der Therapeut und die Goldwaage

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

pandas
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Beitrag Di., 03.03.2015, 17:29

der Therapeut und die Goldwaage
Für einen Thread über direkte, ehrliche Kommunikation in der Therapie ein recht zweideutiger Titel.
Wobei ich zu diesem eigentlichen Anliegen sagen kann, dass weder mein Ex-A noch mein derzeitger Analytiker je Blumen vor dem Mund nehmen, im Sinne, dass sie Schwierigkeiten, die sie wahrnehmen, nicht ansprechen. Da Wahrnehmungen verschieden sind, gab es bei Nr 1 Gefechte deshalb, bei Nr 2 nicht. Kommt ja in einer Therapie auf den Gehalt an, weniger auf die Form.

Zurück zum Threadtitel:

Ich dachte ja, dies sei eher ein Anschlussthread an die Frage, wie wichtig Therapeuten ihr Goldverdienst während der Arbeit ist

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"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard

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leberblümchen
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Beitrag Di., 03.03.2015, 18:14

ziegenkind, das Problem ist, dass ich es bei einer Stunde pro Woche schwierig finde zu entscheiden, worum es gehen soll. Das war bei drei Stunden kein Problem. Jetzt denke ich immer, ich müsste ihm erst mal zusammenfassen, was so passiert ist in der Woche. Wobei ich da keine Belanglosigkeiten meine, sondern z.B.: Erstens hab ich mich entschieden, beruflich dies und jenes zu verändern. Zweitens hab ich mich mit jemandem gestritten, was vielleicht typisch für mich ist. Drittens hab ich über die letzte Stunde nachgedacht. Viertens hab ich erotische Phantasien mit einer Frau. Und so weiter. Mir erscheint alles irgendwie wichtig, und so rattere ich die ersten zehn Minuten meinen Text runter. Ich könnte das auch lassen und mich auf einen Aspekt beschränken. Ich hab mich gefragt, ob er vielleicht neulich nicht wusste, was MIR wichtig war und ob ich diese unausgesprochene Erwartung an ihn hatte, damit jetzt was anzufangen. Ich meinte, es sei wie Einkaufstüten hochtragen und erwarten, dass der Partner beim Auspacken hilft.

Letztlich haben wir aus dem Schweigen in der folgenden Stunde SEHR VIEL gemacht, aber ich weiß nicht, ob ich ihn mit meiner Schilderung langweile.

Montagne, ich hab ihn nicht gefragt; ich hab sein Schweigen unmittelbar als Strafe empfunden. Da war er überrascht und wohl auch betroffen, aber er hat es nicht richtiggestellt. Er wollte, dass ich "was damit mache". Ich nehme an, er würde mir das nicht gerne sagen wollen, wenn ich ihn langweile. Aber vielleicht tue ich das ja auch gar nicht - ich nehme an, er sieht ganz andere Baustellen. Meist findet er meine Worte wohl eher anregend oder 'schön', wie er mal sagte. Aber sobald er schweigt, denke ich, ich langweile ihn. Gut, das ist meine Persönlichkeit: Ich bin einerseits eine Schlaftablette und andererseits kann ich auch witzig sein. Das weiß ich ja.

Ich interpretiere sowieso alles negativ. Daraus könnte man dann ableiten, dass man mir nur schöne Dinge sagen dürfe. Das ist irgendwie das Dilemma.

Solche Sachen, wie du sie erwähnt hast, würden mich ganz schön irritieren, weil ich dann wohl denke, ich bin VOLLKOMMEN arrogant usw. Ich denke, die Herausforderung ist dann, wirklich beides an sich stehenlassen zu können. Geht im Moment gar nicht. Ich bin entweder großartig oder schei.ße. Ist wirklich so. Schlimm.

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Montana
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Beitrag Mi., 04.03.2015, 12:19

Mein Problem ist auch immer, dass der Therapeut nichts sagt und ich nicht weiß, was ich sagen soll. Er will aber nicht zu viel sagen, weil er nicht will, dass ich das sage, was ich denke, was er hören will. Hm, ist das verständlich? Heute meinte er, ich soll nicht nachdenken, sondern verstehen. Aber gehört nicht das Nachdenken an die erste Stelle und das Verstehen kommt dann später? Ich habe jedenfalls heute nicht verstanden. Aber ich habe ihn heute zum Reden gekriegt. Er hat gegen Ende der Stunde ganz viel erklärt und hat irgendwie gewirkt wie "angestachelt".

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sandrin
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Beitrag Mi., 04.03.2015, 14:24

Wirklich ein interessantes Thema. Auch bei mir ist das ein Satz, den ich oft in meiner Familie gehört habe.
Ich glaube halt, dass ich genau deswegen irgendwann einmal aufgehört habe, mich zu öffnen, weil ich mir dachte, der andere versteht ja eh nicht, wie verletzt ich bin oder wieso mich das verletzt. Bzw. habe ich auch oft das Gefühl, mich nicht adäquat mitteilen zu können. Wie gesagt, der Satz fiel oft von meiner Mutter, die offenbar meinte, ich müsse alles an Entwertungen und Unsensibilitäten aushalten.

Das letzte Mal, wo mir das so richtig krass begegnet ist, war fatalerweise in der vorigen ambulanten Therapie. Manchmal, wenn ich den Eindruck hatte, ich werde missverstanden oder etwas kam falsch an und ich wollte das (ruhig) richtigstellen, bekam ich diesen Satz "Sie müssen immer alles auf die Goldwaage legen" entgegengeschmettert. So hatte recht schnell den Eindruck, dass es besser sei, nichts zu sagen, auch wenn ich klar merkte, dass mein Thera auf der völlig falschen Fährte ist. Gerade in einer Therapie ist das meiner Meinung nach der Tod einer sinnvollen Arbeit, weil man so ständig auch die Botschaft vermittelt bekommt, die eigene Wahrnehmung sei falsch und übertrieben. Natürlich kann es sein, dass man das eine oder andere mal zu ernst nimmt, aber dann kommt es ja auch darauf an, WIE man mit dieser Situation umgeht. Ob der andere dennoch ernst nimmt, dass der andere sich missverstanden fühlt oder nicht.

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Montana
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Beitrag Mi., 04.03.2015, 14:36

Das finde ich auch fatal, wenn einem vermittelt wird, dass die eigene Wahrnehmung nicht stimmt.
Mir fällt da ein Beispiel aus meiner Jugend ein. Abendessen. Alle sitzen am Tisch. Ich stehe auf und nehme mein Glas, will mir ein anderes holen, weil meins in der Spülmaschine nicht richtig sauber geworden ist. Fragt meine Stiefmutter: "Wo gehst du hin?". Ich: "Mir ein sauberes Glas holen". Sie: "Du willst doch nicht etwa behaupten, ich hätte dir ein schmutziges Glas auf den Tisch gestellt?". Ergebnis: Ich habe aus dem schmutzigen Glas trinken müssen. Denn es war ja per Definition ein sauberes.


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leberblümchen
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Beitrag Mi., 04.03.2015, 20:12

montana, dieses Erlebnis hätte absolut auch von mir stammen können: wenn der Andere definiert, was richtig ist. Ich finde das für Außenstehende nahezu unglaublich, aber bei Eltern funktioniert so was. Die sagen dir, wie die Welt aussieht, und du hast keine Chance zu widersprechen, weil du sonst als völlig bescheuert hingestellt wirst oder als 'Problemfall'. Gerade wieder ein Beispiel: Meine Tochter probiert gerade veganes Kochen. Sie backt einen Kuchen und sagt der Oma ziemlich begeistert (wie das so ist, wenn man jung ist und die Anerkennung der Bezugspersonen braucht): "Schmeckt echt lecker, musst du mal kosten". Und die Antwort der Oma: "Ih, ich esse nichts, was mir nicht schmeckt". Das ist so verletzend, vor allem, weil SIE immer diejenige ist, die sagt, was Anderen schmecken soll. Wenn du da widersprichst (glücklicherweise sind meine Kinder anders als ich!), zweifelst du an dir; das ist noch schlimmer, als den Papst zu kritisieren, weil der Papst ohnehin von allen möglichen Leuten kritisiert wird.

Und wenn du so aufgewachsen bist, dann kannst du keine eigene funktionierende Wahrnehmung der Situation entwickeln. Du bist verwirrt, weil du nicht weißt, wie du deine Wahrnehmung mit der 'Realität' des Anderen vereinbaren sollst. Es gibt da kein: "Ich sehe es so, und du siehst es so", sondern es ist ein: "Wenn du es nicht so siehst, wie ich, bist du blöd". Und blöd will ich auch nicht sein. Man fängt dann an, vorsichtig zu hinterfragen, um bloß nicht zu riskieren, wieder für blöd gehalten zu werden. Und in diesem Fragen wird man penetrant, weil so vieles davon abhängt, wie der Andere reagiert: Hab ich ihn jetzt verärgert? Vergrault? Flippt er aus? Und das spürt der Andere auch und denkt sich: "Was will der Patient jetzt gerade von mir?" - es ist wie auf einem Drahtseil.


montagne
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Beitrag Mi., 04.03.2015, 21:26

ich hab sein Schweigen unmittelbar als Strafe empfunden. Da war er überrascht und wohl auch betroffen, aber er hat es nicht richtiggestellt.
Seine Betroffenheit hätte ich jetzt als "Beweis" empfunden, dass er sich NICHT mit dir langweilt (oder was auch immer, was man da grad negatives unterstellt). Sofern ich die Betroffenheit abkaufen würde... war bei mir so, dass ich mir anfangs unischer war, ob meine Therapeutin ihre Betroffenheit ob solcher Sachen oder auch Ärger ("Nein, so bin ich nicht, so empfinde ich nicht."), den sie zeigte echt ist oder nicht gespielt. War halt meine Macke...

Ich denke, die Herausforderung ist dann, wirklich beides an sich stehenlassen zu können.
Ja.... War bei mir aber ein Knackpunkt, der viel bewegt hat, so grundlegend. Denke auch, ich bin da auch noch dabei mehr zu entwickeln. Bin aber schon ein gutes Stück gegangen.

Waren bei mir so Stufen der Bewusstwerdung, des Zulassens. Passend dazu hat meine Therapeutin mir manches schrittweise näher gebracht. Vielleicht ist es wie ein Tanz. Ein Schritt, muss zum anderen passen. Und zumindest bei mir war es so, dass wir uns oft genug auch auf die Füße getreten sind. Ich ihr sowieso, aber sie mir auch. Wir haben voneinander gelernt. Man passt sich dem Tanzpartner ja auch an.

Ich war da früher echt extrem ihr negatives zu unterstellen, hab sie echt nonstop abgescannt, wie sie was sagt, meint, usw.
amor fati


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leberblümchen
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Beitrag Mi., 04.03.2015, 21:35

Komisch - im Erkennen von Betroffenheit bin ich richtig gut - es ist der Tonfall, so ein fast In-sich-Zusammensacken des Anderen, wo so offensichtlich wird, dass er einen völlig anderen Gesprächsverlauf erwartet hat. Ich bin nur dann aufgeschmissen, wenn so gar nichts kommt. Mir fällt dabei auf, dass der Therapeut eigentlich im allgemeinen relativ viel von seiner Reaktion zeigt, was ich vor allem am Lachen merke, das nun wirklich spontan raussprudelt. Vermutlich erscheint es mir dann auch logisch, dass ein Nicht-Reagieren negativ sein muss, wenn ja das Positive so häufig fühlbar ist?

Das erste Mal, als er geschwiegen hat, war, als ich über jemanden, der mir sehr wichtig ist, gesprochen habe. Ich Idiot hab sogar dessen Namen erwähnt. Er schwieg, und ich ging felsenfest davon aus, dass die beiden sich kennen. Was ich nicht mal ausschließen kann. Das Problem ist, dass ich mir dann immer so SICHER bin, wie ich das Verhalten des Anderen verstehen 'soll'. Ich glaub, das ist das Schlimmste: dass da meinerseits gar kein Spielraum mehr ist.

Wie Tanzen fühlt sich das bei uns (noch) nicht an; ich glaub, wir suchen erst mal die Musik aus...

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Mia Wallace
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Beitrag Do., 05.03.2015, 12:48

Ich habe ein sehr interessantes Buch über Mentalisierung gelesen:

Mentalisieren bedeutet die Möglichkeit emotionale Prozesse in sich und anderen (korrekt) wahrzunehmen und zu verstehen und darüber hinaus in einen realistischen Zusammenhang zum Verhalten der anderen und des eigenen Verhaltens und der Beziehungen zu stellen.
Mentalisierungsfähigkeit setzt voraus, dass in einer ganz frühen Phase (also präverbal) die Mutter dem Säugling die anflutenden intensiven Affekte, die das Kind allein nicht einordnen und verdauen kann "markiert" spiegelt. In einem Sinne der dem Affekt die Schärfe und das Unaushaltbare nimmt und signalisiert, dass man das Gefühl bewältigen kann. Das Kind erfährt dann Beziehung, in dem es das eigene Gefühl im anderen wiedererkennt und merkt, dass da jemand anwesend ist, der es spiegelt, seine Affekte in sich aufnimmt und sie ihm verdaut wiedergibt. (soweit ich es verstanden habe, ist das im Grunde das Prinzip der projektiven Identifizierung, die zwar als unreifer Abwehrmachanismus früh gestörter Patienten gilt, aber im Säuglingsalter physiologisch ist). Dieser Vorgang ist die Grundlage der Affektregulation.

Pathologisch wird es, wo es zu unmarkierter Spiegelung kommt (also wenn zB die Mutter sich von den Affeklten des Kindes anstecken lässt, anstatt sie aufzunehmen, zu verdauen und für das Kind zu regulieren, also zB auf Wut des Säuglings mit eigener Wut reagiert) oedr zu inkontingenter Spiegelung (also wenn der Säugling Angst hat und die Mutter lacht).

Wenn da etwas schiefgeht, begreift ein Mensch seinen eigenen affektiven zustand als konkrete Wahrheit, die er nicht von einer äußeren Realität unterscheiden kann.
Er wird von Affekten überflutet und kann diese nicht von der äußeren Realität unterscheiden und mit dem eigenen Verhalten in Bezug setzen.
(also zB jemand der seine eigene unbewusste schwere Destruktivität nicht wahrnehmen kann, sondern nur die Aggression vermeintlicher Mobber wahrnimmt -die aber vielleicht nur auf die versteckte Aggression und Destruktivität der Person reagieren)

Ziel in der Therapie ist es, die Mentalisierungsfähigkeit des Patienten zu entwickeln und zu stärken, indem -soweit ich es verstanden habe- der Therapeut diese Funkion eines guten Objekts ausfüllt, dass die anflutenden Affekte des Patienten aufnimmt, verdaut und "markiert" spiegelt.
Also so etwas wie das verträgliche Zurückgeben, wie es hier genannt wurde.


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leberblümchen
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Beitrag Do., 05.03.2015, 12:55

Das mit der Destruktivität hatten wir heute auch. Er sagte, dass es ja sein könne, dass der Andere meine Destruktivität spürt und dann ein zerstörerischer Prozess in Gang gerät, der 'normalerweise' gar nicht eingetreten wäre. Ja, klar, ich weiß das auch. Gut, es ist wirklich erleichternd, dass er darauf nicht einsteigt. Beim ersten Analytiker war das anders.

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