums-Insider
Forums-Insider
weiblich/female, 53
Beiträge: 185

Beitrag Mo., 18.05.2015, 12:57

Hallo Seestern,

wenn es Dir sehr schlecht geht, kanns leicht passieren, dass Du das Schlimmste interpretierst. Wenn Du nächste Woche Dienstag bei ihr anrufst, kannst Du sie ja noch mal ganz genau fragen, wie sie das gemeint hat.

Also z. B. "Ich habe das so verstanden, dass ich mich selbst erst einmal stabilisieren soll, bevor Sie mit mir eine Therapie machen. Habe ich das richtig verstanden?"

Ich habe es in der Therapie so erlebt, dass mir meine Therapeutin dabei half, stabil zu werden, bevor wir die bedrückenden Themen angingen.

Liebe Grüße
Bergkristall

Werbung

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
seestern1968
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 44
Beiträge: 28

Beitrag Mo., 18.05.2015, 13:00

Hallo Bergkristall,

vielen Dank - Du hast mir mit Deiner Einschätzung sehr geholfen.

Liebe Grüße
Seestern


leberblümchen
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 6034

Beitrag Mo., 18.05.2015, 14:54

seestern, es kommt auf die Therapieform an oder darauf, wie der Therapeut arbeitet. Es kann sein, dass du mit einem Tiefenpsychologen überfordert bist (oder er mit dir...), wenn er 'aufdeckend' arbeiten will. Manchmal sind Therapeuten nicht flexibel genug, um sich voll auf den Patienten und dessen Bedürfnisse einzustellen. Wenn sie sagt, man braucht eine gewisse Stärke, denkt sie dabei vermutlich an den konfrontativen Teil, der eine Therapie auch ausmacht. Allerdings ist es genauso gut möglich, sehr lange stützend zu arbeiten. Nur nützt das nichts, wenn der Therapeut eine andere Gangart gewohnt ist und dir das auch so sagt.

"Alleine stabilisieren" - hat sie wirklich 'alleine' gesagt? Es kann sein, dass sie meint, dass die akute Trauer erst mal 'gelebt' werden sollte, weil ihr ja sonst kaum über andere Dinge sprechen könnt. Ein Therapeut ist - klingt jetzt hart in deiner Situation, ist aber schon so - erst mal nicht dafür da, eine Trauerbegleitung zu machen, denn Trauer wird zunächst mal nicht als psychische Krankheit gesehen. Ein Therapeut behandelt aber psychische Krankheiten. Eventuell wäre eine Seelsorge (z.B. über die Kirche) das passendere Angebot?

In einer Therapie werden ja oft lebensgeschichtliche Dinge durchgearbeitet. Wenn du da mit den Gedanken bei den lieben verstorbenen Menschen bist, FEHLT dir vermutlich wirklich die Kraft dafür, an dir selbst zu ARBEITEN. Vielleicht brauchst du zunächst mal TROST. Und wie gesagt: Es klingt nicht schön, aber dafür gibt es vielleicht woanders passendere Angebote?

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
seestern1968
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 44
Beiträge: 28

Beitrag Di., 26.05.2015, 11:03

Erst mal hallo Leberblümchen, auch Dir ganz herzlichen Dank für Deine Antwort.

Ich habe vorhin bei der Therapeutin angerufen, wie wir es ausgemacht hatten, und noch mal genauer nachgefragt. Also, es ist leider schon so, dass sie meint, ich müsse zunächst allein stabiler werden. Stützend könne sie mir nicht helfen. Erst, wenn ich innerlich gestärkt sei, könne sie mit mir durcharbeiten, warum ich so heftig auf die Todesfälle reagiere. Sie vermutet da Kindheitserlebnisse, die mir den Umgang mit der Trauer erschweren, die sie gemeinsam mit mir aufdecken will. Ihre Gangart sei tatsächlich etwas härter und konfrontativer als bei einigen anderen Therapeuten.

Ich habe daraufhin auf einen weiteren Probetermin verzichtet, denn das klingt absolut nicht nach dem, was meine Psychiaterin (der ich mittlerweile ebenfalls von meinem Erstgespräch erzählt habe) und ich selber momentan für dringend nötig halten. Am besten suche ich weiter. Deinen Tipp mit der Kirche finde ich super, Leberblümchen, und sei es erst mal als "erste Hilfe" zur Überbrückung, bis ich eine andere Therapeutin oder einen anderen Therapeuten gefunden habe. Meine Psychiaterin hat sonst alternativ noch einen Klinikaufenthalt vorgeschlagen, aber das möchte ich eher ungern. Ich habe das Gefühl, jetzt in meiner vertrauten Umgebung besser aufgehoben zu sein, irgendwie geschützter.

Liebe Grüße
Seestern


leberblümchen
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 6034

Beitrag Di., 26.05.2015, 11:47

Auf jeden Fall wünsche ich dir alles Gute bei der Suche, und auch wenn es hart klingt: Ich glaube, so ganz unrecht hat die Therapeutin nicht. Und gut, dass sie es dir vorher gesagt hat. Es gibt auch kuscheligere Therapeuten. Aber es könnte sein, dass die dir nicht mal unbedingt besser helfen, weil es irgendwann schon auf ein Aufdecken hinauslaufen würde.


montagne
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 99
Beiträge: 4597

Beitrag Di., 26.05.2015, 19:38

Hi seestern,
ich möchte gerne nochmal was dazu sagen:
Gib nicht auf. Es mag diese Therapeutin sein, die so areitet und es ist fair dir dies zu sagen.
Es gibt aber genug Therapeuten, die beides machen, Stabilisierung und Bearbeitung von was auch immer. Manch einer mag es nacheinander machen. Ich denke aber, so erlebe ich es einfach, dass ja beides eh hand in hand geht. Anfangs klar, wenn es einem sehr mies geht, steht Stabilisierung im Fordergrund und da wird dann explizit dran gearbeitet. Aber auch das schon geht, so meine Erfahrung oft nicht ohne Konfrontation.
Bsp. Konfrontation (fände ich jetzt easy, aber als ich mit der Therapie begann und es mir sehr schlecht ging, fand ich es schon auch sehr, sehr hart), wie angemessen sind bestimmte Gedankengänge (die dann bestimmte Gefühle/Zustände auslösen, die mich destabilisierten). Wie sinnvoll ist es, die Seminare an der Uni zu meiden?
ICH fand das damals hammer hart. Ich litt doch sehr unter meinen Ängsten und der Depression und da war dann jemand, der mir unverblümt sagte: Gehen sie wieder zur Uni, dann leiden sie weniger, dann werden sie sehen, dass die Ängste sich abbauen, dann wird es ihnen etwas besser gehen. Ich dachte: "Hä? Spinnt die? Mir gehts voll mies und die verlangt sowas..."
Das war Konfrontation und Stabilisierung gleichzeitig. Mir gings dann tatsächlich schnell wieder besser und ich konnte all die offenen Dinge an der Uni klären und den Abschluss machen.

Und auch später empfand ich ein Bearbeiten und Aufdecken sowohl als konfrontierend, als auch stabilisierend. Denn wenn ich ein kleines Stück mehr verstand, habe ich gleich gespürt und spüre es immer noch, dass ein kleines Stück mehr Ruhe einkehrt.

Insofern seestern, möchte ich sagen, gib nicht auf. Es gibt schon Mittel, gerade Menschen in deiner Situation effektiv zu helfen, das ist auch schon viel. Und dann oder parallel kann natürlich imemr noch eine Ursachenbearbeitung stattfinden.
amor fati

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
seestern1968
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 44
Beiträge: 28

Beitrag Mi., 03.06.2015, 18:28

Hallo montagne, zuerst mal vielen Dank für Deine Ermutigung und Deine Erfahrungen.

An alle: Ich war inzwischen bei einer sehr netten Pastorin, mit der ich ein langes seelsorgerisches Gespräch hatte. Das hat mir sehr gut getan und ich suche nun weiter nach einem geeigneten Therapeuten.

Vielleicht sollte ich noch sagen, dass der zweite Todesfall, den ich verkraften musste, der Suizid meines Lebensgefährten war. Er hatte sich kurz zuvor von mir getrennt, aber ich habe ihn immer noch sehr geliebt und die ganzen Umstände rund um seine Tat belasten mich - neben der Trauer an sich - zutiefst. Ich brauche dringend Hilfe, denn allein schaffe ich das alles nicht mehr. Ich hoffe, bald einen verständnisvollen Therapeuen zu finden und bleibe am Ball.

Benutzeravatar

Dengue
Helferlein
Helferlein
weiblich/female, 24
Beiträge: 64

Beitrag Mi., 03.06.2015, 21:22

Liebe Seestern,

ich wollte dir noch schreiben, dass diese Therapeutin in deinem SInn gehandelt hat. Du steckst gerade in einer akuten Lebenskrise. Du bist psychisch labil und kannst mglw. nicht die Kraft aufbringen, um eine Therapie (die aufreibend und anstrengend ist) "ertragen" zu können.
Mir ist es ähnlich ergangen. Ein Ereignis, dass mich völlig aus der Bahn geworfen hat; mit al meinen Gefühlen bin ich in eine Therapie gegangen, die alles weiter aufgewühlt hat, sodass es mir hinterher schlechter ging und ich sogar zurückgeworfen wurde. Dann bin ich stabilisiert worden und konnte auch mit meiner ambulanten Therapie besser umgehen und auch (und das ist sehr wichtig!) richtig mitarbeiten.
Sie möchte dich vor einer weiteren Verschlechterung deines momentanen Zustandes schützen.

Ich wünsche dir viel Glück bei deiner Suche nach einem Therapeuten oder auch seelsorgerisch tätigen Menschen, der dich bei deinem Trauerprozess begleitet und dich unterstützt.

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag