Was Borderline wirklich ist... .

Fragen und Erfahrungsaustausch zu Persönlichkeitsstörungen und Schizophrenie, Bipolaren Störungen ('Manisch-Depressives Krankheitsbild'), Wahrnehmungsstörungen wie zB. Dissoziationen, MPS, Grenzbereichen wie Borderline, etc.
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ENA
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Was Borderline wirklich ist... .

Beitrag Fr., 28.01.2011, 23:54

Ausgehend von diesem Thread hier...:

http://www.psychotherapiepraxis.at/pt-f ... 310d042ff7

...möchte ich die Frage stellen, was Borderline außerhalb der Diagnosekriterien wirklich ist. Einfach, weil es mich neugierig macht bzw. gemacht hat, was in diesem Thread stand.

Ich stelle mal eben meinen ersten Beitrag aus dem anderen Thread hier rein und dann könnt ihr gerne Euer "Bild" von Borderline und was ihr damit verbindet, hier rein stellen. Gerne natürlich besonders von Betroffenen, da die wohl am ehesten sagen können, wie und was Borderline wirklich ist!!!
ENA hat geschrieben:Ich finde das Thema hier grade sehr interessant und kann gut dieses Gefühl verstehen, plötzlich eine Diagnose zu bekommen, mit der man nicht gerechnet hat und/oder mit der man sich auch gar nicht identifizieren kann. Ich kenne diese Sorge von "einen Stempel aufgedrückt bekommen" (aus verschiedenen Bereichen) und glaube, dass das z.B. bei einer Borderline-Diagnose schnell passieren kann. Verletzt sich jemand, ist es gleich Borderline (nein, natürlich nicht immer!!!!!!). Hat jemand die Diagnose und wehrt sich gegen etwas oder verlässt die Therapie, kommt schnell von Außen die Begründung: der hat ja Borderline, der geht aus dem Kontakt, der bricht ab, etc.!

...Wenn ich das hier so lese, würde ich gerne von denen, die hier geantwortet haben (oder auch anderen) wissen:

Wie sind denn Borderliner, wenn nicht so, wenn in den vielen Büchern beschrieben und diagnostiziert? Wie sind Borderliner/innen wirklich? (Das es nicht "die" Borderliner gibt, ist mir klar, aber bei dem, was hier steht, finde ich diese Frage, wirklich hoch interessant!!!)
Gibt es auch Borderliner, die nicht aus dem Kontakt gehen oder sogar abhängig sind (im Kontakt)?

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chandelle
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Beitrag Sa., 29.01.2011, 00:08

Hallo ENA!

Nun ja, bei mir ist es ja ein wenig anders. Ich habe die Diagnose nie bekommen, nur auf den Weg bekommen mir mal darüber Gedanken zu machen. Mich hat es erstmal nicht interessiert, dann kaufte ich mir ein Buch zum Thema Borderline.

Und da bekam ich den Schock, nicht über die Diagnose, sondern an handfesten Beispielen, was es in der Kindheit für Faktoren gibt, die es machen kann. Und da ging es mir bald schlecht und habe viel geheult.

Jetzt könnte ich vermutlich noch viel schreiben, beginne aber gerade daran zu zweifeln, ob ich hier jetzt überhaupt richtig bin.

Nächtliche Grüße!
chandelle

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ENA
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Beitrag Sa., 29.01.2011, 00:51

Hallo Chandelle!

Hast Du die Diagnose nie bekommen, weil Du eine andere bekommen hast oder weil es einfach nicht festgelegt worden ist, was es ist?
...und wieso wurde Dir auf dem Weg gegeben, Dir darüber Gedanken zu machen?
Hast Du Parallelen zu Dir in dem Buch erkannt?

Ich bin mal gespannt, was hier noch so Erfahrungen mit dieser Diagnose kommen bzw. an welchen Punkten diese Diagnose auf die Leute für sich passen könnte und an welchen nicht.

Gruß, ENA!

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chandelle
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Beitrag Sa., 29.01.2011, 01:26

Hallo ENA!
Ich muß sagen, dass ich mich ewig nicht mehr mit dieser Diagnose beschäftigt habe von daher müßte ich mir mal anlesen, was auf mich zugetroffen haben könnte. Ich erinnnere nur, dass meine Depression als selbstverletzend gedeutet wurde.
ENA hat geschrieben: Hast Du die Diagnose nie bekommen, weil Du eine andere bekommen hast oder weil es einfach nicht festgelegt worden ist, was es ist?
Also es fing an mit Angststörung... Meine Therapie war dann beendet und da bekam ich die Diagnose eben als Gedanken mit, aber eben niemals dokumentiert.
Hast Du Parallelen zu Dir in dem Buch erkannt?
Ich blieb ja erstmal an der Entstehung von Borderline hängen und sicher gibt es immer mal Parallelen. Das ist schon bald vier Jahre her. *grübel

Früher hatte ich von der Diagnose ja keine Ahnung, aber hab da vor allen sehr impulsive agressive und gewaltätige Menschen so selber da rein klassifiziert.

chandelle

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Anne1997
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Beitrag Sa., 29.01.2011, 06:59

[quote="ENA"]Gerne natürlich besonders von Betroffenen, da die wohl am ehesten sagen können, wie und was Borderline wirklich ist!!![/quote]
Liebe ENA,

die Frage ist so nicht zu beantworten, da Borderline sehr unterschiedlich in Erscheinung tritt und Du viele Antworten hören würdest: vom hochkompetenten Manager eines Großunternehmens, der beruflich voll funktioniert und privat / außerhalb seines Arbeitsbereiches sich fragmentiert, zutiefst unsicher fühlt und dies auf irgendeine Art kompensiert bis zum sich selbst verletzenden jungen Erwachsenen, dem elementare Strukturen zur Bewältigung des Alltags und Berufs fehlen bzw. die sich in Impulsivität, großer Wut ausdrücken (können).

Die Diagnose "Borderline" ist (wie jede Diagnose) nicht die Wirklichkeit, sondern ein konstruiertes Modell (das sich wandeln kann...), eine Arbeitshypothese, die ich verwende und jetzt hilfreich ist (bzw. sein kann oder auch überhaupt nicht). Gerade im Fall von Borderline werden die Diagnosekriterien zumindest (selbst)kritisch in Frage gestellt, da gewisse Aspekte (Teilkriterien) von Borderline in vielen Menschen angelegt sind und sich in Borderline und / oder anderen Krankheitsbildern (die Komorbidität ist hoch) manifestieren.

Für Borderline ist oft eine übergroße emotionale Instabilität an der Basis charakteristisch :
Menschen unterscheiden sich im Selbstwertgefühl, der Stärke ihrer Gefühle, der Veränderlichkeit der Stimmungen und manche quälen sich eben fortwährend mit Selbstzweifeln und Selbstanklagen, sind tief verunsichert. Dieser "emotional instabile Typus" weist auf Borderline oder andere sogenannte strukturelle Persönlichkeitsstörungen hin.

Auch wichtig bei Borderlinern: die tiefsitzenden Zweifel eines Borderliners, liebenswert bzw. beziehungsfähig zu sein, machen Vertrauen und Liebe zu anderen nicht gerade einfach: Kontrolle und dauernde Rückversicherung spielen dann eine große Rolle [was im therapeutischen Prozess sehr anstrengend ist, ein Therapeut sehr klare Grenzen ziehen und mit Annahme und absoluter Ablehnung durch den Klienten umgehen muss], weil man es ja nicht weiß. Trennungen sind für Borderliner oft kaum auszuhalten. Der Preis keine Beziehung einzugehen, bedeutet Einsamkeit.

Wichtig ist auch, sich nicht auf den Borderline-Symptomen auszuruhen, sondern zu lernen, dass die Veränderung in der Annahme liegt (meist ohne Psychotherapie nicht möglich), sich und seine Gefühle feiner wahrzunehmen, zu akzeptieren - allein dies schon ein wichtiger (und großer) Veränderungsschritt (wird in der DBT praktiziert, nicht für jeden hilfreich, dennoch eine sehr wichtige Methode). Sich in seiner tiefen Verunsicherung anzunehmen und alle damit verbundenen Gefühle als zu sich gehörig zu akzeptieren, ist sicherlich kein leichter Schritt, sondern eine ganze Wegstrecke und dennoch: der erste Schritt auf dem Weg sich von der Etikettierung Borderline etwas zu lösen.
Scham- und Schulgefühle helfen hier nicht weiter, sondern halten die Spirale von Selbstanklagen eher aufrecht und führen nicht zu Selbstverantwortlichkeit, die bedeutet zu dem zu stehen, was man (sich an-) tut (s. Literaturtipp 2).

Das könnte man jetzt lange fortsetzen, doch ich belasse es erst mal dabei.
Vielleicht noch zwei gut zu lesende Bücher (aus den Unmengen, "Fluten" von guten Veröffentlichungen):
1. Gesundung ist möglich!: Borderline-Betroffene berichten.
2. Gerd Möhlenkamp: Was ist eine Borderline-Störung?

Herzliche Grüße and have a nice weekend,
Anne

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Blaubaum
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Beitrag Sa., 29.01.2011, 08:29

Ich denke bei Borderline an ein Schiff mit zu hoch gelagertem Schwerpunkt. Schon kleinste Wellen lassen das Boot gewaltig schaukeln, nach grösseren kann das Boot schon kentern und Kiel-oben dahintreiben ohne Kurs und Ziel. Es könnte nun sinken, ebenso kann die nächste kleine Welle das Boot jedoch wieder aufrichten, und es kann sogar auf den Wellen tanzen und beinahe fliegen, was aber auch nichts mit Stabilität zu tun hat (bipolare Störung). Der Schwerpunkt des Bootes entspräche dem Urvertrauen bzw. entstünde aus diesem.
spezialisten wissen zuerst viel über wenig und am ende alles über nichts

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ENA
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Beitrag Sa., 29.01.2011, 10:24

Guten Morgen allerseits !
chandelle hat geschrieben:Ich erinnnere nur, dass meine Depression als selbstverletzend gedeutet wurde.
Hm, also Depressionen können schon auch bei Borderline-Patienten auftreten und Depression kann auch eine Form von Selbsterverletzung sein, aber deswegen gleich auf Borderline zu kommen, wäre mir in dem Fall zu weit.
chandelle hat geschrieben:Also es fing an mit Angststörung... Meine Therapie war dann beendet und da bekam ich die Diagnose eben als Gedanken mit, aber eben niemals dokumentiert.
D.h. es ist eigentlich, bis auf diese kurze Auseinandersetzung damit, kein Thema mehr für Dich, ja?
Anne1997 hat geschrieben:die Frage ist so nicht zu beantworten, da Borderline sehr unterschiedlich in Erscheinung tritt und Du viele Antworten hören würdest:
Eben! Deswegen ja auch:
ENA hat geschrieben:Wie sind denn Borderliner, wenn nicht so, wenn in den vielen Büchern beschrieben und diagnostiziert? Wie sind Borderliner/innen wirklich? (Das es nicht "die" Borderliner gibt, ist mir klar, aber bei dem, was hier steht, finde ich diese Frage, wirklich hoch interessant!!!)
Anne1997 hat geschrieben:Die Diagnose "Borderline" ist (wie jede Diagnose) nicht die Wirklichkeit, sondern ein konstruiertes Modell (das sich wandeln kann...), eine Arbeitshypothese, die ich verwende und jetzt hilfreich ist (bzw. sein kann oder auch überhaupt nicht). Gerade im Fall von Borderline werden die Diagnosekriterien zumindest (selbst)kritisch in Frage gestellt, da gewisse Aspekte (Teilkriterien) von Borderline in vielen Menschen angelegt sind und sich in Borderline und / oder anderen Krankheitsbildern (die Komorbidität ist hoch) manifestieren.
Eben. ...und danach bin ich auf der Suche! In dem einen Thread z.B. wurde geschrieben, dass jemand sehr wohl Beziehungen lange halten kann und auch seine Therapien nicht abgebrochen hat, dafür aber nicht gerne alleine ist und ein Suchtverhalten hat.
Nur: Für ein Suchtverhalten und nicht gerne alleine sein, muss man ja nicht gleich Borderline haben!
...und auch das verschiedene Anteile, Kriterien unterschiedlich ausgeprägt sein können:
Es gibt einen Diagnosekatalog (Kriterien) der auch mit Zeiten und einer Anzahl von Kriterien arbeitet, die, um eine Diagnose zu bekommen, erfüllt werden müssen.
Wenn aber jetzt dieses oder jenes Kriterien nicht zu trifft oder nur schwach, kann ja demnach eigentlich nicht von einer Borderline-Störung gesprochen werden.

Wenn aber jetzt verschiedene Symptome auftreten, die zu Borderline gehören könnten oder nicht, ist die Frage: Was ist es dann?
...und auch: Wenn bestimmte Symptome zwar da sind, aber nur ganz schwach: kann dann wirklich von einer Borderline-Störung gesprochen werden?

...und, das allerwichtigste hier für mich: In dem anderen Thread erzählten ja Leute (und ich habe es auch schon draußen gehört), dass sie Symptome, die zu Borderline gehören (könnten), gar nicht haben, dafür aber anderes. Von daher kam auch die Frage hier, was Borderline wirklich ist.

Bücher darüber gelesen, habe ich auch.

Ich meine, irgendwo ran muss man sich ja halten können, wenn man diese Diagnose vergibt bzw. bekommt.

...und ich finde grade Borderline ist eine sehr heikle Diagnose, die mit viel Abwertung verbunden ist.
Ich habe Leute erlebt, die nach 5 Minuten Gespräch von einem Psychiater diese Diagnose bekommen haben, weil sie gesagt haben, dass sie sich selbstverletzen und Schwierigkeiten mit Kontakten haben. Ist das dann gleich Borderline?...und diese Diagnose geht dann an die Kassen,so als hätte man sie wirklich!...Man kann keine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen und ich habe Therapeuten bzw. pädagogische Mitarbeiter erlebt, die schnell im Kopf diese "Achja, typisch Borderline-Kiste" hatten!
Da hat jemand eine Borderline-Diagnose und hat einen Konflikt mit einem Betreuer oder Therapeuten. Sollte dieser jetzt gehen, um sich zu schützen, weil für ihn die Beziehung nicht passt, etc. würde in diesem Fall direkt gesagt werden: Ja, klar. Ist Borderline. Die brechen schnell die Beziehungen ab!
Bei einem anderen, der diese Diagnose nicht hat, würde man vielleicht sagen:"Ja, klar, setzt Dich für Deine Rechte ein" oder "Ja, wenn es nicht passt und es nicht klärbar ist, dann kannst Du halt gehen!"

Ich glaube, dass da oft ganz schnell und ganz viel in Schubladen hineingepackt wird...und wenn von diesen Diagnosekriterien nur manche zu treffen müssen oder in unterschiedlichster Form, dann frage ich jetzt hier die Leute, die sich mit dieser Diagnose identifizieren können oder einen Angehörigen haben, die das tun:

Wie prägt sich bei Euch oder Euren Angehörigen Borderline aus? Was geht, obwohl es in der Allgemeinheit heißt, es geht nicht und was geht tatsächlich nicht?
Wie unterschiedlich kann Borderline ausgeprägt sein? Wie kann das Erscheinungsbild sein?


Das ist das, was mich interessiert!

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ENA
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Beitrag Sa., 29.01.2011, 10:28

Anne1997 hat geschrieben:und manche quälen sich eben fortwährend mit Selbstzweifeln und Selbstanklagen, sind tief verunsichert. Dieser "emotional instabile Typus" weist auf Borderline oder andere sogenannte strukturelle Persönlichkeitsstörungen hin.
Welche noch und woran kann man sie dann unterscheiden?
Anne1997 hat geschrieben:die tiefsitzenden Zweifel eines Borderliners, liebenswert bzw. beziehungsfähig zu sein,
Anne1997 hat geschrieben:Trennungen sind für Borderliner oft kaum auszuhalten.
Ist das zwingend so?
Anne1997 hat geschrieben:Wichtig ist auch, sich nicht auf den Borderline-Symptomen auszuruhen, sondern zu lernen, dass die Veränderung in der Annahme liegt
D.h. Du bist fest in Deiner Annahme, dass man irgendwann auch mal kein(e) Borderline( -Diagnose) mehr haben kann (und dann auch wieder eine Versicherung abschließen kann)?
Anne1997 hat geschrieben:Sich in seiner tiefen Verunsicherung anzunehmen und alle damit verbundenen Gefühle als zu sich gehörig zu akzeptieren,
Wenn jemand mit einer solchen Diagnose sagt, dass er seine Verunsicherung und Gefühle annehmen kann, hat er dann in Wirklichkeit vielleicht doch kein Borderline?
Anne1997 hat geschrieben:Scham- und Schulgefühle helfen hier nicht weiter, sondern halten die Spirale von Selbstanklagen eher aufrecht und führen nicht zu Selbstverantwortlichkeit, die bedeutet zu dem zu stehen, was man (sich an-) tut (s. Literaturtipp 2).
Ja. (und in dem Literaturtipp 2 ist davon genau geschrieben?)

Ich interessiere mich irgendwie schon lange für Persönlichkeitsstörungen. Auch in einen DIS-Thread habe ich mich eingeklinkt. Sag mal, Anne: Jetzt mal abgesehen von Borderline: Es gibt Persönlichkeitsstörungen, von denen hört man eher weniger, wie z.B. histrionische oder selbstunsichere/ ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung.
Z.B. bei der letzteren: Wo ist da der Unterschied zu einer Angstsstörung (nur die Dauer?) und warum liest man da so selten von?...Therapiert man die anders, als z.B. eine Angststörung?
Blaubaum hat geschrieben:Ich denke bei Borderline an ein Schiff mit zu hoch gelagertem Schwerpunkt. Schon kleinste Wellen lassen das Boot gewaltig schaukeln, nach grösseren kann das Boot schon kentern und Kiel-oben dahintreiben ohne Kurs und Ziel. Es könnte nun sinken, ebenso kann die nächste kleine Welle das Boot jedoch wieder aufrichten, und es kann sogar auf den Wellen tanzen und beinahe fliegen, was aber auch nichts mit Stabilität zu tun hat (bipolare Störung). Der Schwerpunkt des Bootes entspräche dem Urvertrauen bzw. entstünde aus diesem.
Ich finde das ein schönes Bild, was einen Teil der Borderline-Störung erklären kann.

Lieben Gruß an Euch alle, ENA!

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ENA
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Beitrag Mo., 31.01.2011, 17:52

Anne? Magst Du hierzu vielleicht noch etwas schreiben?


Eremit
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Beitrag Mo., 31.01.2011, 18:40

Chandelle hat geschrieben:Ich habe die Diagnose nie bekommen, nur auf den Weg bekommen mir mal darüber Gedanken zu machen.
Mein Psychiater sagt, es gibt keine PTBS ohne BPS, die PTBS ist tatsächlich eine chronifizierte Form der BPS, und eine PTBS hast Du ja.

Und, was ich auch gelesen habe: Eine BPS schließt SVV nicht zwangsläufig ein! Viele Borderliner sind auch nur über die Nebenkriterien erkennbar.

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münchnerkindl
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Beitrag Mo., 31.01.2011, 19:08

Borderline ist eine Persönlichkeitsstörung.

Das heisst, das das Persönlichkeitsgefühl bei dem Kind in der Entwicklung gestört wurde und der Betroffene nie ein normales Persönlichkeitsgefühl entwickeln konnte.

Und das macht die betroffene Person emotional extrem labil, klarerweise sind Depressionen und Kompensationsweisen wie zB Substanzmisbrauch, "Ritzen" etc üblich.

Das was die Persönlichkeitsstörung ausmacht ist der Mangel eines Persönlichkeitsgefühls, sowie die Unfähigkeit Beziehungen zu anderen Menschen normal wie ein Erwachsener einzugehen und aufrechtzuerhalten. Dinge wie Ritzen, emotionale Abhängigkeit, Aggressivität, Suchtverhalten sind sekundäre Symptome die dazu dienen, mit dem emotionalen Chaos das die eigentliche Problematik irgendwie zu kompensieren.

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münchnerkindl
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Beitrag Mo., 31.01.2011, 19:11

Eremit hat geschrieben:
Chandelle hat geschrieben:Ich habe die Diagnose nie bekommen, nur auf den Weg bekommen mir mal darüber Gedanken zu machen.
Mein Psychiater sagt, es gibt keine PTBS ohne BPS, die PTBS ist tatsächlich eine chronifizierte Form der BPS, und eine PTBS hast Du ja.
.
Nein. Eine Persönlichkeitsstörung ist eine Frühstörung. DH die Persönlichkeitsentwicklung in der Kindheit ist schiefgegangen.

Wenn eine erwachsene, gesunde Person eine traumatische Erfahrung macht ist das was anderes, auch wenn es ähnliche Symptome machen kann.

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Blaubaum
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Beitrag Mo., 31.01.2011, 19:46

Symptome--Begriffe-- Diagnosen-- Klassifikation,

hier kommt man vom individuellen zur Norm. Diese Norm (Klassifikation) ist sicher notwendig, aber sie wird der individuellen Realität letzten Endes nicht gerecht.
Jeder ist doch ein Mensch, somit individuell, hat seine ganz spezielle Geschichte, seine eigene, spezielle Verletzlichkeit und seinen individuellen Lebensweg und Erfahrungsschatz.

Warum sollte also die BPS nicht eine PTBS sein, nur eben anders, als wenn ein relativ "normal" aufgewachsener Mensch etwas traumatisierendes erlebt. Die "Normalen" reagieren ja auch nicht genormt.
Wenn z.B. zwei Soldaten das selbe Kriegsdrama erleben, kommen sie doch auch mit ganz unterschiedlichen Symptomen aus der Sache raus. Und das, obwohl bei keinem der beiden eine frühe Störung festgestellt werden kann.

Egal, was passiert, es kommt immer darauf an, wie wir es verarbeiten können, kompensieren, abspalten, verdrängen, sublimieren.....
ein kunterbunter Reigen von gelingenden oder misslingenden Methoden.

Je stabiler die Ich-Entwicklung in frühester Kindheit, desto reifer und gelingender spätere Abwehrmassnahmen, sagt man. Für mich ist das ein festes Fundament.

Störungen aller Art treten oft nicht isoliert auf und haben oft auch die selbe Entstehungsgrundlage. Klassifikation ist hingegen Theorie.
spezialisten wissen zuerst viel über wenig und am ende alles über nichts

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Anne1997
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Beitrag Mo., 31.01.2011, 20:06

Hallo ENA,

[quote="Blaubaum"]Je stabiler die Ich-Entwicklung in frühester Kindheit, desto reifer und gelingender spätere Abwehrmassnahmen, sagt man. Für mich ist das ein festes Fundament.[/quote]
Ein wichtiger Satz!! Das was blaubaum gerade geschrieben hat, trifft es sehr gut!
Wir können noch so sehr klassifizieren, Manuale schreiben mit Interventionstechniken (..."nur" Theorie) - letztlich ist jeder Mensch einmalig.

Brauche eigentlich nichts hinzuzufügen und dennoch:

@ Eremit: die neurologischen Auswirkungen von PTBS und Borderline sind sehr ähnlich bzw. identisch, die Krankheitsbilder zeigen große Überschneidungen, treten oft in Verbindung miteinander auf und manchmal auch nicht. Aber PTBS ist nicht eine chronifizierte BPS.
Münchnerkindl liegt meiner Meinung nach ganz richtig. Für der BPS, die ja als „frühe Störung(den Begriff gibt es so nicht mehr, trifft aber „vieles“) gehandelt wird, gibt es allerdings mittlerweile viele Studien, die belegen, dass nicht nur Erlebnisse in den ersten drei Lebensjahren, sondern kumulative Traumata / Erfahrungen etc., diese auslösen kann.
Auch bei vielen Depressionen, bei der schizotypischen, hysterischen, narzisstischen etc. PS liegen oft (aber nicht ausschließlich) „frühe Störungen“ zugrunde (alles sind „strukturelle Störungen“ (siehe unten).

Seuffzz…. die Frage, die mir bei Deiner Frage am meisten aufkommt, ist diese: Warum ist das für Dich so wichtig?
Und: Du schreibst es ja selbst: Wie sind Borderliner/innen wirklich? (Dass es nicht "die" Borderliner gibt, ist mir klar, aber bei dem, was hier steht, finde ich diese Frage, wirklich hoch interessant!!!)

Schaust Du Dir die Diagnosekriterien an (ziemlich gut und aktuell: Wikipedia!), dann sieht man, dass das, was früher Borderline war, es heute nicht mehr ist und dass (nach Dulz) noch sogenannte Symptomniveaus (in zwei Ausprägungen: aktiv und passiv), worunter fast alle bekannten (Persönlichkeits-) Störungen fallen (narzisstisch, hysterisch, depressiv, Angst, Phobie, psychotisches Erleben etc.), gefolgt von der Komorbidität, v.a. Depression, AD(H)S usw.
ENA hat geschrieben:Für ein Suchtverhalten und nicht gerne alleine sein, muss man ja nicht gleich Borderline haben!
Nach DSM müssen 5 von 9 Hauptkriterien zutreffen und einige Nebenkriterien, da gibt Überschneidungen mit dem ICD: siehe hier. Ansonsten werden meist Borderline-Anteile bzw. Tendenzen diagnostiziert.

Warum ist es so wichtig zu wissen, was es dann ist, wenn es nicht eindeutig ist, nie "eindeutig" sein wird (Leben ist nie eindeutig....)?
Wie wäre es einfach nur (phänomenologisch) zu beschreiben, das, was jetzt ist, z.B. ich kann gut alleine sein, habe Schwierigkeiten mit Nähe, bin nicht impulsiv, fühle mich oft zutiefst unsicher, ohne Fundament usw. – Diese Beschreibungen helfen wesentlich mehr und sie sind in der psychotherapeutischen Arbeit entscheidend! (Da können Arbeitsblätter, kreative Medien etc. unterstützend helfen, je nachdem, was der Klient / Patient braucht / wünscht.)
Die Zuordnung zum Diagnoseschema ist "Theorie", mehr nicht, hilft aber, damit z.B. die KK zahlt.

[quote="ENA"]Wenn bestimmte Symptome zwar da sind, aber nur ganz schwach: kann dann wirklich von einer Borderline-Störung gesprochen werden?[/quote] Siehe Diagnostik oben.

Psychiater, die nach fünf Minuten „Borderline“ diagnostizieren, haben ihr Geld nicht verdient, das ist Humbug, so würde kein KFZ-Mechatroniker ein Auto untersuchen. SV ist nicht gleich Borderline.
Wenn pädagogische Mitarbeiter dieses Kischee „Borderline-Kiste“ haben, dann sollten sie sich fortbilden, ist genauso wie bei „dem Alki“ usw. – Einfach unprofessionell, genauso wie bei der Zuordnung bei Konflikten (wie Du schriebst) und Du fasst es ja selbst am besten zusammen: [quote="ENA"] Ich glaube, dass da oft ganz schnell und ganz viel in Schubladen hineingepackt wird...[/quote] Keine Borderline-Erkrankung gleicht der anderen….., ganz einfach, da sie so komplex ist.
Ich erlebe die Zuordnung, liegt wohl an meinem beruflichen (engen) Kontext, meist nicht als abwertend.
Ein Mensch ist mehr als seine Diagnose.....

Teil 2 folgt...
Zuletzt geändert von Anne1997 am Di., 01.02.2011, 15:09, insgesamt 10-mal geändert.

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Anne1997
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Beitrag Mo., 31.01.2011, 20:07

Teil 2 :

Zur Frage nach strukturellen Persönlichkeitsstörungen:
[quote="ENA"]Welche noch und woran kann man sie dann unterscheiden?[/quote]
Link 1
Link 2
Link 3
Empfehlenswert sind alle Bücher von Gerd Rudolf dazu.

Nichts ist „zwingend“: dass ein Borderliner zutiefst zweifelt, ist relativ sicher und dass Trennungen schwer sind (wie auch immer geartet), auch. Für manche sind sie unaushaltbar, manche halten sie aus, in dem sie viele oberflächliche Beziehungen pflegen bzw. immer in der Masse mitleben.
Auch da: die Vielfalt ist da....

Man kann auch als Borderliner Versicherungen abschließen, abhängig von der Versicherungsgesellschaft, von der Art der Versicherung und ob die Versicherung schon vor der Diagnose abgeschlossen wurde. Da gibt es, soweit ich weiß, äußerst unterschiedliche Erfahrungen und so ganz firm bin ich darin nicht. Ich kenne nur junge Erwachsene, die versichert sind, Unfall, Berufsunfähigkeit etc. trotz vorheriger Diagnose. Bei mehrfachen Versicherungen wird es wohl komplizierter.

[quote="ENA"]Wenn jemand mit einer solchen Diagnose sagt, dass er seine Verunsicherung und Gefühle annehmen kann, hat er dann in Wirklichkeit vielleicht doch kein Borderline?[/quote]
Kommt wohl auf den Einzelfall an, aber er lernt eben und ist auf dem Weg, damit umzugehen, „heiler“ zu werden.

Zu Scham und Literaturtipp 2:
Auf einer 63-seitigen Einführung kann nicht alles genau beschrieben sein, muss es aber auch nicht. Über Schamgefühle gibt es fette Bücher und Dissertationen (auch online…..)….

[quote="ENA"]Therapiert man die anders, als z.B. eine Angststörung?[/quote]
Therapie beginnt damit, dass man den Menschen annimmt, respektiert, notfalls mal konfrontiert, klar ist, um Grenzen weiß. Das „anders“ ist immer da, da jeder Therapeut, jede Klienten-Therapeut-Beziehung anders, einmalig und unwiederholbar ist.
Natürlich gibt es hilfreiche Manuale, hilfreiche Interventionen und unterschiedliche Vorgehensweise – je nach Krankheitsbild.
Von Angsstörungen liest man schon oft, sie ist nur nicht so „in“ wie Borderline, eine Diagnose, die sicher zu oft gestellt wird bzw. bei der man überlegt, ob sie komplett neu strukturiert, abgeschafft oder sonst was wird. Viele Borderline-Störungen sind im Prinzip Depressionen mit „Borderline-Tendenzen“ (so steht es dann in den Berichten), oder Angststörungen oder, oder… (s.o.)
Diagnosen sind Beschreibungen eines momentanen Zustands, können sich wandeln und natürlich: Borderline ist auch zu heilen im Sinne von ein lebenswertes, bewusstes und stabileres Leben zu führen.

Entschuldige das Chaos dieser Antwort.... (Blaubaums Antwort reicht wirklich aus....)
Anne
Zuletzt geändert von Anne1997 am Mo., 31.01.2011, 21:41, insgesamt 2-mal geändert.

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