Extreme Selbstüberforderung

Fragen und Erfahrungsaustausch zu Phobien, Zwängen, Panikattacken und verwandten Beschwerden.
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Stephanie
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Extreme Selbstüberforderung

Beitrag Mi., 21.10.2009, 17:54

Hallo,
ich habe gerade herausgefunden, was eigentlich mit mir los ist und bräuchte dafür jetzt vielleicht ein paar Tipps.

Es klingt vielleicht etwas merkwürdig, ist aber wirklich ernst für mich bzw. auch von mir gemeint.
Ich habe mein Studium extrem überzogen, weil ich irgendwann riesige Panikattacken bekam (gab eine Vorgeschichte mit einem bestimmten Kurs...).
Danach konnte ich die Gebäude ohne Panikattacken gar nicht mehr betreten und auch nicht bestimmte Lehrbücher aufschlagen, ohne Kopfschemerzen, Beklemmungsgefühle und starke Angst zu bekommen.

Drei Therapieversuche gingen in die Hose, weil ich die erste Therapie abbrach, da ich keinen Fortschritt sah,die zweite Therapeutin mich mehr oder weniger rauswarf und die dritte, "gute" jetzt erst mal bis auf weiteres ausfällt.

Nun war ich heute in de Studienberatung mit dem festen Willen, jetzt wirklich weiter zu studieren, koste es was es wolle.
Mein größtes Problem war immer gewesen, überhaupt die Bücher zu lesen; ich hatte mir schon in der Schule aus purem Interesse haufenweise Fachbücher gekauft, die dann im Studium vorwurfsvoll auf mich herab blickten.

Ich fragten den Studienberater also, wie viele Seiten man am Tag im Fachbuch schaffen müsste, ich hatte 200 angepeilt, war auf 120 heruntergegangen und hatte ähm, 35 pro Stunde geschafft, also ungefähr 3 1/2 h Lesen pro Tag veranschlagt(mit Speedreading-Methode, die ich gerade zu diesem Zweck lerne).
Auf meinem Bücherregal stehen fachrelevante 15000 - 25000 Seiten (einige Bücher sind vielleicht nicht 100% fachrelevant).
Immer, wenn mir jemand aus dem Bekanntenkreis gesagt hatte, mein angestrebtes Lesepensum sei zu viel, dachte ich, er traut MIR das nicht zu, MAN müsste das aber schaffen. Nun sagte der Dozent/Berater, 35 Seiten pro Stunde seinen schon viel, man müsse nur 10 Seiten Fachbuch pro Tag lesen & behalten (vs. "alles lesen was geht und separat lernen, einen Teil davon zu behalten") und ich müsse auch nicht das dicke Botanikbuch komplett lesen geschweige denn können.

Okay, ich habe also gelernt das die Blockade von extremer Selbstüberforderung kam, da ich mehr schaffen wollte als geht und daher weniger geschafft habe, als ich konnte (teilweise 2 Seiten am Tag mit dem Ziel, jeden Inhalt und Wortlaut jedes Satzes sofort nach dem Lesen zu "können"/ behalten).

Gut, wie komme ich da hetzt runter?


Ich weiß jetzt zwar kognitiv, dass ich mit 10 bis 20 Seiten zufrieden sein darf und auch nicht alle dicken Fachbücher komplett können muss, ich habe aber immer noch dieses Gefühl von "das ist zu wenig", "ich / man muss ALLES vom Fach wissen, ein Ausschnitt reicht nicht" und "ich komme gar nicht hinterher" (da ja immer noch die 15 000 Seiten "mindestens" im Regal stehen.

Typische Gedankengänge, die mich vom Lernen und Lesen abhielten waren:
Ich kenne den Fachbegriff nicht, soll ich den jetzt nachschlagen?
Dann verliere ich aber zeit beim Lesen....eigentlich MÜSSTE ich den kennen, andere kennen den bestimmt, ... Scham...=> Blockade!"
Oder auch "Okay, ich habe zwar gerade 35 Seiten gelesen, aber bei weitem nicht alles behalten, muss ich die jetzt noch mal lesen, wie viel Zeit verliere ich dabei, wann finde ich die Zeit, all die Fachbegriffe zu lernen und sollte ich nicht schon viel weiter sein???"

Des weiteren neige ich zu "Missverständnissen" & Sachen wörtlich zu nehmen, bspw. habe ich gerade als Motivation (nicht fragen...!) Geschichte als 3. Fach dazu genommen.
Hier wurde in der Einführungsveranstaltung gesagt, das man Sprachen können müsse und dazulernen kann, um Quellen zu lesen:
Latein & Französisch, aber auch gerne Japanisch, Schwedisch, Russisch.....
...und schon sehe ich mich Japanisch und Russisch "lernen" - wobei man ja im einsemstrigen Kurs nicht wirklich eine Sprecher lernt - und Französisch & Latein, die ich vorher schon "hatte" auf dem gleichen Niveau wie Englisch lesen/sprechen....
Wobei das sicher nicht so gemeint war!!!

Das ist auch keine Arroganz von mir, dass ich glaube, das alles bewältigen zu können, nur ich VERSTEHE es immer so, orientiere mich am höchsten Maßstab und GLAUBE leider dann, das alles können/ wissen/ lernen zu können & scheitere natürlich an meinen natürlichen Grenzen.

Was kann ich denn mal tun, um nicht immer das Gefühl zu haben, einem riesigen, unbezwingbaren Wissensberg gegenüber zu stehen, den ich perfekt im Kopf haben sollte, und das am besten vorgestern?


LG von
Stephanie

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Selene
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Beitrag Mi., 21.10.2009, 18:21

Hallo Stephanie!
Stephanie hat geschrieben:Was kann ich denn mal tun, um nicht immer das Gefühl zu haben, einem riesigen, unbezwingbaren Wissensberg gegenüber zu stehen, den ich perfekt im Kopf haben sollte, und das am besten vorgestern?
Studienberaterin Selene sagt: Indem Du Dir klarmachst, was Wissenschaft eigentlich ist. In der Schule musste man immer ein bestimmtes Pensum bewältigen, aber im Studium ist es nicht das Ziel, das gesamte Wissen einer Wissenschaft zu verinnerlichen. Es ist völlig illusorisch, diesen Wissenberg sich einzuverleiben. Weißt Du wie viele Bücher es alleine zu den Preußischen Reformen gibt? 1000e! Und das sind gerade mal ein paar Jährchen in einem Staat. Das Wissen ist ja auch im Fluss, also selbst wenn Du mit einem Thema durch bist, müsstes Du bei den inzwischen erschienenen neuen Büchern gleich wieder anfangen. Also es geht nicht. Das macht auch keinen guten Wissenschaftler aus. Auch die Professoren haben immer nur ganz bestimmte Spezialgebiete. Aber das ist auch gut so, denn die Wissenschaft käme dann nicht voran, wenn die Leute nur lernen würden. Ziel der Wissenschaft ist ja, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Und dazu muss man zwar Grundkenntnisse haben, aber vor allem in der Lage sein souverän mit dem Wissen und der Literatur umzugehen. D.h. man muss nicht alles wissen, aber man muss in der Lage sein, Informationen, die man sucht, zu finden. Dazu muss man dann aber nicht das ganze Buch lesen, sondern nur bestimmte Kapitel, die auf Deine ganz konkrete Frage antworten. Und diese Fragen musst Du selbst stellen und beantworten. Das ist Wissenschaft und das lernt man im Studium, nicht das Anhäufen von Informationen. Man legt eine Prüfung oder einer Hausarbeit ja auch nur zu bestimmten Themen ab. Und für diese Themen muss man dann recherchieren und sorgfältig auswählen, was man liest. Dieses Wenige muss man dann gründlich studieren, am besten sich auch Notizen machen, sonst wird man fast alles wieder vergessen. Erst wenn man sich mit einem Thema auskennt und einem ein Buch nur wenig Neues sagt, kann man sich das auch so merken.
Also, konzentriere Dich eher auf die Fragen die Du stellst, die Themen, die Du näher untersuchen willst. Bereite Dich konkret und begrenzt auf Seminare, Prüfungen, Vorlesungen vor. Übe Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, über recherchieren, bibliographieren usw. Dafür ist das Studium hauptsächlich da. Natürlich muss man auch manches Auswendiglernen, aber eben nur manches und der Trick ist, das möglichst klar umreißen zu können. Dann ist das Lernen selbst auch nicht mehr so das Problem, wenn man rechtzeitig anfängt.
VG
Selene
Es gibt kein Übermaß an Liebe,
kein Übermaß an Wissen,
und kein Übermaß an Schönheit
Ralph Waldo Emerson


montagne
[nicht mehr wegzudenken]
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Beitrag Do., 22.10.2009, 22:37

Ist jetzt vllt. zu simpel gedacht, aber du sollst nicht nur, du brahcst doch nicht jedes der Bücher und Aufsätze von vorne bis hinten lesen. Wozu gibt es Inhaltsverzeichnisse und Stichwortregister? Da sucht man sich die Kapitel raus, die für einen relevant sind und dann reduziert es sich ganz schnell auf 1/10.

Ich denke wichtig ist es im Studium zu strukturieren und zu selektieren.
Und wie überall im leben auf das zu bauen, was man HAT. Du rechnest schon mit deiner Fähigkeit des Speed-Readings, die du nich nicht mal hast. Und wahrscheinlich auch nie haben wirst, denn außer einem selektiven Lesen, das man zur Zeit des Studienabschlusses schon drauf haben sollte, kann man nicht viel bechleunigen beim Lesen, wenn man was vom gelesenen haben will.

Wenn man Geld einkalkuliert, was man nicht hat und dann mal wirklich nachzählt, was man hat, kommt man sich auch ärmer als zuvor vor, obwohl man immer noch genau viel Geld hatte wie vorher.

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