Wie kann ich lernen, meinen Eltern zu verzeihen?

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sebi
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Beiträge: 631

Beitrag So., 25.06.2023, 18:35

Kurze Erklärung. Mein Täter waren nicht Vater oder Mutter. Meine Eltern haben meine kindlichen Hilferufe nicht gesehen, verstanden. Meinem Täter habe ich auch nicht verziehen. Als ich meine Therapie begann, war der Täter längst tod und doch hat mir das Brief schreiben an ihn, wo ich alles schonungslos und frei jeder Moral zum Ausdruck bringen konnte, geholfen.
"Jeder Mensch sucht nach Halt. Dabei liegt der einzige Halt im Loslassen." Hape Kerkeling

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Jenny Doe
[nicht mehr wegzudenken]
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weiblich/female, 55
Beiträge: 4835

Beitrag Mo., 26.06.2023, 05:16

Hallo Dantana

Mir hilft es nicht nur mich selber zu sehen, nicht nur das zu sehen, was meine Mutter mir angetan hat, was meine Mutter mir versaut hat, ... sondern meine Kindheit auch mal aus der Perspektive meiner Mutter zu sehen.

Mir hilft es mich selber zu fragen, ob ich selber im Jugendalter in der Lage gewesen wäre, einem Kind all das zu geben, so dass dieses mir eines Tages keine Vorwürfe machen kann.

Mir hilft es mir vor Augen zu führen, dass zwei Menschen zwei unterschiedliche Ansichten haben können, z.B. bzgl. der Frage, was das Beste für ein Kind ist.

Mir hilft es mich in meinem Umfeld umzugucken, zu gucken, wie es Freunden heute geht, die eine andere Kindheit hatten als ich. Ich stelle fest, egal was Eltern machen, es ist immer irgendetwas falsch. Eine Freundin, die bei liebevollen Eltern aufgewachsen ist beklagt z.B., dass sie nicht lernen konnte, Probleme selbstständig zu lösen. Eine andere Freundin, die andere Erfahrungen gemacht hat, als diese liebevoll erzogene Freundin beklagt das Gegenteil.

Mir hilft es nicht nur das zu sehen, was mir versaut wurde, sondern auch das, was ich gewonnen habe. Ich habe früh lernen müssen, Probleme selbst zu lösen, mir selbst zu helfen und vieles mehr. Fähigkeiten, die andere Menschen im Erwachsenenalter erwerben müssen.

Mir hilft es nicht nur meine eigenen Probleme zu sehen, die ich aufgrund meiner Kindheit hatte, sondern auch die Probleme zu sehen, die meine Eltern aufgrund ihrer eigenen Kindheit hatten. Bei meiner Mutter spielte z.B. Hilflosigkeit eine große Rolle, da sie selber in ihrer Kindheit nicht lernen konnte, Probleme zu lösen.

Ich selber leide seit meiner Kindheit unter einer neurologischen Erkrankung, die selbst Ärzte bei mir erst erkannten, als ich mein 50 Lebensjahr erreichte. Ich litt darunter, dass meine Defizite nicht gesehen wurden, ich als faul, "die hält nichts durch", ... bezeichnet wurde. Mir hilft das Wissen, dass meine Eltern nicht das Wissen haben konnten, das nicht einmal Ärzte haben.
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).

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Sinarellas
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weiblich/female, 40
Beiträge: 2004

Beitrag Mo., 26.06.2023, 07:14

sebi hat geschrieben: So., 25.06.2023, 18:35 Mein Täter waren nicht Vater oder Mutter. Meine Eltern haben meine kindlichen Hilferufe nicht gesehen, verstanden.
Mittäterschaft durch Unterlassen nennt man das. Ob aktiv oder passiv, Täter bleibt Täter. Ich unterscheide da nicht zwischen .
..:..

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Tobe
Forums-Gruftie
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weiblich/female, 47
Beiträge: 526

Beitrag Mo., 26.06.2023, 07:40

Hallo Dantana,

für mich ist dies auch ein schwieriges Thema.
Warum möchtest Du Deinen Eltern denn vergeben?
Was bringt es Dir selber, wenn Du ihnen vergibst?

Ich selber werde meinen eigenen Eltern nie vergeben können, denn sie haben einfach zu viel angerichtet, was mich nachhaltig geschädigt hat und mich deshalb auch mein restliches Leben begleiten wird. Manche Menschen sollten besser keine Kinder in die Welt setzen, wenn sie keine Verantwortung für sie übernehmen wollen.

Ich kann es vielleicht irgendwann abhaken, was sie angerichtet haben, da es nicht veränderbar ist, aber vergeben muss ich ihnen deshalb noch lange nicht. Da es zu deren Lebzeiten auch nie zur Einsicht kam.
Ich kann jedoch sehr wohl Menschen vergeben, die mir unwissentlich weh getan haben, dies jedoch bereuen und auch gerne wieder Gut machen würden oder ungeschehen machen würden, wenn sie könnten.
Sinarellas hat geschrieben: So., 25.06.2023, 14:16 Ganz oft lese ich die Ideen zu Briefen schreiben, nach meiner Erfahrung ...
... nützen diese Briefe überhaupt nichts, teilweise ganz im Gegenteil. Hat da wer andere Erfahrungen gemacht?
Ich hatte meiner Mutter mal eine “saftige“ eMail geschrieben, wo ich meine Sicht der Dinge klargestellt hatte und nein, es brachte mir überhaupt nichts, da sie alles nur bestritt, mir die “Schuld“ (als Kind) gab und auch die Schuld versuchte anderen Menschen unterzuschieben. Eine zumindest kleine von mir erhoffte Einsicht ihrerseits blieb jedoch vollkommen aus.

Das Einzige was es mir gebracht hat, war die eigene Einsicht, daß meine Mutter niemals zugeben würde, daß sie gravierende Fehler gemacht hat und ich meine Energie nur verschwenden würde, wenn ich weiterhin Hoffnungen hätte, daß es diesbezüglich mal zu Verständnis meiner Situation und zur Annäherung kommen könnte.
sebi hat geschrieben: So., 25.06.2023, 14:44 Vlt geht es ja eh eher darum, sich selber zu verzeihen und zu vergeben. Als Kind ist man den Eltern ausgeliefert und übernimmt, um zu überleben, die Schuld für deren Verhalten auf sich. Und später, als Erwachsener fragt man nach dem 'Warum'? Warum habe ich mich nicht gewehrt? Warum habe ich nicht geschrien? Warum habe ich es zugelassen? Ect., ect. Barmherzig mit sich selber sein. Sich selber nicht zu verurteilen, so wie es die Eltern getan haben.
Diesen Aspekt finde ich sehr wichtig und wertvoll.
Genau das ist gerade auch Thema in meiner Therapie.
Dies gilt jedoch auch bei anderen Tätern, die einem als Kind Leid angetan haben.
Als Kind hat man doch keinerlei Chancen gegenüber Erwachsenen.
Und ja, auch ich habe mir immer selber die Schuld gegeben und daraus auch den Glaubenssatz entwickelt “Ich bin es nicht wert, anders behandelt zu werden“.
Diese Überzeugung jetzt als Erwachsene wieder los zu werden, ist unglaublich schwer.
Damals war es jedoch eine Strategie, um diese Leid besser ertragen zu können.

L.G. Tobe
Haltet die Welt an, ich will aussteigen.
Wenn du den Tag wie die Nacht empfindest,
Einsamkeit mit Schicksal verbindest,
Traurigkeit dein Leben hüllt,
weisst du, wie sich meiner einer fühlt.

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