private Therapeutenwahl

Spezielle Fragen zur Lage in Deutschland
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nebelgeist
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private Therapeutenwahl

Beitrag Mo., 04.09.2023, 12:40

Hallo,

im letzten Monat habe ich mehrere Online-Tests zur Diagnose von Depressionen gemacht, und die Ergebnisse legen nahe, dass ich einen Experten aufsuchen sollte, um die Diagnose zu bestätigen. Zunächst habe ich öffentlich versicherte Psychologen aufgesucht, aber das Verfahren war sehr zeitaufwändig. Jetzt ziehe ich privat bezahlte Psychologen in Betracht. Ich bin mir jedoch unsicher, wie ich den richtigen auswählen soll. Wie treffen Sie Ihre Auswahl? Vertrauen Sie den Bewertungen? Welche Maßstäbe legen Sie an, um festzustellen, ob ein Psychologe kompetent ist? Ich würde es vorziehen, kein Geld für einen ersten Besuch auszugeben, nur um dann festzustellen, dass ich meine Suche neu beginnen muss.

Mit freundlichen Grüßen,
nebelgeist

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lisbeth
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Beitrag Mo., 04.09.2023, 13:12

Hallo nebelgeist,
gut dass du dir Hilfe suchen willst. Und ja, das ganze ist ein ziemlich verwirrender Dschungel. Hier ein paar Hinweise, die hoffentlich bei der Suche weiterhelfen können:

Ich würde mich bei der Suche auf psychologische Psychotherapeuten/innen konzentrieren. Das sind Menschen, die a) ein Psychologiestudium absolviert und b) eine akkreditierte mehrjährige Psychotherapie-Ausbildung absolviert haben und nach einer Prüfung ins Arztregister eingetragen sind. Es gibt verschiedene Fachrichtungen: Verhaltenstherapie (VT), tiefenpsychologisch-fundierte sowie analytische Psychotherapie. Was davon für dich passend ist, da musst du dich vielleicht mal ein wenig einlesen. Eine ganz gute Übersicht, auch zur Therapeutensuche allgemein findest du hier: https://www.therapie.de/psyche/info/fra ... otherapie/

Psychotherapeut (oder Psychotherapeutin) sind geschützte Begriffe, die darf nicht jeder einfach nach Gutdünken verwenden. Vorsicht, viele umgehen das beim Selbstmarketing mit so schwammigen Begriffen wie "psychologische Beratung und Therapie" usw.

Bei privatfinanzierter Psychotherapie ist es durchaus üblich, dass man auch das Erstgespräch bezahlt, schließlich stellt der Therapeut/die Therapeutin Zeit und Expertise zur Verfügung. Bei kassenfinanzierter Therapie übernimmt diese Kosten die Krankenkasse. Evtl. kann man mal nachfragen, ob das Erstgespräch zu einem reduzierten Gebührensatz möglich ist.
Ich würde bei den Kosten fürs Erstgespräch nicht geizen. Lieber mehrere verschiedene Personen anschauen, damit du auch eine Vergleichsmöglichkeit hast. Wäre ärgerlicher, wenn du erst nach 20 Stunden feststellst, dass du bei einem Anbieter gelandet bist, der für dich einfach nicht passt. Unter bestimmten Bedingungen kannst du Ausgaben für deine Gesundheit von der Steuer absetzen. Am besten bei Fachleuten (Steuerberater, Lohnsteuerhilfeverein usw.) erkundigen.

Sowohl über Kosten als auch über Qualifikationen sollte Transparenz herrschen und weitere Nachfragen auch beantwortet werden, bis alles geklärt ist. Auch die Rahmenbedingungen sollten klar abgesprochen werden: Wie lange dauert eine Sitzung? Wie häufig sind Sitzungen möglich (für eine effektive Behandlung sollte ca. 1x pro Woche machbar sein, von beiden Seiten aus)? Wie lange vorher müssen Termine abgesagt werden? Wie hoch ist das Ausfallhonorar bei kurzfristigen Absagen?

Ansonsten ist viel "Chemie" und persönliche Beziehung. Was da für dich passt oder nicht, ist leider ein wenig "trial and error". Wenn dein bester Freund von seiner Psychotherapie ganz begeistert erzählt wie ihm das geholfen hat, heißt das nicht, dass das bei dieser Therapeutin für dich auch so gut passen muss.

Evtl. könntest du ein paar "Sprechstunden" bei (Kassen)-Therapeuten wahrnehmen, um ein besseres Gefühl zu bekommen, wie das so abläuft und was für dich besser passt. Sprechstundentermine sollten kurzfristig verfügbar sein, jeder Therapeut mit Kassensitz muss eine bestimmte Anzahl von Stunden pro Woche dafür zur Verfügung stellen. Schwierig wird es dann beim regulären Therapieplatz. Du kannst bis zu 3 Sprechstunden beim gleichen Therapeuten wahrnehmen. Die sollten dich auch hinsichtlich Fachrichtung beraten können.

Eine andere Möglichkeit wäre zu schauen, ob es in deiner Nähe psychologische Beratungsstellen zB von Diakonie, AWO etc. gibt. Falls du studierst, könntest du dich an die Hochschulambulanz deiner Uni wenden.
Es gibt außerdem auch noch das Kostenerstattungsverfahren, da gehst du zu einem privaten Psychotherapeuten/in (ohne Kassenzulassung), nachdem du bei der Krankenkasse einen Antrag auf Kostenerstattung gestellt hast und der bewilligt wurde und erhältst die Kosten von der Kasse zurück bzw. darf dieser Therapeut dann "ausnahmsweise" mit der Krankenkasse abrechnen. Dafür musst du beim Antrag nachweisen, dass du trotz intensiver Anstrengungen keinen Kassenplatz finden konntest, wo du in einem zumutbaren Zeitraum anfangen könntest.
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott

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chrysokoll
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Beiträge: 3706

Beitrag Mo., 04.09.2023, 15:07

nebelgeist hat geschrieben: Mo., 04.09.2023, 12:40 Ich würde es vorziehen, kein Geld für einen ersten Besuch auszugeben, nur um dann festzustellen, dass ich meine Suche neu beginnen muss.
lisbeth hat zu den grundsätzlichen Dingen schon alles gesagt.

Du musst davon ausgehen dass du bei Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung auch die erste Stunde bezahlen musst.
Das ist deren Arbeitszeit, das ist deren Arbeitsleistung.

Du solltest dir überlegen ob du bereit und in der Lage bist Psychotherapie auch über einen längeren Zeitraum selbst zu finanzieren. Mit einigen Stunden ist es in aller Regel nicht getan. Und eine Stunde kostet rund 100,-- Euro. Es geht hier also um tausende von Euro.

Es kann natürlich sein dass du das (locker) hast. Ansonsten möchte ich dir nahelegen doch die etwas mühevollere Suche nach einem Psychotherapeuten mit Kassenzulassung auf dich zu nehmen. Oder erst einmal eine Beratungsstelle aufzusuchen

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alatan
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Beiträge: 952

Beitrag Mo., 04.09.2023, 19:15

Wirklich gute Therapeuten sind meist deutlich teurer als 100 €/h. Das heißt aber leider nicht, dass teure Therapeuten immer gut sind.
Warum sind gute Therapeuten teuer? Weil sie es sich leisten können, Patienten nicht am Fließband zu behandeln, sondern wenige, aber gründlich zu therapieren. Und weil sie sehr langjährige Erfahrung haben, also auch entsprechend finanziell abgesichert sind, dass sie sich keine Patientenmassen mehr antun müssen. Das ist von erheblichem Vorteil für den einzelnen Patienten - sowohl die Erfahrung als auch die Nichtüberlastung des Therapeuten.

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Gespensterkind
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Beitrag Di., 05.09.2023, 06:10

Also ich bezahle meinen Therapeuten mittlerweile auch privat und er nimmt den Satz, den er auch "normal" nehmen würde und das sind 104 Euro pro Stunde.
Ich kann mir zwar vorstellen, dass es auch Therapeuten gibt, die privat mehr abrechnen, aber fair finde ich das nicht. Ein seriöser Therapeut sollte meines Erachtens das abrechnen, was er auch von anderen Patienten/bzw. der KK bekommt. Aber dass es da bei Privatzahlern große Spielräume gibt, nehme ich an.

Wenn Geld keine Rolle spielt: die Vertrauensbasis zum Therapeuten, bzw. "ob es menschlich passt" ist meines Erachtens eines der wichtigsten Kriterien, auf das geachtet werden sollte.

Alles andere wurde hier schon geschrieben.


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nebelgeist
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Beitrag Di., 05.09.2023, 11:35

Ich danke Ihnen für die Antworten. Was die gesetzliche Krankenversicherung betrifft, wie oft muss ich die ersten Einführungssitzungen ausprobieren, bevor ich eine Erstattung für eine privat versicherte Beratung beantrage?

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Sinarellas
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Beitrag Di., 05.09.2023, 11:53

Falls du wegen Systemversagen (=zu lange Wartezeiten) eine Übernahme der GKV anstrebst schau mal da: https://www.therapie.de/psyche/info/fra ... rstattung/
..:..

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