Anderen beim Leben zuschauen müssen; selbst kein Zugang

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Thread-EröffnerIn
~confianza~
Helferlein
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weiblich/female, 33
Beiträge: 102

Anderen beim Leben zuschauen müssen; selbst kein Zugang

Beitrag So., 23.09.2012, 11:20

Hallo zusammen,

wie soll ich das nur beschreiben, was ich meine?!?

Mir fällt immer mehr auf, dass ich irgendwie am Leben vorbei lebe... als wenn ich nie so wirklich ganz im Hier und Jetzt bin, als wenn immer noch irgendetwas parallel läuft. Ich meine innerlich, emotional, psychisch. Das hört sich vielleicht schräger an, als ich es meine.
Also, ich habe immer so das Gefühl, dass ich gar nicht richtig lebe, gar nicht richtig präsent bin. Also nie so ganz.
Das Schlimme finde ich irgendwie, dass ich anscheinend NICHTS dagegen tun kann, um das zu ändern. Ich kann Aktivitäten usw. machen - dann kann ich mir selbst sagen, dass ich ja dieses und jenes gemacht und unternommen habe, und ja somit auch "Leben" verbuchen kann - aber es ändert alles nichts an diesem Gefühl...
Ich weiß nicht, ob das verständlich ist, was ich meine??
Im Moment ist es so schlimm, dass ich es kaum ertragen kann, dass bei den anderen das Leben einfach immer weitergeht...dass sie einen Partner haben, Kinder bekommen, heiraten - und vor allem richtig dabei sind.
Ich selbst war lange von massiven Ängsten beherrscht, habe mir mit viel höllischer Disziplin erkämpft, dass ich nun immerhin arbeitsfähig bin - und auch einen guten Job habe. Aber mehr ist da auch irgendwie nicht.

Langsam werde ich aber echt komisch. Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass ich in Psychotherapie bin und es vielleicht auch daran liegen mag? Bisher war ich immer ein Mensch, der sanftmütig ist, für alle Nöte ein offenes Ohr hat, geduldig zuhört, sich selbst zurücknimmt und so gut wie keine Wut kennt.
Das ändert sich gerade extrem.
Ich habe mittlerweile gar kein Mitleid mehr mit meinem Umfeld, wenn denen z.B. ein Schicksal zustösst. Und das waren z.T. eigentlich ziemlich schlimme Dinge. Selbst dann denke ich immer "Ja, die haben jetzt eine Krise - aber auch diese werden sie durchleben, das ist etwas zeitlich Überschaubares, und danach stehen ihnen wieder alle Türe offen."
Bei mir selbst habe ich den Eindruck, ich bin durchgehend vom Leben abgetrennt - und finde den Weg nie daraus. Ich weiß einfach nicht, wie das gehen sollte. Nichts, was ich aktiv tun kann...
Irgendwie wird das immer schlimmer gerade, ich bin fast nur noch missgünstig anderen gegenüber - weil die etwas in sich haben, wovon ich denke, dass ich es nie haben werde.
Und somit fühle ich mich immer mehr benachteiligt im Leben, durch das Leben; werde wütend und missgünstig. Habe keine Lust mehr, selbst engen Freunden zuzuhören. Könnte explodieren. Komme mir selbst vor wie ein versauertes Etwas.
Aber das hilft mir doch auch nicht, wenn ich immer mehr versauere und missgünstig werde...

Ich weiß nicht, ob ich verständlich machen kann, was ich ausdrücken will. Es lässt sich so schwer beschreiben. Weiß auch nichtmal, ob der Forumsbereich passend ist?

Gibt es denn jemandem, dem es ähnlich geht, der das kennt? Was ist das??? Kann man jemals da rauskommen und zum Gefühl des Lebens finden?

Danke...seufz
Confianza
Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt. Hermann Hesse

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Tristezza
ModeratorIn
weiblich/female, 60
Beiträge: 2252

Beitrag So., 23.09.2012, 12:31

~confianza~ hat geschrieben:Langsam werde ich aber echt komisch. Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass ich in Psychotherapie bin und es vielleicht auch daran liegen mag? Bisher war ich immer ein Mensch, der sanftmütig ist, für alle Nöte ein offenes Ohr hat, geduldig zuhört, sich selbst zurücknimmt und so gut wie keine Wut kennt.
Das ändert sich gerade extrem.
Ich kenne das auch, dass man durch Therapie weniger pflegeleicht für andere wird und seine Wut spüren lernt. Das ist ja eigentlich ein Fortschritt, ein Schritt in Richtung Überwindung der Depression.
~confianza~ hat geschrieben:Ich habe mittlerweile gar kein Mitleid mehr mit meinem Umfeld, wenn denen z.B. ein Schicksal zustösst. Und das waren z.T. eigentlich ziemlich schlimme Dinge. Selbst dann denke ich immer "Ja, die haben jetzt eine Krise - aber auch diese werden sie durchleben, das ist etwas zeitlich Überschaubares, und danach stehen ihnen wieder alle Türe offen."
Vielleicht bist du jetzt neidisch auf andere geworden, weil du durch die Therapie den Wunsch entwickelt hast, wirklich zu leben? Aus der tiefsten Depression herausgefunden hast und das Leben im Grunde bejahst und weißt, was du willst, es aber noch nicht schaffst, das Leben nach deinen Vorstellungen zu gestalten.
~confianza~ hat geschrieben:Selbst dann denke ich immer "Ja, die haben jetzt eine Krise - aber auch diese werden sie durchleben, das ist etwas zeitlich Überschaubares, und danach stehen ihnen wieder alle Türe offen."
Warum bist du so sicher, dass es andere viel leichter haben? Von den meisten kennst du doch nur das Äußere.
~confianza~ hat geschrieben:Bei mir selbst habe ich den Eindruck, ich bin durchgehend vom Leben abgetrennt - und finde den Weg nie daraus. Ich weiß einfach nicht, wie das gehen sollte. Nichts, was ich aktiv tun kann...
Kann dir die Therapie da denn gar nicht weiterhelfen? Vielleicht dauert es einfach noch eine Weile. Auf jeden Fall hat sich bei dir ja schon einiges bewegt.

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Mirja
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 36
Beiträge: 25

Beitrag So., 23.09.2012, 12:50

Hallo confianza!

Ich glaube nachvollziehen zu können, wovon Du schreibst. Es ist ja nun so, dass durch die Angst und die damit zusammenhängenden Gedanken, eine gewisse Distanz zur Umwelt entsteht. Ich weiß nicht genau, wie Deine Angst aussieht, daher gehe ich von mir und meiner Angststörung aus, die immer mehr verblasst. Die Angst trennt einen auch manchmal massiv vom Leben, da man regelrecht Angst hat zu leben, sich zu bewegen. Du schreibst ja auch davon, dass Du Dich ins Arbeitsleben "zurückkämpfen" mußtest.

Ich habe neulich etwas Interessantes im TV zum Thema- Angst gesehen.
Arte Philosophie- Angst

Mich würde interessieren wie Deine Angst aussieht und wie sie sich "heute" zeigt. Vielleicht ist dahinter noch etwas verborgen, was Dich vom Leben bzw. der Lebendigkeit und Freude trennt, da sie mit anderen Gefühlen verschmolzen sind, die erst noch an die Oberfläche müssen.

So ist es in meinem Fall gewesen. Die PT war/ ist eine Reise zu eben diesem Ort, der hermetisch abgeriegelt war, da dort die Dämonen der Vergangenheit eingekerkert wurden. Ich fand dort unglaulich viel Traurigkeit, die mich in der ersten Zeit zu ersticken drohte aber dort befand sich eben auch ein großer Teil meiner Lebendigkeit/ Freude/ Lebenslust.

Wo ist sie in der Therapie, die Angst?

Lieben Gruß,

Mirja
Lieben Gruß,

Mirja

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ryan85m
sporadischer Gast
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männlich/male, 27
Beiträge: 26

Beitrag Do., 27.09.2012, 23:26

Hi confianza,

ich kenne dein Problem sehr gut. Ich komme mir oft vor wie ein Beobachter meines Lebens und selbst im größten Gefühlsrausch (eher selten) kommt es mir so vor, als ob ich nicht "handeln" kann, im Sinne von meine Phantasien und Bedürfnisse verwirklichen. Ich kann darüber sooft nachdenken, wie ich möchte: Wie tue ich den Schritt, den ich mich sonst nie zu tun traue. Was kann ich schon dabei verlieren, mal was anders zu machen als sonst. Ehrlich gesagt kommt mir meine "gefühlte Fremdbestimmung" manchmal unheimlich vor. Weil einfach die Idee, dass ich mein Leben frei entwerfe so im Kontrast steht zu meiner empfundenen Passivität.
Vllt ist es eine Angst, ein ungeschriebenes Gesetz, dass ich mir nicht bewusst machen kann und das mir irgendwie die Kontrolle entzieht. Aber das bleibt Spekulation. Hm...

Das mit dem Neid kenne ich nur punktuell. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Leuten etwas mit Leichtigkeit gelingt/es ihnen quasi in den Schoß fällt und ich von dieser Möglichkeiten absolut ausgeschlossen bin. Dann fühlt man sich kurz recht klein. Das ist aber nicht mein Hauptthema. Eher: Warum definiert man sich so: als jemand, der nie das kriegt, was er will. Wie könnte man das nur anpacken? Einfach gegen sein "Gefühl" handeln (nach einem Plan) und hoffen, dass diese Entäußerungen sich auf die Eigenwahrnehmung zurückwirken. Hm... Fragen über Fragen.

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Sirius
Helferlein
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weiblich/female, 35
Beiträge: 89

Beitrag Do., 07.02.2013, 21:31

Liebe Confianza,

was du beschrieben hast, könnten meine Worte sein. Mir geht es ganz genauso. Ich fühle mich getrennt vom Leben seit vielen vielen Jahren. Habe das Gefühl, dass mir alles verwehrt wird, obwohl ich mich z.B. beruflich bemüht hatte, Veränderungen einzuleiten. Statt dessen folgte Neid, Eifersucht usw. Ich sehe heute, dass ich es jahrelang versäumt habe mich auf allen Ebenen weiterzuentwickeln und stehe jetzt vor einem Trümmerhaufen und weiß nicht, ob ich die Kraft finden werde, dort herauszufinden und die starken negativen Gefühle auszuhalten. Ich habe auch jahrelang nicht meine Wut gespürt, aber jetzt ist sie da, so sehr da, dass ich nicht weiß, wie ich mit ihr umgehen soll und sie sich doch wieder ihren Weg in die Depression sucht. Aber ich hoffe, dass es einen Weg da raus gibt.

LG Sirius
LG Sirius

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Speranza
Helferlein
Helferlein
weiblich/female, 29
Beiträge: 115

Beitrag Do., 07.02.2013, 22:21

Liebe confianza,
ja, auch ich kenne gut, was du beschreibst und kann mich darin wiederfinden.
Das Problem ist, dass dieses Denken sich in einem Teufelskreis bewegt. Es ist sehr, sehr schwierig, da rauszufinden.
Denn du siehst dich immer nur im Vergleich mit anderen. Und wenn du einmal "hinterher hängst", dann ist es schwer, wieder "aufzuholen" (ich hoffe ich mache mich verständlich).
Ich denke, der einzige Ausweg aus dem Ganzen, wäre, dich selbst unabhängig von den anderen zu betrachten. Dich selbst so zu akzeptieren, wie du nunmal bist. Denn wenn du ständig versuchst wie die anderen zu sein, obwohl das deinem Wesen gar nicht entspricht, dann kann das nicht funktionieren. Ich schreibe das jetzt so, als ob das einfach wäre und mir gelingen würde. Das ist nicht so... Aber ich habe zumindest das Gefühl, dass das (für mich) die theoretische Lösung wäre. Die praktische bleibt noch umzusetzen, denn da hängt soviel mit zusammen (Selbstwert etc.).
Auch ich habe das Gefühl, das den Menschen in meinem Umfeld das Leben so viel leichter fällt. Sie sind alle (scheinbar) glücklich in Beziehungen, können lachen und leben, ohne ständig darüber nachzudenken. Und ich beneide sie dafür. Dazu kommt, dass wir uns in einem Alter befinden, wo man vielleicht ans Familie gründen denkt, wo man Angst hat, nicht den richtigen Partner zu finden und somit wirklich das Wichtigste im Leben zu verpassen (zumindest mir geht es manchmal so: ich denke, ich sollte in der Blüte meines Lebens sein und bin es aber nicht). Aber dieses ganze Denken bringt mich leider kein Stück weiter, im Gegenteil, es macht das nur schlimmer. Deshalb versuche ich, mir selbst treu zu bleiben, danach zu leben wie ich wirklich bin, auch wenn das anscheinend anders ist als bei vielen andern. Vielleicht ist es auch was besonderes? Und ich glaube/hoffe, dass ich so auch noch zum richtigen leben komme...
Und mit der Wut, das finde ich auch sehr interessant. Da bin ich leider noch nicht angekommen, solche Gefühle kenne ich nicht!

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Lukas86
Helferlein
Helferlein
männlich/male, 28
Beiträge: 57

Beitrag Fr., 22.03.2013, 15:39

Liebe confianza,

Speranza hat es gut getroffen. Bin auch teils sehr wütend auf meinen Bruder der sein Leben voll und ganz meistert. In der PT lernte ich bewusst meine positiven Seiten zu sehen und diese wahrzunehmen. Jeden Tag schreibe ich mir auf, was mir heute Freude gemacht hat und was ich gut gemacht habe.
Seit kurzem achte ich auf meine Gedanken, negativ Denken ist kontraproduktiv, finde Gedanken sind Mächte und somit versuch ich positiv zu denken.

Der Satz "dich selbst unabhängig von den anderen zu betrachten. Dich selbst so zu akzeptieren, wie du nunmal bist." werd ich mir einprägen, denn jeder von uns ist auf seine Art das "Allerwertvollste"

Habe auch zeitweise Panik mein Leben zu verpassen. Versuch dann meine derzeitige Situation zu akzeptieren und einen Weg daraus zu suchen und das schwierigste für mich ist "dabei liebevoll zu mir zu sein".
Wie Speranza schon schrieb: Deshalb versuche ich, mir selbst treu zu bleiben, danach zu leben wie ich wirklich bin, auch wenn das anscheinend anders ist als bei vielen andern.


Lg Lukas

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