Stecken bleiben in der Trauer

Hier können Sie sich über Belastungen durch eigene oder fremde schwere Erkrankungen, aber auch den Umgang mit Tod und Trauer austauschen.
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viciente
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Beitrag So., 16.11.2014, 22:29

LynnCard hat geschrieben:....... möchte Dir nur sagen, dass ich mir ungefähr vorstellen kann, wie es Dir gehen könnte.
.. siehst du, und genau das glaube ich eher nicht so ganz; du kannst dir sicher vorstellen, wie es DIR in der situation ginge, aber die überlegung wie es mir gehen könnte projiziert dieses, deines auf mich und ist weniger geeignet dir vorzustellen, wi es MIR damit geht. du fühlst mit, ja - und das ist schön - vielen dank auch dafür.
LynnCard hat geschrieben:Deshalb hab ich etwas Angst vor der Zukunft und wegen meiner auch schon älteren Mutter, weil es mich damals doch sehr umgeworfen hatte. Ich wüsste im Moment nicht, wie ich das verkraften könnte. Und nun ist genau das bei Dir geschehen ...
.. und genau deshalb denk ich, du solltest dich mit meinem da jetzt gar nicht belasten und dir das für dich vorstellen; es reicht völlig aus dich damit auseinanderzusetzen, wenn es denn so weit sein sollte. solltest du dann unterstützung brauchen, kannst du sie dir dann immer noch holen. angst vor der zukunft blockiert doch eher das jetzt, in dem du die noch vorhandene gemeinsame zeit besser nutzen kannst, als dich vor einem "ende" zu fürchten?
Tränen-reich hat geschrieben:dann denke ich immer entsetzt, dass ich die letzte Überlebende bin in dieser Familie.
.. einziger haken dabei: es stimmt so nicht!

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Tränen-reich
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Beitrag So., 16.11.2014, 22:38

Ja, das stimmt wohl insofern, dass man mitfühlt...finde ich passender bezeichnet. Niemand kann sich in die Trauer des anderen "gleich auf gleich" hineinversetzen, jedoch aber immerhin vorstellen, denn jeder Mensch erlebt ja Trauer und hinter Trauer steckt ja grob Schmerz.

Meine Mutter, die vor dem Tod meines Bruders von dem Verlust anderer Mütter hörte, sagte mal, dass sie sich darin nie hineinversetzen könnte, sie sich das aber vorstellen kann, wie schrecklich das sein muss...und das Vorstellen geht mit Mitgefühl einher. So denke ich das.


Tränen-reich
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Beitrag So., 16.11.2014, 22:42

viciente hat geschrieben:einziger haken dabei: es stimmt so nicht!
Ja, mag sein. Ich meinte das aber in Beziehung zu mir und zu meinen Eltern. Da ist nix familiäres mehr, dass mir mal beisteht, beistehen kann. Weißte, wie ich meine? Dass letztlich mein Sohn nicht für meine Befindlichkeiten zu stehen hat, im Gegenteil: ich eher für ihn. Ich werde einen Teufel tun, meinen Sohn dafür anzuhalten, meine Bedürfnisse mitzutragen, um mich zu halten. Ich stehe für ihn als Vorbildfunktion.


Widow
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Beitrag So., 16.11.2014, 22:50

Ein Aspekt von Trauer über einen Tod, ein Aspekt, der vielleicht etwas speziell sein mag, den es aber gibt (wenn auch sicher nur selten):

Wer so stirbt, wie der Liebste gestorben ist, der fällt aus der Welt:
Der fällt aus jeglicher Form von Verlässlichkeit: Auf den eigenen Körper ist kein Verlass mehr, auf ärztliches Können ist kein Verlass mehr (weil die sich ständig irren; weil die ständig etwas anderes sagen als der Kollege; weil die ständig etwas sagen, was nicht eintritt, und das, was eintritt, nicht sagen), auf Freunde ist kein Verlass mehr (weil man selbst für die unverlässlich geworden ist).

Ich bin mit ihm aus der Welt gefallen (die zuvor auch unsere Welt war, so wie sie das für viele hier vermutlich ist).

Meine eigene Welt starb mit unserer: Nicht nur der Liebste starb, sondern zeitgleich auch das Uni-Institut, an dem ich viele Jahre lang gearbeitet hatte.
Auch da halfen meine Bemühungen nichts.
Das ist sicherlich eine herbe Doppelung von Todesfällen.

Doch auch unabhängig von ihr:
Das Aus-der-Welt-Fallen, was manche Sterbende und die sie Liebenden erleben, das vergisst der Über-Lebende nicht mehr:
Er ist da: DRAUßEN, außerhalb der Welt.
Und der einzige, mit dem er das teilte, diese vollkommen irrsinnige Erfahrung - der ist tot.

Das vertieft vielleicht manche Trauer.
w
Edit: Immer noch kann ich nicht arzt schreiben ...
Noch ein Edit: Das muss jetzt auch keiner hier kommentieren. Ich möchte nur einen Aspekt von Trauer aufzeigen. Der kann einfach so hier stehen. (Wer den umsägen will, möge das in seinem RL tun.)
Zuletzt geändert von Widow am So., 16.11.2014, 23:02, insgesamt 3-mal geändert.

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viciente
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Beitrag So., 16.11.2014, 22:51

Tränen-reich hat geschrieben:Meine Mutter, die vor dem Tod meines Bruders von dem Verlust anderer Mütter hörte, sagte mal, dass sie sich darin nie hineinversetzen könnte, sie sich das aber vorstellen kann, wie schrecklich das sein muss...und das Vorstellen geht mit Mitgefühl einher. So denke ich das.
.. ja, aber welcher eben? das ist ja eine der zentralfragen. meine mutter war "fertig", wollte gehen - ging auch und zwar eher ohne "schmerz". dafür bin ich eher dankbar, denn sie hätte auch unendlich drunter leiden können; sie wollte nie komplett abhängig sein und als es mit ihrer autarkie - ohnehin sehr "spät" - endgültig vorbei war, hat sie sich entschieden, nicht mehr zu wollen und hat abgeschaltet. so bin ich zwar einerseits traurig, weil sie eben nicht mehr "da" ist, andererseits aber "zufrieden", dass alles - in ihrem sinne - so lief, wie sie es letztlich gewünscht hat; sie hatte sogar bis zum schluss ein wesentlich "besseres" soziales umfeld als z.b. ich bereits jetzt. um SIE brauch ich mir also keine angst (mehr) zu machen, und wenn ich um mich angst haben sollte, dann steht das wieder ganz wo anders und hat mit ihr nix zu tun.
Tränen-reich hat geschrieben:Da ist nix familiäres mehr, dass mir mal beisteht, beistehen kann. Weißte, wie ich meine? Dass letztlich mein Sohn nicht für meine Befindlichkeiten zu stehen hat, im Gegenteil: ich eher für ihn. Ich werde einen Teufel tun, meinen Sohn dafür anzuhalten, meine Bedürfnisse mitzutragen, um mich zu halten. Ich stehe für ihn als Vorbildfunktion.
.. doch, dann bist DU die familie - mit deinem sohn - und jetzt ist es so herum, aber wenn kinder erwaxen werden steht nirgends, dass immer eltern dazu da sind, deren bedürfnisse zu befriedigen; das kommt auch mal auf augenhöhe.
Widow hat geschrieben:Das vertieft vielleicht manche Trauer.
.. ganz bestimmt - u.a. deshalb auch mein nicht-vergleich! dir hat es ja - bedauerlicherweise - fast momentan den boden - die ganze welt unter den füssen weggezogen; sowas steckt man nicht in fünf tagen und drei stunden weg; ginge nicht und wär auch nicht "gesund" oder gar anzuraten bzw. empfehlen. bleibt die - ganz unaufdringliche und rhetorische - frage, ob und wie du - aus diesem "draussen" - zu dir selbst zurückfindest, sofern du das für dich wirklich "willst".
Zuletzt geändert von viciente am So., 16.11.2014, 23:04, insgesamt 1-mal geändert.


Tränen-reich
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Beitrag So., 16.11.2014, 23:04

viciente hat geschrieben: ja, aber welcher eben?
Ich bezog das jetzt auf verwaiste Mütter.

Was ich mittig im Thread selbst schon erwähnte. Gibt kleine feine Unterschiede dabei.
Die, der aus dem Leben gerissenen, durch Krankheit, Unfall und wie bei meinem Bruder - durch eigene Blödheit (verzeih' Bruderherz) - usw. - nur eben halt nicht "fertig".
Den Tod einer sehr alten Tanten von mir, die auch nicht mehr wollte, starb auch so, wie sie es wollte und das trage ich so ähnlich wie du.
viciente hat geschrieben: doch, dann bist DU die familie - mit deinem sohn - und jetzt ist es so herum, aber wenn kinder erwaxen werden steht nirgends, dass immer eltern dazu da sind, deren bedürfnisse zu befriedigen; das kommt auch mal auf augenhöhe.
Ersten Satz lass ich so stehen. Mit dem letzten bekomme ich gerade Probleme.


LynnCard
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Beitrag So., 16.11.2014, 23:10

Widow hat geschrieben:Das vertieft vielleicht manche Trauer.
Ja, ich denke, dass der gesamte Kontext und die Beziehung in ihrer haltenden und auch sinngebenden Struktur darüber entscheidet, wie sehr der Trauernde in der Folge "rausfällt". Entschuldige für das Theoretisieren, aber da denke ich mir viel Lebensgeschichte dabei. Ich versuche es auf einer Metaebene erfassbar zu machen für mich, weil es mich erschreckt. Gerade dieses mögliche Rausfallen macht mir Angst.
LG Lynn

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viciente
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Beitrag So., 16.11.2014, 23:16

.. es müssen für trauer auch nicht immer "nur" tode sein; der verlust eines innig geliebten partners - in welcher anderen form auch immer - kann auch ähnliches vakuum erzeugen. das ohne eigene entscheidung herbeigeführte herausgerissen werden eines teils multipliziert das ganze dann noch; soweit ich dich aber bisher verstehe, brauchst du diese art von angst ja nicht zu haben.


Widow
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Beitrag So., 16.11.2014, 23:20

LynnCard hat geschrieben: wie sehr der Trauernde in der Folge "rausfällt".
Nein, nicht "in der Folge".
Wir sind während des Sterbens (das uns währenddessen nicht als solches klar war und auch nicht als solches klar sein konnte) rausgefallen: der nun Tote (der Liebste) und die nun Überlebende (ich).

Kürzlich erzählte ich - auf Nachfragen, ohne mach ich das sowieso nicht: viel zu groß ist die Gefahr, jemandem etwas zu erzählen, das der auch nicht ansatzweise zu verarbeiten imstande ist -, kürzlich also erzählte ich jemandem, der wissen wollte, wie es uns ergangen ist nach der Diagnose, wie es uns danach erging.
Ich erzählte also, was es heißt, wenn alles nur schief geht, alles. Gerade auch medizinisch und damit körperlich.
Nach etwa drei oder vier Minunten wusste ich, dass mein Gegenüber es bereute, danach gefragt zu haben.

Ich bin nicht als Trauernde "draußen". Ich bin noch im Leben rausgefallen. Wie der Liebste auch, nur ist er jetzt tot.
Das kann passieren.
- Das passiert.


LynnCard
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Beitrag So., 16.11.2014, 23:32

Ja, stimmt, das Rausfallen geschieht in dem Moment, wo das Sterben miterlebt oder die Todesnachricht erfahren wird. Das empfand ich auch so. Ich wollte es zuerst nicht glauben und wurde sogar wütend, weil ich es nicht glauben konnte. Der Rest der Familie hielt bei mir jedoch den Kontext zusammen, gerade meine Mutter. Sie hält eigentlich alles zusammen, deshalb würde es mich schon viel härter treffen bei ihr. Aus diesem Grund versuche ich für die Zukunft, neue Strukturen zu schaffen für die Familie, damit meine Mutter irgendwann "gehen darf" und wir dadurch nicht so ins Bodenlose fallen. Aber leicht wird es nicht, geht auch nicht so schnell. Aber ich kalkuliere es mit ein, eben aus dieser Angst heraus, weil ich es jetzt im Moment überhaupt nicht gut verkraften würde.
Zuletzt geändert von LynnCard am So., 16.11.2014, 23:41, insgesamt 1-mal geändert.
LG Lynn


Widow
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Beitrag So., 16.11.2014, 23:34

viciente hat geschrieben: bleibt die - ganz unaufdringliche und rhetorische - frage, ob und wie du - aus diesem "draussen" - zu dir selbst zurückfindest, sofern du das für dich wirklich "willst".
viciente, ganz unaufdringlich und rein rhetorisch möchte ich Dir eine kleine Antwort versuchshalber geben:
Gefallen sind wir, der Liebste und ich, damals aus der Welt.
Nicht aus uns.
Er ist bis zu seinem Ende er geblieben. Ich bin bis heute ich (und da ich ihn nun buchstäblich überlebt habe: ich habe mich - wie jeder lebende Mensch - verändert und aktuell gerade Schwierigkeiten, mich Veränderte einschätzen zu können, weil ich lange nicht darauf geachtet hab, auf 'mich' lange nicht geachtet hab --- wozu auch?! Wenn einen jederzeit so ein Sterben aus allem herauskatapultieren kann ...).

Das Problem dabei ist vielleicht (und vermutlich ist es nur mein Problem und das des Liebsten):
Kein Mensch kann ohne Welt sein.
Wir mussten das. Es zumindest versuchen. (Denn wir sind aus der Welt gefallen, und die Welt, in die wir fielen, die ist nur wüst und leer gewesen und ist's bis heute für mich.)
Das Problem dauert für mich an.
Aber es ist nun wirklich kein "weltbewegendes" ... (kleiner Kalauer, möge man mir verzeihen)


Widow
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Beitrag So., 16.11.2014, 23:37

LynnCard hat geschrieben:Ja, stimmt, das Rausfallen geschieht in dem Moment, wo die Todesnachricht erfahren wird.
Wann ist der denn, dieser Moment, Deiner Meinung nach?

Der Liebste bekam Diagnose Nr. 1. Dieselbe wie ein gutes Jahr zuvor meine Schwester. Darmkrebs.
Viel zu früh in beiden Fällen.

Meine Schwester, die älter ist als der Liebste, lebt bis heute.
Sie bekam ein Jahr nach Diagnose Nr. 1 die Diagnose Nr. 2.
Sie lebt bis heute.

Der Liebste bekam 10 Monate nach Diagnose Nr. 1 die Diagnose Nr. 2. Fünf Monate später war er tot.

WO war denn da die "Todesnachricht"?!

Verstehst Du, LynnCard: Die gibt es so nicht ... Manchmal.
Manchmal hört es einfach auf mit der Verlässlichkeit.
Vollkommen!
Und nicht von heute auf morgen.


Nee, das kann keiner verstehen, der es nicht leibhaftig erfährt. - Drum, genug von mir.
Einen guten Start in die Woche allen hier!
Widow

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viciente
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Beitrag So., 16.11.2014, 23:48

Widow hat geschrieben:WO war denn da die "Todesnachricht"?!
.. meine mutter bekam im juli diagnose 1 - keine probleme; am 27.10. kam diagnose 2 - völlig verkrebst im endstadium; die "todesnachricht" kam, als sie mir relativ plötzlich immer wieder erzählte, es ginge ihr nicht gut und sie hätte genug - wolle nicht mehr; das war ungefähr anfang oktober. und aus mit dem von mir und ihr!

ps: wünsche dir auch eine gute woche.


LynnCard
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Beitrag So., 16.11.2014, 23:50

@Widow: Sorry, ich hatte noch editiert. Aber bei mir war es schon auch so, dass ich das Sterben teilweise noch mitbekam, nachdem ich dazugeholt wurde. Es starben mehrere Angehörige in der Familie. Aber ich glaube, dass es mir ähnlich gehen würde wie Dir, wenn ein Kind aus meiner Familie sterben würde, denn so wie Du von Deiner Liebe sprichst, fühlt es sich ähnlich an wie bei meiner Liebe zu den Kindern. Es ist eine unendliche Stufe, unermesslicher. DAS kann ich mir gar nicht mehr wirklich denken, weil es so grauenhaft ist.
LG Lynn

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Beitrag So., 16.11.2014, 23:52

LynnCard hat geschrieben:DAS kann ich mir gar nicht mehr wirklich denken, weil es so grauenhaft ist.
.. dann TU es auch bitte nicht! sonst denkst du dir noch leiden (samt angst) herbei, das bei dir derzeit gar nicht existiert.

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