'Leichter' Missbrauch

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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Thea
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'Leichter' Missbrauch

Beitrag Di., 12.02.2008, 14:20

Hallo,

Ich bin schon seit einigen Jahren in Therapie und möchte mich mit Menschen austauschen, die Missbrauchserfahrungen durchleiden mussten.

Mein Fall ist - gemessen an vielen anderen - nicht tragisch.
Ich wurde nur "betatscht" und musste als Volksschulkind desöfteren Pornos mit meinem Vater mit ansehen.

Durch den Missbrauch fand ich in der Schule keinen Anschluss.
Im Gegenteil, ich habe mich selbst häßlich gemacht und mich seltsam benommen und wurde daraufhin gemobbt.

Ich kämpfe seit Jahren um zu einer Normalität zurückzukehren.
Mich interessiert, welche Folgen der Missbrauch bei euch hatte, und wie ihr damit fertig wurdet.

Thea
Glück ist das, was man täglich tut.

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paramann
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Beitrag Di., 12.02.2008, 15:50

@thea
du solltest dir nichts vormachen. das was du schilderst ist kein leichter missbrauch auch wenn die gesetzesterminologie es so definiert.

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sita200
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Beitrag Di., 12.02.2008, 16:04

hi also zuerst einmal es gibt keinen leichten missbrauch!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

ich wurde mit 12 missbraucht und mit 15 schließlich vergewaltigt ich muss dazu sagen das ich vollkommen ausgetickt bin wegen drogen, alk und solche sachen. ich habe allerdings nie als opfer reagiert ganz im gegenteil ich habe angefangen mit den boxen und mir sachen angezogen das den männern die augen ausgefallen sind nur um ihnen zu zeigen das sie mich nicht bekommen können. das ist bitte KEIN rat. ich glaube jeder geht anders damit um aber wir alle müssen lernen damit umzugehen. hast du einen freund? wie verhälts du dich gegenüber männer?
lg sita
ES ist keine Schande hin zu fallen es ist eine Schande nicht mehr auf zustehen!!!!

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Nox
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Beiträge: 133

Beitrag Di., 12.02.2008, 16:43

hallo thea!

ich schließe mich sita mal an - "leichten" missbrauch gibts nicht.
es wurden deine grenzen überschritten, und das ist es was zählt. sonst wär das, wenn ein kind dazu genötigt/gezwungen wird, "nur" ( ) die geschlechtsteile eines erwachsenen zu berühren, auch nur leichter missbrauch.

tipps, wie du damit umgehen sollst, oder patentlösungen kann ich dir leider keine geben. ich hätt mir oft gewünscht, das wär möglich, aber leider, das ists nicht.
ich wurd mit 13 vergewaltigt und hab geschwiegen, geglaubt ich könne es weniger wahr machen indem ich es totschweige/-glaube. wieso? nja, weil ich mich so dreckig fühlte, und paradoxerweise so schuldig ("ich war ja da"). dagegen, mich als opfer zu fühlen, hab ich mich aufgelehnt, nix desto trotz. ich hab mit kampfsport begonnen, lief rum wie die letzte schlägerin, oder aber rannte weg, vor mir und vor anderen. unauffällig für andere, aber doch.
nja, reaktion: anorexie, bulimie, suizidalität mit zahlreichen versuchen, svv, alk,...
als ich 19 war kam ich an nen typen, (meinen ex-ar...) der dasselbe schema wiederholte. damals tickte ich dann komplett aus, bekam dissoziative zustände mit svv, und hatt mich noch weniger unter kontrolle als vorher schon.
muss sagen, als das eis mal gebrochen war, in der thera, wurde es besser. obwohl ich über details oder dergleichen immer noch nicht reden kann, obwohl ich meine thera schon lang kenn und ihr im grunde genommen vertrau.

nja, ganug erst mal von mir.

wie gehts dir mittlerweile damit?

glg, s.

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Fritz
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Beiträge: 82

Beitrag Di., 12.02.2008, 20:47

Laut meinen Eltern hat mich mein Vater nicht missbraucht, doch als ich ca. 15 war, hat er mit mir zusammen Softpornos angeschaut - und die Blicke, die er in Richtung meiner Brüste geschickt hat... Nunja. Ob auch er es war, der mich oral mit 5 Jahren vergewaltigte, weiss ich nicht (aber wer soll es denn sonst gewesen sein?) - erinnern kann ich mich jedoch daran, dass mich meine Brüder gewürgt und befingert haben, als ich 9 war (sie waren 12).

Folgen: ich konnte ewig nicht mit heterosexuellen Männern reden, ohne einen Penis vor meinem inneren Auge zu sehen (ist jetzt weg!)
Ich habe mich besonders schlampert angezogen, damit keiner sieht, dass ich weiblich bin
Ich kam ewig beruflich nicht zurecht - konnte keine Ausbildung durchziehen (inzwischen habe ich eine)
Ich habe ein Problem mit "Autoritäten" und lasse mir in nichts reinreden - auch nicht in die Arbeit, die ich tue, wenn es jemand versucht, gibt es Krieg!
Mit meinem Freund schlafe ich schon seit 1,5 Jahren nicht mehr, weil mir das wehtut.
Bis 28 konnten Männer mit mir machen, was sie wollten - da gab es keine Gegenwehr.
Gibt bestimmt noch weiteres, doch fällt es mir gerade nicht ein...

Fritz

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Thread-EröffnerIn
Thea
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Beiträge: 72

Beitrag Mi., 13.02.2008, 08:22

Hallo,

Vielen vielen Dank für eure Antworten.

@paramann
Täglich hört man von so vielen dratischen Fällen. Wo Kinder auf das perverseste Vergewaltigt werden. - Da komme ich mir schlecht vor, weil ich wegen "so wenig" leide.
Zumal es auch mir so geht, dass ich mich auch irgendeine Art "mitschuldig" fühle. Das ganze hatte so eine Normalität. Und auf der anderen Seite fällt es mir schwer mich damit auseinanderzusetzen.

Ich habe mich auch besonders schlampig angezogen. Ich habe mich gehasst. Ich habe in Wände geschlagen und mich mit einem Messer geritzt.
Ich war auffällig. In der Schule bin ich dadurch zur geeigneten Zielscheibe geworden. Ich hatte nur wenige Freunde, zu denen ich aber auf Dauer keinen Kontakt halten konnte, weil niemand mit meinen Depressionen zurecht kam. Jahrelang habe ich ständig daran gedacht mich umzubringen.

@ Fritz: Mir ging es ähnlich wie dir.
Während meiner Pubertät sah ich immer Szenen aus Pornofilmen vor mir, wenn ich mit einem Mann geredet habe. Das ist bei mir auch verschwunden.

@ sita + shtria: Ich laufe manchmal alleine durch die Gegend und stelle mir vor wie ich jemanden fertigmache, der mich angreifen würde. Auch mir kommt in meinem Leben so vieles kampfbetont vor.

Beruflich tu ich mir schwer, weil ich mich schnell persönlich angegriffen fühle. Mir fällt es schwer mich durchzusetzen, weil mein Selbstwertgefühl sehr negativ ist. Ich denke immer von mir, dass das was ich mache schlecht und zuwenig ist. Dass andere schlecht von mir denken.

Ich habe einen sehr lieben Freund, der mir hilft. - Und ich habe im Laufe der Zeit einen guten Therapeuten gefunden, der mir schon viel weiter geholfen hat. Ich denke nicht mehr an Selbstmord. Ich habe jetzt eigentlich ein ziemlich geregeltes Leben. Bis auf gelegentliche Durchhänger habe ich auch die Depression gut im Griff.

Nur das Misstrauen gegenüber den Menschen ist geblieben. Ich kann auch meinen Freunden kaum zuhören. Ich fühle mich unter den Leuten nicht wohl. Und trotzdem hätte ich gerne eine gute Freundin. Aber es ist of so, als spräche ich eine andere Sprache. Wenn ich etwas sage kommt es oft komplett anders beim Gegenüber an. (ich denke dass das so ist, ansonsten hätten nicht so viele Menschen schon den Kontakt zu mir abgebrochen).

Ich habe Angst, dass sich das nie mehr legt...

Thea
Glück ist das, was man täglich tut.

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Gärtnerin
[nicht mehr wegzudenken]
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Beitrag Mi., 13.02.2008, 20:53

Hallo Thea,

ich bin vermutlich auch durch "Betatschen" missbraucht worden. Bewusst habe ich bis heute keine Erinnerung daran, aber im Laufe meiner Therapien habe ich immer wieder Gefühle entdeckt oder Bilder gemalt, die auf Missbrauch hindeuteten. Ich habe damals meiner älteren Schwester gegenüber vorsichtige Andeutungen gemacht, dass ich evtl. missbraucht wurde, mir aber nicht vorstellen könne, von wem. Da sagte sie mir, dass sie selber von einem Verwandten immer "so komisch angefasst" worden sei. Sie sei ihm daraufhin aus dem Weg gegangen. Falls er es bei mir auch gemacht hat und wenn ich von dem Alter ausgehe, in dem meine Schwester damals war, kann ich selber höchstens 4 oder 5 Jahre alt gewesen sein.

Welche Folgen das hatte, kann ich gar nicht so eindeutig sagen, da in meiner Kindheit eine Menge andere Dinge schief gelaufen sind. Heute lässt sich für mich wirklich nicht mehr sortieren, welche Wirkungen der (vermutete) Missbrauch hatte und welche meiner Schwierigkeiten auf andere Ursachen zurückzuführen sind.
Jedenfalls habe ich in meinem späteren Leben immer wieder sexuelle Übergriffe erlebt, angefangen vom Begrapschen am Arbeitsplatz, als ich 20 war, bis zu einer Vergewaltigung mit 23, und auch danach gab es immer wieder diverse unangenehme Situationen mit Männern.
Zeitweise habe ich mich selbst verletzt, war depressiv, suizidgefährdet.
Meine Schulzeit war sowieso chaotisch (ja, Thea, ich war auch "auffällig"... nettes Wort übrigens, denn ich WOLLTE auffallen, weil mich sonst keiner gesehen hat). Mit 6 Jahren wurde ich zum ersten Mal zur Psychologin geschickt, die sich fast ein Jahr die Zähne an mir ausbiss, womit sie übrigens nicht die letzte bleiben sollte.

Mit 29 habe ich dann von mir aus eine Therapie angefangen, weil ich mein Leben überhaupt nicht mehr auf die reihe gekriegt habe. In der 8-jährigen Therapie haben die Missbrauchsvermutungen und die späteren sexuellen Übergriffe komischerweise nie eine große Rolle gespielt. Die Therapeuten haben sich zwar, wenn ich es angesprochen habe, immer ganz begeistert darauf gestürzt... sahen es als Durchbruch, so nach dem Motto "Gott sei Dank, endlich spricht sie über ihr Trauma!" , doch ich selber habe es nie als DAS Trauma empfunden. Für mich gab es wesentlich wichtigere Dinge. Wut gegenüber den Tätern kann ich übrigens bis heute nicht empfinden - im Gegenteil, es ist sogar das Gefühl da:" Da hat sich wenigstens einmal jemand für mich interessiert."

Jetzt habe ich vor kurzem eine Körpertherapie angefangen, da ich zu meinem Körper überhaupt keine Beziehung habe und ihn kaum spüren kann. Daran will ich arbeiten. Ein bisschen Angst habe ich schon, weil ich nicht weiß, was da vielleicht noch freigesetzt wird. Es heißt ja, dass der Körper alles speichert, auch die Dinge, an die man sich bewusst nicht mehr erinnern kann. Aber sonst geht es mir mittlerweile so gut und ich fühle mich so stabil, dass ich mir sicher bin, ich kann das Thema angehen.

Liebe Grüße,
die Gärtnerin
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.

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Thread-EröffnerIn
Thea
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Beitrag Do., 14.02.2008, 08:10

Hallo Gärtnerin,

Ich habe sehr konkrete Erinnerungen daran, was passiert ist. Aber seltsamerweise nur wenige andere Erinnerungen an meinen Vater.

Irgendwie sträube ich mich in der Therapie nach weiteren Erinnerungen zu suchen, weil ich von dem false-memory-syndrom gehört habe.
FALSE MEMORY

Es ist für mich ein schmaler Grat mit der Aufarbeitung.
Ich will dass, was mir passiert ist richtig einsortieren und verarbeiten.
Aber ich will Interpretationen ausschließen. Aber im Nachhinein ist vieles Interpretation.

Auf der anderen Seite habe ich heute noch ein seltsames Gefühl, wenn ich an gewisse Räume im Haus denke. Das kann aber auch damit zu tun haben, dass ich in diesem Haus sehr unglücklich war, vernachlässigt wurde, meine stärksten Depressionen habe ich hier verbracht. Vielleicht kommen meine Wunden zum größeren Teil von der Vernachlässigung, und vom anschließenden Mobbing in der Schule.


Thea
Glück ist das, was man täglich tut.

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elisa
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Beitrag Do., 14.02.2008, 16:58

Liebe Thea,

du schreibst:
Aber es ist of so, als spräche ich eine andere Sprache. Wenn ich etwas sage kommt es oft komplett anders beim Gegenüber an. ... Ich habe Angst, dass sich das nie mehr legt...
Das, was du hier im Forum geschrieben hast und vor allem wie du es geschrieben hast, berührt mich sehr - es erinnert mich auch an meine eigene Wahrnehmung von Menschen und Dingen und Situationen. Ich habe überhaupt nicht den Eindruck, dass du eine andere Sprache sprichst - aber vielleicht hast du schriftlich ja mehr Möglichkeiten - mir selbst geht es oft so - wenn ich nicht mehr weiter weiß, gebe ich meinem Thera einen Text zu lesen und dann sprechen wir darüber.

Vieles, was du schreibst, erinnert mich - ich bin nun schon länger in Therapie und als mein Thera das Thema einmal kurz und flüchtig angeschnitten hat, aufgrund eines MB-Traums, den ich ihm erzählte - musste ich das Gespräch plötzlich abbrechen, weil mir schlecht wurde, mich die Angst überwältigt hat - ich hab meinen Thera damals gebeten, schnell irgendetwas anderes zu sagen... seitdem ruht das Thema.

Ich glaube, ich komme jetzt langsam näher ran - ich weiß von meinem Bruder, ich weiß von meiner Schwester, ich weiß aber nichts von mir. Aber meistens will ich nicht wissen. Weil ich Angst habe, dass ich das nicht packe. Wie haltet Ihr die Erinnerungen aus?

elisa

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Natalie
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Beitrag Do., 14.02.2008, 22:32

Hallo Thea,

als ich meinen Missbrauch aufarbeitete, bemerkte ich erst, was alles dazu gehörte. Erst tat es entsetzlich weh, diese Gefühle und Bilder nochmals zu durchleben. Ich hatte mich des öfteren erbrochen und fühlte wie mir was meinen Hals zuschnürte. Als ich es jedoch zulies, kam erst der eigentliche noch schlimmere Schmerz zum Vorschein. Ich fühlte mich noch einmal wie als kind ungeliebt und übersehen, von meiner Mutter, und von meinem Umfeld. Ich fühlte mich so unwichtig und unbedeutend. So als Mittel zum Zweck oder als Gegenstand. Und wenn ich dann daran dachte, dass ich mich als Kind auch schon so fühlte, dann ist das die harte Realität, die ich gelernt habe, anzunehmen. Was als nächstens von selber geschah, ist, das ich auch das ungeliebt und unbeschützt sein annahm, was sehr sehr schwer, und mit eigener Trauer verbunden war.

Erst als ich das konnte, und wollte, und annahm, kam ich wieder auf einen erneuten anderen Schmerz, den ich niemals für möglich gehalten hätte. Ich fühlte, dass meine Mutter nicht anders konnte. Was nicht heißt, dass ich sie beschützen möchte. Das war jahrelang der Fall. Sie war gefangen in ihrem eigenen Schutzsystem. Sie brauchte es um zu überleben. Wie sie an sich dachte, bin ich heute in der Lage an mich zu denken. Ich kann mich endlich lieben, und spüren.

Ein sexueller Missbrauch ist sehr viel mehr als ein sexueller Missbrauch. Es ist ein schreckliches und brutales Verbrechen in einem bereits fortgeführten krankem System in einem ungeschützem Rahmen. Ich schreibe von Missbrauch der an Kindern in Familien oder ihrem Umfeld stattfindet, und nicht von Erwachsenen, denen brutalst der Körper entrissen wird.


Wenn ich heute daran denke, was er mit mir gemacht hat, bin ich so traurig, dass anscheinend nur er mich liebte. Und das tut dann in diesem einen Moment verdammt weh. Ich musste in meiner eigenen Aufarbeitung alles selber erlernen, was einem normalerweise mitgegeben wird. Wie Liebe annehmen und zu geben, wie Vertrauen anzunehmen, und zu geben, Berührungen anzunehmen, und zu geben und vieles mehr.

Ich glaube, dass fast alle Opfer sich mitschuldig fühlen. Das eine Art Normalität zu spüren ist, weil ein Kind es nicht anders kennt. Angst und Schuldgefühle, werden zum ständigen Begleiter gewählt, da sie besser zu ertragen sind, als die Tat ansich. Es ist leichter Angst zu haben, als zu realisieren, was man wirklich erlebt. (sich wegschalten) (trifft für mich aus meiner Erfahrung zu)

Ich wünsch dir alles Liebe.

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Fritz
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Beitrag Fr., 15.02.2008, 21:32

Diese permanenten BlackOuts, nicht zu wissen, wie ich an einen Ort gekommen bin, was ich gerade mache, was das Thema ist, über das ich mich gerade unterhalte... Ich bin so froh, dass diese Zeiten vorbei sind. Ich kann mich zwar immer noch wegbeamen, doch tue ich das nun gezielt (z.B. beim Zahnarzt, da ich Spritzen noch blöder finde).
Manchmal frage ich mich echt, wie ich durch die Schule gekommen bin, wenn ich immer nur kurz da war (aufgetaucht bin ich in der 12. Klasse) und ab da wurden die Anwesenheitszeiten immer länger...

Fritz

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Sonnenschein
neu an Bo(a)rd!
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Beiträge: 2

Beitrag So., 17.02.2008, 23:06

Hallo Ihr!

Ich finde es richtig gut, dass es diesen Thread hier gibt. Für mich war und ist es ein wichtiger Schritt, mir selbst immer wieder einzugestehen, dass es Missbrauch war. Richtiger Missbrauch. Ja, jeder Missbrauch ist richtiger Missbrauch (vgl. auch http://www.sia-dr.org --> Auswirkungen...), denn tatsächlich ist jede noch so harmlos dargestellte oder überhaupt geleugnete Form von Übergriff - "nur" ein Blick, eine Bemerkung, etc. - höchst unpassend für das Opfer, missbraucht und überfordert es und eben richtiger Missbrauch. Und jede Form von Missbrauch bewirkt die Missbrauchsfolgen (Auswirkungen und Symptome). Ausserdem schieben Täter und Mittäter dem Opfer oft die Schuld zu (es wäre zu verführerisch gewesen, hätte das ja gewollt, etc.) um einerseits die Schuld auf das Opfer abzuwälzen und es mittels der erzeugten Scham- und Schuldgefühle auch zur Verschwiegenheit zu bringen. Das Opfer erhält dadurch die beruhigende Illusion, nicht vollständig ohnmächtig zu sein (was es jedoch, da unterlegen, ist), sondern durch die angebliche Schuld an den Vorfällen logischerweise zumindest irgend einen Einfluss auf die Geschehnisse gehabt zu haben.

Mir haben da neben der Therapie Bücher zum Thema und auch Texte von sowie besonders der Besuch von Selbsthilfegruppen einiges deutlich vor Augen geführt um meine durch die Täter komplett verdrehten Anschauungen und Haltungen korrigieren zu können, so auch meinen jahrzehntelangen verdeckten Selbsthass. Ich habe sehr viel durch die Beiträge anderer erkannt und auch durch meine Beteiligung gelernt und weiss jetzt - mehr als nur auf Verstandesebene - u.a. dass es wirklich richtiger Missbrauch war - ohne jede Einschränkung -, ebenso wer für den Missbrauch verantwortlich war/ist und wen ich richtigerweise statt mir verachte und bestrafe. Der Missbrauch beherrscht mein Leben nicht mehr und beeinflusst es auch immer weniger. In kleinen, überschaubaren Schrittchen wird alles nach und nach immer besser.

Ich fand es wichtig, ja grundlegend, den Missbrauch ohne "Eigentlich wars ja eh nicht..."-Einschränkungen ("nicht so gemeint", "nicht so schlimm", "nicht wirklich Missbrauch" etc.) als solchen gelten zu lassen, ihn als das anzunehmen, was es war, ohne Entschuldigungen für den/die Täter und Mittäter (auch ohne Entschuldigungen für die Wegschauer, Wegredner und Mir-meine-Wahrnehmungen-und-Erlebnisse-Absprecher) und ohne mir selbst relativierende Vergleiche mit anderen Missbrauchsfällen vorzuhalten, um den Missbrauch vor mir selbst zu verharmlosen und wegzuwischen (so wie das die Täter gemacht haben). Mir hat dabei auch geholfen zu wissen, dass die juristische Definition von Missbrauch geradezu ein Hohn, da unvereinbar weit entfernt ist von der psychologischen Definition - und was wirkt denn auf die Psyche und das Leben? Der täterfreundlich gestaltete Paragraph etwa? (Ich vermute ja, dass reichlich Pädophile unsere Gesetzgebung und Rechtssprechung gestalten und auch nicht daran interessiert sind, die Gefängnisse mit ihren Gleichgesinnten vollzustopfen bzw. diese an der Auslebung ihrer (der gemeinsamen) Interessen ernsthaft zu hindern.)

Im Kreise meiner Herkunfts-Familie (auch meiner Geschwister, die selbst vom Missbrauch betroffen und (noch?) nicht so weit sind) und ihres weiteren Umfeldes kann ich klassischerweise definitiv nicht mit Ehrlichkeit und Bestärkung rechnen. Die leugnen den Missbrauch heute noch, mit aller Vehemenz, und wohl besonders vor sich selbst (schliesslich müssten in der Folge viele jahrzehntealte Lebenslügen aufgedeckt, Verantwortung übernommen, für die Betreffenden wichtig scheinende langjährige Beziehungen hinterfragt werden) - und daran wird sich wohl genau deshalb auch nie etwas ändern. Aber die Bestätigung durch Verwandte und sonstige direkt oder indirekt am Missbrauch Beteiligte brauch ich heute auch nicht mehr. Durch den Austausch mit anderen Betroffenen bin ich bestärkt genug und glaube immer mehr meinen eigenen richtigen Erinnerungen und Wahrnehmungen.

In diesem Sinne... auf ein ent-wickeltes, fröhliches und er-fülltes Leben!

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kaetzin
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Beiträge: 57

Beitrag Mo., 18.02.2008, 19:54

Hallo zusammen,

auch ich habe einen Missbrauch im Alter von 4 oder 5 Jahren durch einen nahen Verwandten erlebt, den ich tief in meinem Inneren in einem dunklen, verschlossenen Raum meines Unterbewusstseins immer gespürt habe, aber nie wirklich benennen konnte.
Da der A**** mich bis in meine frühen 20er mit Blicken, Hinterherschleichen, Festhalten bzw. von mir ungewollten Umarmungen und „zufälligen“ Körperkontakten belästigte, habe ich diesen blinden Fleck irgendwie mit ihm assoziiert.
Ich habe diese Ahnung leugnen wollen, hatte Angst, hier ein Unrecht zu statuieren und mir deswegen Vorwürfe gemacht. In den letzten Jahren hat sich das Bild der Erinnerung an dieses Zimmer, das mich in dem Zusammenhang nie losgelassen hat, langsam zu einer deutlichen Szene zusammengefügt.
Ich hatte bei meinen sexuellen Erfahrungen immer Schmerzen, Abwehr- und Ekelgefühle, konnte mich nie fallen lassen, sondern hatte immer das Gefühl, etwas zuzulassen, das ich eigentlich nicht wollte.

Bis heute habe ich selbst bei nur kurzen Unterhaltungen mit älteren Männern den paranoiden Eindruck, sie würden etwas von mir nehmen wollen, haben den Wunsch, sich an meinem Körper zu bedienen.
Wohlgemerkt, es handelt sich um ganz normale Kontakte mit Vermietern, Dozenten an der Uni, Bank- oder Versicherungsleuten!

Wenn ich Geschichten von Frauen höre, die massive sexuelle Gewalterfahrungen machen mussten, fühle ich mich mit meinen Erlebnissen direkt unwichtig, aber wie meine Vorschreiberinnen schon sagten: ES GIBT KEINEN „LEICHTEN“ MISSBRAUCH!

Die Grenzen wurden gegen unseren Willen überschritten, in unsere Intimsphäre eingedrungen, von uns wurde etwas genommen, dass wir nicht geben wollten und müssen.
Was geblieben ist, sind Schuld- und Schamgefühle, unsere Bedürfnisse, Wünsche, Vorstellungen und den eigenen Körper betreffend, das Gefühl, etwas Ekelhaftes zugelassen zu haben, sich nicht gewehrt zu haben.

Es ist traurig, dass so vielen Menschen etwas derart nachhaltig ver- und zerstörendes angetan wurde!

Lieben Gruß,
die Kätzin
I am a ghost and as far as I know, I haven`t even died (Morrissey)

Was I the bullet or the gun or just a target drawn upon ? (Aimee Mann)

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Soli
sporadischer Gast
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weiblich/female, 35
Beiträge: 23

Beitrag Di., 19.02.2008, 21:52

Hallo!
Nachdem ich all Eure Beiträge hier gelesen habe, versucht sich in mir auch irgendwie eine Frage zu formulieren... Leider krieg ich es schlecht in Worte gefasst. Ich versuch es einfach mal in der Hoffnung, ihr versteht, was ich meine:

Manchmal denke ich auch, es ist irgendwie "nicht normal", daß ich mich in eine Beziehung gegeben habe in der ich schon seit Langem nicht mehr mit meinem Partner schlafe. Ich kann und konnte mich noch nie wirklich fallen lassen, hatte auch manchmal Schmerzen.

Wenn ich an meine Kindheit und an meine ersten sexuellen Erfahrungen denke, erinnere ich mich an einen ca. 3 - 4 Jahre älteren Verwandten, der mich ao ab ca. 12 oder 13 J. "betatscht" hat und mich überredet hat "zu betatschen". Ich fand es erst eklig, habe mich aber irgendwann damit abgefunden, daran gewöhnt oder so...

Wann fängt nun Missbrauch an und wo hören "Doktorspiele" auf? Trotz des Ekels und der Heimlichtuerei habe ich mich immer irgendwie nicht richtig "gezwungen" gefühlt, mich auch geschämt.

VG
Soli
Solitude is a faithful friend

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Natalie
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Beiträge: 113

Beitrag Di., 19.02.2008, 23:51

Hallo Soli,

wenn Grenzen überschritten werden, dann beginnt Missbrauch. Sich schämen, ist als Kind nicht normal. Ich mein damit, wenn du dich dafür geschämt hast was geschehen ist (auch dass du dann mitgemacht hast) dann hast du schon damals gespürt, dass was nicht in Ordnung war.

Kurz nachdem mein Missbrauch aufhörte, traf ich mich mit ein paar Kindern aus meiner Schule. Sie sagten spielen wir ein Spiel. Bei einem Jungen wo die Eltern nicht da waren. Wir waren 3 Mädchen und 3 Jungen. Sie schalteten das Licht aus, und man musste sich gegenseitig im dunkeln nackt berühren. Ich hatte entsetzliche Angst, schon das dunkle reichte dafür aus. Ich traute mich nicht nein zu sagen, aus Angst aufzufallen, oder anders zu sein als die anderen Kinder. Ich werde niemals vergessen, wie ich diesen Jungen der mich betatschte auch betatschen musste. Ich hatte mich selber gezwungen.


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Kinder sind leider sehr anpassungsfähige und gelehrige Geschöpfe. Sehr viele fragen sich warum habe ich das einfach mitgemacht, oder über mich ergehen lassen. Vllt weil Kinder so formbar sind, und ihnen erst als Erwachsene bewusst wird, was ihnen alles genommen wurde. Darunter ihr kostbarstes Gut. Ihre ungeschwerte Kindheit

Natalie

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