Gangstörung als Dissoziation?

Fragen und Erfahrungsaustausch zu Persönlichkeitsstörungen und Schizophrenie, Bipolaren Störungen ('Manisch-Depressives Krankheitsbild'), Wahrnehmungsstörungen wie zB. Dissoziationen, MPS, Grenzbereichen wie Borderline, etc.
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Fundevogel
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Beitrag Di., 22.02.2022, 17:06

Probleme mit Gehen und Stehen kenne ich auch, Supergau: Tablett im Restaurant. Problem war auch Tremor, vor allem in sozialen Situationen, also gemeinsames Essen etc. Glas heben, Besteck halten.

Interessanterweise habe ich in der Therapie nur einmal stark gezittert nach einer Panikattacke unmittelbar davor, sonst gar nicht. Ich kann mir das nur so erklären, dass ich mich dort wohl doch relativ sicher gefühlt habe. Bin zwar oft mit Übelkeit hin, aber die Treppen waren kein Problem und gezittert habe ich dort auch kaum.

In anderen Situationen hatte ich sehr wohl Probleme und das war sehr oft sehr peinlich, weil anwesende Personen geglaubt haben, dass jetzt sonstwas los ist, dabei konnte ich doch einfach nur die Treppe nicht raufgehen. Verletzt habe ich mich dabei aber nie.

Was geholfen hat, war nach Möglichkeit Ruhe reinzubringen. Mir die Situationen vorher überlegen, die mich erwarten und mir Fluchtmöglichkeiten überlegen und die Stressfaktoren reduzieren. Wo kann ich auf dem Weg eine Pause einlegen, kann ich mir mehr Zeit nehmen, damit ich davor oder auf dem Weg oder danach eine Pause machen kann. Was tue ich, wenn A, B oder C passiert. Dinge mitnehmen, die helfen (Essen, Trinken). Und leider gelten immer wieder die Basics: ausreichend schlafen, essen, trinken, Bewegung.

"Leider" weil ich es manchmal immer noch schwierig finde, die Prioritäten entsprechend zu setzen. Jetzt ist zwar nicht mehr so viel Chaos wie früher, aber immer noch ist immer irgendetwas anderes wichtiger, interessanter, dringender, will ich mich nicht so anstellen, nicht dafür einstehen. Ich bin aber sehr sicher, dass das auch dazu gehört, zu lernen wie man diese Belastungen einer Therapie tragen kann.

Wenn jemand körperlich schwer verletzt ist, sieht jeder gleich, wie mühsam das ist, eine Treppe zu bewältigen oder sich stressigen Situationen - welcher Art auch immer - auszusetzen. Ich stelle mir vor, dass das mit der Psyche genauso ist, nur, dass es niemand sieht und im Fall einer Dissoziation sieht man es noch nichtmal selbst.

Es ist auch ein mühsamer und oft schmerzhafter Prozess, dieses Bewußtwerden von Dingen, von deren Existenz man nichts geahnt hat und dieses ständige Verlieren des vermeintlichen inneren Halts und sich neu orientieren müssen. Kein Wunder, dass man da ständig hinfällt und diese Haltlosigkeit sich irgendwie ausdrücken muss.

Bei mir war es mit dem Tremor auch eine tiefe Angst vor Menschen und vermeintlich normalen sozialen Situationen, die für mich aber eben ganz und gar nicht normal waren aufgrund bestimmter Erfahrungen. Geholfen hat da lange auch schlicht und einfach Vermeidung. Jetzt mit Corona bekommt das Ganze nochmal eine andere Dimension, hat zu einem gewissen Grad auch Gutes.

Die Balance zwischen automatischer Vermeidung des Schlimmen (in der Therapie und in Alltagssituationen) und dem Wunsch das Schlimme zu sehen und zu fühlen und auszuhalten (wieder das Wort Halt ...), weil es ja doch auch zu mir gehört und zu meiner Identität, das ist ein ständiges Hin und Her, immer noch.

Aber dieses unvergleichliche Gefühl, auf einmal etwas wieder zu bewältigen, was lange nicht mehr ging (und sich dabei sicher und gut zu fühlen), das fühlt sich so viel besser und reifer und sicherer an als alles selbstverständliche Treppen Steigen in all den Jahren davor.

Und dieses unvergleichliche Gefühl, dass auf einmal eine Angst verschwunden ist, von der man gar nicht wahrgenommen hat, dass sie überhaupt noch da ist - das wiegt Jahre dieses Ringens auf.

Und dieses unvergleichliche Gefühl, einen Teil von sich selbst wiedergefunden zu haben, von dem man gar nicht gewußt hat, dass man ihn verloren hatte, das ist ein Glücksgefühl, das ich mit Worten kaum beschreiben kann.

Sorry für diese lange Wortmeldung hier - ich wollte nur ein bisschen auch meine Erfahrungen teilen und Mut machen. Dran bleiben, ausprobieren, es wird vielleicht nie wieder so wie früher in so einer schmerzhaften Therapie mit so sichtbaren Begleiterscheinungen, dafür aber kann es besser werden als früher.
Fundevogel

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Candykills
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Beitrag Di., 22.02.2022, 18:27

Ich kenne das weniger in Form von Fallen, sondern dass ich mich schlichtweg nicht mehr bewegen kann. Es kann schon sein, dass es da auch schon zu "Niedersacken" kam, aber nie so, dass ich mich verletzt hätte.
Das Problem hat sich aber durch die letzte, lange Therapie deutlich verbessert und ich habe das nur noch selten. Mein Gefühl war aber auch immer, dass es unmittelbar mit der DIS zu tun hat, nämlich, dass Anteile blockieren. Und nicht, dass das eine eigenständige dissoziative Störung nochmal ist.

Heute träume ich eigentlich nur noch davon mich nicht mehr bewegen zu können und ich habe mich schon ein paar Mal gefragt, ob das mit dem Bewegungsproblem früher zu tun hat oder mit dem Missbrauch. Letztendlich fühlt man sich immer ausgeliefert. Vielleicht war aber auch das frühere Nichtbewegenkönnen ein Ausdruck des Missbrauchs.

Keine Ahnung, am besten nicht zerdenken.
Ich wollte dir eigentlich nur sagen: Therapie kann es auf die Dauer deutlich verbessern.
Und vor allem, wenn halt zusätzlich eine DIS vorliegt, kann es auch sein, dass es eine direkte Blockade eines Anteils ist.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

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Gespensterkind
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Beitrag Mi., 23.02.2022, 15:15

Ich wollte jetzt mal "rückmelden": ja, ich hab mich mit Düften beschäftigt. Und habe für mich auch was zitroniges gefunden, was geht. Es hilft jetzt zwar nicht gerade bei Gangstörungen oder anderen Dissos, aber es ist ein für mich angenehmer Duft, den ich gern dabei habe und bei "unangenehmen Einflüssen" auch einfach gern daran rieche. Das war eine gute Idee! :lol:
Fundevogel hat geschrieben: Di., 22.02.2022, 17:06 Leider" weil ich es manchmal immer noch schwierig finde, die Prioritäten entsprechend zu setzen. Jetzt ist zwar nicht mehr so viel Chaos wie früher, aber immer noch ist immer irgendetwas anderes wichtiger, interessanter, dringender, will ich mich nicht so anstellen, nicht dafür einstehen. Ich bin aber sehr sicher, dass das auch dazu gehört, zu lernen wie man diese Belastungen einer Therapie tragen kann.
Da ist was sehr Wahres dran. Ich denke mir auch so oft, dass es einfach nur peinlich, dämlich, was auch immer ist. Andere Menschen, die sehen, dass ich laufe wie eine Betrunkene oder was auch immer. Anstatt, dass ich mir einfach selbst Zeit und Ruhe gebe. Genug Zeit einplane, um Wege langsamer gehen zu können. Ich will mich oft "einfach nur zusammen reißen", aber so klappt es nicht. Für mich einstehen - das ist etwas, was wirklich wichtig ist, glaube ich.
Fundevogel hat geschrieben: Di., 22.02.2022, 17:06 Es ist auch ein mühsamer und oft schmerzhafter Prozess, dieses Bewußtwerden von Dingen, von deren Existenz man nichts geahnt hat und dieses ständige Verlieren des vermeintlichen inneren Halts und sich neu orientieren müssen. Kein Wunder, dass man da ständig hinfällt und diese Haltlosigkeit sich irgendwie ausdrücken muss.
Das ist total schön so gesagt. Und trifft es in so vielen Situationen auf den Punkt!
Fundevogel hat geschrieben: Di., 22.02.2022, 17:06 Aber dieses unvergleichliche Gefühl, auf einmal etwas wieder zu bewältigen, was lange nicht mehr ging (und sich dabei sicher und gut zu fühlen), das fühlt sich so viel besser und reifer und sicherer an als alles selbstverständliche Treppen Steigen in all den Jahren davor.

Und dieses unvergleichliche Gefühl, dass auf einmal eine Angst verschwunden ist, von der man gar nicht wahrgenommen hat, dass sie überhaupt noch da ist - das wiegt Jahre dieses Ringens auf.

Und dieses unvergleichliche Gefühl, einen Teil von sich selbst wiedergefunden zu haben, von dem man gar nicht gewußt hat, dass man ihn verloren hatte, das ist ein Glücksgefühl, das ich mit Worten kaum beschreiben kann.

Sorry für diese lange Wortmeldung hier - ich wollte nur ein bisschen auch meine Erfahrungen teilen und Mut machen. Dran bleiben, ausprobieren, es wird vielleicht nie wieder so wie früher in so einer schmerzhaften Therapie mit so sichtbaren Begleiterscheinungen, dafür aber kann es besser werden als früher.
Was soll ich sagen?! Ich bin Dir dankbar für Deine Wortmeldung. Es sind so gute und wichtige Worte. Worte, die Mut machen, an sich schon Halt geben. Ich fühle mich verstanden. Und es macht mir soooo viel Mut, Dich zu lesen und mir dabei zu denken, wie Recht Du hast und dass es sich dafür lohnt, diese schwierigen Schritte in der Therapie zu machen!!
Candykills hat geschrieben: Di., 22.02.2022, 18:27 Das Problem hat sich aber durch die letzte, lange Therapie deutlich verbessert und ich habe das nur noch selten. Mein Gefühl war aber auch immer, dass es unmittelbar mit der DIS zu tun hat, nämlich, dass Anteile blockieren. Und nicht, dass das eine eigenständige dissoziative Störung nochmal ist.
Ja, das glaube ich auch. Aber es ist bei DIS (zumindest bei mir) sowieso immer alles so durcheinander-vermischt mit verschiedenen Anteilen und unterschiedlichen Dissoziationen. Und ich merke, dass die Gangstörungen besonders schlimm sind, wenn gerade besonders viel Chaos unter den DIS-Anteilen herrscht und irgendetwas Unruhe gebracht hat.

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Pinguin Pit
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Beitrag Mi., 23.02.2022, 15:30

Tröte, darf ich Dich fragen, wie lange die Gangstörung bei Dir bestanden hat?
Ich habe zwar immer noch die Hoffnung, dass es bei mir noch mal besser wird, aber sie besteht halt schon seit meinem 27. Lebensjahr, also jetzt 33 Jahre und ich frage mich, ob das überhaupt noch möglich ist.

Danke, Pingu
Die Vergangenheit ist nicht tot - sie ist nicht einmal vorbei. (William Faulkner)

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