Der 'neue' Kernberg

Gibt es demnächst themenbezogene TV- oder Radio-Sendungen? Kinofilme? Fanden Sie interessante Artikel oder Pressemeldungen in Zeitschriften oder im Internet, Bücher oder DVD's? Hier können Sie die anderen davon informieren...

Widow
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Beitrag So., 13.07.2014, 19:21

I. Funktion eines "Klappentextes":
a) Dient der ersten, groben Orientierung der/des potentiellen Lesers/in eines Buches, verwendet - im Falle von Fachbüchern - um diese erste, grobe Orientierung zu ermöglichen, Fachterminologie.
b) Dient dem Verkauf des jeweiligen Buches, indem dessen Inhalt z.B. zugespitzt wird oder - gerade im Falle von Fachbüchern - die Hauptthese kurz und prägnant vorgestellt wird.

II. Das den Faden einleitende Zitat stammt aus dem Klappentext von Kernbergs Buch. Jenem Text geht aber noch etwas voraus und er geht nach dem Zitat noch weiter (und interessanterweise wird dort nicht nur deutlich, dass Kernberg sich innerhalb der psychoanalytischen Theoriebildung bewegt - wie denn auch nicht, als Analytiker? - und dementsprechend am Kernkonzept dieser Theorie festhält, das nunmal von der Entwicklung der individuellen Sexualität über verschiedene Stufen in der frühen Kindheit ausgeht. Nein, dort wird mehr noch deutlich: Nämlich dass Kernberg für eine erwachsene Sexualität innerhalb reifer Liebe plädiert, die all diese Stufen gelten lassen kann, obwohl sie moralisch oft verworfen werden).

III. Polymorph-perverse Sexualität = alle Sexualität vor der Ausbildung genitaler Sexualität (wie Themis bereits versuchte zu verdeutlichen); Sexualität = (in psychoanalytischer Theoriebildung) alles, was der Lust dient bzw. alles, was Unlust vermeiden hilft.
Kernberg plädiert also für gaaaanz viel Kuscheln auch in der erwachsenen Liebe und gegen den genitalsexuellen Leistungswahn.
- Mädels, was habt Ihr nur dagegen? ...

Übrigens ist das nicht alles, was der Autor in diesem Buch tut (s. den Rest des Klappentextes und s. das Inhaltsverzeichnis und s. vielleicht am besten das ganze Buch selbst - ich hab das Buch übrigens nicht gelesen, weil es mich nicht interessiert, doch ich bin immer noch der Auffassung, dass man über Bücher nur dann diskutieren kann, wenn man sie gelesen hat; über Thesen kann man auch ohne diese Voraussetzung diskutieren, doch dazu sollte man sie zumindest verstanden haben).

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lonely69
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Beitrag So., 13.07.2014, 21:19

hopeless81 hat geschrieben:
Herr Kernberg wird sicher nicht viel Spaß in seinem Leben haben.
Herr Kernberg ist anal strukturiert und hat Spaß, wenn du keinen hast.
LG
Lonely

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lonely69
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Beitrag So., 13.07.2014, 21:22

leberblümchen hat geschrieben:

Was mich an ihm stört, ist, dass ich in seinen Texten oft das Gefühl habe, als Täter gesehen zu werden, vor dem es sich zu schützen gilt (und ich war sehr froh, als mein Theapeut meinte, er mag ihn auch nicht). Hier aber lese ich nichts davon.
Nimm es nicht persönlich. Er sieht alle so, sich selbst inklusive.
Aber danke für den Hinweis, jetzt leuchtet mir die anale Fixierung mehr ein.
LG
Lonely


Themis
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Beitrag So., 13.07.2014, 22:12

Hier geht es doch den meisten gar nicht um das Verständnis des zitierten Textes, geschweige denn um das Buch. Es geht um Täter und Opfer, Autoritätsgefälle, Trigger.
Ich bin nicht meine Geschichte

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pandas
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Beitrag So., 20.07.2014, 19:35

Themis hat geschrieben:Hier geht es doch den meisten gar nicht um das Verständnis des zitierten Textes, geschweige denn um das Buch. Es geht um Täter und Opfer, Autoritätsgefälle, Trigger.
Nun, beides, diese Kernbegriffe gehören auch in das Repertoire von Kernberg.

Aber in der Tat ging es bsiher in erster Linie um den zitierten Text und das "neue" Buch. Die Meisten haben sich auch eindeutig darauf bezogen und haben es diskutiert; manche nicht diskutiert, sondern die Begrifflichkeiten dogmatisch erhoben, wobei zu bezweifeln ist, dass Kernberg selbst diese so meint, d.h. dass Kernberg auch der Ansicht, dass wenn er von kindlicher Sexualität spricht, diese nicht beim realen Kind gegeben sieht (-Was mE auch unsinng bleibt - warum sollte man von Kind sprechen, wenn man nicht auch Kind meint, sondern sozusagen meint, im Erwachsenen entstehe eine kindliche Sexualität, ohne dass Kernberg solch ein Lusterleben bei Kindern für möglich hält. Eher ist es so, dass Kernberg der Ansicht ist, dass Kindern diese Lust nicht bewusst ist. )

So, aber zum Nachbohren über das Buch hinaus; Nachdenken über Zusammenhänge sind erwünscht:
Während Kernberg die Situation an der Mutterbrust bedenkenlos für lebenslange massive Ver- haltensstörungen verantwortlich macht, sieht er die Wirkung einer ganz anderen Klasse von Ereignissen – „Konzentrationslager, Kriegsneurosen [sic], schwere Unfälle, Vergewaltigung, Geiselnahme, politischer Terror, Folter, andere Formen schwerer physischer und sexueller Misshandlung, besonders in den frühen Kinderjahren, in den ersten zehn oder fünfzehn Jahren des Lebens“ – als vergleichsweise harmlos an. Die Wirkung solcher Traumata, so will Kernberg uns einreden, sei relativ überschaubar: „Das posttraumatische Stresssyndrom ist ein Syndrom, das allen schweren Traumata [den gerade aufgelisteten; K.S.] gemeinsam ist.“ Es sei charakterisiert durch „Angstzustände, Einschränkung der Ich-Funktionen, Wutausbrüche, wiederkehren- de Alpträume und Flash-backs“. Originalton: „Und dieses Syndrom dauert im Allgemeinen zwei bis drei Jahre und hat die Tendenz, langsam zu verschwinden.“ Der aus dem KZ befreite Acht- jährige hätte also – so der „Fachmann“ – eigentlich spätestens ab seinem elften Lebensjahr wieder ein ganz normales Leben führen können – wenn, ja, wenn er nicht als Säugling so schrecklich darin versagt hätte, seine orale Wut zu bezähmen!
Eine Grundschülerin erlebt die Vergewaltigung durch ihren Vater also als einen „sexuell erregenden Triumph über ihre Mutter“; dabei lädt sie „(ödipale) Schuld“ auf sich, die sie später „tolerieren“ muss; ihr Triumphgefühl ist ihr zunächst „unbewusst“; und nur ein geschulter Psychoanalytiker wie Otto Kernberg versteht sich darauf, ihre unbewussten Impulse zu entschlüsseln; die Aufgabe der Psychoanalyse ist es, ihr ihre alten Schweinereien bewusst zu machen. Das soll ihr helfen, sich mit den eigenen Verfehlung zurechtzufinden; dadurch kann sie sich endlich selbst als Handelnde erleben und die Opferrolle verlassen: Mit dem Zauberwort „unbewusst“ versucht die Psychoanalyse seit über 100 Jahren selbstzufrieden, ihre unselige Pseudo-Argumentation gegen jeden Widerspruch und jede Kritik von außen zu immunisieren.

Das (angeblich) fruchtbare Ergebnis seiner Arbeit mit diesem Opfer frühkindlicher Erfahrung von sexualisierter Gewalt sieht Kernberg so: „Sie erlangte so die Fähigkeit, sich mit dem Täter zu identifizieren, nämlich mit der sexuellen Erregung des sadistischen, inzestuösen Vaters, und so wurde es ihr auch möglich, den Hass gegen den Vater mit dem Verstehen seines sexuellen und ihres sexuellen Verhaltens zu verbinden.“
Quelle: http://netzwerkb.org/2013/10/03/pladoye ... pie-opfer/
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard


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pandas
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Beitrag So., 20.07.2014, 20:01

Natürlich geht es mit darum - auch in den kritischen Stimmen in diesem Thread- , wie Sexualität definiert wird (hier von einem führenden und offensichtlich durchaus in bestimmten Kreisen Maßstäbe setzenden Psychoanalytiker) - und wie dadurch Normen gesetzt werden und nicht wie Normen dadurch aufgeweicht werden.
Welche Erwartungen werden in Therapien Patienten implantiert, als Maßstab eingeschleust?
Wenn er behauptet, Sexualität sei immer ein Wechselspiel aus Liebe und Aggression, so ist dies mehr eine Anforderung als ein Freiraum.

Wie im obigen Zitat angeführt, wird es als gesünder angesehen, wenn Frauen sich mit dem Vergewaltiger identifzieren als dass sie ihre Verletzung durch Zulassen von eigener Wut und Hass und mit Anteilnahme des Therapeuten durcharbeiten und überwinden.

Dies ist nur das Extrem,

ich befinde, dass, wenn diese polymorph perverse Sexualität als Norm dargestellt wird, Patientinnen, die sich in der Weise schlicht nicht ihrem Partner hingeben wollen, sondern andere Sehnsüchte haben, von einem solch gearteten Therapeuten keine Unterstützung erhalten, sondern es wird darauf hingeleitet, dass sie die sexuelle Erregung des Partner als aufwertend für sich erleben, egal welcher Weise die Praktiken sind, ob sie ihnen Spass machen oder nicht; wird vermutlich auch mit dem Penisneid begründet.
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard


Widow
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Beitrag So., 20.07.2014, 22:51

pandas: "polymorph-perverse Sexualität" heißt in psychoanalytischem Begriffsgebrauch - und ich wiederhole mich da gern noch einmal (nennt man "didaktische Redundanz" ...) - schlicht: Kuscheln und Knuddeln und dadurch rundum Glücklichsein.

Verstehst Du: Du machst da einfach einen kategorialen Fehler (die PhilosophInnen nennen sowas auch einen Kategorien-Fehler), wenn Du zur "Erläuterung" der Kernbergschen Begriffe, die psychoanalytische Begriffe sind (die sich wie alle Terminologie [= Fachsprache] ebenso entwickeln wie alle Sprache), - Du machst da einfach einen kategorialen Fehler, wenn Du diese Begriffe mit Hilfe irgendwelcher Betroffenheitswutschnaubereien in Deine eigene Betroffenheitssprache hineinzuzwingen versuchst.
Da können nur Missverständnisse bei rauskommen. (Aber langsam glaube ich, dass es Dir genau darum zu tun ist ...)

Zum Beispiel dies, dass Du "polymorph-perverse Sexualität" bis heute immer noch hartnäckig missverstehst.
pandas, ich wiederhole mich gerne:
Das heißt nichts anderes als das, was Du Dir offenbar (manchmal) von Sex wünschst: Nämlich dass sich keiner der beiden Sexualpartner der sexuellen Erregung des einen Partners ausschließlich dienend hingeben will/"soll",
SONDERN dass ohne alle genitale Erregung, aber in aller Wohl-Lust geknuddelt und geschuschelt glücklich werden darf.

(Nebenbei: Auch erwachsener Sex, also in Kernberg-psychoanalytischer Terminologie "genitale Sexualität", ist übrigens ganz schön, und dazu gehören nicht nur Genitalien, sondern auch manchmal und in wechselnden Rollen Dominanz und Unterwerfung, und vor allem Hingabe, aber das ist was, was Dir noch sehr fern ist, wie mir scheint. Naja, alles braucht seine Zeit und nichts muss gelingen ...)

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Christie
Helferlein
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Beitrag So., 20.07.2014, 23:06

Vorweg, ich habe Kernberg nicht gelesen und werde das auch nicht tun. Das Problem mit dem zitierten Klappentext verstehe ich aber nicht: Nicht nur die Psychoanalyse geht heutzutage davon aus, dass Kinder sexuelle Gefühle haben, die sich erst im Laufe der Entwicklung konkretisieren. Im analytischen Jargon heisst das eben “polymorph pervers”.

Was ich von Kernberg gehört habe, klingt für mich analog zu allen möglichen wegen ihrer umstrittenen Thesen auch einem Laienpublikum bekannten Wissenschaftlern aus anderen Gebieten; etwa Peter Singer in der Ethik, von dem viele Leute wissen oder zu wissen glauben, dass er “für die Abtreibung behinderter Kinder” ist, oder Richard Dawkins in der Evolutionsbiologie mit dem Schlagwort, dass “alle Menschen Egoisten” sind. Solche Thesen sollte man nicht einfach so aus dem Kontext reissen und insbesondere nicht als Handlungsanleitung verstehen. Man kann den Autoren teilweise vielleicht reisserische Formulierungen unterstellen, insbesondere, wenn das Ganze für ein Laienpublikum geschrieben ist. Aber es sind eben auch Themen, auf die der Volkszorn allzugerne anspringt.
pandas hat geschrieben: Welche Erwartungen werden in Therapien Patienten implantiert, als Maßstab eingeschleust?
Wenn er behauptet, Sexualität sei immer ein Wechselspiel aus Liebe und Aggression, so ist dies mehr eine Anforderung als ein Freiraum.
Herr Kernberg publiziert Theorien über die menschliche Entwicklung; das sagt ja erstmal nichts darüber aus, wie er Therapie betreibt.

Ich persönlich stehe zumindest der “dogmatischen” Psychonanalyse recht kritisch gegenüber – und zwar weniger, weil ich meine, irgend eine Theorie sei richtig oder falsch, sondern weil ich sie zu einem grossen Teil spekulativ finde. Ich glaube, dass gute Therapeuten mit diesen Theorien flexibel umgehen können (sollten) und sie als Orientierung verwenden, wo es ihnen individuell hilfreich erscheint.

Ist das nicht eher so bei Dir, pandas, dass Dein alter Therapeut Dir ein Weltbild aufzwängen wollte, das nicht Deines war? Damit hätte ich auch Mühe. Ich glaube aber nicht, dass das nur ein Problem der psychoanalytischen Ansatzes ist. Und wenn ein Vertreter der Psychonalyse etwas schreibt, das ich persönlich wenig nachvollziehbar finde, dann bedeutet das für meine persönliche therapeutische Beziehung erstmal gar nichts. Ich nehme mal an, dass es auch in anderen therapeutischen Schulen Autoren gibt, denen ich wenig abgewinnen kann.

LG
Christie

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mitplauderin
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Beitrag Fr., 25.07.2014, 18:52

Widow hat geschrieben:
mitplauderin hat geschrieben:wie sehr hat dich deine belesenheit in deinem leben zu anmut, leichtigkeit und freude geführt?
In meinem Leben # 1 haben mich Literatur, Kunst und Menschen(sicht/kenntnis) dazu "geführt", dass ich auf dem Weg war, ein Mensch zu werden: bereit, sich einzulassen; gelassen; traurig und vergnügt.
Und oft auch still, anmutig und leichtfüßig tanzend in aller Gedankenschwere.

In Leben # 2 sind Belesenheit und neue Lektüre das, was mich am Leben hält.

- Gut, man kann darüber streiten, ob das was Gutes ist.
zu 1) als Mensch werden wir geboren (wir müssen nicht Mensch werden). bereit, sich einzulassen; gelassen; traurig und vergnügt. Und oft auch still, anmutig und leichtfüßig tanzend in aller Gedankenschwere. - als Kind konnten wir all das.
zu 2) es ist immer gut, "etwas" zu finden, was einem hält.
Streiten und Austausch unterscheiden sich und haben mit "Gut" nix zu tun.
Gibt es etwas "Kulturelles", mitplauderin, das Dich am Leben gehalten hat oder hält? Oder speist sich Dein Leben aus anderen Quellen? Und wenn ja, magst Du dann sagen, welche das sind?
Widow, was mich (inzwischen und nach langem Nachdenken, nach vielen Jahren Therapie, nach vielem Lesen) am Leben hält ist total banal: Es ist das Leben selbst und meine Erkenntnis, dass sich "das Leben" - damit meine ich die Energie, die Leben erzeugt, Leben beendet ect. - einen Deut um mich und meine Befindlichkeiten scherrt. Leben kommt, Leben geht. Das war schon immer so und betrifft auch mein Leben. "Im hier und jetzt" zu leben, das ist meine heutige Herausforderung. Die Vergangenheit ist vergangen, die Zukunft ist noch nicht da - so "einfach" und so schwierig ist das Leben. Wie spannend, vielfältig und unterschiedlich "Leben" sein kann und ist, da hilft mir in der Tat der Blick über den Tellerrand, indem ich in andere Kulturkreise reise und offen für Neues/Anderes bin - ohne Bewertung.
Drei Fragen bewegen jeden Menschen und diesen drei Fragen darf sich jeder Mensch stellen:
Woher komme ich?
Wohin gehe ich?
Was ist der Sinn des Lebens?

mlg
die blau-derin

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